European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0090OB00065.17Z.0130.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Die Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und Rates vom 20. 5. 2015 ist nach ihrem Art 84 Abs 1 nur auf Insolvenzverfahren anwendbar, die nach dem 26. 6. 2017 eröffnet wurden. Für Insolvenzverfahren wie das vorliegende, die vor diesem Zeitpunkt eröffnet wurden, hat die Beurteilung der Auswirkungen der Insolvenz in anderen Mitgliedstaaten nach der Verordnung (EG) Nr 1346/2000 des Rates vom 29. 5. 2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) zu erfolgen.
Die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in einem Mitgliedstaat entfaltet gemäß Art 17 Abs 1 EuInsVO in jedem anderen Mitgliedstaat unmittelbar diejenigen Wirkungen, die das Recht des Eröffnungsstaats dem Verfahren beilegt. Nach Art 4 Abs 2 EuInsVO regelt das Recht des Eröffnungsstaats insbesondere, welche Vermögenswerte zur Masse gehören sowie welche Befugnisse dem Schuldner zukommen (vgl auch RIS‑Justiz RS0119909). Demnach bestimmt sich der Umfang der Verfügungsbeschränkung des Schuldners nach der lex fori concursus, somit im vorliegenden Fall nach deutschem Recht.
2. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht nach § 80 Abs 1 dInsO das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Erhebt der Schuldner trotz der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Klage über einen zur Masse gehörenden Gegenstand, ist die Klage mangels Prozessführungsbefugnis unzulässig. Der Verlust der Prozessführungsbefugnis ist auf das insolvenzbefangene Vermögen beschränkt. Die Prozessführungsbefugnis des Schuldners wird dagegen nicht beschnitten, falls ein Rechtsstreit von vornherein oder nach einer Freigabe durch den Verwalter insolvenzfreies Vermögen betrifft (BGH IX ZR 165/12).
Gegen die von diesen Grundsätzen ausgehende Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass der verfahrensgegenständliche Anspruch von der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters umfasst ist und daher dem insolvenzfreien Vermögen der Klägerin zuzurechnen ist, wendet sich der Revisionsrekurs nicht mehr. Der Beklagte macht nur geltend, dass das Rekursgericht gegen die Bindungswirkung und Einmaligkeitswirkung der Entscheidung im Verfahren AZ 8 Cg 42/15t des Landesgerichts Salzburg verstoßen hat.
3. Die Zurückweisung einer Klage wegen Einmaligkeitswirkung der Rechtskraft setzt Identität der Parteien und der Ansprüche im Folgeprozess und im rechtskräftig entschiedenen Vorprozess voraus (RIS‑Justiz RS0041340). Ob idente Ansprüche vorliegen, ist nach den Streitgegenständen der beiden Verfahren zu beurteilen. Die Einmaligkeitswirkung greift demnach dann ein, wenn der in der neuen Klage geltend gemachte Anspruch sowohl hinsichtlich des Begehrens als auch im rechtserzeugenden Sachverhalt mit jenem des rechtskräftig entschiedenen Vorprozesses übereinstimmt (RIS‑Justiz RS0039347; RS0041115 [T4]). Sie ist dagegen so wie die Streitanhängigkeit dann nicht gegeben, wenn die rechtserzeugenden Tatsachen nur teilweise übereinstimmen, wenn also beim später geltend gemachten Anspruch weitere rechtserzeugende Tatsachen hinzutreten. Ob die Voraussetzungen gegeben sind, hängt regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl RIS‑Justiz RS0044453).
4. Stützt der Kläger sein Begehren alternativ auf verschiedene Sachverhaltsvarianten, liegen in Wahrheit zwei Ansprüche vor (RIS‑Justiz RS0039255 [T8]). Dieser Grundsatz wurde vom Obersten Gerichtshof – im Zusammenhang mit der Frage der Verjährung – auch auf die Geltendmachung verschiedener Beratungsfehler in Bezug auf ein und das selbe Veranlagungsprodukt übertragen (vgl 5 Ob 133/15t).
Die Klägerin hat sowohl im Vorverfahren als auch im vorliegenden Verfahren ihre Ansprüche aus einer unrichtigen Beratung durch den Beklagten als ihrem Rechtsvertreter abgeleitet, wobei sie ihm jedoch in den beiden Verfahren jeweils unterschiedliche Beratungsfehler vorwarf. Im Vorverfahren hatte sie sich darauf gestützt, dass er sie nicht über die Möglichkeit der Erhebung eines Rekurses gegen den Meistbotsverteilungsbeschluss belehrt hatte. Im vorliegenden Fall macht sie dagegen geltend, dass er es unterlassen hat, sie über die Möglichkeit einer Widerspruchsklage aufzuklären. Dieses Vorbringen wurde zwar bereits im Vorverfahren erstattet, jedoch als unzulässige Klagsänderung zurückgewiesen.
Die Klägerin macht daher einen anderen Klagsgrund im Sinn des § 235 Abs 4 ZPO geltend, eine Identität der Ansprüche liegt nicht vor.
Damit entfaltet auch die zurückweisende Entscheidung im Vorprozess, dass die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters die dort verfahrensgegenständlichen Forderungen nicht umfasst und es der Klägerin daher an der Prozessfähigkeit zur Geltendmachung dieser Forderungen mangelt, keine Bindungswirkung für den hier zu beurteilenden Anspruch.
Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung oder einer Fehlbeurteilung durch das Rekursgericht war der Revisionsrekurs zurückzuweisen.
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