OGH 10ObS195/90

OGH10ObS195/9026.6.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Franz Köck und Dr.Wolfgang Dorner (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gerald M***, Lehrling, 9241 Wernberg, Kaltschach 131, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei S*** DER G***

W***, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr.Michael Graff, Rechtsanwalt in Wien, wegen Weitergewährung der Waisenpension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 31.Jänner 1990, GZ 8 Rs 153/89-8, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 13. September 1989, GZ 32 Cgs 166/89-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die Waisenpension im gesetzlichen Ausmaß über das 18. Lebensjahr hinaus weiter zu gewähren.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, die Waisenpension bis zur Beendigung des Lehrverhältnisses des Klägers zu gewähren, wird abgewiesen."

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 26.5.1971 geborene Kläger bezog im Jahr 1989 im

3. Lehrjahr eine Lehrlingsentschädigung von 5.547 S brutto im Monat, was einen Nettobezug von 4.755,63 S monatlich ergab. Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger über das 18. Lebensjahr hinaus bis zur Beendigung seiner Lehre die Waisenpension im gesetzlichen Ausmaß zu leisten, das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei gegen das Ersturteil gerichteten Berufung nicht Folge. Beide Vorinstanzen waren der Meinung, daß die Kindeseigenschaft beim Kläger gemäß § 128 Abs 2 Z 1 GSVG fortbestehe, weil er sich noch in einer Berufsausbildung befinde und er noch kein die Selbsterhaltungsfähigkeit sicherndes Einkommen beziehe. Hiefür sei nämlich maßgebend, ob die Nettolehrlingsentschädigung den Ausgleichszulagenrichtsatz für einen alleinstehenden Pensionisten (hier in der Höhe von 5.134 S) übersteige, was beim Kläger nicht zutreffe.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinn der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern oder es allenfalls aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erst- oder Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise berechtigt.

Wie der Oberste Gerichtshof in der schon von den Vorinstanzen zitierten Entscheidung 10 Ob S 18/88 (SSV-NF 2/35 = ZAS 1989, 63 mit Besprechung von Binder) dargelegt hat, besteht die Kindeseigenschaft während einer Berufsausbildung dann im Sinn des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG (entsprechend dem § 128 Abs 2 Z 1 GSVG) über das 18. Lebensjahr hinaus weiter, wenn im Rahmen der Ausbildung kein oder nur ein geringes, die Selbsterhaltungsfähigkeit nicht sicherndes Entgelt bezogen wird. Er nahm in dieser Entscheidung ein solches Einkommen an, weil es den Ausgleichszulagenrichtsatz gemäß § 293 ASVG überstieg. In der Entscheidung vom 13.3.1990, 10 Ob S 19/90, erklärte der Oberste Gerichtshof diese Grundsätze ausdrücklich für die Lehrlingsentschädigung anwendbar und führte aus, es sei sachgerecht, die Selbsterhaltungsfähigkeit eines Lehrlings bei einem Bezug in der Höhe des Mindestpensionssatzes nach § 293 Abs 1 lit a sublit bb ASVG (§ 150 Abs 1 lit a sublit bb GSVG) anzunehmen. Er kam sodann zu dem Ergebnis, daß bei einer nach Vollendung des 18. Lebensjahres bezogenen Nettolehrlingsentschädigung von 4.602,10 S monatlich davon auszugehen sei, daß das Einkommen, das deutlich unter dem Richtsatz des § 150 Abs 1 lit a sublit bb GSVG (entsprechend § 293 Abs 1 lit a sublit bb ASVG) in der Höhe von 5.134 S liege, zur Bestreitung der Lebenshaltungskosten nicht ausreiche.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen entsprechen bei einem im wesentlichen gleichartigen Sachverhalt somit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Die beklagte Partei vertritt in der Revision selbst die Ansicht, daß die Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes nach der Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes für einen nicht mit einem Ehegatten im gemeinsamen Haushalt lebenden Pensionsberechtigten zu beurteilen sei, meint aber, daß es auf den Bruttobezug des Kindes ankomme. Dem ist entgegenzuhalten, daß bei der Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit grundsätzlich nur jenes Einkommen berücksichtigt werden kann, das dem Kind tatsächlich zur Verfügung steht, also eben das um die gesetzlichen Abzüge verringerte und somit das Nettoeinkommen. Es ist zwar richtig, daß gemäß § 29 Abs 2 GSVG (entsprechend gemäß § 73 Abs 5 ASVG) mit Ausnahme der Waisenpension von der Pension einschließlich der Ausgleichszulage 3 % als Beitrag in der Krankenversicherung einzubehalten sind, wenn sich der Pensionist ständig im Inland oder in einem Staat aufhält, mit dem ein zwischenstaatliches Übereinkommen über die Krankenversicherung des Pensionisten besteht. Daraus kann auch abgeleitet werden, daß es der Gesetzgeber dem Pensionisten zumutet, seinen Lebensunterhalt mit einer um 3 % unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz liegenden Pension zu bestreiten. Diese Überlegung führt aber entgegen der Ansicht der beklagten Partei noch nicht dazu, daß für die Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes dessen Bruttoeinkommen heranzuziehen ist, zumal der Lehrling von der Lehrlingsentschädigung gemäß § 51 ASVG nicht nur den - etwas über 3 % liegenden - Beitrag in der Krankenversicherung, sondern auch den Beitrag in der Pensionsversicherung zu entrichten hat. Es wäre nicht gerechtfertigt, vom Bruttobetrag der Lehrlingsentschädigung auszugehen, weil dieser dem Lehrling nicht zur Bestreitung der Lebenshaltungskosten zur Verfügung steht.

In Betracht käme entsprechend der Ansicht der beklagten Partei nur, von einem um 3 % verminderten Ausgleichszulagenrichtsatz auszugehen. Ob dies vor allem unter dem Gesichtspunkt, daß der Bedarf einer in Ausbildung stehenden Person höher als der eines Pensionisten sein könnte, zu billigen ist, kann dahingestellt bleiben.

Der Kläger wäre nämlich auch dann noch nicht selbsterhaltungsfähig, weil sein Nettoeinkommen den in diesem Fall maßgebenden Betrag von 4.979,48 S nicht erreicht. Das Einkommen des Klägers schließt daher die Annahme, daß er sich in einer Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, und die Kindeseigenschaft daher gemäß § 128 Abs 2 Z 1 GSVG fortdauert, nicht aus.

Die beklagte Partei macht aber mit Recht geltend, daß ihr das Erstgericht unzutreffend die Verpflichtung zur Bezahlung der Waisenpension bis zur Beendigung des Lehrverhältnisses des Klägers auferlegte, weil für den Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit und damit für das Ende der Kindeseigenschaft in erster Linie die Höhe seines Einkommens maßgebend ist. Mag es nach dem Akteninhalt auch nicht wahrscheinlich sein, daß sich dieses bis zur Beendigung des Lehrverhältnisses wesentlich ändert, so ist dies auch nicht auszuschließen, weshalb die beklagte Partei in diesem Punkt nicht gebunden werden darf. Das Klagebegehren war daher abzuweisen, soweit damit die Zahlung der Waisenpension bis zum Ende des Lehrverhältnisses begehrt wird. Sollten die Voraussetzungen für die Gewährung der Waisenpension wegfallen, ist es Sache der beklagten Partei, sie gemäß § 67 Abs 1 GSVG zu entziehen.

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