OGH 4Ob109/17h

OGH4Ob109/17h24.8.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Schwarzenbacher, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch die Tschurtschenthaler Rechtsanwälte GmbH in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagten Parteien 1. Dr. E***** M*****, vertreten durch Dr. Bernhard Fink und andere Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, und 2. G*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch die Kaan Cronenberg & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Graz, Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Parteien A***** AG, *****, vertreten durch Dr. Alfred Feitsch, Rechtsanwalt in Wien, wegen 12.154.067,68 EUR sA, über die Rekurse beider beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 14. März 2017, GZ 3 R 5/17f‑62, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Teilurteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 20. Oktober 2016, GZ 25 Cg 63/15a‑56, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0040OB00109.17H.0824.000

 

Spruch:

Beide Rekurse werden mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit 20.668,97 EUR (darin 3.444,83 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Im Jahr 2007 kaufte die Klägerin von – nicht am Verfahren beteiligten – Dritten eine Vielzahl von Seeliegenschaften in Kärnten, und zwar am H*****see um 22,7 Mio EUR, am M***** See um 13,65 Mio EUR und am O***** See um 5,5 Mio EUR, insgesamt um 41,85 Mio EUR.

Die Klägerin begehrt unter anderem von beiden Beklagten zur ungeteilten Hand 12 Mio EUR sA. Für den im Paket erfolgten Liegenschaftskauf hätten der Erstbeklagte ein Sachwert- und die Zweitbeklagte ein Ertragswertgutachten erstattet; beide zusammen hätten eine „Gemeinsame Stellungnahme zum Verkehrswert“ abgegeben. Die Gutachten seien jedoch nicht lege artis erstellt worden und grob fehlerhaft gewesen; sie hätten weit überhöhte Liegenschaftswerte ausgewiesen. Wenn die Beklagten die richtigen Verkehrswerte ermittelt und ausgewiesen hätten, hätte die Klägerin die Liegenschaften nicht gekauft. Hätten die Beklagten die Kaufpreisvorstellung der Verkäufer nicht als dem Verkehrswert entsprechend und angemessen bestätigt, dann hätte die Klägerin die Liegenschaften „nicht um diesen einheitlichen Kaufpreis“ gekauft, sondern höchstens zum wirklichen Verkehrswert von 20,69 Mio EUR; wären die Verkäufer dazu nicht bereit gewesen, hätte sie nicht gekauft. Die Klägerin sei so zu stellen, wie sie ohne das schuldhafte Verhalten der Beklagten stünde; der Schaden sei durch eine Differenzrechnung zu ermitteln. Der im Vermögen der Klägerin eingetretene (durch das gemeinsame falsche Gutachten verursachte Gesamt-)Schaden liege in der Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten Kaufpreis (41,85 Mio EUR) und dem wahren Verkehrswert (20,69 Mio EUR), somit bei 21,16 Mio EUR, mindestens jedoch in der Differenz zwischen dem wahren Verkehrswert und dem von den Beklagten gemeinsam unrichtig ermittelten Verkehrswert (40.883.100 EUR), somit 20.193.100 EUR; es werde ein Teilbetrag von 12 Mio EUR begehrt. Der Schaden im Vermögen der Klägerin sei mit der Bezahlung des Kaufobjekts eingetreten. Die Beklagten hätten gewusst, dass die Kaufpreisvereinbarung in der Gesamthöhe von 41,85 Mio EUR für das „Paket“ der Liegenschaften einheitlich gewesen und die Aufteilung auf die einzelnen Liegenschaften nur von den Verkäufern gewollt worden sei. Aus den geltend gemachten 12 Mio EUR entfiele auf die Liegenschaften am H*****see ein Teil von 5.447.000 EUR, auf die Liegenschaften am M***** See ein Teil von 4.418.000 EUR und auf die Liegenschaften am O***** See ein Teil von 2.135.000 EUR; falls Solidarhaftung zu verneinen wäre, hätten die Beklagten diese Beträge je zur Hälfte zu leisten.

Die Beklagten wandten ein, das Klagsvorbringen sei unschlüssig. Die Klägerin hätte die Liegenschaften jedenfalls erworben; unrichtige Gutachten wären für einen allfälligen Schaden nicht kausal gewesen. Der Preis sei für die Verkäufer nicht verhandelbar gewesen. Mangels Verkaufs und Verwertung sei noch gar kein Schaden eingetreten; die Klägerin habe keinen Leistungsanspruch, sondern wäre auf die Geltendmachung eines Feststellungsanspruchs verwiesen.

Ohne Feststellungen zu treffen wies das Erstgericht die Forderung von 12 Mio EUR sA mit Teilurteil ab. Es liege kein einheitlicher Gesamtschaden vor. Die Klägerin habe trotz Erörterung gegen die in § 226 Abs 1 ZPO normierte Pflicht verstoßen, die einzelnen Punkte des Klagebegehrens ausreichend bestimmt zu bezeichnen. Sie habe keine Aufschlüsselung vorgenommen, wie der eingeklagte Teilbetrag den einzelnen Liegenschaften und deren Bestandteilen (den dazugehörigen Grundstücken und Einlagen sowie Betrieben), den einzelnen jeweils allein erstatteten Gutachten oder dem gemeinsamen Gutachten und den angewendeten Auf- und Abwertungen im gemeinsamen Gutachten oder allen Gutachten und in welchem Verhältnis zuzuordnen sei. Unschlüssig sei die Klage weiters, weil der Schaden von der Klägerin noch nicht realisiert worden sei, weshalb ein Feststellungsbegehren wegen unbestimmter Schadenshöhe erhoben hätte werden müssen.

Das Berufungsgericht hob das Teilurteil auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück. Der Schlüssigkeitsprüfung sei das Klagsvorbringen zugrundezulegen, wonach die Beklagten gewusst hätten, dass die Klägerin mit den Verkäufern einen einheitlichen Kaufpreis („als Paket“, „Gesamtpreis“) habe vereinbaren wollen. Nur bei objektiver Klagenhäufung sei jeder der Ansprüche ziffernmäßig zu bestimmen und zu individualisieren. Liege aber – wie hier – ein einheitlicher Anspruch vor, bedürfe es keiner solchen Aufschlüsselung. Da sich die Klägerin auf die Fehlerhaftigkeit der gemeinsamen Stellungnahme der Beklagten zum Verkehrswert stütze, beziehe sich der geltend gemachte Schaden nicht auf die von den Beklagten einzeln erstatteten Gutachten, einen der Liegenschaftskomplexe, einzelne Liegenschaftsteile oder einzelne Flächen. Die Klägerin mache vielmehr einen einheitlichen Rechtsgrund aus einem Sachverhalt geltend, nämlich Schadenersatz aufgrund des unrichtig von den Beklagten gemeinsam erstellten Verkehrswertgutachtens für einen einheitlichen Kaufgegenstand; dies habe zu einem einheitlichen Gesamtschaden in Höhe von 21,16 Mio EUR geführt, der Differenz zwischen dem Gesamtkaufpreis von 41,85 Mio EUR und dem „wahren“ Verkehrswert von 20.193.100 EUR (richtig: 20.690.000 EUR). Davon begehre sie einen Teilbetrag von 12 Mio EUR. Ein durch eine einheitliche Schadensursache eingetretener Gesamtschaden bedürfe auch bei einer solchen Teileinklagung keiner weiteren Aufschlüsselung. Die solidarische Haftung der Beklagten werde auf einen einzigen Lebenssachverhalt (das gemeinsam erstellte Verkehrswertgutachten) gestützt. An der Schlüssigkeit des Klagebegehrens vermöge auch der mittlerweilige Verkauf von Liegenschaftsteilen nichts zu ändern, wäre doch der von der Klägerin behauptete Vermögensnachteil bereits mit der Bezahlung des Kaufpreises in Relation zum tatsächlichen Verkehrswert eingetreten, unabhängig davon, zu welchem Preis die Klägerin die Liegenschaften später allenfalls weiterveräußert hätte. Eine Feststellungsklage sei unzulässig, da die Klägerin ihren Anspruch bereits zur Gänze mit Leistungsklage geltend machen könne. Da hier der Verkehrswert (durch einen Sachverständigen) ermittelt werden könne, sei eine Schadensberechnung der Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem richtigen Verkehrswert, für welchen ein Sachverständiger hafte, möglich.

Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht zu. Zwar könne die Schlüssigkeit einer Klage nur anhand der konkreten Behauptungen im Einzelfall geprüft werden; das hier behandelte Rechtsproblem berühre aber potenziell auch andere und vergleichbare Fälle und habe über den konkreten Einzelfall hinaus eine beispielhafte Bedeutung.

Mit ihren Rekursen beantragen die Beklagten jeweils die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Teilurteils, hilfsweise die Aufhebung des berufungsgerichtlichen Beschlusses und die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Die Rekurse sind jedoch – entgegen dem Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts, der den Obersten Gerichtshof nicht bindet (§ 526 Abs 2 ZPO) – unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO, der kraft Größenschlusses auch für die Zurückweisung eines von der zweiten Instanz wegen einer – in Wahrheit nicht vorliegenden – erheblichen Rechtsfrage zugelassenen Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss im Berufungsverfahren nach § 519 Abs 2 ZPO gilt (RIS-Justiz RS0043691), kann sich der Oberste Gerichtshof auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (6 Ob 222/09d).

Zur Schlüssigkeit der Klage bedarf es der Behauptung der rechtserzeugenden Tatsachen in ihr. Es genügt, wenn das Sachbegehren der Klägerin materiell‑rechtlich aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann. Es müssen also die Behauptungen aufgestellt werden, die es zulassen, dass der von der Klägerin begehrte Ausspruch als sich daraus herleitende Rechtsfolge gegebenenfalls auch im Wege eines Versäumungsurteils ergehen könnte (RIS‑Justiz RS0037516, RS0001252 [insb T4, T9]). Die Schlüssigkeit einer Klage kann nur anhand der konkreten Behauptungen im Einzelfall geprüft werden; ob sich der Anspruch aus dem behaupteten Sachverhalt ergibt, oder ob das bisher erstattete Vorbringen so weit spezifiziert ist, dass es als Anspruchsgrundlage hinreicht, ist eine Frage des Einzelfalls und stellt daher grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS-Justiz RS0037780, RS0042828).

Die Auffassung des Berufungsgerichts, wonach in Ansehung der Frage, ob die Klägerin einen Teil eines nicht weiter der Aufschlüsselung bedürftigen einheitlichen Gesamtschadens geltend mache, das Klagebegehren in diesem Sinne aus dem Klagsvorbringen ableitbar, hinreichend bestimmt und schlüssig sei, ist jedenfalls vertretbar.

Die Rekurse legen demgegenüber über weite Strecken nicht das Vorbringen der Klägerin aus, sondern gehen von eigenem Bestreitungsvorbringen, Wunschsachverhalten oder dem Inhalt einzelner Beweismittel aus.

Da weder Erst- noch Berufungsgericht Feststellungen trafen, ist die Ansicht der Rekurswerber verfehlt, das Berufungsgericht entferne sich von den Feststellungen des Erstgerichts oder treffe unrichtige Feststellungen, was als Verfahrensmangel zu beurteilen sei.

Welche Nichtigkeit dem Berufungsurteil anhaften sollte, wird vom Rekurs der Zweitbeklagten nicht einmal angedeutet.

Auch eine Aktenwidrigkeit in Ansehung der Schlüssigkeitsprüfung durch das Berufungsgericht liegt nicht vor, zumal es hierfür nicht auf ein Bestreitungsvorbringen ankäme. Soweit das Berufungsgericht im Zuge seiner Überlegungen die Klagsbehauptungen zum „wahren“ Verkehrswert irrtümlich mit 20.193.100 EUR – statt richtig mit 20.690.000 EUR – wiedergibt, knüpfen sich an dieses offensichtliche (und von beiden Beklagten als solches auch erkannte) Versehen keine weiteren Folgen.

Von der Differenz zwischen Kaufpreis und „wahrem“ Verkehrswert ausgehende Berechnungen und Überlegungen der Rekurswerber gehen insofern ins Leere, als die von der Klägerin dargestellte Aufgliederung des Teilbegehrens von 12 Mio EUR in Ansehung der drei Liegenschaftskomplexe auf die Differenz zwischen Verkehrswertgutachten und „wahrem“ Verkehrswert (und nicht auf jene zwischen Kaufpreis und „wahrem“ Verkehrswert) abstellt; den im Rekurs insbesondere der Zweitbeklagten erörterten Umstand, dass die Klägerin insgesamt tatsächlich mehr als den sich aus dem Verkehrswertgutachten ergebenden Betrag zahlte, bildet sie damit gerade nicht ab. Auf den sich als Differenz von Gutachtensverkehrswert und „wahrem“ Wert darstellenden Schaden von „zumindest 20.193.100 EUR“ hat die Klägerin in ihrem Hauptvorbringen Bezug genommen.

Von der Klägerin unter dem Titel „Vorsteuerkorrekturersatzleistung“ geleistete Zahlungen sind nicht Gegenstand ihres Klagebegehrens.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Wird ein nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO erhobener Rekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückgewiesen, sind die Kosten nicht nach § 52 ZPO vorzubehalten; vielmehr findet ein Kostenersatz statt, wenn– wie hier – der Rechtsmittelgegner auf diese Unzulässigkeit hingewiesen hat (6 Ob 222/09d mwN; RIS-Justiz RS0123222; RS0035976 [T2]). Die der Klägerin am selben Tag zugestellten Rekurse hätten aber mit einer einzigen Rechtsmittelgegenschrift beantwortet werden können ( Obermaier , Kostenhandbuch² Rz 427 mwN). Der Klägerin stehen nur die Kosten einer Rekursbeantwortung zuzüglich eines – den Mehraufwand abdeckenden – 10 %-igen Streitgenossenzuschlags zu; ein darüber hinausgehender Kostenaufwand war zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht erforderlich.

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