OGH 7Ob112/17x

OGH7Ob112/17x5.7.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache des Bewohners R***** A*****, geboren am *****, vertreten durch das Vertretungsnetz‑Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung (Bewohnervertreterin Mag. E***** Z*****), 4600 Wels, Rennbahnstraße 15/2, vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, Sachwalter B***** A*****, Einrichtungsleiter J***** R*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vereins gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 3. Mai 2017, GZ 21 R 107/17k‑22, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00112.17X.0705.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 3 Abs 1 HeimAufG liegt eine Freiheitsbeschränkung im Sinne dieses Bundesgesetzes vor, wenn eine Ortsveränderung einer betreuten oder gepflegten Person gegen oder ohne ihren Willen mit physischen Mitteln, insbesondere durch mechanische, elektronische oder medikamentöse Maßnahmen oder durch deren Androhung unterbunden wird. In diesem Sinn ist eine Freiheitsbeschränkung zu bejahen, wenn es einer Person durch den Einsatz physischer Mittel (hier: Hindern am Verlassen des Bettes mittels Vierpunkt-Fixierung) unmöglich gemacht wird, ihren Aufenthalt nach ihrem freien Willen zu verändern.

Eine Freiheitsbeschränkung liegt aber letztlich nur dann vor, wenn der Betroffene gegen oder ohne seinen Willen beschränkt wird, wenn ihm also während des Aufenthalts in der Einrichtung entweder gegen seinen (ausdrücklich oder konkludent erklärten) Willen oder ohne seinen Willen, wenn er etwa zu einer Willensabgabe nicht (mehr) fähig ist, die Bewegungsfreiheit entzogen wird. Die Einwilligung durch die betreute oder gepflegte Person selbst schließt einen Grundrechtseingriff aus. Damit die Einwilligung rechtserheblich ist, muss sie ernstlich sowie frei von Zwang und Irrtum erteilt werden, auch muss der Bewohner die Fähigkeit zum freien Willensentschluss haben. Die betreute oder gepflegte Person muss geistig in der Lage sein, die Situation an sich und die Tragweite ihres Einverständnisses zu erfassen (7 Ob 226/06w unter Verweis auf die ErläutRV [353 BlgNR 22. GP  8 ff], vgl auch 7 Ob 205/12s).

Hier ist zu prüfen, ob der Bewohner wirksam den Freiheitsbeschränkungen zugestimmt hat.

2. Der Bewohner weist eine ausgeprägte Tendenz zu auto‑ und fremdaggressivem Verhalten auf. Wenn er sich tagsüber ins Bett legt, fixiert er selbständig seine Hände und Füße mittels Gurten, um Selbstverletzungen zu verhindern. Diese Art der Fixierung kann er mit Hilfe eines Magneten jederzeit wieder lösen. Durch diese Art der Fixierung wird dem Bewohner eine Ortsveränderung nicht unmöglich gemacht, sodass aus diesem Grund bereits die Verneinung des Vorliegens einer Freiheitsbeschränkung durch die Vorinstanzen nicht zu beanstanden ist.

3. Während der Nachtruhe erfolgt die Fixierung– ebenfalls um Selbstverletzungen des Bewohners zu verhindern – auf die Weise, dass er selbst Füße und eine Hand angurtet. Die zweite Hand wird entsprechend dem Wunsch des Bewohners von einem Betreuer fixiert. Aus dieser Fixierung kann sich der Bewohner nicht selbständig befreien. Der– ständig videoüberwachte – Bewohner kann jederzeit über Video kommunizieren, wenn er eine Änderung der Position wünscht oder aufstehen möchte. Dem wird unverzüglich nachgekommen. Der Bewohner ist in der Lage, die Tragweite seiner Entscheidung zur Vierpunkt-Fixierung (Einschränkung der Bewegungsfreiheit, jederzeitige Möglichkeit, die Einschränkung wieder aufheben zu lassen, Zweck der Hintanhaltung von Selbstverletzungen) zu erfassen.

Vor dem Hintergrund dieser Feststellungen ist die Beurteilung der Vorinstanzen, es liege eine wirksame Einwilligung des Bewohners zu den konkreten Einschränkungen vor und damit bestehe keine Freiheitsbeschränkung iSd § 3 Abs 1 HeimAufG, nicht zu beanstanden.

3.2 Die Bewohnervertreterin argumentiert, dass der Bewohner jedoch nicht in der Lage sei, eine Abwägung von medizinischen Alternativvarianten vorzunehmen, weshalb ihm insgesamt die Einsichts‑ und Urteilsfähigkeit fehle. Die von ihr aufgeworfene Rechtsfrage nach den Anforderungen an das Vorliegen der Einsichts‑ und Urteilsfähigkeit, stellt sich hier nicht. Im vorliegenden Fall gibt es keine der konkret vorgenommenen Fixierung auch nur annähernd gleichwertigen pflegerischen Alternativen. Das bloß theoretische Fehlen der Fähigkeit, nicht vorhandene Alternativen abzuwägen, vermag die ausdrücklich festgestellte Einsichts‑ und Urteilsfähigkeit des Bewohners in die Tragweite der allein möglichen Einschränkung zur Verhinderung der Selbstschädigungen nicht zu beseitigen.

4. Dass der Bewohner die Fixierung ausschließlich aus Gewohnheit verlangt, steht nicht fest. Die Dauer der Fixierung während der Nachtruhe, die – wie ausgeführt – über jederzeitigen Wunsch des Bewohners unverzüglich aufgehoben wird, resultiert aus dessen individuellem Ruhebedürfnis.

5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Stichworte