European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00072.17M.0718.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig der klagenden Partei an Kosten des Verfahrens 209,39 EUR (darin 34,90 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Den Gegenstand des Revisionsverfahrens bildet im Zusammenhang mit der Waisenpension die Frage, bei welcher Höhe der Einkünfte aus unselbständiger Tätigkeit Selbsterhaltungsfähigkeit anzunehmen und welche Rolle ein Anspruch auf Sonderzahlungen spielt.
Die 1995 geborene Klägerin absolviert seit 6. 11. 2015 eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin. Es gilt der Kollektivvertrag für Angestellte bei Fachärzten für Zahn- Mund- und Kieferheilkunde oder Dentisten, nach dessen § 19 den Angestellten in jedem Kalenderjahr Sonderzahlungen im Ausmaß von zwei Monatsgehältern inklusive Gefahrenzulage gebühren, wobei die erste Hälfte bei Antritt des Urlaubs, spätestens am 1. Juli, die 2. Hälfte am 1. Dezember fällig wird. Die Klägerin verdiente im Jahr 2016 850 EUR netto monatlich; dies exklusive Sonderzahlungen, aber inklusive Fahrtkostenvergütung (87 EUR monatlich) sowie Gefahrenzulage (60 EUR monatlich). Inklusive Sonderzahlungen bezog die Klägerin von Jänner bis einschließlich Oktober 2016 ein Nettoeinkommen von 9.607,04 EUR, somit von durchschnittlich 960,70 EUR netto monatlich.
Mit Bescheid vom 17. 8. 2016 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung der Waisenpension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 7. 2016 über das 18. Lebensjahr hinaus ab.
Das Erstgericht wies die dagegen gerichtete Klage ab. Die Selbsterhaltungsfähigkeit sei dann gegeben, wenn durch die zugleich der Ausbildung dienende Erwerbstätigkeit ein Nettobezug in Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes erzielt werde. Ein Einkommen von 960,70 EUR monatlich führe im Hinblick auf den Ausgleichszulagenrichtsatz für das Jahr 2016 in Höhe von 882,78 EUR zur Selbsterhaltungsfähigkeit. Gehe man hingegen von einem Einkommen von 850 EUR netto monatlich (exklusive Sonderzahlungen, aber inklusive Fahrtkostenvergütung und Gefahrenzulage) aus, so sei der Ausgleichszulagenrichtsatz um lediglich 3,5 % unterschritten. Der Klägerin sei zumutbar, ihren Lebensunterhalt auch mit einem knapp unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz liegenden Betrag zu bestreiten.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Ob die monatlich gleichbleibende Fahrtkostenvergütung von 87 EUR echten Aufwandersatz darstelle (der nicht als Einkommen zu berücksichtigen wäre) oder der Fahrtkostenvergütung kein Aufwand gegenüberstehe (in welchem Fall sie als Entgelt anzusehen wäre), sei mangels Festellungen nicht beurteilbar. Diese Frage könne aber dahingestellt bleiben, weil die Sonderzahlungen bei Ermittlung des zu berücksichtigenden monatlichen Nettoeinkommens miteinzubeziehen seien. Wenngleich sich aus dem Gesetzestext keine eindeutige Lösung ergebe, seien die Sonderzahlungen als auf 12 Monate aufzuteilende – real zur Verfügung stehende – Einkünfte anzusehen, die das durchschnittliche monatliche Einkommen entsprechend erhöhen. Bei dieser Berechnungsmethode sei die Klägerin jedenfalls als selbsterhaltungsfähig anzusehen (763 EUR monatlich ohne Fahrtkostenersatz mal 14 dividiert durch 12 = 891,16 EUR, welcher Betrag den Ausgleichszulagenrichtsatz für 2016 von 882,78 EUR überschreite).
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist zur Klarstellung zulässig; sie ist aber nicht berechtigt:
In ihrer Revision stellt die Klägerin folgende Punkte in den Vordergrund:
- Wollte man die Sonderzahlungen berücksichtigen, wäre auch der als Vergleichsgrundlage heranzuziehende Ausgleichszulagenrichtsatz für 2016 in Höhe von 882,78 EUR mal 14 dividiert durch 12 zu berechnen, sodass er sich auf 1.029,91 EUR erhöhe.
- Wollte man aber den Ausgleichszulagenrichtsatz von 882,78 EUR als Vergleichsbasis heranziehen, sei auch beim Einkommen von einem nur 12-monatigen Bezug auszugehen, sodass sich ein monatliches Nettoeinkommen von nur 763 EUR ergebe.
Dazu ist auszuführen:
1.1 Gemäß § 252 Abs 2 Z 1 ASVG besteht die Kindeseigenschaft auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres, wenn und solange das Kind sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Die Kindeseigenschaft wird bei einer Berufsausbildung aber nur dann über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus verlängert, wenn im Rahmen der Ausbildung kein oder nur ein geringes, die Selbsterhaltungsfähigkeit nicht sicherndes Entgelt bezogen wird (RIS‑Justiz RS0085125; Sonntag in ASVG 8 § 252 Rz 20).
1.2 Im Revisionsverfahren wendet sich die Klägerin nicht mehr dagegen, dass die von ihr ausgeübte Tätigkeit eine der Ausbildung dienende Erwerbstätigkeit darstellt und das daraus bezogene Erwerbseinkommen die Selbsterhaltungsfähigkeit ebenso sichern kann wie jedes andere Erwerbseinkommen aus einer nicht als Ausbildungsverhältnis deklarierten Berufstätigkeit (RIS‑Justiz RS0085149).
2. Vom Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit ist dann auszugehen, wenn das Kind zur eigenen angemessenen Bedürfnisdeckung außerhalb des elterlichen Haushalts fähig ist. Nach ständiger Rechtsprechung ist zur Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit auf den Ausgleichszulagenrichtsatz als Entscheidungshilfe abzustellen (10 ObS 19/90, SSV‑NF 4/39, mwN). Dieser legt für den Bereich der Sozialversicherung eine Art Existenzminimum fest und wird mangels einer gesetzlichen Definition der Bedürftigkeit als Entscheidungshilfe für die Feststellung der Bedürftigkeit herangezogen (RIS‑Justiz RS0084847). Nur wenn das monatliche Einkommen den Ausgleichszulagenrichtsatz nicht erreicht, soll die Waisenpension über das 18. Lebensjahr hinaus bezogen werden können (vgl 10 ObS 19/90, SSV‑NF 4/39 ua).
3.1 Unabhängig von der Auszahlung der Ausgleichszulage 14mal pro Jahr (§ 105 Abs 3 ASVG) handelt es sich beim Ausgleichszulagenrichtsatz um einen jeweils auf den Monat bezogenen Betrag (RIS‑Justiz RS0084844 [T1]; Pfeil in SV‑Komm [38. Lfg] § 293 Rz 2).
3.2 Damit steht die Vorgangsweise der Vorinstanzen in Einklang, das von der Klägerin ab 1. 7. 2016 erzielte Einkommen dem für das Jahr 2016 geltenden Ausgleichszulagenrichtsatz von 882,78 EUR gegenüberzustellen. Für die Ansicht der Revisionswerberin, der Ausgleichszulagenrichtsatz sei mit 14 zu multiplizieren und dann auf 12 Monate umzurechnen, sodass sich die „Vergleichsbasis“ für die Selbsterhaltungsfähigkeit auf 1.029,91 EUR (882,78 EUR mal 14 dividiert durch 12) monatlich erhöhe, fehlt aufgrund der Monatsbezogenheit des Richtsatzes eine gesetzliche Grundlage. Der Umstand, dass eine Ausgleichszulage 14mal pro Jahr ausgezahlt wird, hat auf die Höhe des Richtsatzes als Vergleichswert keinen Einfluss.
4. Zur Berechnung des zu berücksichtigenden Einkommens:
4.1 Ist der Ausgleichszulagenrichtsatz monatsbezogen und soll er als Vergleichsbasis zur Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit dienen, sind Feststellungen über die Höhe der Einkünfte des Kindes für jeden Monat erforderlich. Im Revisionsverfahren nicht mehr strittig ist, dass das monatliche Nettoeinkommen (und nicht das Bruttoeinkommen) dem Ausgleichszulagenrichtsatz gegenüberzustellen ist (10 ObS 195/90). Dahinter steht der Gedanke, dass es auf die dem Kind zur Existenzsicherung real zur Verfügung stehenden Einkünfte ankommt, also auf das um die gesetzlichen Abzüge verringerte (Netto‑)Einkommen.
4.2 Da auch die Ausgleichszulage dem Pensionsberechtigten ein Mindesteinkommen sichern soll, wird bei Ermittlung des Nettoeinkommens aus unselbständiger Tätigkeit für Zwecke der Ausgleichszulage bei infolge Sonderzahlungen ungleich hohen Monatseinkünften auf das auf einen Monatsdurchschnitt umzulegende Jahreseinkommen abgestellt (10 ObS 130/03w, SSV-NF 17/64 = RIS‑Justiz RS0085274 [T5]). Auch bei Einkünften aus selbständiger Tätigkeit ist der Monatsdurchschnitt der vom Versicherten erzielten Jahreseinkünfte maßgeblich (RIS‑Justiz RS0085274 [T6]).
4.3 Diese Überlegungen zum Ausgleichszulagenrecht sind auf die Berechnung des Erwerbseinkommens zur Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit im Zusammenhang mit der Waisenpension übertragbar. Auch die Sonderzahlungen bilden ein Einkommen, das das real zur Verfügung stehende durchschnittliche monatliche Einkommen entsprechend erhöht, etwa dann, wenn die Sonderzahlung für das Vierteljahr gebührt und sich auf den gesamten Zeitraum erstreckt (10 ObS 79/94, SSV‑NF 8/47 zum Ausbildungsbeitrag einer Unterrichtspraktikantin). Es wäre eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Personen mit und Personen ohne Anspruch auf Sonderzahlungen gegeben, wenn nicht bei Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit das monatliche Einkommen in der Form errechnet wird, dass das Jahreseinkommen durch 12 dividiert wird. Der Berücksichtigung von Sonderzahlungen als Einkommen stehen die vom Berufungsgericht als Grund für die Zulassung der Revision genannten Entscheidungen 10 ObS 195/90 und 10 ObS 19/90, SSV-NF 4/39 nicht entgegen, weil in beiden Entscheidungen diese Frage nicht thematisiert war.
Die Revision ist daher nicht berechtigt.
Unter Bedachtnahme auf die Einkommenssituation der im Verfahren unterlegenen Klägerin entspricht es der Billigkeit, ihr die Hälfte der Kosten ihrer Rechtsvertretung zuzusprechen (RIS‑Justiz RS0085871).
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