OGH 12Os48/17a

OGH12Os48/17a13.7.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Juli 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Limberger, LL.M., als Schriftführer in der Strafsache gegen Leonie H***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 und Abs 5 Z 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten Leonie H***** sowie über die Berufungen der Angeklagten Nadina I***** und Maria P***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 15. Februar 2017, GZ 163 Hv 96/16g‑137, und über die Beschwerden der Angeklagten Leonie H*****, Nadina I***** und Maria P***** gegen den unter einem gefassten Beschluss gemäß §§ 50, 51 und 52 StGB nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0120OS00048.17A.0713.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und über die Beschwerden werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Der Angeklagten Leonie H***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch rechtskräftige Schuld‑ und Freisprüche sowie einen – zu Unrecht in das Urteil aufgenommenen (vgl

Schroll in WK² StGB § 50 Rz 16; Danek, WK-StPO § 270 Rz 50) – Beschluss auf Anordnung von Bewährungshilfe und Erteilung von Weisungen enthaltenden Urteil wurde Leonie H***** des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 und Abs 5 Z 2 StGB (I./A./), der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (I./B./, IV./A./2./), des Vergehens der Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1 StGB (IV./A./1./) und des Vergehens des Diebstahls nach §§ 15 Abs 1, 127 StGB (V./) schuldig erkannt.

Danach hat sie

I./ im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäterin

A./ am 9. November 2016 in W***** mit Abubakar D*****, Nadina I*****, Maria P***** und Amirchan M***** gemeinsam mit der unmündigen Helen B***** Patrycja Do***** vorsätzlich am Körper verletzt und dadurch, eine schwere Körperverletzung der Genannten herbeigeführt, indem sie diese umringten und ihr abwechselnd mehrere Ohrfeigen und Faustschläge gegen das Gesicht versetzten, wodurch diese eine Schädelprellung, Prellungen und Blutunterlaufungen beider Gesichtshälften, Schleimhautverletzungen der Mundschleimhaut und einen zweifachen Bruch des Unterkiefers mit einem zwischen viertem und fünftem Zahn gelegenen Bruchspalt des rechten Unterkieferkörpers sowie einem hinter dem linken Kieferwinkel Bruchspalt im aufsteigenden Anteil des linken Unterkieferhalses, somit eine an sich schwere Körperverletzung, erlitt, und die Tat mit mindestens zwei Personen in verabredeter Verbindung begangen, indem sie zuvor vereinbarten, Patrycja Do***** abwechselnd zu schlagen;

B./ am 10. November 2016 in W***** mit Amirchan M*****, Abubakar D***** und Maria P***** gemeinsam mit der unmündigen Helen B***** Marina Ho***** dadurch vorsätzlich am Körper verletzt, dass sie die Genannte umringten, Amirchan M***** sie an den Händen erfasste, festhielt, Leonie H***** ihr einen gezielten Fußtritt sowie mehrere Ohrfeigen gegen das Gesicht versetzte, woraufhin ihr auch Maria P***** und Abubakar D***** Ohrfeigen versetzten und Abubakar D***** ihr in den Bauch trat, wodurch diese Rötungen und Hämatome im Gesicht und über die bloße körperliche Einwirkung hinausgehende Schmerzen erlitt;

IV./A./ am 3. November 2016 in T***** Tamara Br*****

1./ durch die ihr gegenüber getätigte Äußerung, dass sie sie umbringen werde, wenn sie ihr ihre Sachen nicht zurückgebe, somit durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zu einer Handlung zu nötigen versucht;

2./ im Anschluss an die zu IV./A./1./ geschilderte Tathandlung durch Reißen an den Haaren und Versetzen von Fußtritten gegen den Kopf am Körper verletzt, wodurch die Genannte über die bloße körperliche Einwirkung hinausgehende Schmerzen erlitt;

V./ am 29. Dezember 2016 in W***** Verfügungsberechtigten des Unternehmens Mü***** fremde bewegliche Sachen, nämlich ein Kosmetikprodukt und einen Ring im Wert von 13,94 Euro, mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen, indem sie die genannten Wertgegenstände in ihre Jackentasche steckte und ohne zu bezahlen das Geschäftslokal verließ, wobei es beim Versuch blieb, weil sie von einem Ladendetektiv beobachtet und angehalten (vgl US 20) wurde.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die von Leonie H***** aus § 281 Abs 1 Z 5, Z 9 lit b und Z 10 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt.

Dem zu I./B./ von der Mängelrüge (Z 5, dSn Z 9 lit a) behaupteten Fehlen von Feststellungen zu den von Marina Ho***** erlittenen Verletzungen zuwider sind die Tatrichter mit hinreichender Deutlichkeit (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 19) davon ausgegangen, dass die Genannte am Körper verletzt wurde (US 23 f). Darüber hinaus haben sie deren konkreten Umfang zulässig im Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO verdeutlicht (RIS‑Justiz RS0116587; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 584). Die vermisste Begründung (Z 5 vierter Fall) des Umfangs der eingetretenen Verletzungsfolgen findet sich auf US 23 f).

Weshalb der zu IV./A./1./ angenommene Tatbestand der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB die Absicht voraussetzen sollte, das Opfer in Furcht und Unruhe zu versetzen, leitet die weitere Mängelrüge (dSn neuerlich Z 9 lit a) nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS‑Justiz RS0116565; zum erforderlichen Vorsatz vgl RIS‑Justiz RS0093760).

Hinweise für das Vorliegen verzögerter Reife (§ 4 Abs 2 Z 1 JGG) ortet sie Rechtsrüge (Z 9 lit b, im Ergebnis Z 5a als Aufklärungsrüge) in den Leonie H***** vom Schöffengericht konzedierten schwierigen familiären Verhältnissen sowie ihren derzeitigen tristen Lebensumständen; dazu vermisst die Beschwerde eine amtswegige Überprüfung dieses Strafausschließungsgrundes (RIS‑Justiz RS0086927) durch Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens aus dem Fach der Jugend‑ und Kinderpsychiatrie. Sie macht jedoch nicht deutlich, wodurch die anwaltlich vertretene Angeklagte an der Ausübung ihres Rechts, die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung sachgerecht zu beantragen, gehindert war (RIS‑Justiz RS0115823, RS0114036; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 480).

Die mangelnden Vorsatz auf eine schwere Verletzungsfolge bei Patrycja Do*****, vielmehr einen „Gewaltexzess“ des Mitangeklagten Amirchan M***** behauptende Subsumtionsrüge (Z 10) übergeht das vom Erstgericht angenommene bewusste und gewollte Zusammenwirken als Mittäter (vgl US 4, 15) und den bei allen zu I./A./ Beteiligten konstatierten bedingten Vorsatz, das Opfer durch die Schläge in das Gesicht am Körper schwer zu verletzen (US 16). Damit verfehlt sie den vom Gesetz geforderten, im Urteilssachverhalt

gelegenen Bezugspunkt materiell-rechtlicher Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0099810).

Im Übrigen lässt § 84 Abs 4 StGB für den Erfolgseintritt auch bloß fahrlässiges Handeln genügen (Kienapfel/Schroll StudB BT4 § 84 Rz 46).

Angemerkt sei, dass das Erstgericht ersichtlich aufgrund der bei Patrycja Do***** eingetretenen, über das Normalmaß hinausgehenden schweren Verletzungsfolgen (US 5, 16) diesen Umstand als erschwerend gewertet hat (US 31). Dies verstößt ebenso wenig gegen das Doppelverwertungsverbot (vgl RIS‑Justiz RS0090977, RS0089415) wie das trotz Annahme der Qualifikation des § 84 Abs 5 Z 2 StGB als aggravierend in Anschlag gebrachte „brutale und zumindest in Grundzügen geplante Vorgehen der Erst‑ bis Fünftangeklagten“ (US 31), weil für die Verwirklichung der genannten Qualifikation die Fassung des gemeinsamen Tatentschlusses spätestens zu Beginn der Tatausführung ausreicht ( Kienapfel/Schroll StudB BT 4 § 84 Rz 64), § 32 Abs 3 StGB aber die Berücksichtigung sorgfältiger und rücksichtsloser Tatausführung vorsieht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die (implizierten) Beschwerden folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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