OGH 10Ob21/17m

OGH10Ob21/17m13.6.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj T*, geboren am 3. Juni 2010, *, Vater: H*, vertreten durch Dr. Longin Josef Kempf, Dr. Josef Maier, Rechtsanwälte in Peuerbach, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter K*, vertreten durch Korn & Gärtner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 10. März 2017, GZ 21 R 94/17w‑28, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Oberndorf vom 27. Jänner 2017, GZ 1 PS 104/11h‑24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E118645

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

 

Begründung:

Der 6‑jährige Sohn ist das außereheliche Kind des Vaters und der Mutter. Die Eltern haben die gemeinsame Obsorge für den Sohn vereinbart. Der Sohn wird hauptsächlich im Haushalt der Mutter betreut.

Am 8. 6. 2015 trafen die Eltern eine vom Erstgericht genehmigte Kontaktrechtsvereinbarung. Danach sollte ua der Vater das regelmäßige Kontaktrecht 14‑tägig von Samstag, 9:00 Uhr, bis Sonntag 17:00/18:00 Uhr (abhängig von Sommer‑ und Winterzeit) sowie 14‑tägig an einem flexiblen Tag während der Woche von der Abholung vom Kindergarten bis 17:00 Uhr ausüben.

Das für einen flexiblen Tag während der Woche vereinbarte Kontaktrecht wurde mit Vergleich der Eltern vom 13. 1. 2016 um eine Stunde (Abholung um 18:00 Uhr) ausgedehnt.

Am 15. 6. 2016 beantragte der Vater die Einräumung eines Kontaktrechts zum Sohn ab Oktober 2016 (nach einer Eingewöhnungsphase des Sohnes in der Schule im September 2016) 14‑tägig von Freitag bis Sonntag, wobei der Vater den Sohn am Freitag jeweils rechtzeitig von der Schule abholen und ihn am Sonntag um 18:00 Uhr zur Mutter zurückbringen solle.

Die Mutter sprach sich gegen ein solches Kontaktrecht ua mit der Begründung aus, dass man noch nicht wisse, wie sich der Sohn in der Schule eingewöhne. Auch sei es ein Thema, ob der Sohn weiterhin Logopädiestunden benötige, weil er diesbezüglich Förderungsbedarf habe.

Die Familiengerichtshilfe erstattete über Ersuchen des Erstgerichts einen Clearing‑Bericht, der den Parteien vor Beschlussfassung durch das Erstgericht nicht zugestellt wurde.

Das Erstgericht setzte das wechselseitige Kontaktrecht zwischen Vater und Sohn in der Form fest, dass der Vater berechtigt sei, den Sohn in 14‑tägigem Rhythmus am Freitag von der Schule abzuholen und bis längstens Sonntag, 18:00 Uhr, zur Mutter zurückzubringen. Der Sohn solle eine gute Beziehung zu beiden Eltern haben, wozu die Alltagspräsenz des Vaters wesentlich sei. Infolge seines Alters benötige der Sohn allerdings auch die Fürsorge der Mutter. Durch die Distanz der Wohnorte der Eltern (130 km) und die berufliche Veränderung des Vaters sei ein regelmäßiger Kontakt zwischen diesem und dem Sohn nur am Wochenende möglich. Das festgesetzte Kontaktrecht ermögliche es dem Sohn, beim Vater „anzukommen, ohne gleich an den Abschied denken zu müssen“. Durch das Abholen von der Schule habe der Vater die Möglichkeit, einen wesentlichen Teil des Alltags des Sohnes besser kennenzulernen und bei Bedarf Informationen über schulische Belange von der Lehrerin zu erhalten. Durch die Unterstützung bei der Hausübung erhalte der Vater zusätzlich Einblick in die Entwicklung seines Sohnes und übernehme eine Alltagsaufgabe, was einen positiven Einfluss auf die Vater‑Kind‑Beziehung habe. Auf diese Weise werde auch die Mutter bei Alltagsaufgaben unterstützt.

Das Rekursgericht gab dem von der Mutter gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs nicht Folge und ließ den Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu. Durch den Umstand, dass der Clearing‑Bericht der Familiengerichtshilfe vor Beschlussfassung nicht zugestellt worden sei, sei das rechtliche Gehör der Mutter nicht verletzt worden, weil diese die Möglichkeit gehabt habe, ihrem Standpunkt ohne Verletzung des Neuerungsverbots im Rechtsmittel Geltung zu verschaffen. Der Clearing‑Bericht der Familiengerichtshilfe halte sich im Rahmen der Befugnisse der Familiengerichtshilfe. Das Erstgericht habe in eigenständiger Weise die Gesamtsituation berücksichtigt und insbesondere die kindeswohlrelevanten Aspekte bei seiner Entscheidung beachtet; es seien nicht bloß die Empfehlungen der Familiengerichtshilfe ungeprüft übernommen worden. Im Übrigen wäre die Entscheidung des Erstgerichts selbst aufgrund der Angaben im Rekursverfahren zu bestätigen: Der Vorwurf der Mutter, dass der Vater die Zeit mit dem Kind nicht immer sinnvoll verbringe, habe keine Grundlage in der Aktenlage. Dass während des Besuchsrechts des Vaters teilweise die väterliche Großmutter sowie die Schwester des Vaters Betreuungsaufgaben übernehmen, liege im Regelfall im Kindeswohlinteresse. Das Erstgericht habe den Sachverhalt erschöpfend erhoben, sodass auch der Untersuchungsgrundsatz nicht verletzt sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter, mit dem sie die Abweisung des Antrags des Vaters auf Ausdehnung des Kontaktrechts begehrt.

Der Vater erstattete keine Beantwortung des Revisionsrekurses.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist entgegen dem Zulassungsausspruch des Rekursgerichts zulässig. Er ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Die Revisionsrekurswerberin rügt unter anderem die Verletzung ihres rechtlichen Gehörs. Der Clearing‑Bericht der Familiengerichtshilfe sei den Parteien weder vor noch aus Anlass der Beschlussfassung durch das Erstgericht zugestellt worden. Sie habe zwar Gelegenheit gehabt, ihren Standpunkt im Rahmen des Rekurses darzulegen. Das Rekursgericht habe sich jedoch mit diesem nicht auseinandergesetzt, sodass der gravierende Verfahrensmangel des Verfahrens erster Instanz dadurch nicht behoben sei, was auch noch im Revisionsrekurs geltend gemacht werden könne. Dem kommt Berechtigung zu.

1. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 58 Abs 1 Z 1 AußStrG) in erster Instanz kann (wie auch ein anderer in § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG genannter Mangel) in einem Revisionsrekurs auch dann geltend gemacht werden, wenn das Rekursgericht den Mangel verneinte (RIS‑Justiz RS0121265 [T4]). Gemäß § 58 Abs 1 und 3 AußStrG ist vor der Entscheidung auf Aufhebung und Zurückverweisung der Außerstreitsache an eine Vorinstanz zu prüfen, ob nicht eine Bestätigung „selbst aufgrund der Angaben im (Revisions‑)Rekursverfahren“ oder eine Abänderung ohne weitere Erhebungen möglich ist (2 Ob 77/08z mwN). Um diese Prüfung vornehmen zu können, muss daher von einem Revisionsrekurswerber, der den Gehörverstoß geltend macht, gefordert werden, dass er seine Rüge durch Darlegung der Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensverstoßes entsprechend konkretisiert (RIS‑Justiz RS0120213 [T9, T14]; RS0123872 [T1]).

2.1 Das Erstgericht hat, die Empfehlungen des Clearing‑Berichts der Familiengerichtshilfe (vgl Pkt 3. des Clearing‑Berichts) inhaltlich seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Es hat allerdings diesen Bericht den Parteien vor seiner Entscheidung nicht zugestellt und ihnen keine Gelegenheit gegeben, sich zu diesem wesentlichen Beweisergebnis zu äußern, wodurch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs im Verfahren erster Instanz verwirklicht wurde (vgl nur Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 15 Rz 15 mwH).

2.2 Darauf, dass „man nicht wisse, wie sich der Sohn in die Schule eingewöhnt“, hat die Mutter – wenn auch im Zusammenhang mit einem anderen Förderbedarf des Kindes – bereits in ihrer Äußerung zum Kontaktrechtsantrag des Vaters im Verfahren erster Instanz hingewiesen. In ihrem Rekurs gegen die Ausdehnung des Wochenendkontakts auf Freitag hat sie ua konkretes Vorbringen dazu erstattet, dass dies nach der pädagogischen Einschätzung der Lehrerin aufgrund der besonderen Betreuungssituation des Sohnes nicht nur nicht förderlich, sondern schädlich wäre. Sie weist zutreffend darauf hin, dass sich das Rekursgericht mit diesem Argument gegen die Ausdehnung des Wochenendbesuchsrechts nicht auseinandergesetzt hat.

2.3 Auch für die Dauer und Häufigkeit von Besuchskontakten zwischen Kindern und ihren nicht hauptbetreuenden Eltern ist anerkannt, dass oberster Grundsatz jeder Kontaktrechtsregelung das Interesse des Kindes ist. Ihre Ausgestaltung hat sich am Kindeswohl zu orientieren (6 Ob 200/16d; RIS‑Justiz RS0049070 [T2]). Die Frage, ob eine Ausdehnung des 14‑tägigen Wochenendkontaktrechts auf den Freitag auch vor dem Hintergrund der im Verfahren bisher nicht ausreichend behandelten Frage der erforderlichen schulischen Betreuung des Sohnes am Freitagnachmittag dessen Wohl entspricht, kann nach den bisher getroffenen Feststellungen im konkreten Fall daher noch nicht abschließend beurteilt werden.

Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben. Das Erstgericht wird im fortzusetzenden Verfahren vor einer neuerlichen Entscheidung den Clearing‑Bericht der Familiengerichtshilfe mit den Parteien (auch) unter diesen Aspekten zu erörtern haben.

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