OGH 7Ob226/06w

OGH7Ob226/06w23.10.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache der Bewohnerin Ingrid T*****, vertreten durch die Bewohnervertreterin Maga Rosalinde P*****, Verein für Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft & Bewohnervertretung, *****, diese vertreten durch Dr. Georg Schwab, Rechtsanwalt in Wels, über den Revisionsrekurs der Bewohnervertreterin gegen den Beschluss des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Rekursgericht vom 9. Mai 2006, GZ 6 R 129/06x-12, womit infolge Rekurses des der Einrichtungsleiterin Gabriele W*****, pA Verein Spektrum Psyche, *****, vertreten durch Dr. Erich Kaltenbrunner, Rechtsanwalt in Linz, der Beschluss des Bezirksgerichtes Schärding vom 2. März 2006, GZ 1 HA 21/06s-6, abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Die betroffene, am 7. April 1959 geborene Bewohnerin leidet an einem chronischen Residualzustand bei Schizophrenie, der eine psychische Erkrankung darstellt. Zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten ist seit März 1994 ein Sachwalter bestellt. Seit August 1999 ist sie beim Verein Spektrum Psyche im „Haus Z*****" untergebracht, in dem sich auch noch acht weitere an einer geistigen Behinderung oder psychischen Erkrankung leidende Personen aufhalten, die durch einen permanent anwesenden Behindertenbetreuer gepflegt werden. Die Leiterin der Einrichtung hat an den Bewohnern vorgenommene freiheitsbeschränkende Maßnahmen weder dokumentiert noch der Bewohnervertretung gemeldet.

Die Eingangstür im „Haus Z*****" ist meistens [auch tagsüber] versperrt. Wenn ein Bewohner das Haus verlassen möchte, hat er die dort anwesende Betreuerin aufzusuchen, die ihm die Tür aufsperrt und ihn befragt, wo er hingeht und wie lange er voraussichtlich ausbleiben wird. Beim Zurückkehren in die Einrichtung hat der Bewohner dann anzuläuten, um wieder in das Haus zu gelangen. Im ersten Stock des in Hanglage errichteten Hauses (über den darunter liegenden Garagen) befindet sich ein Balkon, der durch eine unversperrte Balkontür erreichbar ist. Von dieser Terrasse aus kann man durch ein unversperrtes Gartentor und über eine Wiese zur öffentlichen Straße gelangen. Die Einrichtungsleiterin hat die betroffene Bewohnerin jedoch „gebeten" [gemeint: gewarnt], nicht allein das Haus zu verlassen, weil sie nicht in der Lage sei, den Verkehr einzuschätzen und daher „das Gefährdungspotential bezüglich eines Verkehrsunfalles" aufgrund der nahen Bundesstraße zu hoch sei. Die Bewohnerin würde gern öfters nach S***** zum Einkaufen gehen. Sie geht jedoch deshalb nicht hinaus, weil ihr dies [wie sie meint] von der Einrichtungsleiterin „untersagt" worden sei. Die Betroffene weiß, dass die Haustür tagsüber größtenteils verschlossen ist; sie weiß aber auch, dass sie jederzeit über die unversperrte Terrasse hinausgehen könnte. Hinsichtlich der Notwendigkeit der freiheitsbeschränkenden Maßnahme „Schließung der Tür und Verbot, alleine fortzugehen," liegt bei der Bewohnerin keine Urteils- und Einsichtsfähigkeit vor. Da sie in ihrer kindlichen Anhänglichkeit autoritätsorientiert ist, reicht ihr die genannte Warnung der Einrichtungsleiterin, um das Haus nicht zu verlassen. Diese Warnung wird von der Bewohnerin subjektiv als Verbot aufgefasst. Tatsächlich liegt das „Haus Z*****" in unmittelbarer Nähe einer Bundesstraße, die die Städte S***** und P***** verbindet; „bei einem Ausgehtraining" (gemeint: falls ein solches als - aus fachlicher Sicht - geeignetere Maßnahme durchgeführt werden sollte [Sachverständigengutachten]) sind die Erfolgsaussichten für die Bewohnerin aus psychiatrischer Sicht aber als gut anzusehen. Auf Antrag der Bewohnervertreterin erklärte das Erstgericht die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen bezüglich der Bewohnerin, nämlich

1. des Hinderns am Verlassen des Hauses durch Versperren der Haustür und

2. des Hinderns am Verlassen des Hauses durch „Aussprache eines Verbots"

für unzulässig und sprach aus, dass [dem Rekurs der Leiterin der Einrichtung] hinsichtlich Punkt 1. keine, hinsichtlich Punkt 2. hingegen aufschiebende Wirkung zuerkannt werde. Die freiheitsbeschränkende Maßnahme durch Versperren der Haustür im wiederholten Falle und die fehlenden formellen Voraussetzungen der Dokumentation und Verständigung führten in jedem Fall zur Unzulässigerklärung dieser Maßnahme schon aus formellen Gründen. Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung im antragsabweisenden Sinne ab und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Das Erstgericht habe festgestellt, dass die Eingangstür im „Haus Z*****" meistens zugesperrt sei, gleichzeitig aber auch eine alternative Möglichkeit zum Verlassen des Hauses aufgezeigt. Damit stehe fest, dass die Bewohner des Hauses nicht nur über die Haustür, sondern auch über eine frei zugängliche und unversperrte Balkontür - wenn auch in einem anderen Stockwerk - ungehindert das Haus verlassen könnten. Dem Beschluss des Erstgerichtes sei auch nicht zu entnehmen, dass der Bewohnerin ausdrücklich untersagt worden wäre, das Haus auf diesem Weg zu verlassen. Genauso wenig stehe fest, dass sie das Haus durch die Balkontür deshalb nicht verlasse, weil sie damit rechnen müsste, am Verlassen auf diese Weise gehindert oder zurückgeholt zu werden. Außerdem übersehe das Erstgericht, dass nur ein tatsächlich ausgesprochenes Verbot eine unzulässige Freiheitsbeschränkung begründe, nicht aber das bloße Überreden und die Aufklärung der Bewohnerin über negative gesundheitliche Auswirkungen bei Unterbleiben der freiheitsentziehenden Maßnahme, selbst wenn sich die Bewohnerin letztlich den erteilten Ratschlägen füge. Entscheidend sei, dass in solchen Fällen die Bewohnerin ungehindert von äußerem Zwang ihren Aufenthaltsort nach „freiem Willen" verlassen könnte. Weder das Versperren eines Ausganges im Sinne einer „negativen Konfirnierung" noch das Erteilen von Ratschlägen, auch wenn sich die Bewohnerin tatsächlich daran halte, sei als Freiheitsbeschränkung im Sinne des HeimAufG zu qualifizieren. Der angefochtene Beschluss sei daher im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Überprüfungsantrages abzuändern.

Da zu den vom Rekursgericht behandelten Rechtsfragen (Rechtschutzinteresse des Einrichtungsleiters, Anwendbarkeit des HeimAufG auf derartige Einrichtungen, Beurteilung einer Haustürsperre und der Einhaltung von Warnungen und Ratschlägen als Freiheitsbeschränkungen) noch keine - veröffentlichte - höchstgerichtliche Judikatur vorliege, diese Fragen aber in ihrer Bedeutung über den konkreten Anlassfall hinausgingen, sei eine Anrufung des Obersten Gerichtshofes nach § 62 Abs 1 AußStrG gerechtfertigt.

In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs macht die Bewohnervertreterin unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt, die Entscheidung des Rekursgerichts dahin abzuändern, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt werde. Der Revisionsrekurs ist zulässig (weil einschlägige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage einer Freiheitsbeschränkung im Sinne des HeimAufG durch Versperren der Eingangstür und durch Ausspruch eines Verbots, die Einrichtung auf anderem Weg zu verlassen, fehlt) und im Sinne der - in der begehrten Abänderung enthaltenen - Aufhebung auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Vorweg ist zu bemerken, dass der von der Bewohnervertreterin erhobene Revisionsrekurs - wie der erkennende Senat bereits ausgesprochen hat - ein einseitiges Rechtsmittel ist. Nach § 16 Abs 3 HeimAufG ist die Zweiseitigkeit des Rekurses und des Revisionsrekurses nämlich lediglich für den Fall vorgesehen, dass der Beschluss, mit dem die Freiheitsbeschränkung für unzulässig erklärt wird, vom Leiter der Einrichtung bekämpft wird. Auch ihm - in einem Fall wie dem vorliegenden - ein Rechtsmittelbeantwortungsrecht und damit ein weiteres „Recht auf Gehör" einzuräumen, ist nicht geboten, weil das Verfahren zur Überprüfung von Freiheitsentziehungen nicht dem Art 6 EMRK unterliegt (Barth/Engel, Heimrecht, § 16 HeimAufG Anm 11 mwN; Laimer/Russegger/Thiele, HVerG und HeimAufG, 38). Eine Differenzierung je nachdem, ob die Zulässigerklärung einer Freiheitsbeschränkung oder - wie hier - die Abweisung eines Überprüfungsantrages mit Rekurs bekämpft wurde, kommt ebenfalls nicht in Betracht, weil beide Formulierungen sinngemäß dasselbe, nämlich die Zulässigkeit der getroffenen Maßnahme, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, bedeuten (vgl 7 Ob 144/06m). In beiden Fällen ist dem Leiter der Einrichtung also keine Befugnis zur Rekursbeantwortung eingeräumt (zu allem: 7 Ob 186/06p) Außerdem ist festzuhalten, dass sich die Revisionsrekurswerberin - zu Recht - nicht mehr darauf beruft, der Heimleiterin habe das Rechtsschutzinteresse (die Beschwer) zur Bekämpfung des Beschlusses erster Instanz gefehlt (vgl Barth/Engel, Heimrecht; § 16 HeimAufG Anm 8 mwN; Zierl, Heimrecht, 165 f; Klaushofer, HeimAufG: Ein erster Überblick, ZfV 2004/1229, 590 [605] FN 163 ff; Barth, Spezielle Fragen zum Gerichtsverfahren nach HeimAufG, RZ 2006, 2 [9] mit Hinweis auf das Antragsrecht des Einrichtungsleiters nach § 11 Abs 1 HeimAufG).

Zu überprüfen bleibt also die im Revisionsrekurs allein bekämpfte Ansicht des Rekursgerichtes, dass in den inkriminierten Maßnahmen eine Freiheitsbeschränkung im Sinne des HeimAufG nicht zu erblicken sei.

Dazu wurde Folgendes erwogen:

Nach § 3 Abs 1 HeimAufG liegt eine Freiheitsbeschränkung im Sinne dieses Bundesgesetzes vor, wenn eine Ortsveränderung einer betreuten oder gepflegten Person (im Folgenden: Bewohner) gegen oder ohne ihren Willen mit physischen Mitteln, insbesondere durch mechanische, elektronische oder medikamentöse Maßnahmen, oder durch deren Androhung unterbunden wird. § 4 leg cit normiert, dass eine Freiheitsbeschränkung nur vorgenommen werden darf, wenn

1. der Bewohner psychisch krank oder geistig behindert ist und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben und die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet,

2. sie zur Abwehr dieser Gefahr unerlässlich und geeignet sowie in ihrer Dauer und Intensität im Verhältnis zur Gefahr angemessen ist sowie

3. diese Gefahr nicht durch andere Maßnahmen, insbesondere schonendere Betreuungs- oder Pflegemaßnahmen, abgewendet werden kann. Nach den ErläutRV (353 BlgNR 22. GP 8 ff) umschreibt § 3 HeimAufG den für die Anwendung des Gesetzes zentralen Begriff der Freiheitsbeschränkung:

„Nicht jede Beschränkung der Bewegungsfreiheit stellt einen Freiheitsentzug im verfassungsrechtlichen Sinn dar. Nur eine qualifizierte Beschränkung, nämlich der 'Entzug' der persönlichen Freiheit, ist vom Schutzbereich des Grundrechts erfasst. Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund regelt das vorliegende Gesetz nur - im verfassungsrechtlichen Verständnis - freiheitsentziehende Maßnahmen. Das Gesetz verwendet trotz der verfassungsrechtlichen Terminologie in § 3 und in den weiteren Bestimmungen den Ausdruck 'Freiheitsbeschränkung'. Damit soll vermieden werden, dass die hier gemeinten Maßnahmen im Rahmen der Pflege oder Betreuung mit 'Freiheitsentziehungen' im strafrechtlichen und strafprozessualen Sinn assoziiert werden. Außerdem entspricht der Begriff 'Freiheitsbeschränkung' besser der Terminologie des UbG, das in seinem § 2 als Unterbringung neben der Anhaltung von Personen in einem geschlossenen Bereich auch sonstige individuelle 'Beschränkungen' der Bewegungsfreiheit versteht. Für die Frage, was unter dem Begriff 'Freiheitsbeschränkung' im Sinn dieses Gesetzes zu verstehen ist, sind daher auch die Judikatur und das Schrifttum zum PersFrG und zum Unterbringungsrecht heranzuziehen (siehe zum Folgenden vor allem Kopetzki in Korinek/Holoubek [Hrsg] Österreichisches Bundesverfassungsrecht III Rz 18 - 46 zu Art 1 PersFrG; Kopetzki, Unterbringungsrecht II, 459 ff). Eine Freiheitsbeschränkung im Verständnis dieses Gesetzes liegt immer dann vor, wenn es einer Person unmöglich gemacht wird, ihren Aufenthalt nach ihrem freien Willen zu verändern. Dabei ist zunächst die Beschränkung der Bewegungsfreiheit auf einen bestimmten räumlich abgegrenzten Bereich wesentlich. ...

Neben der Allseitigkeit der Beschränkung ist die Unterbindung persönlicher Ortsveränderungen mit physischen Mitteln ein zentrales Kriterium. § 3 Abs 1 definiert daher die Freiheitsbeschränkung als Unterbindung der Ortsveränderung durch den Einsatz oder die Androhung physischer Mittel gegen oder ohne den Willen des Bewohners. Dabei werden die wichtigsten dieser physischen Mittel, nämlich mechanische, elektronische und medikamentöse Maßnahmen, beispielhaft aufgezählt.

...

Eine Freiheitsbeschränkung setzt nicht notwendigerweise die Anwendung physischen Zwangs voraus. Es genügt auch dessen Androhung. Der Begriff der Androhung ist im spezifischen Konnex der Pflege oder Betreuung des Betroffenen zu verstehen: Es ist nicht erforderlich, dass ihm von der anordnungsbefugten Person oder anderen Bediensteten konkret mit freiheitsentziehenden Maßnahmen 'gedroht' wird. Vielmehr reicht es aus, wenn er aus dem Gesamtbild des Geschehens den Eindruck gewinnen muss, dass er den Aufenthaltsort nicht mehr verlassen kann. ... In solchen Fällen wird es also darauf ankommen, ob der Bewohner ungehindert von äußerem Zwang seinen Aufenthaltsort nach freiem Willen verlassen kann oder mit einem physischen Zugriff rechnen muss.

...

Eine Freiheitsbeschränkung liegt letztlich nur dann vor, wenn der

Betroffene gegen oder ohne seinen Willen beschränkt wird, wenn ihm

also während des Aufenthalts in der Einrichtung entweder gegen seinen

(ausdrücklich oder konkludent erklärten) Willen oder ohne seinen

Willen (wenn er etwa zu einer Willensabgabe nicht [mehr] fähig ist)

die Bewegungsfreiheit entzogen wird. ... Die Einwilligung durch die

betreute oder gepflegte Person selbst schließt einen

Grundrechtseingriff aus. ... Damit die Einwilligung rechtserheblich

ist, muss sie ernstlich sowie frei von Zwang und Irrtum erteilt

werden, auch muss der Bewohner die Fähigkeit zum freien

Willensentschluss haben. ... Die betreute oder gepflegte Person muss

geistig in der Lage sein, die Situation an sich und die Tragweite ihres Einverständnisses zu erfassen."

Wie der erkennende Senat bereits ausgesprochen hat, kann - dem Willen des Gesetzgebers entsprechend - eine Freiheitsbeschränkung im Sinne des HeimAufG also nur an jemandem vorgenommen werden, der grundsätzlich (noch) über die Möglichkeit zur willkürlichen körperlichen (Fort-)Bewegung (mit Ortsveränderung) verfügt (Barth, Am „Schauplatz" Pflegeheim oder von der Freiheit, zu stürzen oder eine Behandlung abzulehnen [Manuskript für die „Österreichische Juristenkommission Weissenbach Mai 2006", das im NWV publiziert werden wird], 10; Barth/Engel, Heimrecht, § 3 HeimAufG Anm 12; Laimer/Russegger/Thiele, HVerG und HeimAufG, 20; Zierl, Heimrecht, 110). Auf die Bildung eines (vernünftigen) Fortbewegungswillens und darauf, ob sich der betroffene Bewohner der Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit bewusst ist, kommt es dagegen nicht an (Barth/Engel, aaO; dieselben, Das Heimaufenthaltsgesetz: Die neuen gesetzlichen Regeln über freiheitsbeschränkende Maßnahmen in Heimen und ähnlichen Einrichtungen, ÖJZ 2005/23, 401 ff [405] FN 40; Klaushofer, HeimAufG: Ein erster Überblick, ZfV 2004/1229 FN 61; 1 Ob 584/93; 6 Ob 198/02i = EFSlg 101.274 mwN). Außerdem kann die Bewegungsfreiheit nicht nur selbständig, sondern auch mit fremder Hilfe (zB durch Schieben eines Rollstuhls) in Anspruch genommen werden. Die Freiheitsentziehung kann daher gegenüber jedermann erfolgen, der - sei es durch die Hilfe Dritter - die Möglichkeit körperlicher Bewegung und Ortsveränderung hat (Barth aaO, 10 FN 28 [mit Hinweis auf Kopetzki in Korinek/Holoubeck Art 1 PersFrG Rz 3]; zu allem jüngst: 7 Ob 144/06m).

Davon ausgehend wendet sich der Revisionskurs zu Recht dagegen, dass das Rekursgericht den Überprüfungsantrag der Bewohnervertreterin angesichts der „alternativen Möglichkeit" zum Verlassen des Hauses mit der Begründung abgewiesen hat, dem Erteilen von Ratschlägen, auch wenn sich die Bewohnerin tatsächlich daran halte, fehle die Qualifikation einer Freiheitsbeschränkung im Sinne des HeimAufG:

Demgegenüber steht nämlich fest, dass es die psychische Erkrankung ist, die dazu führt, dass die ausgesprochene „Warnung" von der Bewohnerin subjektiv als Verbot aufgefasst wird" (weil sie in ihrer kindlichen Anhänglichkeit autoritätsorientiert ist), und dass dies ausreicht, um sie an einem Verlassen des Hauses zu hindern. Von einem „freien Willen" (Seite 11 der Rekursentscheidung) kann in diesem Zusammenhang also keine Rede sein. Es ist vielmehr - wie vom Erstgericht festgestellt - davon auszugehen, dass bei der Betroffenen hinsichtlich der Notwendigkeit der freiheitsbeschränkenden Maßnahme Schließung der Tür und Verbot, alleine fortzugehen, keine Urteils- und Einsichtsfähigkeit vorliegt.

Gerade die psychische Erkrankung der Bewohnerin im Sinne des § 4 Z 1 HeimAufG (vgl die diesbezügliche Klarstellung in den ErläutRV [353 BlgNR 22. GP 10] bzw Barth/Engel, ÖJZ 2005/23, 403 FN 17) ist aber eine der (materiellen) Voraussetzungen für die vom Gericht zu überprüfende Zulässigkeit der hier zu beurteilenden Maßnahme; während es darauf, ob der Bewohnerin die Freiheitsbeschränkung bewusst ist, ebenso wenig ankommt wie auf den Umstand, dass sie wegen ihres Zustandes (derzeit allenfalls) nicht in der Lage ist, die vorhandene Bewegungsfreiheit außerhalb des Hauses ohne die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen.

Die Ansicht des Rekursgerichtes, die der (für die Betroffene ein Verbot darstellenden) „Warnung", nicht allein das Haus zu verlassen, immanente Freiheitsbeschränkung bedürfe im vorliegenden Fall keiner gerichtlichen Kontrolle, steht damit in unlösbarem Widerspruch (vgl 7 Ob 144/06m mwN). Das Gericht zweiter Instanz hat daher zu Unrecht eine Entscheidung über die Zulässigkeit der jedenfalls in ihrer Gesamtheit (versperrte Eingangstür und Verbot, das Haus zu verlassen) eindeutig freiheitsbeschränkenden Maßnahme schon mangels Vorliegens einer solchen abgelehnt und deren antragsgemäße Unzulässigerklärung im antragsabweisenden Sinne abgeändert.

Entgegen dem Standpunkt des Erstgerichtes führt das Fehlen der formellen Voraussetzungen der Dokumentation und der Verständigung (§§ 6 und 7 HeimAufG) jedoch nicht „in jedem Fall schon aus formellen Gründen" zur Unzulässigerklärung der inkriminierten Maßnahmen (ohne dass es weiterer Erhebungen zu ihrer materiellen Zulässigkeit bedürfte):

Wie der erkennende Senat erst jüngst ausgesprochen hat (E v 13. 9. 2006, 7 Ob 186/06p), dauert die Unzulässigkeit vielmehr nur bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Bewohnervertreterin tatsächlich Kenntnis von der angeordneten Freiheitsbeschränkung erlangt hat, weil die (nochmalige) Verständigung sonst ein unnötiger Formalismus hinsichtlich einer sachlich vielleicht dringend erforderlichen Maßnahme wäre. Ab Kenntnis der Bewohnervertreterin von der Freiheitsbeschränkung ist die Unterlassung der Verständigung gemäß § 7 Abs 2 HeimAufG daher saniert, sodass die vorangegangene Unzulässigkeit der Freiheitsbeschränkung einer (allfälligen) Zulässigkeit hinsichtlich nachfolgender Zeiträume nicht entgegensteht.

Dass eine freiheitsbeschränkende Maßnahme nach Kenntnis durch die Bewohnervertreterin allenfalls zulässig wird, ändert allerdings nichts an der Verpflichtung der Gerichte, freiheitsbeschränkende Maßnahmen auch noch nachträglich zu überprüfen. Wie bereits aufgezeigt wurde, erscheint dies im Hinblick darauf geboten, dass die Einschränkung der persönlichen Freiheit einen Eingriff in ein Grundrecht darstellt; ansonsten würde nämlich schon eine rechtzeitige Aufhebung unzulässiger Freiheitsentziehungen jede gerichtliche Überprüfung vereiteln (7 Ob 186/06p mwN).

Im Rahmen der somit - auch nachträglich - erforderlichen Überprüfung hat das Erstgericht bisher freilich nur die Feststellung getroffen, dass die Erfolgsaussichten „bei einem Ausgehtrainig" für die Bewohnerin „aus psychiatrischer Sicht als gut anzusehen sind". Eine ausreichende Grundlage für die Beurteilung der eingangs dargestellten materiellen Voraussetzungen für die Zulässigkeit derartiger Maßnahmen liegt somit nicht vor. Nach den - auch hier maßgebenden - Grundsätzen des Unterbringungsrechts muss die Freiheitsbeschränkung zur Erreichung des angestrebten Zieles nämlich „unerlässlich" (vgl zur ernstlichen und erheblichen Gefährdung: ErläutRV [353 BlgNR 22. GP 10f]) sein und darf „zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehen"; es gilt also auch hier der Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs (§ 4 HeimAufG; 7 Ob 144/06m mwN).

Der Sachverständige hat dazu bisher nur darauf verwiesen, die Einrichtungsleiterin habe betont, dass die Probandin nicht in der Lage sei, den Straßenverkehr und ihre Kräfte bezüglich eines Einkaufs in der 3 km entfernten Ortschaft richtig einzuschätzen. Davon ausgehend hat er festgehalten, freiheitsbeschränkende Maßnahmen seien aus psychiatrischer Sicht „durchaus angezeigt, vorausgesetzt dass diese Beobachtungen zutreffen". ... Ein Verbot sei jedoch „erheblich in Frage zu stellen". Die geeignetere Maßnahme aus fachlich psychiatrischer Sicht wäre ein regelmäßiges Ausgehtraining mit einer besseren Exploration der Umgegend und ein probeweises Herangehen an eine vernünftige eigenverantwortliche Wahrnehmung von Ausgängen abseits der Schnellstraße (AS 29).

Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren die Sachverhaltsbasis noch entsprechend zu verbreitern und danach zu klären haben, ob die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen im Sinne der dargestellten, auch hier zu erfüllenden materiellen Voraussetzungen als unzulässig zu qualifizieren sind oder nicht (vgl 7 Ob 186/06p). Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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