OGH 10Ob52/17w

OGH10Ob52/17w20.12.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Schramm, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann und den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Kindes L*, geboren am *, vertreten durch das Land Kärnten als Träger der Kinder‑ und Jugendhilfe (Bezirkshauptmannschaft Hermagor, 9620 Hermagor, Hauptstraße 44), wegen Gewährung von Unterhaltsvorschüssen, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 4. Mai 2017, GZ 3 R 70/17d‑14, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Hermagor vom 23. Jänner 2017, GZ 1 Pu 6/17b‑3, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E120634

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Unterhaltsvorschussantrag vom 10. Jänner 2017 abgewiesen wird.

 

Begründung:

Der Vater des Kindes ist aufgrund einer vor der Bezirkshauptmannschaft Hermagor abgeschlossenen Unterhaltsvereinbarung vom 24. 8. 2015 verpflichtet, dem Kind einen monatlichen Unterhalt von 300 EUR zu zahlen.

Am 7. 11. 2016 beantragte das Kind beim Erstgericht die Bewilligung der Gehaltsexekution gegen den Vater zur Hereinbringung eines Unterhaltsrückstands von 1.200 EUR. Als Drittschuldner nannte das Kind im Exekutionsantrag das AMS Hermagor. Zu diesem Zeitpunkt war der Vater noch als arbeitssuchend beim AMS gemeldet und bezog Arbeitslosengeld. Am 16. 12. 2016 endete der Arbeitslosengeldbezug des Vaters, er wurde beim AMS abgemeldet. Am 1. 1. 2017 wurde der Vater Arbeitnehmer der M *GmbH.

Am 10. 1. 2017 beantragte das Kind die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von 300 EUR. Das Kind brachte dazu vor, dass die beim Erstgericht geführte Exekution auf das Arbeitseinkommen des Vaters unter Anrechnung der hereingebrachten Rückstände auf den laufenden Unterhalt, diesen vor Antragstellung nicht gedeckt habe. Per 1. 1. 2017 bestehe ein Unterhaltsrückstand von insgesamt 1.800 EUR.

Das Erstgericht bewilligte dem Kind Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von monatlich 300 EUR ab dem 1. 1. 2017 bis zum 31. 12. 2021.

Das Rekursgericht gab dem vom Bund gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs nicht Folge. Das Kind habe den Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nur auf § 3 Z 2 UVG gestützt; es habe keine Behauptungen zum Tatbestand des § 4 Z 1 UVG aufgestellt. Aufgrund der Subsidiarität der Unterhaltsvorschüsse müsse das Kind vor einem Vorschussantrag den „richtigen Schritt“, daher zielführende exekutive Maßnahmen setzen. Davon sei im vorliegenden Fall infolge des zeitlichen Zusammenhangs zwischen der Einleitung der Exekution am 7. 11. 2016 und dem Unterhaltsvorschussantrag auszugehen. Das AMS habe dem Exekutionsgericht erst am 7. 2. 2017 bekanntgegeben, dass der Vater am 16. 12. 2016 aus dem Leistungsbezug ausgeschieden sei. Weder dem Erstgericht noch dem Kind sei eine Verletzung der Nachforschungspflicht vorwerfbar. Infolge des dargestellten zeitlichen Naheverhältnisses habe das Kind auch keinen Anlass gehabt, einen Auszug des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger (in weiterer Folge: Hauptverband) zur Überprüfung des aufrechten Leistungsbezugs des Vaters einzuholen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob das Kind trotz des bestehenden zeitlichen Zusammenhangs vor Antragstellung zu einer Anfrage an den Hauptverband verpflichtet gewesen wäre und ob das Gericht ohne unmittelbaren Anlass aus der Aktenlage zur Einholung eine solche Auskunft im Rahmen seiner Überprüfungspflicht einzuholen hätte.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes, mit dem dieser die Abweisung des Antrags anstrebt.

Eine Revisionsrekursbeantwortung wurde nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Der Bund führt zusammengefasst im Revisionsrekurs aus, dass zwischen der Einleitung der Exekution und der Einbringung des Unterhalts-vorschussantrags mehr als zwei Monate vergangen seien (9 Wochen), sodass der gemäß § 3 Z 2 UVG geforderte enge zeitliche Zusammenhang zwischen Exekutionsmaßnahme und Unterhaltsvorschussantrag fehle. Sowohl dem Träger der Kinder‑ und Jugendhilfe als auch dem Erstgericht sei bekannt, dass sich die Verhältnisse bei Unterhaltsschuldnern oft in kürzeren Zeiträumen ändern. Eine vor Beantragung der Unterhaltsvorschüsse eingeholte Anfrage beim Hauptverband hätte infolge der zeitlichen Knappheit vielleicht noch nicht eine Information über den Arbeitgeber, bei dem der Vater seit 1. 1. 2017 beschäftigt gewesen sei, ergeben. Sie hätte aber jedenfalls die Beendigung des Bezugs von Arbeitslosengeld nach dem 16. 12. 2016 ergeben, woraus ersichtlich gewesen wäre, dass die eingeleitete Exekution nicht zum Erfolg führen könne. Die Einholung einer Auskunft des Hauptverbands wäre sowohl dem Träger der Kinder‑ und Jugendhilfe als Vertreter des Kindes als auch dem Erstgericht zumutbar gewesen.

Dem kommt Berechtigung zu:

1.1 Die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 3 UVG setzt voraus, dass das Kind zuvor gegen den Unterhaltsschuldner exekutive Schritte beantragt oder dem Exekutionsantrag gleichgestellte Schritte gesetzt hat, wie sie in § 3 Z 2 UVG angeführt sind (10 Ob 62/14m). Andere als die dort genannten Schritte müssen nicht gesetzt werden, und es ist auch nicht nötig, diese immer wieder zu wiederholen, solange ein enger zeitlicher und inhaltlicher Zusammenhang zwischen Exekutionsantrag und Vorschussantrag besteht (vgl 10 Ob 47/10z; 10 Ob 35/10k; 10 Ob 56/10y).

1.2 Erhält der Unterhaltsschuldner – wie im vorliegenden Fall – laufende Bezüge im Sinn des § 290a EO, so werden Unterhaltsvorschüsse nur gewährt, wenn das Kind vorher Schritte initiiert hat, um den gesamten laufenden Unterhalt durch eine zielführende Exekution auf die künftig fällig werdenden laufenden Bezüge des Unterhaltsschuldners hereinzubringen (10 Ob 37/14k; 10 Ob 62/14m; 10 Ob 7/15z). Gegenüber der zwangsweisen Hereinbringung der Geldunterhaltsleistungen sind Unterhaltsvorschüsse nur subsidiär zu erbringen; der Exekutionsantrag muss daher grundsätzlich erfolgversprechend (zielführend) in dem Sinn sein, dass damit die Möglichkeit besteht, den Geldunterhaltsanspruch auch zu lukrieren (RIS‑Justiz RS0126246; 10 Ob 47/10z; 10 Ob 35/10k; 10 Ob 7/17b).

1.3 Maßgeblicher Stichtag für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vorschussgewährung ist stets das Datum der Entscheidung erster Instanz (RIS‑Justiz RS0076052 [T5]). Liegen die Voraussetzungen für die Gewährung eines Unterhaltsvorschusses zu diesem Zeitpunkt nicht vor, ist der Antrag zur Gänze abzuweisen (10 Ob 37/14k mwH). Die bloße Tatsache einer Exekutionsführung führt daher allein nicht zu einer dauerhaften Möglichkeit, in Zukunft Vorschüsse auf der Grundlage von § 3 Z 2 UVG zu beantragen. Um der Subsidiarität der Vorschussgewährung zum Durchbruch zu verhelfen, muss vielmehr die von § 3 Z 2 UVG geforderte Exekutionsführung bis zur Vorschussantragstellung grundsätzlich zielführend bleiben (10 Ob 47/10z; 10 Ob 35/10k). Und auch im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz muss noch eine „taugliche“ Exekutionsführung vorliegen (10 Ob 62/14m).

2.1 Nach den Verfahrensergebnissen im vorliegenden Fall lag eine erfolgversprechende Exekutionsführung im dargestellten Sinn weder im Zeitpunkt der Einbringung des Antrags auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen (10. 1. 2017) noch im Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz vor, weil der Vater als Unterhaltsschuldner bereits seit 16. 12. 2016 nicht mehr bei dem im Exekutionsantrag als Drittschuldner angegebenen AMS Arbeitslosengeld bezog.

2.2 Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass die Durchführung einer Abfrage beim Hauptverband für den Träger der Kinder‑ und Jugendhilfe als Vertreter eines Kindes im Verfahren nach dem UVG eine ohne besonderen Aufwand vorzunehmende Maßnahme darstellt, aus der zu erkennen ist, ob eine seinerzeit gegen den Unterhaltsschuldner eingeleitete Exekution gemäß § 294a EO (noch) zum Erfolg führen kann (10 Ob 47/10z; 10 Ob 56/10y; RIS‑Justiz RS0129829 für die Fälle beispielsweise des häufigen Wohnsitzwechsels oder häufigen Wechsels des Arbeitsplatzes durch den Unterhaltsschuldner).

2.3 Zutreffend argumentiert der Bund im Revisionsrekurs damit, dass der gemäß § 3 Z 2 UVG erforderliche zeitliche Zusammenhang zwischen dem Exekutionsantrag und dem Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen im konkreten Einzelfall nicht mehr gegeben war, weil sich die für die Erfolgsaussichten einer eingeleiteten Gehaltsexekution maßgeblichen Umstände in einem Zeitraum von mehr als zwei Monaten wesentlich ändern können. Dies ergibt sich etwa aus dem vergleichbaren Sachverhalt zu 10 Ob 56/10y: Im damaligen Fall wurde die Exekution am 26. 11. 2009 bewilligt, zu diesem Zeitpunkt war der Unterhaltsschuldner noch beim Drittschuldner beschäftigt. Allerdings schied er bereits am 11. 12. 2009 aus dem Arbeitsverhältnis aus und bezog seit 30. 12. 2009 Arbeitslosengeld. Der am 26. 1. 2010 eingebrachte Unterhaltsvorschussantrag war nicht berechtigt, wozu der Oberste Gerichtshof ausführte:

Zum Zeitpunkt der Vorschussantragstellung im Jänner 2010 wäre bereits ohne besonderen Aufwand, nämlich durch eine Hauptverbandsabfrage, erkennbar gewesen, dass die seinerzeit gegen den Unterhaltsschuldner eingeleitete Exekution nach § 294a EO nicht zum Erfolg führen konnte, weil der Vater schon seit einigen Wochen nicht mehr bei dem Arbeitgeber beschäftigt war, der als Drittschuldner in das Exekutionsverfahren einbezogen worden war.“

2.4 Dies gilt auch im vorliegenden Fall: In der Rekursbeantwortung argumentierte das Kind, dass sich aufgrund des Jahreswechsels und der technischen Abläufe eine zeitliche Verzögerung der EDV‑Informationen beim Hauptverband ergeben könne (genannt wird ein Zeitraum von einer Woche), sodass der neue Arbeitgeber des Unterhaltsschuldners nicht ersichtlich gewesen wäre. Dem hält der Revisionsrekurswerber zutreffend entgegen, dass auch unter Berücksichtigung einer solchen Verzögerung eine zeitnah zur Antragstellung eingeholte Abfrage jedenfalls die Auskunft ergeben hätte, dass der Arbeitslosengeldbezug des Vaters beim AMS am 16. 12. 2016 geendet hatte, sodass daraus ersichtlich gewesen wäre, dass die vor diesem Zeitpunkt eingeleitete Gehaltsexekution nicht (mehr) zielführend war. Dass das Kind weder einen neuen Exekutionsantrag stellte noch die Aussichtslosigkeit von Exekutionsmaßnahmen im Sinn des § 4 Z 1 UVG im Antrag geltend machte, hat bereits das Rekursgericht zutreffend dargestellt.

Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben und die Beschlüsse der Vorinstanzen im Sinn einer Abweisung des Antrags abzuändern.

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