OGH 20Os14/16h

OGH20Os14/16h30.5.2017

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 30. Mai 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Grassner und Dr. Haslinger als Anwaltsrichter in Gegenwart des Richters Dr. Mann‑Kommenda, MSc, als Schriftführer in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufungen des Disziplinarbeschuldigten und des Kammeranwalts der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 20. Juni 2016, AZ D 5/15 (DV 18/15), TZ 55, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur Erster Generalanwalt Mag. Knibbe, des Kammeranwalt-Stellvertreters der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer Mag. Kammler, jedoch in Abwesenheit des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0200OS00014.16H.0530.000

 

Spruch:

 

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Disziplinarbeschuldigte der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt, gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße von 3.500 Euro und gemäß § 38 Abs 2 DSt zum gänzlichen Ersatz der Verfahrenskosten verurteilt, weil er

in näher bezeichneten fünf gerichtlichen, verwaltungsgerichtlichen sowie verwaltungsbehördlichen Verfahren die nachgenannten Personen (rechtsfreundlich) vertrat, ohne von diesen hierzu einen Auftrag oder eine Vollmacht erhalten zu haben, und er sich in diesen Verfahren fälschlicherweise auf die nicht erteilten Vollmachten berief, nämlich

a./ Franz Ö***** und Ing. Franz Ö*****, und

b./ „in den unter lit a./ angeführten Verfahren“ Adolf M*****;

sowie im Zusammenhang mit diesen Vorgängen

c./ Schreiben des Rechtsanwalts ***** vom 23. Dezember 2014 und vom 20. Jänner 2015, welche dieser namens des Franz Ö***** und des Ing. Franz Ö***** sowie des Adolf M***** (bei Letzterem nur das Schreiben vom 20. Jänner 2015) übermittelt hatte, inhaltlich nicht beantwortete, sondern nur mit Schreiben vom 3. Februar 2015 hierauf unzureichend reagierte.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Erkenntnis bekämpfte der Disziplinarbeschuldigte der Sache nach mit einer Berufung wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, 9 lit a und 9 lit b StPO) sowie der Aussprüche über die Schuld und die Strafe; der Kammeranwalt hingegen mit einer Berufung wegen Strafe. Beide Parteien traten den jeweils gegnerischen Berufungen mit Gegenäußerungen entgegen.

Entgegen dem Einwand einer undeutlichen Fassung des Spruchpunkts b./ des Erkenntnisses (der Sache nach Z 3 iVm § 260 Abs 1 Z 1 StPO) durch den Verweis auf „unter lit a./ angeführte Verfahren“ ist bei der gebotenen Gesamtsicht auf das zu beurteilende Disziplinarerkenntnis klar ersichtlich, dass sich (auch) dessen Spruchpunkt b./ auf sämtliche eingangs des Erkenntnisses angeführten fünf Verfahren bezieht. Weshalb im Übrigen zu sämtlichen Spruchpunkten des Erkenntnisses vermisste Angaben zu Tatzeiten zur Individualisierung der Taten erforderlich sein sollen, macht die Verfahrensrüge nicht deutlich (vgl RIS‑Justiz RS0117498); überdies lassen die Aktenzahlen der Verfahren den Deliktszeitraum klar erkennen.

Der weiteren Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die (mangels eines auf Einhaltung des § 238 Abs 3 StPO abzielenden Antrags des Berufungswerbers sanktionslos [vgl RIS‑Justiz RS0118924; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 316] nicht in der mündlichen Verhandlung, sondern im Erkenntnis erfolgte) Abweisung des Antrags auf Vernehmung des Zeugen Gerhard S***** zum Beweis dafür, dass „eine lückenlose Vollmachtskette vom Disziplinarbeschuldigten zu Franz Ö*****, Ing. Franz Ö***** und Adolf M***** bestand“ (TZ 54 S 4 f), Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigt. Denn der Beweisantrag war mangels Darlegung von Gründen, weshalb die beantragte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis ungeachtet der (in der mündlichen Verhandlung verlesenen [TZ 54 S 2, 5]) eine Bevollmächtigung des Disziplinarbeschuldigten dezidiert verneinenden Angaben der Zeugen Franz Ö*****, Ing. Franz Ö***** und Adolf M***** sowie der Feststellungen im Beschluss des Landesgerichts Wels vom 9. Oktober 2015, AZ 1 Nc 17/14k, erwarten ließe, auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis (§ 55 Abs 1 letzter Satz StPO) gerichtet (vgl Ratz,WK‑StPO § 281 Rz 330 mwN).

Dies gilt gleichermaßen für den in der Berufungsausführung (neuerlich) gestellten Antrag auf Vernehmung des Zeugen Gerhard S***** zum selben Beweisthema.

Die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) bezeichnet keine Beweisergebnisse, die wirksame Bevollmächtigungen des Disziplinarbeschuldigten indizieren könnten und daher einer Erörterung durch den Disziplinarrat bedurft hätten. Denn mit der Bezugnahme auf isoliert wiedergegebene Teile der Annahmen des schon erwähnten Beschlusses des Landesgerichts Wels vom 9. Oktober 2015, AZ 1 Nc 16/14k (Blg ./13), vernachlässigt der Berufungswerber die dezidierten Beschlussfeststellungen (BS 7 f), wonach schon von vornherein keine wirksamen Bevollmächtigungen des Disziplinarbeschuldigten durch Franz Ö*****, Ing. Franz Ö***** und Adolf M***** vorlagen (vgl insbesondere die Ausführungen zu nicht erfolgten Sanierungen des jeweiligen Vollmachtsmangels BS 8). Das Landesgericht Wels hat daher – dem Berufungsstandpunkt zuwider – gerade nicht angenommen, dass von 2011 bis zu einem Vollmachtswiderruf durch Gerhard S***** am 7. Jänner 2015 wirksame Bevollmächtigungen bestanden.

Solcherart vermag die auf eben dieses Vorbringen gestützte Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld auch unter dem Gesichtspunkt einer Überprüfung der Beweiswürdigung des Disziplinarrats keine Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellung nicht vorgelegener wirksamer Bevollmächtigungen des Disziplinarbeschuldigten hervorzurufen.

Zur Rechtsrüge (Z 9 lit a und Z 9 lit b) ist festzuhalten, dass die gesetzliche Ausführung eines materiell‑rechtlichen Nichtigkeitsgrundes das Festhalten am gesamten im (hier) Erkenntnis festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die auf eine (methodisch vertretbare) Ableitung aus dem Gesetz gestützte Behauptung, der Disziplinarrat sei bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen, zur Voraussetzung hat (vgl RIS‑Justiz RS0099810; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 584, 588). Diesen Anforderungen wird die Rechtsrüge nicht gerecht.

Weshalb nämlich die Verpflichtung zur Beantwortung kollegialer Schreiben (Schuldspruch c./; § 18 RL‑BA 1977 [§ 19 RL‑BA 2015]) mit Einbringung der Disziplinaranzeige wegen des Schweigerechtes des Beschuldigten enden soll, wird nicht methodengerecht aus dem Rechtsbestand abgeleitet (vgl demgegenüber zur Einstufung fortwährenden Nichtentsprechens von Handlungspflichten eines Rechtsanwalts als Dauerdelikt RIS‑Justiz RS0090813 [T18, T20]).

Die Anwendung des § 3 DSt zufolge geringen Verschuldens wird zu den Schuldspruchpunkten a./ und b./ ohne Sachverhaltsbezug (vollmachtslose Vertretung von drei Personen in fünf Verfahren über mehrere Jahre hinweg) und zum Schuldspruchpunkt c./ unter Vernachlässigung der Fortdauer der Antwortpflicht nach Ende der Erkrankung des Disziplinarbeschuldigten gefordert.

Der unbegründeten Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit sowie des Ausspruchs über die Schuld war somit – wie bereits die Generalprokuratur zutreffend ausführte – der Erfolg zu versagen.

Der Berufung des Kammeranwalts wegen Strafe ist zwar zuzugeben, dass entgegen der Meinung des Disziplinarrats (Erkenntnis letzte Seite) doch Erschwerungsgründe vorliegen. Die für die Strafbemessung maßgebenden Grundsätze des Strafgesetzbuchs (§§ 32 ff StGB) sind auch für das anwaltliche Disziplinarverfahren sinngemäß heranzuziehen (vgl RIS‑Justiz RS0054839). Gemäß § 33 Abs 1 Z 1 StGB stellt es einen Erschwerungsgrund dar, wenn der Täter mehrere strafbare Handlungen (auch wenn sie derselben Art waren) begangen oder die strafbare Handlung durch längere Zeit fortgesetzt hat. Beide Fälle liegen im Gegenstand vor.

Der Disziplinarbeschuldigte beansprucht allerdings zutreffend, seine bisherige disziplinäre Unbescholtenheit (die der Disziplinarrat nicht berücksichtigte) als mildernd zu werten.

Insgesamt erweist sich die in erster Instanz gefundene Sanktion als in keine Richtung korrekturbedürftig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs 5 DSt.

Stichworte