European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0150OS00013.17A.0524.000
Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Verfallserkenntnis aufgehoben und es wird die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten im Übrigen und jene der Staatsanwaltschaft werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen rechtskräftigen Freispruch enthält, wurde Ifeanji F***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG schuldig erkannt.
Danach hat er im Zeitraum vom 10. September bis 11. Oktober 2015 in W***** zur vorschriftswidrigen Ausfuhr von Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich von 869,3 Gramm Kokain (mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 54,4 %), aus Nigeria und zur anschließenden Einfuhr über Deutschland nach Österreich durch Simon O***** beigetragen, indem er die Übernahme und Verteilung des Suchtgifts und die Bezahlung des Kuriers sowie eines Teils des Preises für das geschmuggelte Suchtgift zusagte, den Kurier vom Bahnhof abholte und ihm eine Wohnung zur Ausscheidung des im Körper transportierten Suchtgifts sowie Nahrung und eine Schlafmöglichkeit zur Verfügung stellte.
Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer nominell auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Die zum Nachteil des Angeklagten ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft macht Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO geltend.
Rechtliche Beurteilung
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft bezieht sich auf das – im Urteil geschilderte – Sachverhaltssubstrat, wonach Ifeanji F***** vom Mitangeklagten O***** rund 269 Gramm Kokain übernahm und er den Vorsatz hatte, sich durch gewinnbringenden Verkauf des Suchtgifts seinen Lebensunterhalt zu verdienen (US 5 f, 8).
Die Rüge (Z 9 lit a) wendet sich – ersichtlich ausgehend von der Prämisse, dass dieser Sachverhalt vom Anklagevorwurf umfasst war (vgl ON 92 S 2, 5 f; RIS-Justiz RS0097672) – gegen den durch das Unterbleiben eines Schuldspruchs (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) – trotz hiezu getroffener Urteilsannahmen – zum Ausdruck gebrachten Freispruch (vgl dazu Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 537).
Gegenstand der Anklage, an den das erkennende Gericht gebunden ist, ist die konkret bestimmte Tat, also das gesamte Verhalten des Angeklagten, wie es sich aus der Anklage ergibt, nicht aber die vom Ankläger vorgenommene rechtliche Beurteilung (RIS-Justiz RS0102147). Maßgeblich ist, welchen Sachverhalt der Ankläger dem Gericht zur tatsächlichen Klärung und rechtlichen Beurteilung anheim gestellt hat. Dabei kommt es auf den sich aus Anklagetenor und -begründung ergebenden Anklagewillen an, wobei Zweifel an der Erkennbarkeit des Prozessgegenstands zu Lasten des Anklägers ausschlagen (RIS-Justiz RS0102147 [insbesondere T6]; 14 Os 37/05f; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 509).
Indem aber in der Anklageschrift (ON 92) keine Beziehung zwischen dem Angeklagten F***** und dem in Rede stehenden Sachverhalt (dem Erwerb und Besitz von Suchtgift mit In-Verkehr-Setzungs-Vorsatz) hergestellt wurde (vgl RIS‑Justiz RS0098487; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 514), auch in der (mehrtägigen) Hauptverhandlung kein Hinweis der Anklagebehörde in diese Richtung erfolgte, vielmehr erstmals in der Nichtigkeitsbeschwerde eine weitere, dem § 28 Abs 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG zu subsumierende Tat behauptet wurde, ist nicht zweifelsfrei erkennbar, dass sich der Anklagewillen der Staatsanwaltschaft auch auf dieses Sachverhaltssubstrat erstreckt hätte.
Da sich die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft somit auf eine nicht unter Anklage gestellte Tat bezieht, gehen ihre Ausführungen ins Leere.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:
Der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider waren die Tatrichter nicht gehalten, die Mehrdeutigkeit einzelner in den überwachten Telefongesprächen verwendeter Wörter und die bei deren Übersetzung auftretenden Schwierigkeiten gesondert zu erörtern, weil selbst eine daraus allenfalls ableitbare Verneinung eines Suchtgiftbezugs dieser Telefongespräche die verfahrensgegenständliche (von den Tatrichtern [auch] aufgrund der Angaben des ursprünglich Mitangeklagten Simon O***** festgestellte [US 7 dritter Absatz]) Suchtgiftbestellung des Angeklagten F***** nicht ausschließt und die erwähnten Beweisergebnisse solcherart den Urteilsannahmen nicht entgegenstehen. Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang den Vorwurf erhebt, die Tatrichter hätten nicht begründet, weshalb sie „nicht im Zweifel eine günstigere Auslegung für den Angeklagten angenommen“ hätten (Z 5 vierter Fall), zeigt sie keinen nichtigkeitsrelevanten Begründungsmangel auf (RIS‑Justiz RS0102162), sondern bekämpft in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung des Schöffengerichts. Mit dem Umstand der Verwendung einer konspirativen Gesprächsführung durch den Angeklagten und ihrer Interpretation haben sich die Tatrichter im Übrigen dezidiert auseinandergesetzt (US 9 zweiter Absatz).
Entgegen der weiteren Rüge (Z 5 vierter Fall) kann im Zusammenhang mit der Feststellung eines auf die Überschreitung des Fünfundzwanzigfachen der Grenzmenge (§ 28b SMG) gerichteten Vorsatzes (US 6) von einer fehlenden Begründung keine Rede sein, weil die Tatrichter die Konstatierungen zur subjektiven Tatseite zulässigerweise aus dem – auch die Bestellung eines Kilogramms Kokain umfassenden (US 5) – objektiven Tatgeschehen ableiteten (US 9 letzter Absatz) und dieser Schluss vom äußeren Tathergang auf die dahinter stehende Intention des Täters vorliegend keinen aus Z 5 vierter Fall relevanten Bedenken begegnet (RIS-Justiz RS0116882).
Die Argumentation der Rechtsrüge (Z 9 lit a), sämtliche Tatbeiträge des Angeklagten seien den Feststellungen zufolge erst nach der inkriminierten Aus- bzw Einfuhr der verfahrensgegenständlichen Suchtgiftmenge gesetzt worden, geht – prozessordnungswidrig (vgl RIS-Justiz RS0099810) – nicht von der Gesamtheit der Urteilsannahmen aus, weil sie die – sinngemäß auf zeitlich vor dem Schmuggel gelegene Vorgänge bezogenen – Konstatierungen übergeht, wonach der Angeklagte ein Kilogramm Kokain „bestellte“, „von welchem er wusste, dass es von einem Kurier aus Nigeria nach Österreich geschmuggelt wird“, er „auch die Bezahlung des Kuriers […] sowie die Vorausbezahlung rund der Hälfte des Kaufpreises“ zusagte, weiters wusste, dass „aufgrund seines Wirkens“ ein Kilogramm Kokain aus Nigeria nach Österreich eingeführt würde, und er sich auch bereit erklärte, den Kurier zu empfangen und zu betreuen (US 5 f).
Weshalb die Urteilsannahme, wonach sich der Angeklagte – sein Wissen um die Suchtgiftmenge und den Reinheitsgehalt bedenkend und billigend in Kauf nehmend– entschloss, „Suchtgift in einer die Grenzmenge um mehr als das Fünfundzwanzigfache übersteigenden Menge zu bestellen“ (US 6), für die Annahme des im Sinn des § 28a Abs 4 Z 3 SMG erforderlichen bedingten Vorsatzes nicht ausreichend sein sollte, leitet die – eine Unterstellung der Tat allein unter § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall SMG anstrebende– Subsumtionsrüge (Z 10) mit der bloßen Behauptung, es würden „sämtliche Feststellungen zur Wissens- und Wollenskomponente fehlen“ nicht argumentativ aus dem Gesetz ab (vgl im Übrigen RIS-Justiz RS0089250).
Zutreffend (und wie auch vom Erstgericht zugestanden [US 11]) zeigt der Beschwerdeführer hingegen auf, dass sich der den Betrag von 17.545 Euro betreffende Verfallsausspruch nach § 20 Abs 1 StGB aus den Urteilsannahmen nicht ableiten lässt (inhaltlich Z 11 erster Fall), weil dem Urteil Feststellungen, dass das beim Angeklagten sichergestellte Bargeld einen für oder durch die Begehung einer schuldspruchsspezifischen, mit Strafe bedrohten Handlung erlangten Vermögenswert im Sinn des § 20 Abs 1 StGB darstellt, nicht zu entnehmen sind.
In diesem Umfang war der Nichtigkeitsbeschwerde daher stattzugeben, der Verfallsausspruch aufzuheben und Verfahrenserneuerung anzuordnen.
Im Übrigen waren die Nichtigkeitsbeschwerden bei nichtöffentlicher Sitzung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde ergibt (§§ 285i; 498 Abs 3 StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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