OGH 12Os106/17f

OGH12Os106/17f21.9.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. September 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wukovits, LL.M., als Schriftführerin in der Strafsache gegen Enes S***** und andere wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 20 HR 14/15p des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die Grundrechtsbeschwerde des Fuat I***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 27. Juli 2017, AZ 9 Bs 242/17g, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0120OS00106.17F.0921.000

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

In dem von der Staatsanwaltschaft Graz zu AZ 16 St 14/15y gegen Fuat I***** wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen geführten Ermittlungsverfahren wurde über den Genannten am 28. Jänner 2017 die Untersuchungshaft verhängt. Diese wurde mehrfach, zuletzt mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 10. Juli 2017 aus den Haftgründen der Flucht‑ und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und lit b StPO fortgesetzt (ON 609).

Der gegen den letztgenannten Beschluss erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Graz mit dem nunmehr bekämpften Beschluss vom 27. Juli 2017, AZ 9 Bs 242/17g, nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft aus den gleichen Haftgründen fort.

Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts ist der Beschuldigte dringend verdächtig, „sich zumindest seit dem Jahr 2011 bis 14. Oktober 2016 in G***** als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB)

1./ an der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat, somit an einem auf längere Zeit angelegten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, der darauf ausgerichtet ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung mehrere terroristische Straftaten (§ 278c StGB), und zwar Morde (§ 75 StGB), Körperverletzungen nach §§ 84 bis 87 StGB, schwere Nötigungen (§ 106 StGB) und schwere Sachbeschädigungen (§ 126 StGB) begangen werden, welche Taten geeignet sind, eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens oder eine schwere Schädigung des Wirtschaftslebens herbeizuführen und die mit dem Vorsatz begangen werden, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, öffentliche Stellen oder internationale Organisationen zu Handlungen, Duldungen oder zu Unterlassungen zu nötigen und die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Grundstrukturen eines Staates ernsthaft zu erschüttern oder zu zerstören, im Rahmen der kriminellen Ausrichtung dieser terroristischen Vereinigung mit dem Wissen beteiligte, dass er dadurch die Vereinigung oder deren strafbare Handlungen fördert (§ 278b Abs 2 iVm § 278 Abs 3 dritter Fall StGB),

indem er in dem von salafistisch‑dschihadistischem Gedankengut geprägten Verein 'T*****‑ Islamischer Glaubensverein' die Funktion des Obmanns ausübte, die kriminelle Ausrichtung des Vereins durch Einflussnahme auf das dort verbreitete dschihadistische und salafistische Gedankengut wesentlich mitbestimmte, religiöse Schriften, die sich an der streng salafistischen Ideologie der Takfiri des Nedzad B***** (alias Ebu M*****) und des Farhad Q***** (alias Abu Hamzah a*****) orientierten, an Mitglieder des Glaubensvereins verteilte, sich an deren Radikalisierung beteiligte, sie in ihrem Vorhaben, am Dschihad teilzunehmen, bestärkte, also psychische Unterstützung zur Stärkung der Gruppenmoral oder einzelner Mitglieder in ihrer Bereitschaft zur Ausführung von Vereinigungstaten leistete und die Ausreise von 37 Mitgliedern des Glaubensvereins T***** im August 2014 und am 20. Dezember 2014 nach Syrien mitorganisierte, damit sich diese dort dem Islamischen Staat anschließen;

2./ an der als Islamischer Staat bezeichneten kriminellen Organisation, welche als eine auf längere Zeit angelegte unternehmensähnliche Verbindung einer größeren Zahl von Personen das Ziel verfolgt, in Syrien und im Irak einen radikal‑islamistischen Gottesstaat (Kalifat) zu errichten und zur Erreichung dieses Zieles terroristische Straftaten gemäß dem § 278c Abs 1 StGB zu begehen, somit wenn auch nicht ausschließlich auf die wiederkehrende geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, Kernmaterial und radioaktiven Stoffen, gefährlichen Abfällen, Falschgeld oder Suchtmittel ausgerichtet ist, die dadurch eine Bereicherung in großem Umfang anstrebt und die andere zu korrumpieren oder einzuschüchtern oder sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen versucht, durch die unter 1./ angeführten Taten im Rahmen der kriminellen Ausrichtung dieser terroristischen Organisation in dem Wissen beteiligte, dass er dadurch die Vereinigung oder deren strafbare Handlungen fördert (§ 278a zweiter Fall iVm § 278 Abs 3 dritter Fall StGB)“.

Diese Verdachtslage subsumierte das Oberlandesgericht den Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (1./) und nach § 278a [ergänze: Z 1, Z 2 und Z 3] StGB (2./).

Gegen diesen Beschluss des Oberlandesgerichts richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Fuat I*****.

Rechtliche Beurteilung

Die Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachts kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren nach Maßgabe der Voraussetzungen der Mängel‑ und der Tatsachenrüge (§ 281 Abs 1 Z 5 und Z 5a StPO) in Frage gestellt werden (RIS‑Justiz RS0110146, RS0114488).

Soweit der Beschuldigte – wie schon in seiner Grundrechtsbeschwerde zu 12 Os 40/17z – ausführt, er hätte sich schon seit einiger Zeit aus dem Glaubensverein T***** zurückgezogen, seine Tätigkeit im Verein sei auf rein „seelischer“ Ebene gewesen, beim Begriff „Dschihad“ handle es sich für ihn nicht um konkrete Kampf‑ oder Kriegshandlungen, auch nicht um Terroranschläge im Sinne des Islamischen Staates, sondern um einen religiösen Begriff des „Bemühens um die Verbreitung des Islamischen Glaubens“ auf mentaler Ebene, bekämpft er lediglich in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung.

Die Beschwerdeausführungen, „ein Zeuge“ hätte angegeben, der Beschuldigte hätte gesagt, der Dschihad müsste in Österreich stattfinden, „die behaupteten Angaben wurden dem Zeugen allerdings von einem Bekannten übersetzt, da der Zeuge der deutschen Sprache nicht mächtig“ wäre, lassen sich keiner Anfechtungskategorie der Z 5 oder Z 5a des § 281 Abs 1 StPO zuordnen und sind mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung einer inhaltlichen Erwiderung nicht zugänglich.

Das gilt auch für das weitere Vorbringen, der Beschwerdeführer habe weder selbst gepredigt, noch Schriften verfasst oder verbreitet und besitze „keine besondere Eloquenz oder sonstige motivierende Eigenschaften“.

Die leugnende Verantwortung des Beschwerdeführers hat das Oberlandesgericht nicht unberücksichtigt gelassen (Z 5 zweiter Fall; BS 3).

Indem die Grundrechtsbeschwerde die Angaben des Zeugen Edis O***** über die Teilnahme des Beschwerdeführers an einer Verabschiedungsfeier für Mitglieder des Vereins T*****, welche nach Syrien reisen wollten, um sich dort dem Islamischen Staat anzuschließen (BS 5), als unrichtig bezeichnet, wird lediglich unzulässig die Beweiswürdigung bekämpft, ohne eine Anfechtungskategorie des § 281 Abs 1 Z 5 oder Z 5a StPO anzusprechen.

Die Angaben der Zeugen Dasmir Ad***** und Almir E*****, wonach der Beschwerdeführer im Verein keine führende Rolle einnahm, hat das Oberlandesgericht entgegen dem weiteren Vorbringen berücksichtigt (BS 3 f; Z 5 zweiter Fall).

Indem der Beschwerdeführer meint, die Zeugen Nail S***** und Katka O***** wollten mit ihren Zeugenaussagen „nur von ihren eigenen Vorgangsweisen ablenken“, wird neuerlich in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung des Beschwerdegerichts angegriffen (BS 4).

Das gilt auch für das Vorbringen, der Beschuldigte hätte niemals Nedzad B***** alias Ebu M***** konsultiert oder Unterlagen verteilt.

Die Verantwortung des Beschwerdeführers, mangels Kenntnis der arabischen Sprache den Inhalt der in der Moschee für Vereinsmitglieder aufliegenden Dokumente nicht verstanden zu haben, hat das Beschwerdegericht nicht unberücksichtigt gelassen (BS 5; Z 5 zweiter Fall). Der Beschuldigte lässt prozessordnungswidrig die Ausführungen im angefochtenen Beschluss außer Acht, wonach nach der Zeugenaussage der Katka O***** in der T***** Moschee in bosnischer und deutscher Sprache gepredigt wurde, wobei Bücher des Predigers Nedzad B***** in deutscher und in bosnischer Sprache sichergestellt werden konnten (BS 5).

Soweit die Beschwerde behauptet, die Untersuchungshaft wäre lediglich auf Vermutungen begründet (inhaltlich Z 5 vierter Fall), nimmt sie nicht Maß an den Erwägungen des Oberlandesgerichts (BS 3 ff).

Im Grundrechtsbeschwerdeverfahren überprüft der Oberste Gerichtshof die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren (Prognoseentscheidung) darauf, ob sich diese angesichts der zugrunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten nicht oder offenbar unzureichend begründet darstellt (RIS‑Justiz RS0117806).

Betreffend die Fluchtgefahr führte das Beschwerdegericht aus, dass der Beschuldigte über weit verzweigte Kontakte zu anderen ebenfalls wegen Begehung von gegen das Rechtsgut des öffentlichen Friedens in Verdacht stehenden Mittätern, die sich teilweise im Ausland aufhielten, verfüge und verwies auf die unzureichende soziale Integration in Österreich, weil er während der letzten zwei Jahre vor seiner Verhaftung keiner geregelten Beschäftigung nachging und als mazedonischer Staatsangehöriger nur ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht in Österreich in Form eines fünfjährigen Aufenthaltstitels habe. Indem die Grundrechtsbeschwerde lediglich ausführt, im Hinblick auf die gesellschaftliche und soziale Integration des Beschuldigten in Österreich sowie den Umstand, „dass sowohl die Familie und Kinder des Beschuldigten in Österreich leben und zur Schule gehen, als auch dessen Herkunftsfamilie hier wohnhaft ist“, liege keine Fluchtgefahr vor, nimmt sie nicht Maß an den Erwägungen des Oberlandesgerichts.

Da bei gegebenem dringenden Tatverdacht bereits ein Haftgrund die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigt, erübrigt es sich, im Rahmen der Grundrechtsbeschwerde zu prüfen, ob noch weitere Haftgründe gegeben sind (RIS‑Justiz RS0061196).

Zur Frage der Substituierbarkeit der Untersuchungshaft durch gelindere Mittel (§ 173 Abs 5 StPO) muss eine Grundrechtsbeschwerde konkret darlegen, worin dem Beschwerdegericht insoweit ein Beurteilungsfehler unterlaufen sein soll (RIS‑Justiz RS0116422 [T1]). Dem entspricht die vorliegende Grundrechtsbeschwerde nicht, indem sie bloß behauptet, der Haftzweck wäre jedenfalls auch mit gelinderen Mitteln wie der Hinterlegung des Passes oder der Erlegung einer Kaution zu erreichen (vgl hingegen BS 8).

Beim elektronisch überwachten Hausarrest (§ 173a StPO) handelt es sich um eine besondere Form des Vollzugs der Untersuchungshaft, jedoch nicht um ein gelinderes Mittel. Da die Bedingungen des Vollzugs der Untersuchungshaft nicht in den Schutzbereich des GRBG fallen ( Kier in WK 2 GRBG § 1 Rz 54), kann die Ablehnung des Begehrens die Untersuchungshaft in Form des Hausarrests fortzusetzen, nicht mit Grundrechtsbeschwerde bekämpft werden (RIS‑Justiz RS0126401).

Soweit die Grundrechtsbeschwerde bloß auf die Unbescholtenheit des Beschuldigten verweist und ohne nähere Begründung behauptet, die Fortsetzung der Untersuchungshaft wäre insgesamt unverhältnismäßig, bedarf sie mangels einer gemäß § 3 Abs 1 GRBG erforderlichen Beschwerdebegründung keiner inhaltlichen Erwiderung (RIS‑Justiz RS0106464 [T6]).

Die Behauptung, die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wären nicht gegeben, weil keine neuen Beweisergebnisse vorlägen oder erwartet werden können, geht neuerlich an der Begründung der angefochtenen Entscheidung vorbei, wonach dies mit Blick auf die besonderen Schwierigkeiten und den besonderen Umfang der Ermittlungen sowie das Gewicht der Haftgründe im Sinn des § 178 Abs 2 StPO unvermeidbar sei, zumal Auswertungen von Daten aus den Mobiltelefonen des Beschwerdeführers in absehbarer Zeit erwartet werden könnten (BS 9).

Die Beschwerde war demnach ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) zurückzuweisen.

Stichworte