OGH 10ObS59/17z

OGH10ObS59/17z13.6.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm, die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Claudia Gründel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Angela Taschek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Mag. Claus Marchl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist‑Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. März 2017, GZ 8 Rs 8/17f‑67, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00059.17Z.0613.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der 1971 geborene Kläger schloss 1992 in der Bundesrepublik Deutschland eine Lehre als Brauer und Mälzer (heutige Bezeichnung: „Brau- und Getränketechniker“) ab. Aufgrund seiner medizinischen Leistungseinschränkungen ist ihm noch eine Tätigkeit als Qualitätsprüfer in der Lebensmitteltechnologie in facheinschlägigen Labors möglich.

Die beklagte Partei wies mit Bescheid vom 15. 2. 2011 den Antrag des Klägers vom 8. 11. 2010 auf Gewährung der Invaliditätspension ab.

Das Erstgericht wies (im dritten Rechtsgang) die dagegen gerichtete Klage neuerlich ab. Die Qualitätskontrolle stelle eine bedeutsame Teiltätigkeit des Berufsbildes Brauer und Mälzer (nunmehr Brau‑ und Getränketechniker) dar, die laufend während des Produktionsprozesses begleitend ausgeführt werden müsse und die für die Qualität des erzeugten Produkts von höchster Wichtigkeit sei. Die Verweisung des Klägers auf die Tätigkeit eines Qualitätsprüfers in facheinschlägigen Labors führe daher nicht zum Verlust des Berufsschutzes.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1.1 Invalidität liegt erst dann vor, wenn der Versicherte außerstande ist, irgendeine auf dem Arbeitsmarkt gefragte Teiltätigkeit seines erlernten oder angelernten Berufs auszuüben. Berufsschutz geht nicht verloren, wenn in der Praxis nur mehr Teiltätigkeiten des erlernten Berufs ausgeübt werden, soferne diese quantitativ und qualitativ nicht ganz unbedeutend waren (RIS-Justiz RS0084497; RS0084541).

1.3 Die Frage, ob es sich bei der Verweisungstätigkeit um eine Teiltätigkeit des bisher ausgeübten erlernten oder angelernten Berufs handelt, ist eine Rechtsfrage, die in jedem Einzelfall aufgrund der getroffenen Tatsachenfeststellungen zu prüfen ist.

1.4 Für die Beurteilung einer Teiltätigkeit als zulässige Verweisungstätigkeit ist deren Inhalt sowie die Qualifikation der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten maßgeblich; es sind die einzelnen Tätigkeiten und das Anforderungsprofil festzustellen sowie die dafür erforderliche Zeit der Einschulung. Weiters sind Feststellungen zur Anzahl der vorhandenen Arbeitsplätze zu treffen.

2.1 Mit seinen Ausführungen, die Feststellungen der Tatsacheninstanzen reichten im vorliegenden Fall zu dieser Beurteilung (noch immer nicht) aus, zeigt der Revisionswerber keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

2.2 Zum Inhalt der Tätigkeit des Qualitätsprüfers steht fest, dass dieser die während des Produktionsprozesses laufend gezogenen Stichproben, die für die Qualität des Produkts äußerst wichtig sind, zu überprüfen und auszuwerten hat. Brauereien nehmen diese Qualitätsprüfungen zum Teil selbst vor, sie lagern diese Tätigkeit aber aus Kostengründen teilweise auch an Labors aus.

2.3.1 Zu den erforderlichen Kenntnissen steht fest, dass Bierbrauer diesbezüglich umfangreiches Fachwissen aufweisen und die Qualitätsprüfung einen wesentlichen und wichtigen Teil der Tätigkeit eines Brau- und Getränketechnikers umfasst und eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert.

2.3.2 Zu den individuellen Kenntnissen des Klägers wurde festgestellt, dass der Kläger neben umfassenden Kenntnissen des Bierbrauens über im einzelnen aufgezählte (umfangreiche) Kenntnisse aus dem aktuellen Ausbildungsplan des Brau- und Getränketechnikers verfügt, die er als Qualitätsprüfer verwerten kann. Allenfalls noch fehlende Kenntnisse für die Ausübung des Berufs eines Qualitätsprüfers in der Lebensmittelbranche könnte er sich innerhalb von vier bis sechs Monaten durch betriebsinterne Schulung aneignen.

2.4 Dass es sich bei der Qualitätsprüfung nicht nur um eine qualitativ oder quantitativ untergeordnete Teiltätigkeit des Berufs Brau- und Getränketechniker handelt, ergibt sich auch aus der weiteren Feststellung, nach der ein Qualitätsprüfer in der Getränkeindustrie einem Laboranten mit Fachkenntnissen aus dem Brau- und Getränkebereich annähernd gleichzusetzen ist.

2.5 Zur Anzahl der Arbeitsplätze im Bereich der Qualitätskontrolle in der Lebensmittelkontrolle steht fest, dass es österreichweit mehr als 100 Arbeitsplätze gibt.

Die konkrete Arbeitsmarktsituation, nämlich die Frage, ob der (die) Versicherte tatsächlich einen Arbeitsplatz finden wird, ist für die Beurteilung der Invalidität ohne Bedeutung.

3. Ausgehend von diesen (sowie den weiteren umfangreich getroffenen) Sachverhaltsfeststellungen bedarf die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die Verweisung auf die Tätigkeit eines Qualitätsprüfers in der Lebensmittelkontrolle (in der Getränkeindustrie) erhalte den Berufsschutz und sei daher zulässig, keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof.

Die außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte