OGH 12Os111/17s

OGH12Os111/17s18.1.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Jänner 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Ettel als Schriftführerin in der Strafsache gegen Hamid J***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 17. Juli 2017, GZ 608 Hv 2/17g‑119, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0120OS00111.17S.0118.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Hamid J***** des Verbrechens des Mordes nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 12. Juli 2016 in W***** Nassireh A***** durch Versetzen eines heftigen Stichs in die linke Hinterhauptregion sowie weiterer Stiche in die rechte Stirn‑/Schläfenregion, in den Bereich des rechten Nasenflügels, in den Bereich der rechten Hinterohrenregion sowie in den Bereich der rechten Scheitelhöhe mit einem Klappmesser von ca 9 cm Klingenlänge, wodurch diese letztlich zu Sturz kam und mit dem Kopf auf der Eisenstiege der U-Bahnstation Währinger Straße aufschlug, vorsätzlich zu töten versucht.

Die Geschworenen bejahten die nach dem Verbrechen des Mordes nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB gestellte Hauptfrage 1./ und verneinten die nach Rücktritt vom Versuch nach § 16 Abs 1 oder Abs 2 StGB gestellte Zusatzfrage 1./. Die Beantwortung der nach dem Verbrechen des Totschlags gemäß § 76 StGB gestellten Eventualfrage 1./ sowie der nach dem Verbrechen der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach § 85 Abs 1 Z 3 StGB gestellten Eventualfrage 2./ entfiel daher.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 5, Z 10a und Z 13 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Der Verfahrensrüge (Z 5) zuwider konnte der Antrag auf Vernehmung der Zeugin Caroline G***** „besonders“ (gemeint:) dafür, dass der Angeklagte vom Versuch freiwillig zurückgetreten ist (ON 118 S 77 f), sanktionslos abgewiesen werden, weil er nicht ausführte, weshalb die beantragte Zeugin Angaben zum Vorliegen bloß subjektiver Tatbestandselemente („freiwillig“) machen könnte und die beantragte Beweisaufnahme somit das behauptete Ergebnis erwarten lassen sollte (RIS‑Justiz RS0099189; vgl 11 Os 77/13b).

Die Tatsachenrüge (Z 10a) richtet sich gegen die Verneinung der (nach Rücktritt vom Versuch gestellten) Zusatzfrage 1./ bzw der Freiwilligkeit des Absehens von weiteren Tathandlungen des Angeklagten. Sie verweist auf einzelne, teilweise aus dem Zusammenhang gelöste Zeugenaussagen zum Passantenaufkommen während und unmittelbar nach der Tatbegehung, leitet daraus ab, dass sich zu dem Zeitpunkt, als der Angeklagte vom Opfer abließ und die Polizei verständigte, keine anderen Personen in seiner Umgebung befunden hätten, und behauptet weiters, es lägen keinerlei davon abweichende Beweisergebnisse vor.

Indem die Rüge aber sowohl jene Passagen der Aussage der Zeugin Susanne H*****, in denen sie bekundete, während der Tatbegehung am Tatort gewesen zu sein und das Opfer angesprochen zu haben (ON 118 S 36 f), als auch die Angaben des Zeugen Sebastian Ha*****, die Tathandlungen unmittelbar wahrgenommen zu haben (ON 118 S 54 ff), ausblendet, missachtet sie das Gebot, ihre auf das Bestehen erheblicher Bedenken gerichtete Argumentation „aus den Akten“ (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der Beweisergebnisse) abzuleiten (RIS‑Justiz RS0117446 [insbes T9]; 11 Os 94/16g). Urteilsnichtigkeit nach § 345 Abs 1 Z 10a StPO ist demgegenüber nur dann gegeben, wenn die Laienrichter das ihnen nach § 258 Abs 2 zweiter Satz StPO iVm § 302 Abs 1 StPO gesetzlich zustehende Beweiswürdigungsermessen in geradezu unerträglicher Weise gebraucht haben und damit eine Fehlentscheidung bei der Beweiswürdigung qualifiziert nahe liegt (RIS‑Justiz RS0118780 [T16, T17]).

Der Sanktionsrüge (Z 13) zuwider begründet die erschwerende Wertung des hohen Gewaltausmaßes keinen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot, weil der Einsatz besonderer Gewalt vom Tatbestand des Mordes nicht erfasst wird (vgl RIS‑Justiz RS0091003, insbesondere 15 Os 76/17s).

Da die Unterstellung der Tat unter § 75 StGB in der Entwicklungsstufe des Versuchs nach § 15 Abs 1 StGB den Eintritt tatsächlicher – hier sogar schwerer und „für zumindest sehr lange Zeit“ andauernder (US 4) – Verletzungsfolgen nicht voraussetzt und auch die Heranziehung bloß „typischerweise“ (regelmäßig) mit der Verwirklichung eines Delikts verbundener Umstände bei der Strafzumessung nicht gegen das Doppelverwertungsverbot verstößt (RIS‑Justiz RS0130193 [T3]), gilt Gleiches für die von der Rüge monierte Berücksichtigung der extrem gravierenden Folgen der Tat in Form von halbseitiger Lähmung.

Im Hinblick darauf, dass bereits die dem Opfer vor Erreichung des Zustands der Wehrlosigkeit versetzten Stiche den vorliegenden Schuldspruch tragen, verstößt demnach auch die sich lediglich auf den konkreten Einzelfall beziehende, die abstrakte Intention des Gesetzgebers bei der Kriminalisierung der (versuchten) Tötung eines Menschen (§ 75 StGB) aber nicht betreffende (vgl Ebner in WK² StGB § 32 Rz 72) aggravierende Berücksichtigung der „Ausnützung der Wehrlosigkeit des Opfers durch Stiche auch noch auf das bereits am Boden liegende Opfer“ (US 4) – und damit die Wertung sowohl der Durchführung insgesamt mehrerer Angriffshandlungen als auch deren Fortsetzung trotz mittlerweile eingetretener Hilflosigkeit – nicht gegen das Doppelverwertungsverbot. Ob es sich bei den letztgenannten Stichen tatsächlich nur um einen einzigen weiteren Stich gehandelt hat, ist hiebei nicht relevant.

Dass das Erstgericht bei der Strafbemessung auch generalpräventive Aspekte berücksichtigte, ist aus § 345 Abs 1 Z 13 dritter Fall StPO unbedenklich (RIS‑Justiz RS0090592 [T1]). Der in diesem Zusammenhang erhobene Vorwurf, das Erstgericht habe ersichtlich ein kulturelles Tötungsmotiv angenommen und als erschwerend gewertet und damit bei der Strafbemessung in unvertretbarer Weise auf die Volkszugehörigkeit eines Menschen als Gesichtspunkt abgestellt (vgl RIS‑Justiz RS0120234), ist mit den erstgerichtlichen Erwägungen zur Strafzumessung (US 4 f) nicht in Einklang zu bringen und geht damit ins Leere. Mit der weiters aufgestellten Behauptung, die Berücksichtigung (spezial‑ und general‑)präventiver Aspekte habe zu einer unzulässigen exemplarischen Strafe geführt, zumal der Gesetzgeber „bei der Konstitutierung des § 75 StGB spezial- und generalpräventive Gesichtspunkte in ausreichendem Maße berücksichtigt und die Tötung eines Menschen – egal ob Mann oder Frau – kriminalisiert“ habe, übersieht die Rüge erneut, dass die vom erkennenden Gericht hiebei konkret angestellten Erwägungen, wonach „in Zeiten einer extremen Häufung von Übergriffen auch gewalttätiger Natur auf Frauen sowohl dem Angeklagten als auch potentiellen Nachahmungstätern“ die Untolerierbarkeit derartigen Verhaltens „mit strikter Deutlichkeit vor Augen geführt“ werden müsse, vom betreffenden Tatbestand nicht erfasst sind. Im Ergebnis erstattet sie damit – ebenso wie mit dem weiteren Einwand, es wäre eine Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Jahren tat- und schuldangemessen gewesen – lediglich ein Berufungsvorbringen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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