European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00055.17M.0613.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Die am 25. 2. 1970 geborene Klägerin studierte ab 1988 in Sarajevo ein Jahr Maschinenbau und legte zwei oder drei Prüfungen ab. Da 1992 der Krieg ausbrach, studierte sie nicht weiter. Im Jänner 1996 inskribierte sie das Studienfach Journalistik und legte bis Juli 1997 Prüfungen ab. Seit September 1997 ist die Klägerin wegen einer Psychose nicht mehr erwerbsfähig. Bis dahin war Erwerbsfähigkeit gegeben.
Am 27. 11. 2014 beantragte die Klägerin nach ihrem am 5. 5. 1988 verstorbenen Vater die Gewährung der Waisenpension über das 18. Lebensjahr (und auch über das 27. Lebensjahr) hinaus.
Mit Bescheid vom 30. 3. 2015 lehnte die beklagte Partei diesen Antrag ab.
Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Das 27. Lebensjahr sei eine absolute Altersobergrenze, über die hinaus eine Verlängerung der Kindeseigenschaft nicht möglich sei.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und ließ die Revision nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
1.1 Durch das SRÄG 1988, BGBl 1987/609 (44. ASVG‑Novelle), wurde der die Verlängerung der Kindeseigenschaft regelnde § 252 Abs 2 Z 1 ASVG neu gefasst (Art IV Z 10). Die Neufassung ist nach Art VI Abs 13 SRÄG 1988 in allen Fällen anzuwenden, in denen das Kind das 18. Lebensjahr nach dem 31. 12. 1987 vollendet hat. Nur auf vor diesem Datum geborene Waisen gelangte die zuvor geltende Fassung weiterhin zur Anwendung. Die am 25. 2. 1970 geborene Klägerin hat das 18. Lebensjahr aber erst nach dem 31. 12. 1987 vollendet, sodass für sie bereits § 252 Abs 2 Z 1 in der Fassung des SRÄG 1988 (44. ASVG‑Novelle) gilt. Von der Anwendbarkeit dieser Rechtslage geht sie in ihrer Revision auch selbst aus.
1.2 § 252 Abs 2 Z 1 ASVG wurde mit der 44. ASVG‑Novelle dahin neu gefasst, dass die Kindeseigenschaft auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres besteht, wenn und solange sich das Kind in einer Schul‑ oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres; die Kindeseigenschaft verlängert sich höchstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn die Berufsausbildung über das 25. Lebensjahr hinaus andauert, das Kind ein ordentliches Studium betreibt und eine Studiendauer im Sinn des § 2 Abs 3 des Studienförderungsgesetzes 1983 nicht überschreitet. Überschreitungen, die wegen der Erfüllung der Wehrpflicht, der Zivildienstpflicht oder wegen sonstiger wichtiger Gründe gemäß § 2 Abs 3 letzter Satz des Studienförderungs-gesetzes 1983 eintreten, sind hiebei außer Betracht zu lassen.
1.3 In den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 324 BlgNR 17. GP 34) wird die Änderung damit begründet, dass in Anlehnung an die in Aussicht genommene Neuregelung der Altersgrenze bei der Gewährung der Familienbeihilfe auch die Altersgrenze für die Angehörigen‑ bzw Kindeseigenschaft in der Kranken‑ Unfall,- und Pensionsversicherung dahingehend geändert wird, dass an die Stelle der (zuvor) maßgeblichen Altersgrenze des 26. Lebensjahres das 25. Lebensjahr tritt. Um Härtefälle zu vermeiden, soll sich die Angehörigen‑ bzw Kindeseigenschaft höchstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres verlängern, wenn die Waise ein ordentliches Studium betreibt und eine Studiendauer im Sinn des § 2 Abs 3 des StudienförderungsG 1983 nicht überschreitet (Panhölzl in SV‑Komm [119. Lfg] § 252 ASVG Rz 28).
1.4 Eine weitere Änderung erfolgte durch die am 30. 12. 1988 publizierte 46. ASVG‑Novelle (BGBl 1988/749), durch die der vorletzte Satz des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG dahin ergänzt wurde, dass er lautete „... eine Studiendauer im Sinne des § 2 Abs 3 des Studienförderungsgesetzes 1983 ohne wichtige Gründe nicht überschreitet ...“. Zugleich entfiel der letzte Satz. Diese Novelle trat (rückwirkend) mit 1. 1. 1988 in Kraft (Art VI Abs 2 Z 2).
2.1 Seit der 44. ASVG‑Novelle stellt die Vollendung des 27. Lebensjahres keine relative, sondern eine absolute Altersgrenze dar:
2.2 Bis zur 44. ASVG‑Novelle konnte die Kindeseigenschaft nach § 252 Abs 2 Z 1 ASVG über das 26. Lebensjahr hinaus für einen der Dauer der Behinderung angemessenen Zeitraum bestehen, sofern die Schul- oder Berufsausbildung durch die Erfüllung der Wehrpflicht, die Zivildienstpflicht, durch Krankheit oder ein anderes unüberwindbares Hindernis verzögert worden ist. Zu einer Verlängerung der Kindeseigenschaft konnte es somit auch über das 27. Lebensjahr hinaus kommen (wie sich aus der Entscheidung 10 ObS 209/00h, SSV‑NF 14/97, ableiten lässt, bis zum 33. Lebensjahr; Panhölzl in SV‑Komm [119. Lfg] § 252 ASVG Rz 59).
2.3 Seit der 44. ASVG‑Novelle verlängert sich die Angehörigen‑ bzw Kindeseigenschaft aber höchstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres und nur dann, wenn der Betreffende ein ordentliches Studium betreibt und eine Studiendauer im Sinn des § 2 Abs 3 des Studienförderungsgesetzes 1983 nicht überschreitet. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Bestimmung, den oben zitierten Gesetzesmaterialien und wird auch im Schrifttum vertreten (Panhölzl in SV‑Komm [119. Lfg] § 252 ASVG Rz 59 f).
Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung 10 ObS 107/08w, SSV‑NF 22/69 bejaht, dass es sich beim 27. Lebensjahr um eine absolute Altersgrenze handelt, die eine Verlängerung der Kindeseigenschaft in keinem Fall mehr zulässt. Diese Entscheidung erging zu einer späteren Fassung des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG, nämlich zu § 252 Abs 2 Z 1 idF der 60. ASVG‑Novelle BGBl I 2002/140 (mit welcher zwecks Verwaltungsvereinfachung die Angehörigeneigenschaft von Studierenden an den Bezug von Familienbeihilfe gekoppelt wurde, aber die bisherigen Altersgrenzen mit Vollendung des 27. Lebensjahres beibehalten wurden). Der Oberste Gerichtshof führte in dieser Entscheidung aus, der eindeutige Wortlaut der Bestimmung („längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres“), die Entstehungsgeschichte und auch die Vorgängerbestimmungen ließen keinen Zweifel daran, dass mit der Vollendung des 27. Lebensjahres eine absolute Altershöchstgrenze für den Anspruch auf Waisenpension besteht, bis zu der eine Verlängerung der Kindeseigenschaft möglich ist (RIS‑Justiz RS0124265). Diese Ausführungen sind auch auf den vorliegenden Fall übertragbar.
3. Mit ihren Revisionsausführungen, der Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien sei ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis, das ihren Studienerfolg nachweislich beeinträchtigt habe, sodass ihre Kindeseigenschaft dennoch über das 27. Lebensjahr hinaus (jedenfalls bis zum Eintritt der Erwerbsunfähigkeit im September 1997) als fortbestehend anzusehen sei, zeigt die Revisionswerberin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.
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