OGH 4Ob45/18y

OGH4Ob45/18y22.3.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J* S*, vertreten durch Salburg Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1) M* AG, *, vertreten durch Benn-Ibler Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 2) A* Ltd, *, vertreten durch Dorda Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 30.979,28 EUR sA, über die Revision der erstbeklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. November 2017, GZ 1 R 81/17i‑36, mit dem das (Teil‑)Urteil des Handelsgerichts Wien vom 30. März 2017, GZ 661 Cg 17/16s‑30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E121145

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die erstbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.959,30 EUR (darin enthalten 326,55 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Der Kläger macht Schadenersatzansprüche aus dem Erwerb von insgesamt 1.817 Stück „Zertifikaten“ geltend, die von der Zweitbeklagten emittiert wurden. Die Erstbeklagte fungierte als Depotbank und war für die Platzierung der Zertifikate an der Wiener Börse zuständig. Der Kaufentscheidung des Klägers lagen von der Erstbeklagten erstellte Werbebroschüren zugrunde, in denen eine „hohe Sicherheit“ und ein „stabiler Ertrag“ versprochen wurde. Dem Kläger ging es um eine sichere Veranlagung; er wollte etwas mehr Ertrag als auf seinem Sparbuch erwirtschaften. Hätte er gewusst, dass mit der Investition ein unabhängig vom Immobilienvermögen der Emittentin bestehendes Teil- oder Totalverlustrisiko verbunden ist, so hätte er die Zertifikate nicht erworben. Von den eingetretenen Kursverlusten erfuhr der Kläger erstmals im Herbst 2007.

Zur Geltendmachung seiner Ansprüche unterzeichnete der Kläger vor dem 30. 6. 2009 eine Prozessfinanzierungsvereinbarung. Er ging davon aus, dass aufgrund dieser Vereinbarung auch Prozessvollmacht an den (späteren) Klagsvertreter erteilt wird. Mitte 2010 erhielt der Klagsvertreter vom Prozessfinanzierer eine Liste der Anleger, die mit ihm eine Prozessfinanzierungsvereinbarung abgeschlossen hatten; darunter befand sich auch der Kläger. Der Prozessfinanzierer beauftragte den Klagsvertreter mit der Geltendmachung der Schadenersatzansprüche (auch) im Strafverfahren gegen die hier Beklagten.

Mit Schriftsatz vom 23. 7. 2010 erklärte der Klagsvertreter namens der Anleger bei der zuständigen Staatsanwaltschaft den Anschluss als Privatbeteiligte. Zu den Namen, Kaufzeitpunkten und Schadensbeträgen der einzelnen Anleger wurde dabei auf die auf einer beigelegten CD‑Rom abgespeicherte Liste verwiesen. Darin war auch der Name des Klägers und der von ihm geltend gemachte Schadensbetrag angeführt. Im Schriftsatz wurde unter anderem vorgebracht, dass durch die irreführenden Angaben in den Werbeunterlagen bei den Anlegern unrichtige Vorstellungen erweckt worden seien, um möglichst viele Personen zum Kauf der Zertifikate zu bewegen. Mit Schriftsatz vom 20. 8. 2010 erfolgte eine Ergänzung zum Privatbeteiligtenanschluss. Die abermals angeschlossene CD‑Rom wurde bei der Staatsanwaltschaft ausgedruckt; die Ausdrucke wurden in den Strafakt einjournalisiert. Im Strafverfahren wird unter anderem wegen des Verdachts des Anlegerbetrugs aufgrund der fälschlicherweise als sicher angepriesenen Zertifikate ermittelt.

Der Kläger begehrte die Zahlung von 30.979,28 EUR sA Zug um Zug gegen Übertragung von 1.817 Stück der von ihm erworbenen Zertifikate. Die Beklagten hätten ihn durch irreführende Werbung, Marktmanipulation und Verletzung der Ad‑Hoc‑Meldepflicht unrichtig informiert. Bei Kenntnis der wahren Umstände hätte er nicht in die Zertifikate investiert. Er habe mit einem Prozessfinanzierer eine Vereinbarung abgeschlossen und diesen zur Verfolgung seiner Ansprüche bevollmächtigt. Der Prozessfinanzierer habe aufgrund dieser Vollmacht den Klagsvertreter für das Straf- und das Zivilverfahren bevollmächtigt. Die geltend gemachten Ansprüche seien nicht verjährt.

Die Erstbeklagte wendete vor allem Verjährung ein. Der Privatbeteiligtenanschluss habe die Verjährung nicht unterbrochen, weil die Erklärung den Formerfordernissen der Strafprozessordnung nicht entsprochen habe und auch nicht ausreichend individualisiert gewesen sei. Die geltend gemachten Schadenersatzansprüche resultierten überdies nicht aus einer verfolgten strafbaren Handlung. Schließlich liege keine wirksame Bevollmächtigung des Klagsvertreters vor.

Zwischen dem Kläger und der Zweitbeklagten wurde Ruhen des Verfahrens vereinbart.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren (mit Ausnahme eines Zinsenmehrbegehrens) statt. Aufgrund der irreführenden Werbeunterlagen treffe die Erstbeklagte die allgemein zivilrechtliche Prospekthaftung. Die Schadenersatzansprüche seien mit Rücksicht auf den Privatbeteiligtenanschluss im Strafverfahren nicht verjährt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Angaben in den Werbeprospekten seien irreführend gewesen; der Kläger habe diese Angaben seinem Veranlagungsentschluss zugrunde gelegt. Die Prospekthaftungsansprüche des Klägers seien nicht verjährt, weil die Verjährungsfrist durch den Privatbeteiligtenanschluss unterbrochen worden sei. Aufgrund der mit dem Kläger abgeschlossenen Prozessfinanzierungsvereinbarung habe der Prozessfinanzierer dem Klagsvertreter wirksam Vollmacht erteilt. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Frage der Unterbrechungswirkung eines Privatbeteiligtenanschlusses eine große Zahl von Geschädigten betreffe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Erstbeklagten, die auf eine Abweisung des Klagebegehrens abzielt.

Mit seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

1. Trotz Zulässigerklärung der Revision durch das Berufungsgericht muss der Rechtsmittelwerber eine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen. Macht er hingegen nur solche Gründe geltend, deren Erledigung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, so ist das Rechtsmittel ungeachtet des Zulässigkeitsausspruchs zurückzuweisen.

Dies ist hier der Fall; die Revision der Erstbeklagten thematisiert nur mehr die Frage der Verjährung im Zusammenhang mit dem Privatbeteiligtenanschluss.

2.1 Nach ständiger Rechtsprechung hat der Anschluss als Privatbeteiligter im Strafverfahren dieselben rechtlichen Wirkungen iSd § 1497 ABGB wie eine Klage (RIS‑Justiz RS0034631). Da ein zivilrechtlicher Anspruch auch im Strafverfahren im Wege der Privatbeteiligung geltend gemacht werden kann, kommt dieser Erklärung grundsätzlich verjährungsunterbrechende Wirkung zu (2 Ob 180/00k).

Der Anschluss als Privatbeteiligter im Strafverfahren erfolgt durch Erklärung (§ 67 Abs 2 StPO) gegenüber der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft oder nach Einbringung der Anklage gegenüber dem Gericht (§ 67 Abs 3 StPO). Die Erklärung, sich am Strafverfahren beteiligen zu wollen, ist an keine bestimmte Form gebunden. Die ziffernmäßige Bezeichnung des Anspruchs kann auch noch während des Verfahrens bis zum Abschluss des Beweisverfahrens erfolgen (Korn/Zöchbauer in Fuchs/Ratz, WK‑StPO § 67 Rz 10 f).

2.2 Der Oberste Gerichtshof hat zu mehreren gleichartigen Fällen bereits ausgesprochen, dass der auch hier fragliche Privatbeteiligtenanschluss, der insgesamt 7.880 Anleger betrifft, ausreichend konkretisiert und individualisiert war und den Formerfordernissen der StPO entsprach (10 Ob 45/17s; jüngst etwa 4 Ob 194/17h, 4 Ob 196/17b, 4 Ob 199/17v, 6 Ob 191/17g, 6 Ob 196/17t, 8 Ob 124/17v, 3 Ob 194/17a, 3 Ob 188/17v, 3 Ob 224/17p und 3 Ob 11/18s). Dies ist schon deshalb der Fall, weil die auf der CD-Rom abgespeicherte Liste mit den Daten der Anleger bei der zuständigen Staatsanwaltschaft ausgedruckt und zum Akt genommen wurde und somit in Papierform vorlag. Auf die in der Revision aufgeworfenen Fragen zur Vorlage einer CD‑Rom kommt es damit nicht an.

3. Die Wendung „wenn er von dem Berechtigten belangt ... wird“ in § 1497 ABGB bringt zum Ausdruck, dass die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs auch auf andere Art als durch Klage, etwa wie hier durch einen Privatbeteiligtenanschluss, erfolgen kann (10 Ob 45/17s mwN). Für die Wahrung der Rechte des Geschädigten genügt es, wenn im Strafverfahren ein ordnungsgemäßer Privatbeteiligtenanschluss erfolgt. Die Verständigung des Beschuldigten vom Privatbeteiligtenanschluss durch die Strafverfolgungsbehörden ist im Gesetz nicht vorgesehen. Ebenso wenig verlangt § 1497 ABGB für die Unterbrechung der Verjährung die Übermittlung der Privatbeteiligtenerklärung an den Schädiger durch den Privatbeteiligten selbst.

Eine Verpflichtung zur Verständigung des Beschuldigten besteht somit nicht. Die in der Revision ins Treffen geführte gegenteilige Ansicht von Schima/Wallisch (Keine „Belangung“ gemäß § 1497 ABGB durch den Privatbeteiligtenanschluss ohne Information des Schädigers, wbl 2017, 559) würde dazu führen, dass trotz ordnungsgemäßen Privatbeteiligtenanschlusses mangels Verständigung des Beschuldigten bereits während eines länger andauernden Strafverfahrens Verjährung des Schadenersatzanspruchs eintreten würde. Eine solche Konsequenz ist von der Strafprozessordnung, die die Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche im Adhäsionsverfahren erleichtern will, gerade nicht intendiert.

4.1 In Bezug auf die Darlegung des Anspruchs und der Anspruchsgrundlage reicht es für einen ordnungsgemäßen Privatbeteiligtenanschluss aus, wenn das Bestehen eines aus der Straftat entstandenen Anspruchs schlüssig behauptet wird und sich ein Zusammenhang zwischen der Tat – also dem Lebenssachverhalt und nicht notwendigerweise einer bestimmten strafbaren Handlung als rechtliche Qualifikation (vgl dazu 1 Ob 116/17s) – und dem Anspruch ableiten lässt, und zwar unabhängig davon, ob vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten vorliegt bzw ob die angeklagte Straftat überhaupt begangen wurde (10 Ob 45/17s).

4.2 Im zugrunde liegenden Schriftsatz, mit dem der Privatbeteiligtenanschluss erfolgte, wurden die Ansprüche (auch) des Klägers vor allem auf näher dargelegte irreführende Angaben in den von der Erstbeklagten erstellten Werbeunterlagen gestützt. Dazu wurde vorgebracht, dass bei den Anlegern unrichtige Vorstellungen über die Emittentin und die Zertifikate erweckt worden seien, um möglichst viele Kunden zum Kauf zu bewegen.

Die von den Vorinstanzen im vorliegenden Verfahren bejahte Prospekthaftung („nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen“) findet in den im Privatbeteiligtenschriftsatz geschilderten Vorwürfen Deckung. Aufgrund der Ausführungen in diesem Schriftsatz war auch ausreichend deutlich erkennbar, auf welcher Grundlage der Kläger als Privatbeteiligter von den Beklagten Schadenersatz verlangt (vgl RIS‑Justiz RS0034631 [T3, T5 und T10]). Der Vermögensnachteil, für den Schadenersatz begehrt wird, entspricht damit jenem, der auch Gegenstand des Strafverfahrens ist (vgl RIS‑Justiz RS0041512). Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass der geltend gemachte Vermögensnachteil im Privatbeteiligtenschriftsatz ausreichend konkretisiert und individualisiert war, erweist sich als nicht korrekturbedürftig.

5. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass der Klagsvertreter den Privatbeteiligtenanschluss im Strafverfahren nicht vollmachtslos eingebracht hat, hält sich ebenfalls im Rahmen der Rechtsprechung.

Nach den Feststellungen unterzeichnete der Kläger vor dem 30. 6. 2009 die Prozessfinanzierungs‑vereinbarung; dabei ging er davon aus, dass er damit auch dem Klagsvertreter Prozessvollmacht erteilt. Mitte 2010 erhielt der Klagsvertreter vom Prozessfinanzierer eine Liste mit den vertretenen Anlegern; er wurde mit der Erklärung des Privatbeteiligtenanschlusses beauftragt.

Daraus ergibt sich, dass der Abschluss der Prozessfinanzierungsvereinbarung samt Erteilung der Vollmacht an den Klagsvertreter vom Willen des Klägers getragen war, der Prozessfinanzierer sich entsprechend diesem vom Kläger erklärten Willen verhielt und auch namens des Klägers Prozessvollmacht einschließlich der Vollmacht zur Erklärung des Privatbeteiligtenanschlusses erteilte. Es liegt somit eine geschlossene Vollmachtskette vor. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass der Klagsvertreter bereits vor dem Privatbeteiligtenanschluss vom Prozessfinanzierer wirksam mit der Verfolgung der Ansprüche des Klägers beauftragt wurde, ist nicht korrekturbedürftig.

Die von der Erstbeklagten aufgeworfene Frage, ob grundsätzlich eine erst nach dem Ablauf der Verjährungsfrist erteilte nachträgliche Genehmigung einer zunächst vollmachtslos gesetzten Prozesshandlung durch den Vertretenen „die eingetretene Verjährung rückwirkend beseitigen kann“, stellt sich nicht.

6. Insgesamt gelingt es der Erstbeklagten nicht, mit ihren Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die Revision war daher ungeachtet des Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (vgl RIS‑Justiz RS0035962).

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