OGH 8Ob79/16z

OGH8Ob79/16z24.8.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn sowie die Hofrätin Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** AG, *****, vertreten durch Mag. Helmut Rieger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Ing. B***** R*****, vertreten durch Kerres Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen Herausgabe (Interesse 108.076,20 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Mai 2016, GZ 11 R 57/16g‑13, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 25. Jänner 2016, GZ 8 Cg 56/15m‑9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0080OB00079.16Z.0824.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.393,88 EUR (darin 398,98 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte hielt im Jahre 2007 I*****‑ und I*****‑Aktien. Im September 2007 nahm der Beklagte über Beratung der klagenden Partei von einem ins Auge gefassten Verkauf dieser Aktien Abstand. Er erlitt dadurch letztlich einen Verlust und machte diesen Schaden in einem Vorverfahren vor dem Handelsgericht Wien geltend. In diesem Verfahren begehrte er zuletzt 1.090.923,38 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe von 122.127 Stück I*****‑Aktien. Während des laufenden Verfahrens vor dem Handelsgericht Wien, im März 2014, fand eine außerordentliche Hauptversammlung der I***** AG zur Abspaltung von 51 % der Anteile an der Wohnimmobilientochter B***** AG statt. Als Gegenleistung für die Übertragung des Spaltungsvermögens und der damit bewirkten Verringerung des Vermögens der übertragenden Gesellschaft wurde den Aktionären der I***** AG per Stichtag 28. April 2014 für je 20 I*****-Aktien jeweils eine B*****-Aktie ausgegeben. Der Beklagte erhielt im Zuge dieser Vorgänge 6.106 Stück B*****-Aktien zugeteilt. Die hier klagende Partei wandte im Verfahren vor dem Handelsgericht Wien bis zum Schluss der dortigen Verhandlung am 11. Juni 2014 den Umstand der Ausgabe der B*****-Aktien nicht als zu berücksichtigenden Vorteil ein. Auch der Beklagte (dort Kläger) änderte sein Begehren nicht. Das Handelsgericht Wien gab der Klage statt; dem fehlberatenen Kläger sei der Verkaufspreis zu ersetzen, den er bei richtiger Beratung erzielt hätte, abzüglich inzwischen erzielter Erträge und gegen Herausgabe der Papiere Zug um Zug.

Nach Rechtskraft dieses Urteils forderte die nunmehrige Klägerin vom Beklagten die Herausgabe der erhaltenen B*****‑Aktien. Er sei durch deren Erhalt bereichert. Im Vorprozess habe die Klägerin diesen Einwand noch nicht erhoben, weil der Kläger selbst zum Erhalt der B*****-Aktien nichts vorgebracht habe.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Die B*****-Aktien seien ihrem Wesen nach ein Surrogat für die aufgrund des Urteils im Vorprozess herauszugebenden I*****-Aktien. Der bereicherungsrechtliche Anspruch auf Herausgabe dieser Wertpapiere könne auch selbstständig geltend gemacht werden.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab.

Die im Vorverfahren gegenständliche Naturalrestitution, gerichtet auf den entgangenen Verkaufspreis gegen Herausgabe der Wertpapiere, sei bei Anlegerschäden nur eine besondere Berechnungsform des Geldersatzes. Hinsichtlich der Höhe des dem nun Beklagten wegen der Fehlberatung zustehenden Geldersatzes entfalte das Urteil im Vorprozess daher Bindungswirkung. Nachdem die Zuteilung der B*****-Aktien an die I*****-Aktionäre dort noch vor Schluss der Verhandlung erster Instanz erfolgt sei, wäre es an der Klägerin gelegen, die Vorteilsanrechnung hinsichtlich dieser Aktien bereits im Vorprozess geltend zu machen. Über die Schadenersatzforderung des hier Beklagten sei im Vorprozess abschließend entschieden worden.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob auch Aktien, die der geschädigte Anleger im Zuge einer Spaltung erhalten habe, bereits im Anlegerverfahren als Vorteilsausgleich berücksichtigt werden müssten.

In ihrer Revision macht die Klägerin geltend, die Verurteilung zu einer Leistung Zug um Zug habe lediglich Sicherstellungsfunktion und entfalte keine Bindungswirkung im Hinblick auf die zu erbringende Gegenleistung. Das Berufungsgericht habe – insofern liege auch ein sekundärer Feststellungsmangel vor – nicht berücksichtigt, dass der Beklagte seine I*****-Aktien ursprünglich von der Klägerin erworben habe. Die Naturalrestitution aufgrund des Urteils im Vorprozess habe darum auch eine Rückabwicklung dieses Kaufvertrags zur Folge bzw sei einer solchen „nachgebildet“.

Die Beklagte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist im Sinne des Ausspruchs des Berufungsgerichts zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Die Revision ist aber nicht berechtigt.

1. Der erkennende Senat hält die Rechtsausführungen des Berufungsgerichts für zutreffend (§ 510 Abs 3 ZPO), sodass sich die Begründung auf einige ergänzende Anmerkungen beschränken kann.

2. Entgegen den Revisionsausführungen hat die Zug-um-Zug-Abwicklung bei Anlegerschäden keine Sicherungsfunktion. Ihr Zweck ist nicht die Abwicklung von beiderseitigen Leistungspflichten (den geschädigten Anleger trifft keine Herausgabepflicht), sondern die Schadensberechnung durch sogenannte „Naturalrestitution“.

Dabei soll eine ungerechtfertigte Bereicherung des Geschädigten dadurch vermieden werden, dass er Zug um Zug gegen Ersatz der wegen Fehlberatung aufgewendeten Ankaufskosten oder – wie hier – des wegen Fehlberatung entgangenen Verkaufserlöses zur Übertragung des Finanzprodukts verpflichtet wird. Die „Naturalrestitution“ bzw der „Naturalersatz“ ist beim Anlegerschaden somit eine besondere (Berechnungs‑)Form des Geldersatzes (vgl 8 Ob 66/14k).

Die Zug‑um‑Zug-Abwicklung eröffnet auch bei einem der Höhe nach schwankenden Schadensbetrag die Leistungsklage. Mit den Wertpapieren werden das Kursrisiko, aber auch die Chance auf eine Wertsteigerung dem Schädiger überlassen, der dann selbst entscheiden kann, ob und wann er die Zug um Zug übertragenen Wertpapiere zu Geld machen will. Der Geschädigte muss sich dadurch nicht dem Vorwurf aussetzen lassen, Schadenminderungspflichten durch Verkauf zur Unzeit verletzt zu haben, umgekehrt wird ein verpöntes Spekulieren auf Kosten des Schädigers verhindert (6 Ob 28/12d; 8 Ob 66/14k; RIS‑Justiz RS0120784 [T12, T23]).

3. Entgegen den Revisionsausführungen spielt es hier keine Rolle, ob der Beklagte die I*****-Aktien ursprünglich von der Klägerin oder anderswo erworben hatte, weil sich sein Schadenersatzanspruch im Vorprozess nicht auf eine Fehlberatung beim Ankauf, sondern auf das Abraten vom rechtzeitigen Verkauf gründete. Alle Überlegungen der Revisionswerberin über eine im Vorprozess intendierte „Aufhebung des Hauptvertrags“ oder dessen „Rückabwicklung“ gehen ins Leere.

4. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die dem Beklagten zugeteilten B*****‑Aktien, die er in seiner Eigenschaft als damaliger Halter der streitgegenständlichen I*****-Aktien erlangt hat, ein auf den Geldersatzanspruch anrechenbarer Vorteil waren, der über entsprechenden Einwand der im Vorprozess Beklagten entweder Zug um Zug herauszugeben oder mit einem bestimmten Gegenwert vom Klagsbetrag abzuziehen gewesen wäre (vgl 6 Ob 192/14z). Es handelt sich bei diesen zugeteilten Aktien aber nicht um ein „Surrogat“ für die I*****-Aktien, zumal diese weiterhin beim Beklagten vorhanden waren und kein Aktientausch stattgefunden hat.

Der Vorteilsausgleich hat prinzipiell über Einwendung des Schädigers zu erfolgen, den für seine Voraussetzungen die Behauptungslast und Beweislast trifft (RIS‑Justiz RS0036710).

Es wäre somit Sache der nunmehrigen Klägerin gewesen, die Anrechnung des Vorteils der Zuteilung von B*****-Aktien im Vorverfahren geltend zu machen; dass ihr ein solches Vorbringen nicht möglich gewesen wäre, hat sie nicht behauptet. Die erstmals in der Revision aufgestellte Behauptung, der Beklagte habe den Erhalt der B*****‑Aktien im Vorprozess bewusst verschwiegen, verstößt gegen das Neuerungsverbot. Davon abgesehen würde damit auch kein selbstständiger Klagegrund, sondern nur ein (fristgebundener) Wiederaufnahmsgrund iSd § 530 Abs 1 Z 7 ZPO dargetan.

Wenn dem hier Beklagten im Vorprozess wegen der Unterlassung des Einwands der Vorteilsanrechnung im Ergebnis ein zu hoher Schadenersatz zuerkannt wurde, kann dieses Ergebnis nach Rechtskraft der Entscheidung (sieht man von den hier nicht relevanten Anwendungsfällen der §§ 529 ff ZPO ab) genausowenig mehr korrigiert werden wie die Nichtberücksichtigung von Dividendenausschüttungen, Zinsen oder sonstigen anrechenbaren Vorteilen (vgl 6 Ob 192/14z).

5. Für einen eigenständig einklagbaren, vom Ergebnis des Vorverfahrens unabhängigen Anspruch der Klägerin auf Herausgabe der B*****‑Aktien fehlt eine Rechtsgrundlage. Der Beklagte war durch den Erhalt dieser Aktien insbesondere nicht bereichert, hat er sie doch im Zuge der Spaltung rechtmäßig zugeteilt erhalten.

6. Der Revision war daher keine Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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