European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E119854
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurswird nicht Folge gegeben.
Die betreibende Partei hat die Kosten ihres Revisionsrekurses selbst zu tragen.
Begründung:
Der Verpflichtete wurde in einem gegen ihn geführten Strafverfahren vor dem Landesgericht Feldkirch zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Im Strafurteil wurde außerdem ein Wertersatzverfall gemäß § 20 Abs 3 StGB in Höhe von 19.600 EUR angeordnet. Über das Vermögen des Verpflichteten wurde mit Beschluss vom 28. November 2016 das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet. Dieses wurde nach rechtskräftiger Bestätigung des vom Verpflichteten angebotenen Zahlungsplans mit Beschluss vom 13. Februar 2017 aufgehoben.
Das Erstgericht bewilligte der Betreibenden mit Beschluss vom 19. Mai 2017 aufgrund eines Zahlungsauftrags des Präsidenten des Landesgerichts Feldkirch vom 11. April 2016 die Fahrnis- und Forderungsexekution zur Hereinbringung des Wertersatzverfalls. Die Betreibende hat ihre Forderung im Schuldenregulierungsverfahren nicht angemeldet und keinen Beschluss des Insolvenzgerichts gemäß § 197 Abs 2 IO erwirkt.
Der Verpflichtete beantragte die Einstellung der Exekution gemäß § 197 Abs 3 IO. Beim Verfallsersatz handle es sich nicht um eine Geldstrafe iSd § 58 Z 2 IO.
Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Beim Verfallsersatz handle es sich um eine Geldstrafe im weiteren Sinn und damit um einen ausgeschlossenen Anspruch nach § 58 Z 2 IO.
Das Rekursgericht stellte über Rekurs des Verpflichteten die Exekution gemäß § 197 Abs 3 IO iVm § 39 Abs 1 Z 2 EO unter gleichzeitiger Kostenaberkennung nach § 75 EO ein und hob alle bereits vollzogenen Exekutionsakte auf. Der Verfall sei, wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 8. Oktober 2015, G 154/2015, ausgesprochen habe, keine Strafe, sondern eine Maßnahme eigener Art. Mangels Vorlage der Ausfertigung eines Beschlusses gemäß § 197 Abs 2 IO mit dem Exekutionsantrag sei die Exekution einzustellen.
Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob eine rechtskräftige und vollstreckbare Verfallsersatzforderung nach § 20 Abs 3 StGB idF BGBl I 2017/108 als Geldstrafe iSd § 58 Z 2 IO anzusehen sei oder aber eine Insolvenzforderung darstelle.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Betreibenden ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
1. Gemäß § 58 Z 2 IO können Geldstrafen wegen strafbarer Handlungen jeder Art nicht als Insolvenzforderungen geltend gemacht werden. Solche Forderungen werden deshalb weder von der Insolvenzeröffnung noch vom Abschluss eines Sanierungsplans (§ 156 Abs 5 IO) oder von der Erteilung einer Restschuldbefreiung (§ 214 Abs 1 IO) berührt. Sie bestehen daher als Verbindlichkeiten des Schuldners in unveränderter Höhe fort (Lovrek in Konecny/Schubert, Kommentar zu den Insolvenzgesetzen § 156 KO Rz 44). Während des Insolvenzverfahrens konkurrieren solche Forderungen auch nicht mit den Forderungen der Insolvenz- und Massegläubiger; sie können nur durch Exekution in das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0122028).
2. Unter § 58 Z 2 IO sind nicht nur von einem Strafgericht verhängte Geldstrafen zu subsumieren, sondern insbesondere auch Verwaltungsstrafen (3 Ob 235/99a), Zwangsstrafen gemäß § 283 UGB (6 Ob 160/12s = RIS‑Justiz RS0112686 [T1]) und – wegen ihres pönalen Charakters – kartellgerichtliche Geldbußen (16 Ok 7/15p = RIS-Justiz RS0130747). Nicht unter § 58 Z 2 IO fallen hingegen Beitragszuschläge nach dem ASVG und Gebührensteigerungsbeträge des Fiskus (5 Ob 22/66 = SZ 39/50 mwN), weiters Vertragsstrafen, weil sie eine zivilrechtliche Schadenersatzverpflichtung darstellen und nicht hoheitlich verhängt werden (Lovrek in Konecny/Schubert § 156 KO Rz 45), sowie ein im Strafurteil enthaltener Zuspruch an einen Privatbeteiligten, weil dieser die aus dem strafbaren Verhalten resultierenden zivilrechtlichen Ansprüche des Opfers betrifft (Lovrek in Konecny/Schubert § 156 KO Rz 47).
3. Gemäß § 20 Abs 1 StGB idF des strafrechtlichen Kompetenzpakets (sKp) BGBl I 2010/108 hat das Gericht Vermögenswerte, die für die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung oder durch sie erlangt wurden, für verfallen zu erklären. Nach Abs 3 leg cit hat das Gericht, soweit die dem Verfall unterliegenden Vermögenswerte nicht sichergestellt oder beschlagnahmt sind, einen Geldbetrag für verfallen zu erklären, der den erlangten Vermögenswerten entspricht (Wertersatzverfall).
4. Der Verfall ist zwar, wie sich schon aus der systematischen Einordnung der ihn betreffenden Vorschriften im dritten Abschnitt des Allgemeinen Teils des StGB („Strafen, Verfall und vorbeugende Maßnahmen“) ergibt, unzweifelhaft keine Geldstrafe iSd § 19 StGB. Zu prüfen ist allerdings, ob er als Geldstrafe im weiteren Sinn unter § 58 Z 2 IO zu subsumieren ist.
5.1. Nach den Gesetzesmaterialien zu §§ 20 ff StGB idF des sKp (ErläutRV 918 BlgNR 24. GP 7) setzt der Verfall weiterhin – obwohl er, anders als die Abschöpfung der Bereicherung nach § 20 StGB idF vor dem sKp, nach dem Bruttoprinzip erfolgt, also nicht nur die Differenz zwischen dem Ertrag und den Aufwendungen des Täters betrifft – keine Schuld voraus, weshalb ihm kein Strafcharakter innewohne; er sei keine Strafe, sondern Maßnahme eigener Art.
5.2. Fuchs/Tipold in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 20 Rz 7 und 25 (Stand 1. 11. 2012, rdb.at), kritisieren diese Auffassung mit der Begründung, dass der Verfall wegen des Bruttoprinzips pönalen Charakter habe, also sehr wohl eine Strafe sei, weil dem Bereicherten mehr abgenommen werde als er durch die Tat erlangt habe; die Ansicht des Gesetzgebers, dass kein schuldhaftes Verhalten des Täters erforderlich sei, sei deshalb verfassungsrechtlich nicht ganz unbedenklich. An anderer Stelle (in Höpfel/Ratz WK2 Vorbemerkungen zu §§ 19a–20c StGB Rz 13) verweisen diese Autoren darauf, dass der Gesetzgeber des Strafrechtsänderungsgesetzes 1996, BGBl 1996/762 (ErläutRV 33 BlgNR 20. GP 27) noch die Auffassung vertreten habe, eine nach dem Bruttoprinzip ausgerichtete „Abschöpfung“ sei eine Strafe. Bei der Argumentation in den Materialien zum sKp, der Verfall setze keine Schuld voraus und sei deshalb keine Strafe, handle es sich um einen Zirkelschluss: In Wahrheit gelte umgekehrt, dass die Verneinung des Strafcharakters Voraussetzung für den Verzicht auf die Schuld bei der Ausgestaltung des Verfalls sei, sodass aus einer schuldunabhängigen Verfallsbestimmung gerade nicht deren mangelnder Strafcharakter abgeleitet werden könne. Da es sich beim Verfall in Wahrheit um eine Strafe handle, führe das Abweichen vom Schuldprinzip zu verfassungsrechtlichen Problemen.
5.3. Futterknecht, Die Auswirkung der Insolvenzeröffnung auf Sicherstellung und Beschlagnahme von Vermögenswerten nach der StPO, ÖJZ 2017/83, 592 (595 f), vertritt ebenfalls die Auffassung, der Verfall sei als (Geld‑)Strafe zu qualifizieren. Strafe sei grundsätzlich ein mit Tadel verbundenes Übel, das wegen einer strafbaren Handlung aufgrund und nach Maßgabe der persönlichen Schuld verhängt werde. Anhaltspunkte dafür, was der historische Gesetzgeber unter Geldstrafen iSd § 58 Z 2 IO verstanden habe, ergäben sich aus der zu § 548 ABGB (aF) ergangenen Verordnung des Justizministeriums vom 3. April 1859, RGBl 1859/52, wonach alle Geld- und übrigen Vermögensstrafen, daher insbesondere auch die mit der unerlaubten Geschenkannahme in Amtssachen und der Verleitung zum Missbrauch der Amtsgewalt verbundene Verpflichtung zum Erlag des unerlaubten Geschenks, die infolge der Desertionsbegünstigung zu leistenden Zahlungen an die Kriegskasse sowie die Strafen des Verfalls von Kautionen, Waren, Feilschaften und anderen Gegenständen, wozu jemand durch ein Straferkenntnis verurteilt worden sei, auf die Erben des Verurteilten übergingen, wenn der Tod des Letzteren erst nach Rechtskraft des Straferkenntnisses erfolgt sei. Darüber hinaus werde in der älteren Literatur zu (damals) § 27 AO bzw § 57 KO (jetzt § 58 IO), nämlich Bartsch/Pollak, Konkurs-, Anfechtungsordnung, Einführungsverordnung und Geschäftsaufsichtsgesetz II3 [1937] § 27 Anm 8, festgehalten, dass zu den Geldstrafen alle Forderungen des Bundes, aber auch von Gemeinden oder privaten Dienstgebern zählten, sofern das Moment der Strafe und nicht ein Schadenersatz das Entscheidende sei. Sofern der Verfall nicht aus polizeilichen Gründen den Zweck der Vernichtung oder Außerverkehrsetzung von Sachen habe, sondern einen Strafzweck verfolge, sei er als Vermögensstrafe anzusehen und der Geldstrafe gleich zu behandeln. Daraus folge, dass der Verfall nach § 20 StGB jedenfalls ein Übel – in Form der Abnahme eines Vermögenswerts – sei, das definitionsgemäß eines der Kriterien einer Strafe bilde. Es sei deshalb davon auszugehen, dass § 58 Z 2 IO auch auf den Verfall nach § 20 StGB anzuwenden sei.
5.4. Demgegenüber vertritt Hinterhofer, Verfall statt Abschöpfung der Bereicherung im österreichischen Strafrecht, ecolex 2011, 317, die Ansicht, das Umstellen vom Netto- auf das Bruttoprinzip mache den Verfall neuen Typs noch nicht zu einer (Neben-)Strafe. Der Umstand, dass dem Täter mehr Übel zugefügt werde als die bloße Abschöpfung des Gewinns aus der Straftat, genüge nämlich für sich genommen nicht, um von einer Strafe sprechen zu können. Vielmehr handle es sich bei einem auf dem Bruttoprinzip basierenden Verfall um eine strafrechtliche Sanktion eigener Art, nämlich um einen quasi-kondiktionellen Ausgleichsanspruch.
5.5. In seinem Erkenntnis vom 8. Oktober 2015, G 154/2015 ua, begründete der Verfassungsgerichtshof die Abweisung der primär auf Aufhebung des § 20 StGB gerichteten Anträge gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B-VG damit, dass der Verfall nach § 20 StGB – anders als jener nach dem FinStrG – weder als Strafe noch als eine „strafähnliche Maßnahme“ konzipiert sei. Bei dem in § 20 StGB geregelten Verfall handle es sich vielmehr um eine vermögensrechtliche Maßnahme eigener Art. Der Gesetzgeber könne weitgehend frei darüber entscheiden, ob und auf welche Weise er rechtswidrig Erlangtes entziehen wolle. Er könne dies selbständig vorsehen; es stehe ihm aber auch offen, festzulegen, dass das rechtswidrig Erlangte mittels Strafe sichergestellt werde. Bei der Beurteilung des Charakters einer Rechtsfolge komme es nicht allein darauf an, ob sie – etwa wegen der Einbuße an Vermögen – als Übel empfunden werde, sondern es seien auch andere Kriterien, wie der Rechtsgrund der Anordnung oder der mit dieser vom Gesetzgeber verfolgte Zweck, heranzuziehen. Im vorliegenden Fall habe sich der Gesetzgeber, wie sich auch aus den Materialien ergebe, dafür entschieden, mit der in Rede stehenden Maßnahme nicht auch Strafzwecke zu verfolgen. Nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung genüge für den Verfall die Begehung einer objektiv strafbaren Handlung. Anders als die (als Nebenstrafe ausgestaltete) Konfiskation gemäß § 19a StGB setze der Verfall keine Schuld voraus; auf Verfall könne daher auch in einem objektiven Verfahren selbständig erkannt werden. Das StGB stelle den Verfall als Maßnahme eigener Art ausdrücklich neben Strafen und vorbeugende Maßnahmen. Auch mit der Einführung des Bruttoprinzips habe der Verfall „keinen strafähnlichen Charakter“ angenommen. Die Abschöpfung des über den Nettogewinn hinaus Erlangten verfolge nämlich primär Präventionsziele: Der mit diesem Instrument angestrebte Zweck, die Nutzlosigkeit der Aufwendungen, solle zur Verhinderung gewinnorientierter Straftaten – und diese wolle der Gesetzgeber insbesondere erfassen – beitragen. Müsste der Betroffene für den Fall der Entdeckung lediglich die Abschöpfung des Gewinns befürchten, wäre die Tatbegehung unter finanziellen Gesichtspunkten weitgehend risikolos. Das Bruttoprinzip diene somit (über Praktikabilitätserwägungen hinaus) präventiv-ordnenden Zielen. Dem Verfallsbetroffenen könne zufolge des Bruttoprinzips zwar ein (mitunter erheblicher) wirtschaftlicher Nachteil erwachsen, dies finde aber seine Rechtfertigung darin, dass nicht auf rechtsmäßig erlangtes, sondern nur auf solches Vermögen zugegriffen werden dürfe, das durch vorausgegangene rechtswidrige Handlungen erlangt worden sei. Die – nicht unsachliche – Entscheidung des Gesetzgebers, rechtswidrig erwirtschaftetes Vermögen nicht anzuerkennen, finde sich auch in anderen Bestimmungen der Rechtsordnung, so etwa in § 1174 ABGB, wonach bei rechtswidrigen Handlungen getätigte Aufwendungen nicht zurückgefordert werden können.
6. In ihrem Revisionsrekurs beharrt die Betreibende unter Wiedergabe der Ausführungen von Fuchs/Tipold (oben Punkt 5.2.) und Futterknecht (oben Punkt 5.3.) auf ihrem Standpunkt, § 58 Z 2 IO sei auch auf den Verfall nach § 20 StGB anwendbar.
6.1. Es liegt auf der Hand, dass der zitierten Verordnung des Justizministeriums aus dem Jahr 1859, die sich naturgemäß nur auf die damals geltenden strafrechtlichen Bestimmungen beziehen konnte, keine verlässliche Aussage darüber zu entnehmen ist, ob der Verfall im Sinn der im Jahr 2010 mit dem sKp novellierten Bestimmung des § 20 StGB eine Geldstrafe gemäß § 58 Z 2 IO darstellt.
6.2. Aus der von Futterknecht (und ihm folgend von der Betreibenden) weiters zitierten Literaturstelle (Bartsch/Pollak) ergibt sich vielmehr, dass ein angeordneter Verfall (nur) dann als Geldstrafe anzusehen ist, wenn er einen Strafzweck verfolgt. Mit dem einen Strafzweck des Verfalls nach § 20 StGB idgF ausdrücklich verneinenden Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs setzt sich die Betreibende aber inhaltlich gar nicht auseinander.
6.3. Diese Beurteilung des Verfassungs-gerichtshofs entzieht jedoch der weiteren Argumentation der Revisionsrekurswerberin, auch die Ansicht des Verfassungsgerichtshofs schließe eine Subsumtion des Verfalls unter den weiteren Begriff der Geldstrafe in § 58 Z 2 IO nicht aus, die Grundlage: Da es sich somit beim Verfall iSd § 20 StGB idgF um eine rein vermögensrechtliche Anordnung ohne strafähnlichen Charakter handelt, kann er keinesfalls als Geldstrafe iSd § 58 Z 2 IO gewertet werden.
7. Der Revisionsrekurs muss daher erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50 ZPO iVm § 78 EO.
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