European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0150OS00031.17Y.0524.000
Spruch:
Dem Antrag wird stattgegeben.
Das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. April 2009, AZ 18 Bs 18/09t, wird aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung über die Berufung des Antragstellers Christian R***** an das genannte Gericht verwiesen.
Gründe:
Der Medienrechtssache des Antragstellers Christian R***** gegen die Antragsgegnerin V***** GmbH, liegt ein in der Ausgabe der Wochenzeitschrift „p*****“ Nr 15 vom 10. April 2006 unter dem Titel „Schwere Hypothek“ veröffentlichter Artikel zugrunde, der über hohe Spekulationsverluste der H***** berichtet und den Antragsteller mehrmals namentlich als einer gerichtlich strafbaren Handlung Verdächtigen nennt.
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 19. August 2008, GZ 95 Hv 63/06i‑25, wurde der Antrag des Antragstellers auf Zuerkennung einer Entschädigung nach § 7a Abs 1 MedienG abgewiesen, weil im konkreten Fall das Interesse der Öffentlichkeit, vollständige Informationen – auch über die Identität des Tatverdächtigen – zu erhalten, das Interesse des Antragstellers an der Geheimhaltung derselben überwogen habe.
Das Oberlandesgericht Wien gab der dagegen erhobenen Berufung des Antragstellers mit Urteil vom 20. April 2009, AZ 18 Bs 18/09t, Folge, hob das angefochtene Urteil auf und erkannte in der Sache selbst, dass durch die identifizierende Berichterstattung schutzwürdige Interessen des Antragstellers verletzt worden seien, ohne dass wegen seiner Stellung in der Öffentlichkeit, wegen eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder aus anderen Gründen ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung dieser Angaben bestanden habe. Die Antragsgegnerin wurde gemäß § 7a Abs 1 MedienG zur Zahlung einer Entschädigung von 3.000 Euro an den Antragsteller verpflichtet.
Den Antrag der Antragsgegnerin auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO per analogiam iVm § 41 Abs 1 MedienG wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 17. März 2010, AZ 15 Os 95/09y, unter Verneinung einer Verletzung des Art 10 MRK zurück und befand, dass das Berufungsgericht die gegensätzlichen Interessen einerseits des Antragstellers nach Art 8 MRK und andererseits der Antragsgegnerin nach Art 10 MRK zutreffend abgewogen habe.
Mit Erkenntnis vom 25. Oktober 2016 stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Betreff des gegenständlichen Verfahrens eine Verletzung von Art 10 MRK fest (EGMR 25. 10. 2016, 60818/10, Verlagsgruppe News GmbH/Österreich ). Da der Antragsteller des Medienverfahrens als Verantwortlicher der Treasury-Abteilung der von den Spekulationsverlusten betroffenen Bank in dieser eine führende Managementposition innehatte, einen großen Teil der Verluste der Bank, welche fast zur Hälfte im Eigentum des Landes Kärnten stand, letztlich der Steuerzahler zu tragen und die Finanzmarktaufsicht ausreichende Gründe für die Erstattung einer Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft gefunden hatte, hat die Öffentlichkeit ein Recht gehabt, über die Verluste der Bank und die dafür Verantwortlichen informiert zu werden. Wenngleich der Antragsteller keine Person von öffentlichem Interesse war, hat der gegenständliche Artikel (weder in beleidigender noch in provokanter Ausdrucksform) zu einer Debatte von allgemeinem Interesse beigetragen, weshalb nur ein geringer Spielraum für Beschränkungen gemäß Art 10 Abs 2 MRK bestanden hat. Diesen haben die innerstaatlichen Gerichte überschritten, weil der Eingriff in das Recht der V***** GmbH auf freie Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig gewesen ist.
Rechtliche Beurteilung
Dem auf dieses (rechtskräftige) Urteil gestützten Antrag auf Erneuerung des Verfahrens nach § 363a Abs 1 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG kommt Berechtigung zu, weil nicht auszuschließen ist, dass die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellte Grundrechtsverletzung einen für die Antragsgegnerin des Medienverfahrens (der die Rechte einer Angeklagten zukommen) nachteiligen Einfluss auf den Inhalt der Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichts Wien ausgeübt hat.
Das Medienverfahren ist daher in diesem Umfang zu erneuern, weshalb das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. April 2009, AZ 18 Bs 18/09t, bereits bei nichtöffentlicher Beratung aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung über die Berufung des Christian R***** an das genannte Gericht zu verweisen war (§ 363b Abs 3 StPO).
Einer förmlichen Aufhebung der auf dem kassierten Urteilsspruch beruhenden Anordnungen, Beschlüsse (so auch jenes des Obersten Gerichtshofs vom 17. März 2010 zu AZ 15 Os 95/09y) und Verfügungen bedurfte es nicht, weil auch in Fällen der Erneuerung des Verfahrens rechtslogisch abhängige weitere Verfügungen – so auch Entscheidungen über gegen das aufgehobene Urteil ergriffene Rechtsmittel oder Rechtsbehelfe – gleichermaßen als beseitigt gelten (RIS-Justiz RS0100444 [T4]; vgl auch Ratz , WK-StPO § 292 Rz 28).
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