European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0130OS00079.17T.1011.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Manuel T***** „des Verbrechens des Abgabenbetrugs nach §§ 33 Abs 1 und Abs 2 lit a, 39 Abs 1 lit a und Abs 3 lit c, 13 FinStrG“ schuldig erkannt.
Danach hat er im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts Wien 1/23 als faktischer Geschäftsführer der V***** AG vorsätzlich unter Verwendung falscher Beweismittel, nämlich sogenannter Scheinrechnungen, Abgabenverkürzungen
(I) zu bewirken versucht, und zwar am 30. Juni 2012 unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten durch Unterlassen der Abgabe von Steuererklärungen für das Jahr 2011 um 330.650 Euro an Körperschaftsteuer und um 277.317,28 Euro an Umsatzsteuer, sowie
(II) bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten, nämlich am 21. Dezember 2012 unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von § 21 UStG entsprechenden Voranmeldungen um 2.356.000 Euro an Umsatzsteuer, indem er „Vorsteuern“ aus zwei Eingangsrechnungen der T***** GmbH, denen keine entsprechenden Leistungen zugrunde lagen, in der Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Oktober 2012 geltend machte.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.
Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wies das Erstgericht den Antrag auf „vollständige Datenauswertung der beiden MacBooks, weil sich aus diesen vorliegenden Daten entsprechende Beweisurkunden ergeben“ (richtig: ON 336 S 35), schon deswegen zu Recht ab (ON 336 S 35 f), weil dieser die angeblich vorhandenen Urkunden und solcherart die Beweismittel nicht konkret bezeichnete (§ 55 Abs 1 zweiter Satz StPO).
Der Einwand der Mängelrüge (Z 5), die Feststellung, wonach den in Rede stehenden Eingangsrechnungen keine entsprechenden Leistungen zugrunde lagen, sei offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall), nimmt nicht Maß an der Gesamtheit der diesbezüglichen Urteilserwägungen (US 8 f) und entzieht sich solcherart einer inhaltlichen Erwiderung (11 Os 53/07i, SSt 2007/68; RIS‑Justiz RS0119370).
Aktenwidrig im Sinn der Z 5 fünfter Fall ist ein Urteil, wenn es den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (11 Os 122/00, SSt 63/112; RIS‑Justiz RS0099431). Mit Beweiswerterwägungen zur Verantwortung des Beschwerdeführers und zu „Buchhaltungsunterlagen der V***** AG“ wird ein Fehler in der Bedeutung dieses Nichtigkeitsgrundes nicht geltend gemacht.
Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) die vollständige Auswertung der „MacBooks“ unter Berufung auf die Pflicht zu amtswegiger Wahrheitsforschung (§ 3 Abs 1 StPO) fordert, übersieht sie die unter dem Aspekt der Sachverhaltsermittlung bestehende Subsidiarität des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes gegenüber jenem des § 281 Abs 1 Z 4 StPO (RIS‑Justiz RS0114036 und RS0115823).
Die weitwendigen Überlegungen zur Verantwortung des Beschwerdeführers lassen keinen Konnex zu den Kriterien der Nichtigkeitsgründe erkennen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.
Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO sei hinzugefügt:
(1) § 39 FinStrG normiert eine besondere Art des Zusammenrechnungsgrundsatzes. Im Fall des Zusammentreffens mehrerer (in § 39 Abs 1 oder 2 FinStrG genannter) Finanzvergehen ist daher bei Vorliegen qualifizierender Tatmodalitäten eine Subsumtionseinheit sui generis zu bilden, wobei die einzelnen Straftaten ihre rechtliche Selbständigkeit behalten. Teil dieser Subsumtionseinheit können ausschließlich solche Finanzvergehen sein, die unter Einsatz einer qualifizierenden Tatmodalität begangen worden sind, wobei immer nur gleichartige Finanzvergehen – zu einem Finanzvergehen (§ 39 Abs 3 lit a FinStrG) oder Verbrechen (§ 39 Abs 3 lit b oder lit c FinStrG) des Abgabenbetrugs – zusammenzufassen sind (RIS‑Justiz RS0130035, Lässig in WK 2 FinStrG § 39 Rz 3). Die hier vom Erstgericht vorgenommene Zusammenfassung von Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG und solchen nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG zu einem Verbrechen des Abgabenbetrugs „nach §§ 33 Abs 1 und Abs 2 lit a, 39 Abs 1 lit a und Abs 3 lit c, 13 FinStrG“ ist daher rechtlich verfehlt (13 Os 115/14g, AnwBl 2015, 568).
(2) Nach den Feststellungen des Erstgerichts unterließ der Angeklagte als abgabenrechtlicher Verantwortlicher der V***** AG – mit entsprechendem Verkürzungsvorsatz (US 7) – die Abgabe der Körperschaftsteuererklärung und der Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2011 bis zum insoweit gesetzlich vorgesehenen Endzeitpunkt, nämlich dem 30. Juni 2012 (US 5 f). Da das zuständige Finanzamt die von der V***** AG für das Jahr 2011 geschuldete Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer mit Bescheiden vom 16. Juli 2013 in der richtigen Höhe festsetzte, ging das Erstgericht diesbezüglich vom Deliktsstadium des Versuchs aus (US 6).
Dies entspricht einer in zwei vereinzelten Entscheidungen ausgedrückten Rechtsansicht, wonach ein im Sinn des § 33 Abs 3 lit a zweiter Fall FinStrG vollendetes Finanzvergehen ins Versuchsstadium zurücktritt, wenn die Behörde die in Rede stehenden Abgaben in der Folge in richtiger Höhe festsetzt (RIS‑Justiz RS0126994).
Gestützt wurde diese Sicht auf eine Literaturmeinung ( Nordmeyer , Versuch und Vollendung der Hinterziehung [wiederkehrend] veranlagter Abgaben, ÖJZ 2010, 945), die ihre Überlegungen aus einer im Jahr 2009 ergangenen Entscheidung (13 Os 18/09k, EvBl 2009/152, 1016) ableitete. Bereits in dieser Abhandlung selbst wurde allerdings ausdrücklich eingeräumt, dass die damit vorgeschlagene Interpretation nicht mit dogmatischen Erwägungen zu begründen ist, sondern (zusammengefasst) den Versuch darstellt, eine Lösung aufzuzeigen, die einen zusätzlichen Anreiz zur nachträglichen Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten bietet und solcherart auch geeignet ist, positive fiskalische Effekte zu erzielen ( Nordmeyer , ÖJZ 2010, 945 [949 f]).
Im folgenden wissenschaftlichen Diskurs zeigte zunächst Leitner auf, dass diese Lösungsvariante schon allein aufgrund der dadurch bewirkten Abhängigkeit der Abgrenzung von Vollendung und Versuch von zeitlichen Zufälligkeiten „im Einzelfall zu sonderbaren Konstellationen“ führe (näher Leitner , Grundsatzjudikatur des OGH zum FinStrG, SWK 2010 S 301 [S 303]).
Scheil begrüßte die rechtliche Konstruktion des Zurücktretens eines bereits vollendeten Finanzvergehens ins Versuchsstadium zwar als zum Vorteil des Angeklagten wirkend, wies aber auch auf ein Spannungsverhältnis zur Intention des AbgÄG 1998 BGBl I 1999/28 hin ( Scheil , JBl 2012, 810 [Entscheidungsanmerkung]). Mit dieser Novelle wurde der zweite Fall des § 33 Abs 3 lit a FinStrG nämlich gezielt im Sinn der nach wie vor geltenden Fassung geändert, um bei Verkürzungen bescheidmäßig festzusetzender Abgaben infolge Unterlassung der Abgabenerklärung im Fall der amtswegigen Abgabenfestsetzung nach Ende der Erklärungsfrist Zweifel über das Deliktsstadium auszuräumen und für diese Fälle stets den Ablauf der Erklärungsfrist als Vollendungszeitpunkt zu definieren (EBRV 1471 BlgNR 20. GP 31).
Fellner strich hervor, dass die Annahme des Zurücktretens vollendeter Finanzvergehen ins Versuchsstadium der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs widerspricht, nach der die nachträgliche Veranlagung aufgrund einer finanzbehördlichen Schätzung am Bewirken einer Abgabenverkürzung durch Nichteinbringung der Abgabenerklärung bis zum gesetzlich vorgesehenen Endzeitpunkt nichts zu ändern vermag ( Fellner , FinStrG § 33 Rz 52c). Zudem vertrat er die Ansicht, dass die in Rede stehende rechtliche Konstruktion mit den Regeln allgemeiner Strafrechtsdogmatik unvereinbar sei ( Fellner , FinStrG § 33 Rz 53a).
Eingehend analysierte Schmoller die gegenständliche Problematik ( Schmoller , Grundfragen strafbaren Unterlassens bei der Abgabenverkürzung, in Leitner , Finanzstrafrecht 2010, 25 = ÖJZ 2011, 397). Dabei legte er überzeugend dar, dass die Annahme des Zurücktretens eines bereits vollendeten Finanzvergehens in das Stadium des Versuchs mit Lehre und Rechtsprechung zu den allgemeinen Regeln über die Deliktsstadien einschließlich der diesbezüglichen Scheinkonkurrenzverhältnisse (dazu ausführlich Fuchs , AT I 9 28/1 bis 28/17) nicht in Einklang zu bringen ist ( Schmoller in Leitner , Finanzstrafrecht 2010, 25 [41 f]).
Der Oberste Gerichtshof schließt sich den dargestellten dogmatischen Überlegungen an und hält fest, dass ein im Sinn des § 33 Abs 3 lit a zweiter Fall FinStrG vollendetes Finanzvergehen auch dann nicht ins Versuchsstadium zurücktritt, wenn die Behörde die Abgaben nach Ende der gesetzlichen Erklärungsfrist (ganz oder teilweise) in der richtigen Höhe festsetzt.
Hinzugefügt sei, dass der für die Auslegungsvariante des Zurücktretens ins Versuchsstadium ins Treffen geführte fiskalpolitisch wünschenswerte Anreiz der Erlangung des Milderungsgrundes des § 34 Abs 1 Z 13 zweiter Fall StGB (iVm § 23 Abs 2 letzter Satz FinStrG) ebenso über den Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 17 zweiter Fall StGB iVm § 23 Abs 2 letzter Satz FinStrG) erreicht werden kann ( Lässig in WK 2 FinStrG § 33 Rz 35).
(3) Da sowohl der Schuldspruch wegen eines im Sinn des § 39 Abs 3 lit c FinStrG qualifizierten Verbrechens anstelle zweier solcher Verbrechen als auch die Annahme von Versuch statt Vollendung zum Vorteil des Angeklagten wirkt, bestand kein Anlass zu amtswegigem Vorgehen.
Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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