OGH 12Os40/17z

OGH12Os40/17z26.4.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. April 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Adamowitsch als Schriftführerin in der Strafsache gegen Enes S***** und andere wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 20 HR 14/15p des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die Grundrechtsbeschwerde des Fuat I***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 8. März 2017, AZ 9 Bs 73/17d, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0120OS00040.17Z.0426.000

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

In dem von der Staatsanwaltschaft Graz zu AZ 16 St 14/15y gegen Fuat I***** wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen geführten Ermittlungsverfahren wurde über den Genannten am 28. Jänner 2017 die Untersuchungshaft verhängt (ON 122).

Mit Beschluss vom 27. Februar 2017 setzte das Landesgericht für Strafsachen Graz die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht‑, Verdunkelungs‑ und Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 1, Z 2, Z 3 lit a und lit b StPO fort (ON 297).

Der gegen den genannten Beschluss erhobenen Beschwerde des Beschuldigten gab das Oberlandesgericht Graz mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 8. März 2017, AZ 9 Bs 73/17d, nicht Folge und setzte seinerseits die Untersuchungshaft aus den gleichen Haftgründen mit der Maßgabe fort, dass der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr mit Ablauf des 28. März 2017 zu entfallen habe.

Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts ist der Beschuldigte dringend verdächtig, „zumindest seit dem Jahr 2011 bis 14. Oktober 2016 in G*****

1./ sich als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat, somit an einem auf längere Zeit angelegten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, der darauf ausgerichtet ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung mehrere terroristische Straftaten (§ 278c StGB), und zwar Morde (§ 75 StGB), Körperverletzungen nach §§ 84 bis 87 StGB, schwere Nötigungen (§ 106 StGB) und schwere Sachbeschädigung (§ 126 StGB) begangen werden, welche Taten geeignet sind, eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens oder eine schwere Schädigung des Wirtschaftslebens herbeizuführen und die mit dem Vorsatz begangen werden, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, öffentliche Stellen oder internationale Organisationen zu Handlungen, Duldungen oder zu Unterlassungen zu nötigen und die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Grundstrukturen eines Staates ernsthaft zu erschüttern oder zu zerstören,

im Rahmen der kriminellen Ausrichtung dieser terroristischen Vereinigung mit dem Wissen beteiligt, dass er dadurch die Vereinigung oder deren strafbare Handlungen fördert (§ 278b Abs 2 iVm § 278 Abs 3 dritter Fall StGB), indem er in dem von salafistisch‑dschihadistischem Gedankengut geprägten Verein 'T***** – Islamischer Glaubensverein' die Funktion des Obmanns ausübte, die kriminelle Ausrichtung des Vereins durch Einflussnahme auf das dort verbreitete dschihadistische und salafistische Gedankengut wesentlich mitbestimmte, religiöse Schriften, die sich an der streng salafistischen Ideologie der Takfiri des Nedzad B***** (alias Ebu M*****) und des Farhad Q***** (alias Abu Hamzah a*****) orientierten, an Mitglieder des Glaubensvereins verteilte, sich an deren Radikalisierung beteiligte, sie in ihrem Vorhaben, am Dschihad teilzunehmen bestärkte, also psychische Unterstützung zur Stärkung der Gruppenmoral oder einzelner Mitglieder in ihrer Bereitschaft zur Ausführung von Vereinigungstaten leistete und die Ausreise von 37 Mitgliedern des Glaubensvereins T***** im August 2014 und am 20. Dezember 2014 nach Syrien mitorganisierte, damit sich diese dort dem Islamischen Staat anschließen;

2./ sich als Mitglied an der als Islamischer Staat bezeichneten kriminellen Organisation, welche als eine auf längere Zeit angelegte unternehmensähnliche Verbindung einer größeren Zahl von Personen das Ziel verfolgt, in Syrien und im Irak einen radikal‑islamischen Gottesstaat (Kalifat) zu errichten und zur Erreichung dieses Ziels terroristische Straftaten gemäß § 278c Abs 1 StGB zu begehen, somit wenn auch nicht ausschließlich auf die wiederkehrende geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, Kernmaterial und radioaktiven Stoffen, gefährlichen Abfällen, Falschgeld oder Suchtmittel ausgerichtet ist, die dadurch eine Bereicherung in großem Umfang anstrebt und die andere zu korrumpieren oder einzuschüchtern oder sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen versucht,

durch die unter 1./ angeführten Taten im Rahmen der kriminellen Ausrichtung dieser terroristischen Organisation in dem Wissen beteiligt, dass er dadurch die Vereinigung oder deren strafbare Handlungen fördert (§ 278a zweiter Fall iVm § 278 Abs 3 dritter Fall StGB)“.

Diese Verdachtsgrundlage subsumierte das Oberlandesgericht den Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StPO (1./) und der kriminellen Organisation nach § 278a [ergänze: Z 1, Z 2 und Z 3] StGB (2./).

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluss des Oberlandesgerichts richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Fuat I*****.

Da – anders als bei einer Haftbeschwerde an das Oberlandesgericht – nicht die Haft, sondern die Entscheidung über die Haft den Gegenstand des Erkenntnisses über eine Grundrechtsbeschwerde bildet und § 3 Abs 1 GRBG hinsichtlich der dort angeordneten Begründungspflicht nichts anderes vorsieht (vgl § 10 GRBG), kann im Verfahren über eine Grundrechtsbeschwerde nach ständiger Rechtsprechung die Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachts nach Maßgabe der Voraussetzungen der Mängel‑ und der Tatsachenrüge (§ 281 Abs 1 Z 5 und Z 5a StPO) in Frage gestellt werden (RIS‑Justiz RS0110146, RS0114488).

Indem der Beschwerdeführer ausführt, er hätte sich schon seit einiger Zeit aus dem Glaubensverein T***** zurückgezogen, seine Tätigkeit im Verein sei auf rein „seelischer Ebene“ gewesen, beim Begriff „Dschihad“ handle es sich für ihn nicht um konkrete Kampf- oder Kriegshandlungen, auch nicht um Terroranschläge im Sinne des Islamischen Staates, sondern um einen religiösen Begriff des Bemühens um die Verbreitung des islamischen Glaubens auf mentaler Ebene, bekämpft er lediglich in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung. Die leugnende Verantwortung des Beschuldigten hat das Beschwerdegericht im Übrigen nicht unberücksichtigt gelassen (Z 5 zweiter Fall; BS 5).

Das weitere Vorbringen, der Beschuldigte habe weder selbst gepredigt, noch Schriften verfasst und besitze auch „keine besondere Eloquenz oder sonstige motivierende Eigenschaften“, lässt sich ebenfalls keiner Anfrechtungskategorie der Z 5 und Z 5a des § 281 Abs 1 StPO zuordnen.

Soweit die Beschwerde behauptet, die Untersuchungshaft wäre lediglich auf Vermutungen gegründet (inhaltlich Z 5 vierter Fall), werden die Erwägungen des Oberlandesgerichts unberücksichtigt gelassen, welches sich unter anderem auf Ergebnisse einer Telekommunikationsüberwachung, anonym vernommene Zeugen, ein Sachverständigengutachten über Schriften des Nedzad B***** und Farhad Q***** sowie weitere Zeugen betreffend Vorträge in der T*****-Moschee und eine große Verabschiedung in der Moschee für Vereinsmitglieder, welche nach Syrien reisen wollten, stützte (BS 5 f).

Im Rahmen des Grundrechtsbeschwerde-verfahrens überprüft der Oberste Gerichtshof die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren (Prognoseentscheidung) darauf, ob sich diese angesichts der zugrunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten nicht oder offenbar unzureichend begründet darstellt (RIS‑Justiz RS0117806).

Bei der Annahme der Fluchtgefahr erwog das Oberlandesgericht, dass der Beschwerdeführer, welcher – wie seine Ehefrau und seine Kinder – die mazedonische Staatsbürgerschaft habe, zwar über einen Aufenthaltstitel in Österreich verfüge und sich hier schon seit 25 Jahren aufhalte. Dennoch sei er wegen seiner bereits seit zwei Jahren bestehenden Erwerbslosigkeit, wobei auch seine Ehefrau über kein Einkommen verfüge, im Inland nur unzureichend sozial integriert, weshalb der Anreiz, sich dem Strafverfahren durch Flucht oder zumindest Verborgenhalten zu entziehen, bei einer Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe naheliegend erscheine (BS 8). Somit kann von Willkür keine Rede sein. Das Vorbringen der Grundrechtsbeschwerde, das die Fluchtgefahr bestreitet, orientiert sich nicht an der Begründung der Beschwerdeentscheidung.

Da bei gegebenem dringenden Tatverdacht bereits ein Haftgrund die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigt, erübrigt es sich, im Rahmen der Grundrechtsbeschwerde zu prüfen, ob noch weitere Haftgründe gegeben sind (RIS‑Justiz RS0061196).

Zur Frage der Substituierbarkeit der Untersuchungshaft durch gelindere Mittel (§ 173 Abs 5 StPO) muss eine Grundrechtsbeschwerde konkret darlegen, worin dem Beschwerdegericht insoweit ein Beurteilungsfehler unterlaufen sein soll (RIS‑Justiz RS0116422 [T1]), welchem Kriterium die gegenständliche Beschwerde nicht entspricht. Sie behauptet nämlich, ohne an der Begründung der Entscheidung des Oberlandesgerichts (BS 9) Maß zu nehmen, der Haftzweck wäre jedenfalls auch mit gelinderen Mitteln, wie der Hinterlegung des Passes oder der Erlegung einer Kaution zu erreichen.

Beim elektronisch überwachten Hausarrest (§ 173a StPO) handelt es sich um eine besondere Form des Vollzugs der Untersuchungshaft, somit nicht um eine Alternative zu dieser. Da die Bedingungen des Vollzugs der Untersuchungshaft nicht in den Schutzbereich des GRBG fallen ( Kier in WK² GRBG § 1 Rz 54), kann die Ablehnung des Begehrens, die Untersuchungshaft in Form des Hausarrests fortzusetzen, nicht mit Grundrechtsbeschwerde bekämpft werden (RIS‑Justiz RS0126401).

Die Beschwerde war demnach ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) zurückzuweisen.

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