OGH 10ObS134/17d

OGH10ObS134/17d14.11.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Gabriele Griehsel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei L*****, vertreten durch Dr. Sebastian Lenz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert‑Stifter‑Straße 65, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Kostenersatz, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. Juli 2017, GZ 9 Rs 44/17g‑24, mit dem das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 10. Jänner 2017, GZ 32 Cgs 1/16w‑20, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00134.17D.1114.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung:

Der 1996 geborene Kläger erlitt am 12. 1. 2004 bei einer Sportverletzung einen Zahnschaden. Die Oberkieferfrontzähne 11, 12, 21 und 22 wurden subluxiert und teilweise auch frakturiert. Der Zahn 21 musste schließlich extrahiert werden. Dieser Unfall war einem Arbeitsunfall gleichgestellt. Unstrittig ist, dass die beklagte Unfallversicherungsanstalt aus diesem Unfall grundsätzlich leistungspflichtig ist.

Im Rechtsmittelverfahren ist nur mehr die Höhe des Kostenersatzes für zwei Veneer‑Keramiken (begehrter Ersatz je 980 EUR – von der Beklagten anerkannt: je 670 EUR) sowie für ein Kronen‑Implantat (begehrter Betrag 2.050 EUR – bereits anerkannt 1.139 EUR – zusätzlicher Zuspruch des Erstgerichts 361 EUR) umstritten.

Das Berufungsgericht lehnte eine weitere Kostenübernahme ab. Rechtlich folgerte es, nach § 189 Abs 1 ASVG bestehe bei subsidiärer Leistungspflicht des Unfallversicherungsträgers nur ein Anspruch in dem Umfang, in dem diese Leistungen in der Krankenversicherung zu erbringen seien. Es liege im freien Ermessen des Unfallversicherungsträgers, die Unfallheilbehandlung unmittelbar durch hiezu bestimmte Einrichtungen oder Ärzte zu gewähren oder einen Krankenversicherungsträger mit ihrer Durchführung gegen Kostenersatz zu betreuen. Es herrsche das Sachleistungsprinzip. Der Versehrte habe auch in dem der Unfallheilbehandlung zugehörigen Bereich des § 202 Abs 1 ASVG einen Anspruch auf Versorgung durch Sachleistung, die primär in der vom Unfallversicherungsträger gewählten Form erfolge, wobei die Gebarungsgrundsätze – wie das „Ökonomiegebot“ – zu beachten seien. Der Versehrte habe daher einen Grundanspruch auf die erforderliche (geeignete) Versorgung nach § 202 Abs 1 ASVG, nicht jedoch einen Anspruch auf ein bestimmtes Hilfsmittel. Nach § 202 Abs 4 ASVG gebühre dem Versehrten, wenn er die Hilfsmittel selbst beschafft habe und die Beschaffung erforderlich und zweckmäßig war, der Ersatz in dem Betrag, den der Träger der Unfallversicherung hätte aufwenden müssen. Der Kläger habe daher keinen Anspruch darauf, die gesamten im Heil‑ und Investitionsplan angeführten Kosten von der Beklagten abgegolten zu erhalten. Es gehe hier auch nicht darum, ob dem Versicherten ein „besseres“ anderes Hilfsmittel zustehe (wie beispielsweise eine Prothese auf dem neuesten Stand der medizinischen Technik), sondern darum, ob die vom Kläger geltend gemachten Kosten überhöht seien. Aufgrund des Anspruchs auf Versorgung durch Sachleistung, die primär in der vom Unfallversicherungsträger gewählten Form erfolgen müsse, sei der Berufungswerber nicht dadurch beschwert, dass das Erstgericht das arithmetische Mittel der Ober‑ und Untergrenze der Kosten als die Beträge angesehen habe, deren Kosten die Beklagte übernehmen müsse. Es sei naheliegend, dass es dem Unfallversicherungsträger sogar möglich wäre, die vom Kläger gewünschte Versorgung mit einem Kronen‑Implantat und zwei Veneer‑Keramiken zu einem niedrigeren Preis zu erbringen.

Das Berufungsgericht ließ die Revision zu der Frage zu, ob in der Unfallversicherung im Rahmen der Kostenübernahme für Zahnbehandlungs‑ und Zahnersatzleistungen Kosten nur in Höhe des angemessenen Mittelwerts bzw des arithmetischen Mittels der Ober‑ und Untergrenze der angemessenen Kosten oder vielmehr auch Kosten, die sich im Oberbereich der angemessenen Kosten befinden, zu übernehmen sind.

Rechtliche Beurteilung

Die beantwortete Revision des Klägers ist entgegen diesem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Im Rahmen der Unfallheilbehandlung (§ 189 Abs 2 ASVG) sind auch Zahnbehandlungs‑ und Zahnersatzleistungen zu erbringen (10 ObS 230/93, RIS‑Justiz RS0084240).

2. Nach § 193 ASVG liegt es im freien Ermessen des Unfallversicherungsträgers, die Unfallheilbehandlung unmittelbar durch hiezu bestimmte Einrichtungen oder Ärzte zu gewähren oder einen Krankenversicherungsträger mit ihrer Durchführung gegen Kostenersatz zu betrauen (RIS‑Justiz RS0084261; 10 ObS 56/16g mwN).

3. Auch in der Unfallversicherung herrscht das Sachleistungsprinzip (RIS‑Justiz RS0115953; Tarmann‑Prentner in Sonntag , ASVG 8 § 189 Rz 1).

4. Der Kläger stellt in seiner Revision weder das Sachleistungsprinzip noch den Umstand in Frage, dass selbst der Maßstab der „höchstmöglichen Versorgungsqualität“ in der Unfallversicherung es grundsätzlich nicht rechtfertigen kann, dass der Unfallversicherungsträger für ein bestimmtes Hilfsmittel (als Teil der Unfallheilbehandlung: 10 ObS 56/16g mwN) überhöhte Kosten übernehmen muss.

5. Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, geht es hier anders als in den zu RIS‑Justiz RS0131106 dokumentierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs nicht um die Frage, ob der Versehrte Anspruch auf ein besseres, dem letzten Stand der Technik entsprechendes Hilfsmittel hat. Die Beklagte bestreitet den Anspruch des Klägers auf Versorgung mit einem Kronen‑Implantat und zwei Veneer‑Keramiken zur (endgültigen) Sanierung der geschädigten Oberkieferfrontzähne im Rahmen der Unfallheilbehandlung nicht. Umstritten ist nur die Angemessenheit des vom Kläger verlangten Kostenersatzes.

6. Das Erstgericht orientierte sich bei der Feststellung der angemessenen Kosten am Gutachten des kieferorthopädischen und kieferchirurgischen Sachverständigen. Der Kläger bekämpfte die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts nicht ausdrücklich mit Beweisrüge. Er erhob eine Rechtsrüge, in der er unter anderem ergänzende Feststellungen zur angemessenen Höhe der Kosten für die Veneer‑Keramiken aus dem Sachverständigengutachten wünschte, was das Berufungsgericht auch deshalb ablehnte, weil diese Feststellungen im Gutachten keine Deckung fänden. Diese Ausführungen behandeln Fragen der Beweiswürdigung. Die in der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts enthaltenen Schlussfolgerungen zur Möglichkeit des Unfallversicherungsträgers, die gewünschte Versorgung mit Kronen-Implantat und Keramiken sogar zu niedrigeren als den zugesprochenen Kosten zu erbringen, sind dem Tatsachenbereich zuzuordnen und damit als Tatsachenfeststellungen zu behandeln (RIS‑Justiz RS0043110 [T2]).

7. Die Angemessenheit der Kosten für die Zahnbehandlung des Klägers ist eine Tatfrage, die nicht revisibel ist. Die Revision ist deshalb zurückzuweisen.

8. Anhaltspunkte für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit im Sinn des § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG gibt es nicht.

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