OGH 1Ob236/17p

OGH1Ob236/17p30.1.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** R*****, vertreten durch die Niedermayr Rechtsanwalt GmbH, Steyr, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, und den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei Mag. R***** W*****, vertreten durch die KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH, Wien, wegen 7.814,45 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. September 2017, GZ 14 R 89/17m‑15, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 2. Mai 2017, GZ 31 Cg 3/17i‑10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0010OB00236.17P.0130.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 694,90 EUR und dem Nebenintervenienten die mit 833,88 EUR (darin 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortungen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Die Revision ist entgegen dem nach § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Dies ist gemäß § 510 Abs 3 ZPO – kurz – zu begründen:

Die Klägerin, die jahrzehntelang keinen Kontakt zu ihrem Vater gehabt hatte, macht Ersatzansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz geltend. Diese gründet sie darauf, dass der Nebenintervenient als Gerichtskommissär unvertretbar rechtswidrig gehandelt haben soll, weil er sie als potentielle Erbin nicht unmittelbar nach dem Tod ihres Vaters verständigte. Deswegen habe sie ua die Mietwohnung des Erblassers erst Monate später kündigen können.

Das Berufungsgericht, das das klagsabweisende Ersturteil bestätigte, erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil keine Rechtsprechung zur Frage bestehe, ob im Vorverfahren des Verlassenschaftsverfahrens eine Verständigungspflicht des Gerichtskommissärs gegenüber den ihm bekannten potentiellen Erben vom Tod des Erblassers bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Nun kann zwar das Fehlen von Rechtsprechung des Höchstgerichts das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage begründen, allerdings nur dann, wenn im konkret zu beurteilenden Fall die Entscheidung auch von der Lösung dieser Rechtsfrage (des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts) abhängt. Die richtige Auslegung der Vorschriften des „Vorverfahrens“ im Verlassenschaftsverfahren ist aber für die Beurteilung des hier angestrebten Ersatzanspruchs nach dem AHG nicht präjudiziell.

Amtshaftungsansprüche setzen gemäß § 1 Abs 1 AHG ein rechtswidriges und schuldhaftes Organverhalten voraus (1 Ob 47/14i = SZ 2014/44; zur Unterlassung RIS‑Justiz RS0081378 [T12]; vgl auch RS0049955 [T15]). Für die Beurteilung des Vorliegens dieser Voraussetzungen kommt es im Amtshaftungsverfahren nicht – wie in einem Rechtsmittelverfahren – darauf an, ob die in Betracht kommende Entscheidung oder das zu beurteilende Organverhalten richtig war, sondern ob die Entscheidung bzw das Verhalten auf einer bei pflichtgemäßer Überlegung vertretbaren Gesetzesauslegung oder Rechtsanwendung beruhte (RIS-Justiz RS0049951 [T4]; RS0049955; RS0050216 [T2]; zuletzt 1 Ob 125/17i).

Das Berufungsgericht hat die Grundsätze bei dieser Prüfung, wonach in der Regel nur das Abweichen von einer ihrem Wortlaut nach klaren Gesetzeslage oder von einer ständigen Rechtsprechung (das zudem unvertretbar ist und keine sorgfältige Überlegung erkennen lässt) die Unvertretbarkeit eines Organverhaltens bewirken kann (RIS‑Justiz RS0049912; RS0049955 [T8]; vgl auch RS0049951), zutreffend wiedergegeben. Wenn es beides im vorliegenden Fall als nicht gegeben erachtete, ist dies nicht zu beanstanden.

Eine klare Gesetzeslage, die die von der Klägerin geforderte Verständigungspflicht bereits im Vorverfahren und vor Abschluss der Erhebungen anordnet, kann auch die Klägerin nicht für sich ins Treffen führen. Sie gesteht vielmehr selbst zu, dass es richtig sei, dass „aus den klaren Gesetzeswortlauten die Verpflichtung zur Verständigung der potentiellen, ihm bereits bekannten, Erben zu keinem bestimmten Zeitpunkt stattzufinden hat“. Gegen welche ständige Rechtsprechung der Gerichtskommissär mit seinem Handeln, das vom Berufungsgericht mangels Ermessensüberschreitung oder Ermessensmissbrauch als jedenfalls vertretbar angesehen wurde, verstoßen haben sollte, kann die Klägerin ebenfalls nicht angeben.

Da für die Beurteilung der Vertretbarkeit des Handelns des Organs (insoweit nur) von Bedeutung ist, ob bereits im Zeitpunkt dieses Handelns (einem Fachmann bei pflichtgemäßer Information zugängliche) Rechtsprechung bestanden hat oder nicht, ist eine spätere Klärung der Auslegung der vom Berufungsgericht relevierten Bestimmungen nicht Aufgabe des Höchstgerichts als Amtshaftungsgericht; sie bliebe ohne Einfluss auf die Beurteilung der Vertretbarkeit, die als Verschuldenselement ganz von den Umständen des Einzelfalls abhängig ist und sich deshalb regelmäßig einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO entzieht (RIS‑Justiz RS0110837).

Die Klägerin kann eine im Einzelfall aufzugreifende Fehlerhaftigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts über die Vertretbarkeit des Verhaltens des konkret betroffenen Organs nicht einmal ansatzweise aufzeigen, weshalb ihre Revision zurückzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO. Die Beklagte und der Nebenintervenient haben auf die mangelnde Zulässigkeit der Revision hingewiesen, womit ihre Schriftsätze als zweckentsprechende Rechtsverfolgungsmaßnahme zu qualifizieren sind.

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