OGH 10ObS91/17f

OGH10ObS91/17f13.9.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Mag. Christoph Arnold und Mag. Fiona Arnold, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Mai 2017, GZ 25 Rs 15/17t‑13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 7. Dezember 2016, GZ 16 Cgs 148/16i‑8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00091.17F.0913.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 209,39 EUR (darin enthalten 34,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der am ***** 1969 geborene Kläger hat von September 1985 bis zum 1. 6. 2016 (Stichtag) insgesamt 105 Versicherungsmonate nach dem ASVG erworben (davon 64 Beitragsmonate der Pflichtversicherung und 41 Monate Ersatzzeiten). Im genannten Zeitraum liegen beim Kläger (neben Zeiten, in denen keine Versicherungsmonate erworben wurden) 201 neutrale Monate infolge Bezugs einer Invaliditätspension. In den Zeitraum 1. 6. 2006 bis 31. 5. 2016 (somit in den Zeitraum der letzten 120 Kalendermonate vor dem Stichtag) fallen 16 Versicherungsmonate und 77 neutrale Monate. 77 Monate des Bezugs einer Invaliditätspension entfallen auf den Zeitraum April 2008 bis August 2014 und 124 Monate des Bezugs einer Invaliditätspension auf den Zeitraum Jänner 1996 bis April 2006.

Das Erstgericht wies die gegen den abweisenden Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt vom 6. 6. 2016 gerichtete Klage auf Zuerkennung der Invalidiätspension mangels Erfüllung der Wartezeit ab. Der Kläger habe im Zeitraum 1. 1. 2000 bis 31. 5. 2016 (in dem um 77 neutrale Monate verlängerten Rahmenzeitraum der letzten 120 Kalendermonate vor dem Stichtag) nicht 60 Versicherungsmonate erworben, noch weise er bis zum Stichtag mindestens 180 Beitragsmonate und/oder insgesamt mindestens 300 Monate an Beitragsmonaten und/oder nach dem 31. 12. 1955 zurückgelegten sonstigen Versicherungsmonaten auf.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Die Rechtsansicht des Erstgerichts, eine neuerliche Erstreckung der bereits einmal um die neutralen Zeiten erstreckten Rahmenfrist um die in die bereits erstreckte Rahmenfrist fallenden neutralen Zeiten finde im Wortlaut des § 236 Abs 3 ASVG keine Stütze, entspreche der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Die in Bezug auf den Berufsschutz im Sinn des § 255 Abs 2 ASVG und die berufsschutzbezogene Rahmenfristerstreckung ergangene Judikatur, nach der eine nochmalige Erstreckung des Beobachtungszeitraums möglich sei, wenn im ersten Verlängerungszeitraum wiederum Versicherungsmonate nach § 8 Abs 1 Z 2 lit a, d, e und g ASVG, Zeiten des Bezugs von Übergangsgeld, Rehabilitationsgeld und Umschulungsgeld sowie – kraft Analogie – auch Zeiten des Bezugs einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit fallen, könne auf die sekundären Leistungsvoraussetzungen der Wartezeiterfüllung betreffenden Rahmenzeiten nicht umgelegt werden. Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, dass zur Frage der Zulässigkeit mehrmaliger Erstreckungen der Rahmenfrist um neutrale Zeiten (§ 236 Abs 3 ASVG) aktuellere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zur Klarstellung zulässig, aber nicht berechtigt.

In der Revision wird zusammengefasst vorgebracht, es widerspreche dem Grundsatz sozialer Rechtsanwendung und der Intention des Gesetzes, wenn bei Anwendung des § 236 Abs 3 ASVG die nochmalige Verlängerung des bereits erstreckten Rahmenzeitraums um in die Verlängerung des Rahmenzeitraums fallende neutrale Zeiten abgelehnt werde, obwohl der Kläger die für die Erfüllung der Wartezeit notwendigen Versicherungsmonate dann erreiche, wenn der Rahmenzeitraum um die festgestellten 77 Monate Bezugs der Invaliditätspension (von April 2008 bis August 2014) und um die weiters festgestellten 124 Monate Bezugs der Invaliditätspension (von Jänner 1996 bis April 2006) erstreckt werde.

Dazu ist auszuführen:

1.1 Für die Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit gelten für nach 1954 Geborene weiterhin die Wartezeiten gemäß § 236 ASVG (Panhölzl in SV‑Komm [117. Lfg], § 235 ASVG Rz 12).

Nach § 236 Abs 1 Z 1 lit a iVm Abs 2 Z 1 ASVG – die anderen Fälle der Erfüllung der Wartezeit nach § 236 Abs 4 ASVG kommen nach den Feststellungen von vornherein nicht in Betracht – ist die Wartezeit für die vom Kläger aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit begehrte Invaliditätspension dann erfüllt, wenn am Stichtag 60 Versicherungsmonate vorliegen (§ 236 Abs 1 Z 1 lit a ASVG) und diese Versicherungsmonate innerhalb der letzten 120 Kalendermonate vor dem Stichtag liegen (§ 236 Abs 2 Z 1 ASVG). Fallen in den Zeitraum gemäß § 236 Abs 2 Z 1 ASVG neutrale Monate (§ 234), so verlängert sich der Zeitraum um diese Monate (§ 236 Abs 3 ASVG).

1.2 Versicherungsmonate sind jene Monate, in denen eine Person entweder durch Entrichtung von Versicherungsbeiträgen oder in einer sonstigen gesetzlich anerkannten Form zur Versichertengemeinschaft in einer Beziehung steht. Unterschieden wird zwischen Beitragszeiten gemäß § 225 ASVG und Ersatzzeiten gemäß den §§ 227, 227a ASVG (Teschner in Tomandl, SV-System, 27. Erg-Lfg 382).

1.3.1 Neutrale Zeiten sind Zeiten, die nicht Versicherungszeiten sind und daher nicht leistungswirksam sind (§ 234 Abs 1 ASVG). Es handelt sich um Zeiten, während derer der Versicherte gegen seinen Willen oder ohne eigenes Verschulden aus in seiner Person gelegenen Gründen gehindert war, der Versicherung anzugehören (Sonntag in Sonntag, ASVG8 § 234 Rz 1). Sie werden vom Gesetzgeber zu Gunsten des Versicherten als nicht schädliche (= neutrale) Zeiten anerkannt, wenn dafür berücksichtigungswürdige Gründe vorliegen, die nicht so gravierend erscheinen, dass eine Zuordnung zu den Ersatzzeiten erforderlich wäre (wie etwa die Zeiten des Bezugs einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit). Als neutral erklärte Zeiten verlängern den Rahmenzeitraum, innerhalb dessen die Wartezeit erfüllt sein muss und führen damit zu einer Erleichterung bei der Erfüllung dieser Voraussetzung (Teschner in SV‑System 386).

1.3.2 § 236 Abs 3 ASVG regelt die zeitlichen Voraussetzungen für die Berücksichtigung von neutralen Monaten für die Verlängerung der Wartezeit (Sonntag, ASVG8 § 234 Rz 1). Es sollen jene neutralen Monate den Rahmenzeitraum für die Erfüllung der Wartezeit erstrecken, die in den Rahmenzeitraum fallen.

2. Nach § 236 Abs 1 Z 1 lit a iVm Abs 2 Z 1 ASVG ist demnach zunächst der Rahmenzeitraum nach § 236 Abs 2 ASVG unter Berücksichtigung allfälliger neutraler Monate zu ermitteln.

Dabei sind grundsätzlich drei Varianten der Rahmenfristerstreckung denkbar.

‑ a) Eine Erstreckung der bereits erstreckten Rahmenfrist um alle jeweils erworbenen neutralen Monate unabhängig von deren zeitlichen Lagerung (wie der Kläger offenbar in erster Linie meint). Diese Auslegung kommt nicht in Betracht, weil sie mit dem Wortlaut des § 236 Abs 3 ASVG („Fallen in die Zeiträume gemäß Abs 2 neutrale Monate [§ 234] ...“) nicht vereinbar ist.

‑ b) Eine Verlängerung des Rahmenzeitraums um die in den Zeitraum der letzten 120 Kalendermonate vor dem Stichtag gelegenen neutralen Monate (wovon die Vorinstanzen ausgegangen sind).

‑ c) Eine neuerliche Erstreckung des bereits erstreckten Rahmenzeitraums um die in den Verlängerungszeitraum hineinfallenden neutralen Monate (welche Möglichkeit der Kläger offenbar ebenfalls für sich in Anspruch nehmen will).

Zu b) Eine Verlängerung des Rahmenzeitraums um die in den Zeitraum der letzten 120 Kalendermonate vor dem Stichtag gelegenen neutralen Monate hat zur Konsequenz, dass maximal 120 neutrale Monate (die in die Rahmenfrist fallen) berücksichtigbar sind, also die Rahmenfristverlängerung grundsätzlich mit der Dauer der Rahmenfrist beschränkt ist. Allenfalls davor liegende weitere neutrale Monate können nicht mehr begünstigend (die Rahmenfrist erstreckend) wirken, sodass unter Umständen nicht alle erworbenen Versicherungszeiten für die Erfüllung der Wartezeit angerechnet werden können. Insofern bleibt die begünstigende Wirkung der Rahmenfristverlängerung um neutrale Monate zeitlich beschränkt.

Im vorliegenden Fall liegt der Rahmenzeitraum von 120 Kalendermonaten nach § 236 Abs 2 Z 1 ASVG zwischen 1. 6. 2006 und 31. 5. 2016 (Stichtag: 1. 6. 2016). In diesen Zeitraum fallen 77 Monate, die nach § 234 ASVG neutrale Zeiten sind. Diese 77 neutralen Monate verlängern den Zeitraum nach § 236 Abs 2 Z 1 ASVG um diese Monate (§ 236 Abs 3 ASVG). Es ist daher ein Rahmenzeitraum vom 1. 1. 2000 bis 31. 5. 2016 gegeben, in dem 60 Versicherungsmonate liegen müssten, tatsächlich aber nur 16 Versicherungsmonate vorliegen. Bei dieser Auslegung des § 236 Abs 3 ASVG bleiben die weiteren vom Kläger erworbenen Versicherungsmonate für die Erfüllung der Wartezeit unberücksichtigt.

Zu c) Anders verhält es sich, wenn man davon ausgehen wollte, vom Wortlaut des § 236 Abs 3 ASVG sei auch eine neuerliche Erstreckung des bereits erstreckten Rahmenzeitraums um die in den Verlängerungszeitraum fallenden neutralen Monate umfasst:

Beim Kläger erstreckt sich die um die 77 neutralen Monate verlängerte Rahmenfrist vom 1. 6. 2006 bis zum 1. 1. 2000 zurück. Auch in diesem Verlängerungszeitraum („erster Verlängerungszeitraum“) liegen – wie sich aus den vom Erstgericht zum Versicherungsverlauf des Klägers umfangreich getroffenen Feststellungen ergibt – 76 Monate des Bezugs einer Invaliditätspension (neutrale Monate) sowie ein weiterer Monat (Mai 2006), der kein Versicherungsmonat ist. Diese 76 neutralen Monate würden den „ersten Verlängerungszeitraum“ neuerlich verlängern, sodass sich ein „zweiter Verlängerungszeitraum“ ergäbe, der vom 1. 1. 2000 bis 1. 9. 1993 zurückreicht. In diesen zweiten Verlängerungszeitraum fallen – wie feststeht – neben 23 Monaten an Krankengeld- und Arbeitslosengeldbezug (Ersatzzeiten) wiederum 48 Monate des Bezugs der Invaliditätspension (ab Jänner 1996). Diese 48 neutralen Monate würden auch den „zweiten Verlängerungszeitraum“ verlängern und zwar von 1. 9. 1993 rückreichend bis 1. 9. 1989, in welchen „dritten Verlängerungszeitraum“ nach den Feststellungen 33 Versicherungsmonate fallen. Erst wenn man auf den auf diese Weise von 1. 9. 1989 bis 31. 5. 2016 – also auf insgesamt mehr als 26 Jahre – erstreckten Rahmenzeitraum abstellen wollte, wäre das Erfordernis von im Rahmenzeitraum liegenden 60 Versicherungsmonaten letztendlich erfüllt (16 + 23 + 33).

3.1 In der Entscheidung 10 ObS 198/04x, SSV‑NF 19/16 wurde (zusammengefasst) ausgeführt, dass eine derartige Auslegung der Bestimmung des § 236 Abs 3 ASVG nicht nur im Gesetzeswortlaut keine Stütze findet, sondern auch dem Zweck der Regelung des § 236 Abs 2 ASVG, nämlich der Sicherstellung eines gewissen – zeitlichen Naheverhältnisses des Antragstellers zur Versichertengemeinschaft zuwiderlaufen würde (RIS‑Justiz RS0084845). Nur dann, wenn bereits durch den Erwerb eines bestimmten Mindestmaßes an Versicherungszeiten (§ 236 Abs 4 ASVG) ein qualifiziertes Naheverhältnis zur Versichertengemeinschaft hergestellt wurde, soll sich der Umstand, dass diese nicht in dem in § 236 Abs 2 ASVG festgelegten Ausmaß in den dort bestimmten Rahmenzeitraum fallen, nicht nachteilig auswirken. Eine nochmalige Verlängerung des Rahmenzeitraums nach § 236 Abs 2 Z 1 ASVG, wenn auch in die Verlängerung des Rahmenzeitraums neutrale Zeiten fallen, kommt daher nicht in Betracht (10 ObS 198/04x, SSV-NF 19/16; RIS-Justiz RS0119722). Da nur die innerhalb des Rahmenzeitraums nach Abs 2 fallenden Pensionsbezugszeiten (§ 234 Abs 1 Z 2 lit a) diesen verlängern, müssen die vor diesem liegenden Pensionsbezugszeiten unberücksichtigt bleiben (RIS-Justiz RS0109686; Sonntag in Sonntag, ASVG8 § 236 Rz 4; Sonntag in Sonntag, GSVG6 zu der vergleichbaren Bestimmung des § 120 GSVG Rz 14; Teschner/Widlar, MGA BSVG [82. Erg‑Lfg] Anm 10 zu der vergleichbaren Bestimmung des § 111; Teschnar/Widlar, MGA GSVG [62. Erg‑Lfg] Anm 11 zu § 120).

3.2 Panhölzl in SV-Komm ([118. Lfg] § 236 ASVG Rz 39 ff) vertritt demgegenüber die Ansicht, die gesetzliche Formulierung schließe bei extensiverer Auslegung eine nochmalige Wartezeitverlängerung nicht aus. Infolge der Umstellung von der Dritteldeckung auf Rahmenfristen im Zuge der 40. ASVG-Novelle dürfe eine Pensionszugangsbeschränkung durch Limitierung der (zuvor unbeschränkt begünstigenden) Wirkung von neutralen Zeiten nicht als Teil dieser Reform interpretiert werden.

3.3 Dem ist entgegenzuhalten, dass eine in diese Richtung gehende klar festellbare, dokumentierte Absicht des Gesetzgebers der 40. ASVG-Novelle BGBl 1984/484 (mit der die Dritteldeckung durch Rahmenfristen abgelöst wurde) weder aus dem Wortlaut des Gesetzes noch aus den Gesetzesmaterialien ableitbar ist. Diese beschränken sich auf die Ausführung, es solle auf die Deckungsvorschriften verzichtet werden und an ihre Stelle die Anspruchsvoraussetzung der Erfüllung der Wartezeit innerhalb bestimmter Rahmenfristen treten. Zu den neutralen Zeiten im Sinne des § 234 ASVG wird nur insofern Stellung bezogen, als sie die Rahmenfristen erstrecken sollen (ErläutRV 327 BlgNR 26. GP  24). Eine entsprechende Klarstellung durch den Gesetzgeber ist bisher nicht erfolgt (Panhölzl in SV-Komm [118. Lfg], § 236 ASVG Rz 9)

3.4 Auch eine systematische Auslegung lässt keine sichere Schlussfolgerung darauf zu, dass § 236 Abs 3 ASVG die zeitlichen Voraussetzungen für einen neutralen Monat nicht auf eine einmalige Rahmenfristverlängerung beschränkt, sondern mittels mehrfacher Verlängerungen des Rahmenzeitraums neutralen Zeiten – im Ergebnis somit in ähnlicher Weise wie vor der 40. ASVG-Novelle – begünstigende Wirkung zuerkennt:

3.4.1 Nach § 236 Abs 4 Z 1 ASVG („ewige Anwartschaft“) müssen die notwendigen Versicherungsmonate nicht in einem bestimmten Zeitraum liegen, sondern sind unabhängig von ihrer zeitlichen Lagerung zu berücksichtigen. Dies setzt aber voraus, dass bereits durch den Erwerb eines bestimmten Mindestmaßes an Versicherungszeiten ein qualifiziertes Naheverhältnis zur Versichertengemeinschaft hergestellt wurde. Nur wenn dieses qualifizierte Naheverhältnis zur Versichertengemeinschaft hergestellt wurde, soll sich der Umstand, dass diese nicht in dem in § 236 Abs 2 ASVG festgelegten Ausmaß in den dort bestimmten Rahmenzeitraum fallen, nicht nachteilig auswirken (siehe bereits 10 ObS 198/04x, SSV-NF 19/16).

3.4.2 Nach § 236 Abs 4 Z 3 ASVG wird die Wartezeit für in jungen Jahren invalid bzw berufsunfähig gewordene Versicherte auch dann als erfüllt angesehen, wenn der Versicherungsfall vor dem 27. Geburtstag eingetreten ist und der Versicherte bis zur Erreichung dieses Alters sechs Versicherungsmonate aufweist, gleichgültig wann der Pensionsantrag gestellt wird. § 236 Abs 4 Z 3 ASVG könnte demnach auch darauf hinweisen, der Gesetzgeber gehe in generalisierender Betrachtungsweise davon aus, dass nicht diesem begünstigten Personenkreis angehörende Versicherte (wie etwa der Kläger) in der Regel in der Lage sind, die für die Erfüllung der Wartezeit erforderlichen Versicherungs- bzw Beitragsmonate zu erwerben (OLG Wien 9 Rs 43/08, SV‑Slg 55.722).

4.1 Wie bereits die Vorinstanzen ausgeführt haben, kann der Revisionswerber für seinen Standpunkt auch aus der Entscheidung 10 ObS 143/15z nichts ableiten. Diese Entscheidung betrifft nicht die Verlängerung des Rahmenzeitraums nach § 236 Abs 2 ASVG durch neutrale Zeiten (§ 236 Abs 3 ASVG), sondern die Verlängerung des 15‑jährigen Rahmenzeitraums nach § 255 Abs 2 ASVG (in dem mindestens 90 Pflichtversicherungsmonate einer qualifizierten Erwerbstätigkeit als Angestellter oder nach § 255 Abs 1 ASVG vorliegen müssen) durch Versicherungsmonate nach § 8 Abs 1 Z 2 lit a ASVG (Zeiten des Wochengeldbezugs), lit d und e (Zeiten des Präsenz- und Zivildienstes) und lit g (Kindererziehungszeiten). Nach dieser Entscheidung verlängern den 15‑jährigen Rahmenzeitraum in (erster Linie) diejenigen Zeiten der angeführten Qualifikation, die innerhalb dieses Rahmenzeitraums gelegen sind. Liegen aber im ersten Verlängerungszeitraum wiederum Versicherungsmonate nach § 8 Abs 1 Z 2 lit a, d, e und g ASVG, verlängern diese nochmals den (bereits verlängerten) Rahmenzeitraum. Diese nochmalige Verlängerung des Rahmenzeitraums findet ihre Begründung darin, dass die Rahmenfristerstreckung um die vom Gesetzgeber als schützenswert angesehenen Gründe (Kindererziehung, Präsenz- oder Zivildienst etc) im Zusammenhang damit steht, dass in diesen speziellen Zeiten dem qualifizierten Beruf nicht nachgegangen werden konnte. Die Wertung des Gesetzgebers, weshalb die genannten Zeiten dennoch zu keinem Nachteil für die Versicherten beim Erwerb bzw Erhalt des Berufsschutzes führen sollen, trifft in gleicher Weise auf im „Verlängerungszeitraum“ gelegene Zeiten der Kindererziehung, des Präsenz- oder Zivildienstes etc) und – kraft Analogie – auch auf Zeiten des Bezugs einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit zu.

4.2 Diese Aussage ist auf die Verlängerung des Rahmenzeitraums nach § 236 Abs 3 ASVG nicht übertragbar, weil § 236 Abs 3 ASVG eine zeitliche Beschränkung für die Berücksichtigung von neutralen Zeiten enthält und eine klare Absicht des Gesetzgebers der 40. ASVG-Novelle nicht erkennbar ist, dennoch die zuvor (unbeschränkt) begünstigende Wirkung der neutralen Zeiten aufrechtzuerhalten, indem nun eine mehrmalige Verlängerung des bereits erstreckten Rahmenzeitraums um in die Verlängerung des Rahmenzeitraums fallende neutrale Zeiten ermöglicht wird.

5. Zutreffend ist aber, dass die Begründung, die Regelungen über den Rahmenzeitraum wollen verhindern, dass Personen in den Genuss von Leistungen kommen, die „versicherungsfremd“ geworden seien, weil sie nur in länger zurückliegenden Zeiträumen in geringem Umfang Versicherungszeiten erworben haben, zwar befriedigend erscheint, wenn diese Personen aus freien Stücken vom Erwerb von Beitragsmonaten Abstand genommen haben, aber nicht der Situation jener Personen in adäquater Weise gerecht wird, die – wie der Bezug der Invaliditätspension zeigt – am Erwerb von Versicherungszeiten schuldlos gehindert waren und denen nach Entzug der Leistung und neuerlicher Antragstellung bei Verschlechterung des Gesundheitszustands die Dauer des vorangegangenen Leistungsbezugs als Begründung für die Nichterfüllung der Wartezeit entgegengehalten wird (Panhölzl in SV-Komm [118. Lfg] § 236 ASVG Rz 36). Dennoch muss es in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers liegen, wenn er auch für den zweitgenannten Personenkreis eine Verlängerung des Rahmenzeitraums nach § 236 Abs 2 ASVG durch als neutral anerkannte Zeiten des Pensionsbezugs nur in beschränktem Ausmaß gestattet.

6. Es ist zwar richtig, dass bei der Beurteilung von Anträgen durch die Sozialversicherungsträger im Geiste sozialer Rechtsanwendung vorgegangen, also der Antrag im Zweifel zugunsten des Versicherten ausgelegt werden muss (RIS‑Justiz RS0086446). Der Versicherte soll insbesondere davor geschützt werden, materiell bestehende Ansprüche aus formellen Gründen (etwa zufolge einer prozessualen Ungeschicklichkeit) zu verlieren (10 ObS 116/04p, SSV‑NF 18/78). Die Fiktion, es sei die Rahmenzeit erfüllt, um zu Gunsten eines Versicherten den Pensionsanspruch zu wahren, lässt sich aber auch aus dem Grundsatz sozialer Rechtsanwendung nicht ableiten.

7. Zusammenfassend ist daran festzuhalten, dass eine nochmalige Verlängerung des Rahmenzeitraums nach § 246 Abs 2 Z 1 ASVG, wenn auch in die Verlängerung des Rahmenzeitraums neutrale Zeiten fallen, (weiterhin) nicht in Betracht kommt. Sie findet im Gesetzeswortlaut des § 236 Abs 3 ASVG keine Stütze und ist auch im Wege der systematischen und historisch-teleologischen Auslegung nicht erzielbar. Wenn aber die Ausdrucksweise des Gesetzes in seinem wörtlichen (nächstliegenden) Verständnis keine offenbaren Wertungswidersprüche in der Rechtsordnung provoziert, weil sie mit vorhandenen Wertungen konsistent ist, ist es nicht Aufgabe der Gerichte, durch eine weite Interpretation rechtspolitische oder wirtschaftliche Aspekte zu berücksichtigen, die den Gesetzgeber (bewusst oder unbewusst) nicht veranlasst haben, Gesetzesänderungen vorzunehmen. Allenfalls als unbefriedigend erachtete Gesetzesbestimmungen zu ändern oder zu beseitigen ist nicht Sache der Rechtsprechung, sondern der Gesetzgebung (RIS‑Justiz RS0009099). Ohne Vorliegen einer Gesetzeslücke gleichsam an die Stelle des Gesetzgebers zu treten und einen Regelungsinhalt (rechtsfortbildend) zu schaffen, dessen Herbeiführung ausschließlich dem Gesetzgeber obläge, steht den Gerichten nicht zu (RIS-Justiz RS0008866 [T16]).

8. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Ist eine Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn der § 2 Abs 1 ASGG, § 502 Abs 1 ZPO abhängig, entspricht es der Billigkeit, dem unterlegenen Versicherten die Hälfte der Kosten seiner Rechtsvertretung zuzuerkennen (RIS-Justiz RS0085871). Für ein Rechtsmittel gebührt aber gemäß § 23a RATG nur ein ERV-Zuschlag von 2,10 EUR, weil es sich hiebei nicht um einen verfahrenseinleitenden Schriftsatz handelt (8 Ob 30/10k; Obermaier , Kostenhandbuch 2 Rz 646).

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