OGH 5Ob22/66

OGH5Ob22/6616.3.1966

SZ 39/50

Normen

Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §64
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §113
KO §57 Z2
KO §65
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §64
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §113
KO §57 Z2
KO §65

 

Spruch:

Die Beitragszuschläge im Sinne des § 113 ASVG. sind keine Geldstrafen im Sinne des § 57 Z. 2 KO. Sie stellen einen Ersatz für den Verwaltungsmehraufwand der Versicherungsträger dar. Beitragszuschläge im Sinne des § 113 ASVG., die im letzten Jahr vor der Konkurseröffnung fällig wurden, sind Nebengebühren im Sinne des § 54 KO., die gleich den Beiträgen in die 1. Klasse der Konkursforderungen gehören

Entscheidung vom 16. März 1966, 5 Ob 22/66

I. Instanz: Landesgericht Linz; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz

Text

Die klagende Gebietskrankenkasse meldete am 10. Februar 1965 auf Grund eines Rückstandsausweises vom gleichen Tag zum Konkurs des Gemeinschuldners XY u. a. in der I. Klasse (Unterklasse I b) eine vollstreckbare Forderung für rückständige Sozialversicherungsbeiträge in der Höhe von 29.504.44 S an. Davon wurden in der Prüfungstagsatzung vom 23. Februar 1965 lediglich 14.504.44 S in der I. Klasse festgestellt. Der weitere Teilbetrag von 15.000 S wurde vom Masseverwalter bestritten, da es sich bei diesen Beiträgen um eine über den Gemeinschuldner verhängte Geldstrafe handle, die nach § 57 Z. 2 KO. als Konkursforderung nicht geltend gemacht werden könne. Zur Geltendmachung der bestrittenen Forderung wurde der Klägerin gemäß § 110 KO. eine Frist von drei Monaten erteilt.

Innerhalb der ihr erteilten Frist brachte die klagende Partei am 29. April 1965 die vorliegende Klage mit dem Begehren ein, es werde festgestellt, daß die von der klagenden Partei zum Konkurs des XY aus dem Titel von Beitragszuschlägen gemäß § 113 (1) und (2) ASVG. angemeldete Forderung im Betrag von 15.000 S in die I. Klasse (Unterklasse I b) der Konkursforderungen gehöre. Die klagende Partei stützte ihr Begehren darauf, daß Beitragszuschläge nach § 113 ASVG. eine Ersatzleistung für dem Versicherungsträger verursachte Mehrarbeiten darstellen und als Nebengebühren der Beitragsforderung gleichen Rang wie die Hauptforderung genießen.

Das Prozeßgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Auffassung, daß den nach § 113 ASVG. vorgeschriebenen Beitragszuschlägen die Eigenschaft einer Strafe zukomme und sie daher zufolge der Regelung des § 57 Z. 2 KO. nicht als Konkursforderungen anzusehen seien.

Das Berufungsgericht hob das Urteil des Prozeßgerichtes unter Setzung eines Rechtskraftvorbehaltes auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück. Es verneinte den Strafcharakter der Beitragszuschläge. Es liege vielmehr eine dem Schadenersatz ähnliche Vorschreibung einer Leistung vor, die als Nebengebühr der Forderung anzusehen und gleich einer Gebührenforderung in der I. Klasse zu berücksichtigen sei. Unter den Beiträgen zur Sozialversicherung seien auch die Zuschläge des § 113 ASVG. zu verstehen, welche Nebengebühren gemäß § 54 KO. und damit Beiträge darstellen. Trotzdem sei die Sache noch nicht spruchreif, weil Feststellungen darüber fehlen, ob sich die vorgeschriebenen Beitragszuschläge von 15.000 S ausschließlich auf im letzten Jahr vor der Konkurseröffnung fällig gewordene Beiträge zur Sozialversicherung beziehen.

Der Oberste Gerichtshof gab den gegen den Beschluß des Berufungsgerichtes von beiden Teilen erhobenen Rekursen nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Richtig ist, daß die Regelung des § 113 ASVG. über die Beitragszuschläge dem Abschnitt VIII des ersten Teiles des ASVG., der die Bezeichnung "Strafbestimmungen" trägt, eingeordnet wurde. Daraus kann aber noch nicht abgeleitet werden, daß die Vorschreibung von Beitragszuschlägen als Strafe anzusehen ist. Der Abschnitt VIII des ersten Teiles des ASVG. enthält drei Gruppen von Maßnahmen: 1. Strafbare Tatbestände (§§ 114 und 115 ASVG.), deren Ahndung den Strafgerichten als Vergehen obliegt, 2. Verwaltungsübertretungen (§§ 111 und 112 ASVG.), deren Wahrnehmung den Bezirksverwaltungsbehörden im Verwaltungsstrafverfahren vorbehalten ist, und 3. die Vorschreibung von Beitragszuschlägen nach § 113 ASVG. durch den Versicherungsträger. Daß die Beitragszuschläge keinen Strafcharakter aufweisen, ergibt sich daraus, daß ihre Vorschreibung durch den Versicherungsträger gemäß § 410 Z. 5 ASVG. im Verfahren in Verwaltungssachen (§§ 409 ff. ASVG.) erfolgt, das in der Regel keine Strafmaßnahmen zum Gegenstand hat und für das gemäß den Vorschriften der §§ 357, 358 ASVG. die Bestimmungen des AVG. Anwendung finden. Dazu kommt, daß auch ein Verschulden nicht die Voraussetzung für die Festsetzung und Einhebung eines Beitragszuschlages bildet. Desgleichen ergibt sich aus dem Wort kann im § 113 (1) und (2) ASVG. daß die Vorschreibung der Beitragszuschläge nicht obligat erfolgen muß, was gegen einen Strafcharakter spricht.

Die Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zum ASVG. (599 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates VII. GP. 47) führen aus, daß die Untersuchung und Bestrafung entsprechend den das österreichische Verwaltungsstrafrecht beherrschenden Grundsätzen in erster Instanz den Bezirksverwaltungsbehörden übertragen wird (§ 26 (1) VStG. 1950). Insofern wird von den einschlägigen Bestimmungen der reichsrechtlichen Vorschriften abgegangen, die auch die Verhängung von Verwaltungsstrafen im engeren Sinn den Versicherungsträgern übertragen ... Neben den Verwaltungsstrafen im engeren Sinn wird im § 113 ASVG. die Vorschreibung von Beitragszuschlägen durch den Versicherungsträger bei einer Unterlassung der Anmeldung zur Pflichtversicherung oder bei einer Meldung zu niedriger Entgelte vorgesehen. Aus den Erläuternden Bemerkungen in ihrem Zusammenhang geht somit hervor, daß der Gesetzgeber zwischen den gerichtlichen und den Verwaltungsstrafen einerseits und den Beitragszuschlägen andererseits unterscheidet und den Beitragszuschlägen keineswegs einen Strafcharakter zubilligen wollte. Den Beitragszuschlägen, die gemäß § 113 (4) ASVG. den "beteiligten Versicherungsträgem" oder "ihren Unterstützungsfonds" zufließen, kommt daher, wie das Berufungsgericht zutreffend hervorhebt, die Qualifikation einer schadenersatzrechtlichen Verfügung (eines Ersatzes für den Verwaltungsmehraufwand) zu.

Zum gleichen Ergebnis gelangt man auf Grund der Vorschrift des § 64

(2) zweiter Satz ASVG., die die Vorschreibung der Verzugszinsen zu den Beiträgen, die Beitragszuschläge und sonstige Nebengebühren regelt, und damit die Beitragszuschläge den Nebengebühren gleichstellt.

Auch das Schrifttum (Ullmann, Die Strafbestimmungen im ASVG., Soziale Sicherheit 1960 S. 45, 46, Anonymus, Soziale Sicherheit 1964 S. 390, Dragaschnig - Schäfer, Die Krankenversicherung, 3. Aufl., Wien 1963 S. 36) und zum Teil die Rechtsprechung (Erkenntnisse des Bundesgerichtshofes vom 2. Mai 1935, Slg. Nr. 439 A, des VwGH. vom 1. Oktober 1958, VwGH. Slg. Nr. 4760 A = SV-Slg. Nr. 6592, ferner SV-Slg. Nr. 11.739) verneinen den Strafcharakter des Beitragszuschlages. Der Zuschlag sei vielmehr als Ersatz des durch die Säumigkeit verursachten Verwaltungsaufwandes anzusehen.

Auch das Revisionsgericht hat in seiner Entscheidung vom 31. Mai 1910, GlUNF. 5088, hinsichtlich der Frage der Rangordnung finanzrechtlicher Gebührensteigerungen zum Ausdruck gebracht, daß zwischen Strafen und sonstigen nachteiligen gesetzlichen Folgen, die keine Strafen sind, zu unterscheiden ist und daß Gebührensteigerungen nicht als Strafen anzusehen sind. Desgleichen bejaht Bartsch - Pollak, Konkursordnung[3] II. Band S. 278 Anm. 19 zu § 23 AO., daß Gebührenerhöhungen (Steigerungen von Gebühren) zu den Gebühren zählen.

Der Beitragszuschlag ist daher aus den aufgezeigten Erwägungen nicht als Geldstrafe wegen strafbarer Handlungen jeder Art im Sinne des § 57 Z. 2 KO. anzusehen.

Nach der Vorschrift des § 65 (1) ASVG. sind für die Behandlung der Beiträge im Ausgleichs- und Konkursverfahren die jeweils geltenden Vorschriften der Konkurs- und Ausgleichsordnung maßgebend. Gemäß § 51 Z. 5 KO. in der Fassung des Bundesgesetzes vom 18. November 1959, BGBl. Nr. 253/1959, gehören in die erste Klasse der Konkursforderungen Beiträge zur Sozialversicherung, soweit sie im letzten Jahr vor der Konkurseröffnung fällig waren. Mit der Hauptforderung im gleichen Rang stehen aber auch bestimmte Nebengebühren und Ersatzforderungen (s. hiezu die Marginalrubrik zu § 54 KO.). Nach der Regelung des § 54 (1) KO. stehen die bis zur Konkurseröffnung entstandenen Nebengebühren mit den Forderungen im gleichen Rang.

Es war nun zu prüfen, was zu den Nebengebühren im Sinne des § 54 (1) KO. zählt. Das ergibt sich aus der Bestimmung des § 912 zweiter Satz ABGB. (s. hiezu Sabaditsch, Die Konkurs-, Ausgleichs- und Anfechtungsordnung Manz 1963 Anm. 1 zu § 54 KO., Gschnitzer in Klang-Komm.[2] IV/1 397 Punkt 4), Danach bestehen die Nebengebühren in dem Zuwachs und in den Früchten der Hauptsache, in den bestimmten oder den Zögerungszinsen sowie in dem Ersatz des verursachten Schadens oder dessen, was dem anderen daran liegt, daß die Verbindlichkeit nicht gehörig erfüllt worden ist, endlich in dem Betrag, welchen sich ein Teil auf diesen Fall bedungen hat. Zum Ersatz des verursachten Schadens im weiteren Sinn gehören auch die Beitragszuschläge in der Krankenversicherung, die, wie bereits ausgeführt wurde, eine Art Ersatz des durch die Säumigkeit verursachten Verwaltungsaufwandes darstellen. Gleichartige Erwägungen hat das Revisionsgericht bereits in den Entscheidungen 3 Ob 833/54 = EvBl. 1955 Nr. 279, 3 Ob 45/55 vertreten.

Aber auch das ASVG. trifft im § 64 (2) zweiter Satz eine ausdrückliche Regelung. Die angeführte Gesetzesstelle stellt die "Beitragszuschläge" mit den "sonstigen Nebengebühren" auf die gleiche Stufe.

Wenngleich die Beitragszuschläge mit der Hauptforderung gleichen Rang genießen, so hat trotzdem das Gericht zu prüfen, ob die weiteren Voraussetzungen der §§ 51 (1) Z. 5 und 54 KO. zutreffen, nämlich ob die Beitragszuschläge von Beiträgen zur Sozialversicherung herrühren, die im letzten Jahr vor der Konkurseröffnung fällig wurden. Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht der Umstand, daß die Nebengebühren nicht günstiger gestellt sein können als die Hauptforderung.

Wohl bildet der Rückstandsausweis eines Versicherungsträgers gemäß § 64 (2) letzter Satz ASVG. einen Exekutionstitel im Sinne des § 1 EO. Trotzdem stellt er keinen Bescheid dar. Über Einwendungen gegen die Richtigkeit von Rückstandsausweisen hat der Versicherungsträger, der den Rückstandausweis erließ, gemäß den §§ 409 und 355 Z. 3 ASVG. mit Bescheid zu erkennen. Der vom Versicherungsträger sodann erlassene Bescheid kann durch einen Einspruch an den zuständigen Landeshauptmann (§ 412 ASVG.) angefochten werden (Gehrmann - Rudolph - Teschner, ASVG. zu § 64 ASVG. S. 140/7, Legat - Grabner, Sozialversicherungsrecht 1963 S. 35, VwGH. vom 9. März 1960, Sammlung 5230 A).

Diesfalls wurde eine Behauptung, daß gegen den Rückstandsausweis der klagenden Partei Einwendungen erhoben wurden, nicht aufgestellt. Auch im Verfahren kam dies nicht hervor. Dies hat zur Folge, daß dem Gericht zwar eine Prüfung des Gründes und der Höhe der im Rückstandsausweis enthaltenen Forderungen, wie der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen hat (3 Ob 833/54 = EvBl. 1955 Nr. 279) verwehrt ist, wogegen die Qualifikation der Forderung als Masseforderung und im Zusammenhang damit die Frage, ob die Beitragsrückstände aus dem letzten Jahr von der Konkurseröffnung herrühren, nach den Vorschriften des § 65 ASVG. und der §§ 51 (1) Z. 5 und 54 KO. dem Gericht obliegt (s. hiezu VwGH. vom 5. Dezember 1956, Zl. 3436/54 = SV-Slg. Nr. 4503). Auch Fürst, GSPVG.- Beiträge im Konkurs- und Ausgleichsverfahren, ÖJZ. 1959 S. 434, vertritt die Auffassung, daß sogar die Vollstreckbarkeitsbestätigung des Versicherungsträgers auf dem Rückstandsausweis für die Feststellung einer Forderung im Konkurs nicht vom Belang sei, da für die Feststellung einer Forderung im Konkurs das Gericht zuständig sei. Die Sache ist deshalb, wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausführte, noch nicht spruchreif.

Im fortgesetzten Verfahren wird daher das Prozeßgericht Feststellungen über den Zeitpunkt der Konkurseröffnung sowie darüber nachzutragen haben, ob sich die vorgeschriebenen Beitragszuschläge von 15.000 S auf die im letzten Jahr vor der Konkurseröffnung fällig gewordenen Beiträge zur Sozialversicherung beziehen. Erst dann kann beurteilt werden, ob die Zuschläge solche Nebengebühren der Beiträge zur Sozialversicherung darstellen, die im letzten Jahr vor der Konkurseröffnung fällig wurden und ob und allenfalls in welcher Höhe sie in die erste Klasse der Konkursforderungen gehören.

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