OGH 16Ok2/17f

OGH16Ok2/17f7.12.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm und Dr. E. Solé sowie die fachkundigen Laienrichter Kommerzialräte Dr. Haas und Dr. Dernoscheg als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin Bundeswettbewerbsbehörde, 1030 Wien, Radetzkystraße 2, gegen die Antragsgegnerin T* GmbH, *, vertreten durch Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Geldbuße gemäß § 29 iVm § 17 KartG, über den Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom 19. April 2017, GZ 24 Kt 9/16b‑12, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E120290

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Die Antragsgegnerin und die S* (in der Folge kurz: „S*“) waren bis Oktober 2014 jeweils 50%ige Gesellschafter der Zielgesellschaft.

Die S* geriet 2013 in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Der Abschlussprüfer der S* wollte ihr den Bestätigungsvermerk für den Jahresabschluss 2012 versagen. Um diesen zu erhalten, ersuchte die S* die Antragsgegnerin, sie möge ihr Kaufinteresse an der Beteiligung der S* an der Zielgesellschaft durch ein verbindliches Übernahmeanbot mit einer längerfristigen Bindungsdauer bis April 2015 dokumentieren. Eine Annahme des Übernahmeangebots wollte die S* jedoch nur in Erwägung ziehen, wenn die finanziellen Schwierigkeiten nicht auch ohne Verkauf ihres Geschäftsanteils bewältigt werden konnten.

Zur Zeit der Errichtung des Übernahmeangebots am 30. 10. 2013 wurde die Frage einer Überschreitung der Umsatzschwellen des § 9 Abs 1 Z 2 KartG nicht erörtert. Tatsächlich wurden die maßgeblichen Umsatzschwellen im Jahr 2012 bei Weitem nicht erreicht; eine Überschreitung war auch im Jahr 2013 nicht absehbar.

Schon zur Zeit der Abgabe des Übernahmeangebots war die Antragsgegnerin aufgrund der gesellschaftsvertraglichen Situation (Dirimierungsrecht bei den mit einfacher Mehrheit zu fassenden Gesellschafterbeschlüssen sowie im Aufsichtsrat, Personalunion des Geschäftsführers der Zielgesellschaft und der Antragsgegnerin) in der Lage, das Tagesgeschäft zu beeinflussen und Entscheidungen des Mitgesellschafters zu blockieren bzw in gewissem Umfang gegen dessen Willen im Aufsichtsrat und in der Generalversammlung durchzusetzen.

Im Oktober 2014 beabsichtigte die S*, das Übernahmeangebot anzunehmen, was die Antragsgegnerin erst unmittelbar vor Errichtung der entsprechenden formwirksamen Annahmeerklärung mit Notariatsakt vom 23. 10. 2014 erfuhr, die ihr zeitnahe zugestellt wurde. Die Rechtsvertreter der S* hatten damals von sich aus einen Antrag auf Eintragung einer Gesellschafteränderung im Firmenbuch des Handelsgerichts Wien vorbereitet, den der Geschäftsführer der Zielgesellschaft (der ja auch Geschäftsführer der Antragsgegnerin war) unterschrieb. Am 6. 11. 2014 wurde der Firmenbuchantrag von den Rechtsvertretern der S* beim Firmenbuch eingebracht und die Änderung dort am 29. 11. 2014 eingetragen. Kartellrechtliche Fragen wurden aus Anlass der Vorbereitung und der Unterzeichnung des Antrags auf Eintragung der Änderung im Stand der Gesellschafter der Zielgesellschaft zwischen dem Geschäftsführer und den Rechtsvertretern der S* nicht erörtert.

Nach Erhalt der Annahmeerklärung überwies die Antragsgegnerin den Kaufpreis an die S*. Gegenüber der Zielgesellschaft kam es zu keinen Änderungen im operativen Geschäft oder den langfristigen strategischen Planungen gegenüber der bisherigen Praxis. Es gab keine Informationen über die Fusion an Dritte, und es wurden auch keine Gesellschafterversammlungen abgehalten oder Gesellschafterbeschlüsse im Umlaufverfahren gefasst.

Am 26. 11. 2014 fand in der Kanzlei der Antragsgegnervertreter eine Besprechung mit Repräsentanten der Antragsgegnerin statt. Dabei sollten gesellschaftsrechtliche Maßnahmen zur Umsetzung des durch die Annahmeerklärung der S* zustande gekommenen Abtretungsvertrags, insbesondere Änderungen im Aufsichtsrat und eine Änderung des Gesellschaftsvertrags, besprochen werden. Der Antragsgegnervertreter wies darauf hin, dass seiner Meinung nach zu prüfen sei, ob der Abtretungsvertrag als Zusammenschluss bei der Bundeswettbewerbsbehörde angemeldet werden müsse; erst dann dürften die beabsichtigten gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen durchgeführt werden. In den Tagen nach dieser Konferenz erfolgte auf Grundlage des Beratungsgesprächs eine Prüfung der Inlandsumsätze durch die Antragsgegnerin und die M & A Abteilung am Sitz ihrer deutschen Konzernmutter unter Einbeziehung der von europäischen Konzernunternehmen erzielten Umsätze mit österreichischen Abnehmern; gleichzeitig wurde mit der Vorbereitung der Anmeldung bei der Bundeswettbewerbsbehörde begonnen. Auch Umsätze außereuropäischer Konzernunternehmen mit österreichischen Gesellschaften (oder mit ausländischen Gesellschaften, die eine Leistungserbringung in Österreich veranlasst hatten) wurden ermittelt. Dazu musste (weil die Überschreitung der Schwelle für Inlandsumsätze nicht eindeutig war) bei allen internationalen Beteiligungsgesellschaften auch ein von der Rechnungsadresse abweichender Ort der Leistungserbringung abgefragt werden. Parallel dazu wurde die Zusammenschlussanmeldung fertiggestellt, die schließlich am 9. 12. 2014 bei der Bundeswettbewerbsbehörde überreicht wurde. Dass tatsächlich (insbesondere durch die Einrechnung von im Jahr 2013 erwirtschafteten Umsätzen außereuropäischer Konzerngesellschaften mit österreichischen Abnehmern) die maßgebliche Umsatzschwelle des § 9 Abs 1 Z 2 KartG 2005 überschritten wurde, konnte erst unmittelbar vor der Fertigstellung der Anmeldung festgestellt werden.

Am 12. 12. 2014 fand eine Aufsichtsratssitzung der Zielgesellschaft statt, bei der alle Mitglieder des Aufsichtsrats anwesend waren. Dabei erörterte der Aufsichtsratsvorsitzende insbesondere, dass die Entscheidung der Kartellbehörde abgewartet und erst dann die weiteren Schritte (zB Änderung des Gesellschaftsvertrags, Auflösung des Aufsichtsrats, abschließende Sitzung usw) in Angriff genommen werden sollten.

Im gesamten Zeitraum zwischen Bekanntwerden der Annahmeerklärung und der kartellrechtlichen Freigabe des Zusammenschlusses setzte die Antragsgegnerin keine Handlungen, mit denen die mit dem Abtretungsvertrag erworbenen Kontrollrechte über die Zielgesellschaft tatsächlich ausgeübt wurden. Ebenso wenig nahm sie in anderer Weise als Alleingesellschafterin auf die Geschäftstätigkeit oder Unternehmensplanung der Zielgesellschaft über jenes Maß hinaus Einfluss, wie sie dies schon vor dem Übernahmeangebot getan hatte.

Am 29. 12. 2014 teilte die Bundeswettbewerbsbehörde der Antragsgegnerin mit, dass sie prüfen werde, ob der Zusammenschluss verboten durchgeführt worden sei, weil er wohl schon mit der Annahme des Übernahmeangebots durch die S* am 23. 10. 2014 bzw spätestens mit der Zustellung der Annahmeerklärung an die Antragsgegnerin wenige Tage später zustande gekommen sei.

Am 8. 1. 2015 wurde den Zusammenschlusswerbern mitgeteilt, dass weder der Bundeskartellanwalt noch die Antragstellerin einen Antrag auf Prüfung des Zusammenschlusses vor dem Kartellgericht stellen werden (Erklärung gemäß § 11 Abs 4 KartG 2005).

Die Antragstellerin beantragt die Verhängung eines angemessenen Bußgeldes über die Antragsgegnerin, weil sie den am 9. 12. 2014 bei der Bundeswettbewerbsbehörde angemeldeten Zusammenschluss durch Vornahme einer Firmenbucheintragung zur Änderung der Beteiligungsverhältnisse an der Zielgesellschaft bereits vor der Anmeldung des Zusammenschlusses bei der Bundeswettbewerbsbehörde und vor Wegfall des Durchführungsverbots am 8. 1. 2015 durchgeführt und damit für diesen Zeitraum gegen § 17 KartG verstoßen habe.

Das Vollzugsverbot nach § 17 KartG solle die leichtere Durchsetzbarkeit einer möglichen Untersagungsentscheidung sichern und Schwierigkeiten bei nachträglichen Rückänderungen vermeiden. Es seien somit keine Handlungen erlaubt, die die Umsetzung des Vorhabens bewirkten oder in Gang setzten. Trotz der nur deklarativen Bedeutung der Eintragung eines Eigentümerwechsels bei einer GmbH in das Firmenbuch hätte (aufgrund der Öffentlichkeit des Firmenbuchs und unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzes) die Anmeldung der Übertragung der Geschäftsanteile unterlassen werden müssen. Das Verhalten der Zielgesellschaft sei dem erwerbenden Unternehmen zuzurechnen, zumal das zu bewertende Verhalten seinen Ursprung im Zusammenschluss gehabt habe. Außerdem sei die Antragsgegnerin Rechtsnachfolgerin des Zielunternehmens.

Die Antragsgegnerin hielt dem entgegen, dass die Anmeldung der Änderung im Stand der Gesellschafter beim Firmenbuch nach § 26 GmbHG keine Verletzung des Durchführungsverbots bewirkt habe, weil sie kein Vollzugsgeschäft des Zusammenschlussvertrags iSd § 17 KartG sei und auch keine Auswirkungen auf die Wettbewerbsverhältnisse gehabt habe. Kartellrechtlich sei entscheidend, ob der Erwerber Handlungen setze, die tatsächlich Einfluss auf die Wettbewerbsverhältnisse am relevanten Markt hätten oder zumindest geeignet seien, einen solchen Einfluss auszuüben. Solches sei nicht der Fall, solange der erwerbende Gesellschafter von seinem Stimmrecht keinen Gebrauch mache, insbesondere weil die Änderung im Stand der Gesellschafter materiell auf die Rechtsposition des neuen Gesellschafters schon abstrakt keinen Einfluss habe. Die Eintragung eines Eigentümerwechsels bei einer GmbH in das Firmenbuch habe nur deklarative Bedeutung. Weder sei der wirksame Erwerb eines Geschäftsanteils von der Eintragung im Firmenbuch abhängig, noch führe die Eintragung eines Gesellschafters zum Eigentumserwerb am Geschäftsanteil.

Die Zielgesellschaft sei nicht Partei des Zusammenschlussvertrags und weder zur Anmeldung berechtigt, noch unterliege sie dem Durchführungsverbot. Eine Handlung der Zielgesellschaft könne das Durchführungsverbot nicht verletzen, auf die Rechtsnachfolge komme es rechtlich nicht an. Da die Antragsgegnerin schon vor dem strittigen Anteilserwerb in der Lage gewesen sei, strategische Entscheidungen des anderen Gesellschafters zu verhindern, habe sie bereits damals die alleinige negative Kontrolle über die Zielgesellschaft besessen.

Das Kartellgericht wies den Antrag auf Verhängung einer Geldbuße ab. Der Antragsgegnerin könne keine Verletzung des Durchführungsverbots des § 17 KartG 2005 vorgeworfen werden, weil die Vornahme einer Firmenbucheintragung zur Änderung der Beteiligungsverhältnisse nur deklarative Wirkung habe und die Antragsgegnerin nach Annahme ihres Übernahmeangebots die erworbenen Stimmrechte bis zur Freigabe des Zusammenschlusses nicht ausgeübt habe. Überdies mangle es wegen der Kürze des von der BWB vorgeworfenen „Deliktzeitraums“, der offensichtlichen Untersagungsferne des Zusammenschlusses, des mangelnden groben Verschuldens und der fehlenden Bereicherung der Antragsgegnerin und auch deshalb, weil die Antragsgegnerin die Zusammenschlussanmeldung schließlich aus eigenem vorgenommen habe, an der „Strafbarkeit“. Ob der Wechsel von der negativen zur positiven alleinigen Kontrolle überhaupt ein anmeldepflichtiger Zusammenschluss gewesen sei, könne daher dahingestellt bleiben.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Antragstellerin. Die Durchführung werde bereits durch die mit der sachenrechtlichen Übertragung der Anteile oder Vermögenswerte (also durch das Verfügungsgeschäft) geschaffene Möglichkeit der Einflussnahme begründet. Ein nachfolgender Durchführungsakt (etwa die erstmalige Inanspruchnahme der Einflussmöglichkeit) sei nicht erforderlich und auch im Gesetz nicht vorgezeichnet, könnten doch sonst reine Finanzbeteiligungen auf unbestimmte Zeit als nicht durchgeführt gelten. Deshalb komme es auch nicht auf den deklaratorischen Charakter der Firmenbucheintragung an. Auch wenn es sich um keinen besonders schwerwiegenden Verstoß handle, lägen die Voraussetzungen des § 42 StGB hier nicht vor.

Die Antragsgegnerin strebt in ihrer Rekursbeantwortung die Bestätigung des erstinstanzlichen Beschlusses an. Die Antragstellerin habe es unterlassen, der Antragsgegnerin im erstinstanzlichen Verfahren eine konkret gegen das Durchführungsverbot verstoßende Handlung vorzuwerfen bzw wechsle sie nunmehr im Rekurs von der Firmenbucheintragung (die im Übrigen nicht die Antragsgegnerin, sondern die Verkäuferin durchgeführt habe) zur „dahinter liegenden“ Kontrollübernahme, was gegen das Neuerungsverbot verstoße. Die Antragsgegnerin habe keine Handlung gesetzt, mit der die mit dem Übernahmevertrag erworbenen positiven Kontrollrechte über die Zielgesellschaft ausgeübt worden seien, und habe auch sonst nicht als Alleingesellschafter auf die Geschäftsführung der Zielgesellschaft Einfluss genommen. Auch habe sie die Zielgesellschaft bereits vorher alleine (negativ) beherrscht; der Wechsel zur positiven Alleinkontrolle bewirke keinen Kontrollwechsel. Im Übrigen mangle es dem Verhalten der Antragsgegnerin an der Strafbarkeit.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Vorauszuschicken ist, dass nach dem gemäß § 38 KartG im Kartellverfahren anzuwendenden AußStrG der Begriff der Neuerungen nur neue Tatsachen oder Beweismittel umfasst (§ 49 AußStrG), nicht dagegen – wie hier – neue rechtliche Argumente auf Basis des bereits in erster Instanz vorgebrachten Tatsachensubstrats. Ein Verstoß gegen das Neuerungsverbot ist der Antragstellerin daher nicht vorzuwerfen.

I. Zur „Durchführung“ eines Zusammenschlusses

I.1. Zutreffend ist die Auffassung der Antragstellerin, dass ein Zusammenschluss in Form eines Unternehmens-, Rechts- oder Anteilserwerbs schon dann „durchgeführt“ (§ 17 Abs 1 KartG) wird, wenn der Zusammenschlusstatbestand so weit verwirklicht ist, dass er dem Erwerber die Möglichkeit der wirtschaftlichen Einflussnahme eröffnet; auf den Zeitpunkt der ersten tatsächlichen Einflussnahme kommt es in diesem Zusammenhang hingegen nicht an.

I.2. Nach § 17 KartG darf ein anmeldebedürftiger Zusammenschluss erst dann durchgeführt werden, wenn die Amtsparteien auf einen Prüfungsantrag verzichtet bzw einen solchen Antrag nicht gestellt haben. Eine Legaldefinition des Begriffs „Durchführung“ enthält das Gesetz allerdings nicht.

Demgegenüber definierte der bis 31. 12. 1999 in Geltung stehende § 42 Abs 1a KartG 1988 einen Zusammenschluss als zustande gekommen, „wenn die wirtschaftliche Einflussmöglichkeit gegeben“ war (siehe dazu auch Kofler-Senoner, Wann gilt ein Zusammenschluss als „durchgeführt“? RdW 2006, 619 [620]).

I.4. In der Literatur vertraten Köck (Kartellgesetznovelle 1993: Die neue Zusammenschlusskontrolle, ecolex 1993, 607) und Koppensteiner (Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht³ [1997], § 13 Rz 44 und 64) zur alten Rechtslage die Ansicht, mit „Zustandekommen und Durchführung“ sei das Herstellen der wirtschaftlichen Einflussmöglichkeit gemeint. Das Abstellen auf das erste tatsächliche Ausnützen der wirtschaftlichen Einflussmöglichkeit sei nicht gangbar.

Auch Wessely (Das Recht der Fusionskontrolle und Medienfusionskontrolle [1995], 121 ff) empfahl, bei anmeldepflichtigen Zusammenschlüssen sämtliche Verträge aufschiebend bedingt abzuschließen.

Barfuß/Wollmann/Tahedl (Österreichisches Kartellrecht [1996] 129) hielten dem entgegen, dass man ausgehend vom Zweck der Regelung des § 42 Abs 1a KartG 1988 darauf abstellen solle, wann vom beherrschenden Einfluss, der den Kern des fraglichen Zusammenschlusses ausmache, erstmals in einer die Wettbewerbsverhältnisse berührenden Weise Gebrauch gemacht werde.

Zum KartG 2005 vertreten Hoffer (KartellG, 200) und Reidinger/Hartung (Das österreichische Kartellrecht³ 204) sowie Krenn (Gun Jumping im österreichischen und europäischen Kartellrecht, ÖZK 2011, 183) die Auffassung, relevanter Zeitpunkt für die Durchführung eines Zusammenschlusses sei jener der Erlangung des wirtschaftlichen Einflusses; nach diesen Autoren genügt demnach schon die (rechtliche) Möglichkeit der Einflussnahme auf die Markttätigkeit des erworbenen Unternehmens.

Urlesberger (in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG 2005² § 17 Rz 5 ff), Kofler-Senoner (Wann gilt ein Zusammenschluss als „durchgeführt“? RdW 2006, 622) und Röper (Das Share Purchase Agreement und der Zeitpunkt der kartellrechtlichen Durchführung, RdW 2009, 455) vertreten dem gegenüber, dass auf die tatsächlichen Handlungen des Erwerbers abzustellen sei, die sich auf die Marktverhältnisse auswirken müssten. Das Zusammenschlussrecht bezwecke die präventive Kontrolle und solle insbesondere verhindern, dass durch tatsächliche Handlungen der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen Änderungen der Marktstruktur bewirkt würden.

Auch Gugerbauer (KartG³ § 17 Rz 8 f) meint, dass das kartellrechtliche Durchführungsverbot auf die tatsächliche Ausübung einer Beherrschung abziele, erachtet allerdings einen Antrag an das Firmenbuchgericht vor Ablauf des Durchführungsverbots ausdrücklich als Durchführungshandlung.

I.5. Auch im europäischen Fusionsrecht darf ein Zusammenschluss nach Art 7 FKVO grundsätzlich weder vor der Anmeldung noch so lange vollzogen werden, bis er für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärt worden ist; auch dieses Verbot ist geldbußenbewehrt (Art 14 Abs 2 lit b FKVO). Der Begriff des Vollzugs wird auch vom europäischen Gesetzgeber nicht definiert.

Im Schrifttum werden als typische Vollzugshandlungen etwa Einwirkungen auf die Unternehmensführung des Zielunternehmens genannt, aber auch faktische Vollzugsmaßnahmen (etwa durch organisatorische Zusammenführung der einzelnen Unternehmen, gemeinsame Geschäftsaktivitäten, Abstimmung und Anpassung von Produkten, beim Marketing oder bei Absatzbemühungen). Auch der dingliche Erwerb von Vermögensgegenständen (etwa bei einem „Asset-Deal“) deute auf Vollzugshandlungen hin. Letztlich könnten auch strukturelle Maßnahmen (wie die Vermischung der Vermögensgegenstände der beteiligten Unternehmen) gegen das Vollzugsverbot verstoßen (Bechtold/Bosch/Brinker, EU‑Kartellrecht³ FKVO Art 7 Rz 5).

Nach Maass (in Langen/Bunte,Kartellrecht12 Art 7 FKVO Rz 10 f) umfasse das Vollzugsverbot alle Handlungen, denen das Potential innewohnt, die Kontrolle über ein anderes Unternehmen zu erlangen, sei es in rechtlicher Weise oder rein tatsächlich. Auf die Absichten der Beteiligten komme es dabei nicht an. Der Erwerber dürfe insbesondere keine strategischen Entscheidungen im Zielunternehmen treffen, kein Führungspersonal bestellen oder eigene Mitarbeiter integrieren und den Wettbewerb zwischen den Unternehmen nicht einschränken, weshalb insbesondere Kundenbeziehungen abgeschirmt bleiben müssten. Zulässig seien alle Vorbereitungshandlungen, die für die spätere Durchführung des Zusammenschlusses notwendig seien, wie zB notarielle Beurkundungen oder Gründungsakte. Rein schuldrechtliche Vertragsbeziehungen seien in der Regel kein Vollzug, soweit sie nicht faktisch dazu führten, dass der Erwerber Einfluss auf die strategischen Entscheidungen nehmen könne.

Auch nach Körber (in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht I5 Art 7 FKVO Rz 7 ff) fallen unter Vollzug alle tatsächlichen und rechtlichen Handlungen, die zur Verwirklichung des Zusammenschlusses führen. Während bloße Vorbereitungshandlungen erlaubt seien, sei alles verboten, was sich auf die Marktstruktur und das Wettbewerbsverhalten auswirke. Die im deutschen Rechtsbereich bekannte Abgrenzung zwischen Kausal- und Erfüllungsgeschäft könne demnach insoweit fruchtbar gemacht werden, dass die dingliche Übertragung des Unternehmens oder der Anteile aufschiebend bedingt vorgesehen werde. Der nicht unter eine solche Bedingung gestellte Erwerb einer die Kontrolle begründenden Mehrheit sei aber grundsätzlich eine Vollzugshandlung iSd Art 7 FKVO.

Wessely (in Münchner Kommentar I² Art 7 FKVO Rz 34) legt dar, dass das Vollzugverbot als abstrakter Gefährdungstatbestand anzusehen sei, dessen Anwendung nicht davon abhänge, ob es im Einzelfall tatsächlich zu einer Gefährdung der Schutzgüter komme. Zu unterscheiden seien vier Fallgruppen von unzulässigen Vollzugshandlungen: 1. der Vollzug im juristischen Sinn, 2. die vorzeitige Unternehmensführung im Zielunternehmen, 3. faktische Vollzugsmaßnahmen und 4. unzulässige Koordination sowie Informationsaustausch. Der Vollzug im rechtlichen Sinn bestehe in der Herbeiführung des Kontrollerwerbs entweder durch Eigentumsübertragung beim Asset-Deal oder der Übertragung von Gesellschaftsanteilen und Gesellschafterrechten beim Anteilskauf. Erfolge der Kontrollerwerb in mehreren Teilschritten, seien alle juristischen Teilschritte, die noch nicht zum Kontrollerwerb für die betreffenden Anteile und damit verbundenen Rechte führten, kein Verstoß gegen das Vollzugsverbot. Anderes gelte, wenn mit dem fraglichen Teilschritt bereits ein rechtlicher oder faktischer Einfluss auf die Zielgesellschaft einhergehe (Rz 47).

Ablasser-Neuhuber (in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht³, Art 7 FKVO Rz 5) weist unter Bezug auf die Entscheidung der Kommission vom 23. 7. 2014, Rs IV/M.7184, Marine Harvest/Morpol Rz 80) darauf hin, dass schon die Erlangung der bloßen Möglichkeit der Kontrollausübung ausreiche und nicht etwa durch einen freiwilligen Verzicht auf die Ausübung der Stimmrechte verhindert werden könne. Die Kommission qualifiziere schon die Erlangung der bloßen Möglichkeit der Kontrolle als Vollzughandlung.

I.6. Der Senat hält jene Auffassung im Schrifttum für überzeugend, die die Durchführung eines Zusammenschlusses bereits mit der Möglichkeit der Einflussnahme einsetzen lässt. Dafür spricht vor allem, dass die Aufhebung der ursprünglichen gesetzlichen Definition des „Zustandekommens“ eines Zusammenschlusses noch im Geltungsbereich des früheren KartG 1988 aus völlig anderen Gründen als in der Absicht der Änderung der Rechtslage erfolgt ist (vgl die bei Auer/Urlesberger Kartellrecht5, 53, abgedruckten EB 1999). Auch die Materialien zu § 17 KartG 2005 (vgl Solé, Das Verfahren vor dem Kartellgericht, 498) lassen diesbezüglich keinen Änderungswillen des Gesetzgebers erkennen. Auch sprechen der Zweck des Durchführungsverbots (die Wirksamkeit der präventiven Fusionskontrolle zu gewährleisten und vollendete Tatsachen zu verhindern, die bei einer späteren Untersagungsentscheidung nur schwer rückgängig zu machen sind) sowie der Gleichklang mit der praktisch einheitlichen Sichtweise im europäischen Rechtsbereich für diesen Standpunkt.

Richtig ist zwar, dass das österreichische Durchführungsverbot keine dem Art 7 Abs 2 und 3 FKVO vergleichbaren Ausnahmen vom Durchführungsverbot kennt; diese fehlende Vorsorge für Ausnahmefälle kann aber in Abwägung mit den Gegenargumenten nicht dazu führen, dass in sämtlichen Zusammenschlussfällen der Zweck der Reglung in den Hintergrund gedrängt wird.

Die von der Antragsgegnerin ins Treffen geführte Entscheidung des Kartellgerichts zu 29 Kt 52/13 führt schon deshalb zu keinem anderen Ergebnis, weil Gegenstand dieser Entscheidung offensichtlich eine zuvor ausgehandelte Geldbuße für den unstrittigen Verstoß gegen das Durchführungsverbot war und daher dort die Frage, ob diesem Verbot allenfalls auch bereits zu einem früheren Zeitpunkt zuwidergehandelt wurde, nicht beantwortet werden musste.

Ähnliches gilt auch für die Entscheidung des Kartellgerichts zu 25 Kt 257, 367/99: Auch dort war es bereits zu faktischen Durchführungshandlungen gekommen, sodass der (unter Bezug auf Barfuß/Wollmann/Tahedl, Österreichisches Kartellrecht, 129) aufgenommene Hinweis, dass (erst) dadurch die Durchführung des Zusammenschlusses eingetreten sei, letztlich obiter erfolgt ist, weil ein Verstoß allein durch die Möglichkeit der Einflussnahme nicht mehr beurteilt werden musste.

1.7. Als Zwischenergebnis ist demnach festzuhalten, dass die Antragsgegnerin dadurch gegen das Durchführungsverbot des § 17 Abs 1 KartG 2005 verstoßen hat, dass sie die Annahme ihres Übernahmeangebots durch die S* nicht sofort nach Kenntnis der Annahmeerklärung als Zusammenschlussvorhaben bei der Bundeswettbewerbsbehörde angemeldet hat (§ 10 KartG 2005).

II. Zur Strafwürdigkeit des Verhaltens

Dem Kartellgericht ist allerdings darin zuzustimmen, dass kein „strafwürdiges Verhalten“ vorliegt.

II.1. Die Geldbuße nach der KartGNov 2002 ist nach ihrem Zweck und ihrer Wirkung eine Sanktion mit strafrechtsähnlichem Charakter. Von der Verhängung einer Geldbuße ist daher – in Analogie zu § 42 StGB (nunmehr § 191 Abs 1 StPO) und § 21 Abs 1 VStG – abzusehen, wenn das Verschulden des Betroffenen geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind (16 Ok 52/05) und eine Bestrafung weder aus spezial- noch aus generalpräventiven Gründen erforderlich ist (RIS-Justiz RS0120560).

II.2. Nach dem festgestellten Sachverhalt bestand hier im Zeitpunkt der Abgabe des Übernahmeangebots durch die Antragsgegnerin schon im Hinblick auf die Umsatzschwellen keine Notwendigkeit, ihr Offert unter die Bedingung einer kartellrechtlichen Erlaubnis zu stellen. Von der tatsächlichen Annahme des Angebots durch die Verkäuferin rund ein Jahr später wurde die Antragsgegnerin erst unmittelbar vor dem Formalakt informiert und hatte daher kaum Vorbereitungs- und Reaktionszeit. Die Anmeldung zum Firmenbuch wurde darüber hinaus von den Rechtsvertretern der Verkäuferin betrieben und war daher für die Antragsgegnerin nicht unmittelbar zeitlich kontrollierbar. Dazu kommt, dass es zeitaufwendiger Nachforschungen bedurfte, ob das Zusammenschlussvorhaben in Bezug auf die erreichten Umsatzschwellen überhaupt anmeldepflichtig war (vgl zudem zur Anmeldebedürftigkeit im Hinblick auf den Kontrollwechsel auch 16 Ok 7/07), was insgesamt dazu führte, dass die Anmeldung erst rund sechs Wochen nach dem Zugang der Annahmeerklärung und etwa zwei Wochen nach der Eintragung der Änderung im Firmenbuch erfolgte.

Dazu kommt, dass die Antragsgegnerin im Hinblick auf die unklare Rechtslage freiwillig und ausdrücklich darauf verzichtet hat, vor der Freigabe des Zusammenschlussvorhabens eine (den neuen Beteiligungsverhältnissen entsprechende) Einflussnahme auf die Zielgesellschaft auszuüben. Schließlich war der Zusammenschluss im Ergebnis wirtschaftlich von so untergeordneter Relevanz, dass er von beiden Amtsparteien ohne Weiteres „durchgewinkt“ wurde. Angesichts dieser besonderen Umstände des Einzellfalls ist das Verschulden der Antragsgegnerin als äußerst gering einzustufen, die Folgen der nur geringfügig verspäteten Anmeldung fallen nicht ins Gewicht, und es besteht daher aus spezialpräventiver Sicht keinerlei Notwendigkeit einer Geldbuße.

II.3. Richtig verweist die Antragstellerin darauf, dass Verstöße gegen das Kartellrecht nach der Rechtsprechung des Senats keine „Kavaliersdelikte“ sind; daran ist aus generalpräventiven Gründen auch ausdrücklich festzuhalten.

In den dazu ergangenen Entscheidungen bestand allerdings eindeutige Anmeldepflicht eines internationalen Zusammenschlusses auch in Österreich und spezifische kartellrechtliche Beratung (16 Ok 2/13), bzw wurde (trotz ausdrücklicher Zusage gegenüber der BWB) monatelang keine Anmeldung eines bereits Jahre zuvor erfolgten Zusammenschlusses durchgeführt, sondern erst unter dem Druck eines Geldbußenantrags (16 Ok 3/15z). Von vergleichbaren Umständen ist der hier zu beurteilende Sachverhalt allerdings weit entfernt, weshalb nach den hier gegebenen besonderen Umständen des Einzelfalls die Verhängung einer Geldbuße nicht erforderlich ist.

III. Dem Rekurs kann damit kein Erfolg beschieden sein.

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