European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0100OB00009.17X.0518.000
Spruch:
Das Verfahren 10 Ob 9/17x wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs vom 10. Mai 2017, AZ 3 Ob 28/17i, unterbrochen.
Nach Ergehen dieser Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.
Begründung:
Die Beklagte ist eine Bank mit Sitz in London und einer Zweigniederlassung in Deutschland. Sie ist Emittentin der Inhaberschuldverschreibung „X*****“, die institutionelle Investoren zeichneten und ihrerseits am Sekundärmarkt unter anderem an Verbraucher in Österreich weiterverkauften.
Der Rückzahlungsbetrag und damit der Wert des Zertifikats richtet sich nach einem Index, der aus einem Portfolio von mehreren Zielfonds gebildet wird, sodass der Wert des Zertifikats unmittelbar mit diesem Portfolio verknüpft ist. Dieses Portfolio sollte von der X***** GmbH mit Sitz in Deutschland errichtet und verwaltet werden. Die Emission der Zertifikate erfolgte auf Grundlage eines (deutschen) Basisprospekts vom 22. 9. 2005 und eines Konditionenblatts vom 20. 12. 2005 samt Anhängen. Der Basisprospekt wurde bei der österreichischen Kontrollbank notifiziert. Das öffentliche Angebot zur Zeichnung lief von 20. 12. 2005 bis 24. 2. 2006, die Emission erfolgte am 31. 3. 2006. Die abwickelnde Clearingstelle dieses Erwerbs war eine AG mit Sitz in Deutschland, wo auch die Globalurkunde des Zertifikats hinterlegt ist.
H*****, der Trading Manager und Fonds Advisor der X***** GmbH, nutzte seinen maßgeblichen Einfluss auf diese, um durch die Investitionsentscheidungen seinem groß angelegten Schneeball‑Betrugssystem neues Kapital zuzuführen. Die Gelder sind großteils verloren, die Zertifikate sind wertlos.
Die Kläger haben Zertifikate über ein bei der in G***** ansässigen C***** AG geführtes Depot erworben. Mit Valuta vom 5. 9. 2007 wurde das Verrechnungskonto der Kläger bei dieser Bank in G***** mit dem Kaufpreis belastet.
Die Kläger , Verbraucher mit Wohnsitz in Wien, begehren von der Beklagten die Zahlung von 22.532,41 EUR sA Zug um Zug gegen Übergabe ihrer näher bezeichneten Wertpapieranteile, hilfsweise die Feststellung der Haftung der Beklagten für den Schaden, der ihnen aus ihren Investitionen in dieses Wertpapier entstanden und noch nicht bezifferbar sei oder künftig entstehen werde, und außerdem Rechnungslegung. Sie stützen ihr Zahlungsbegehren einerseits auf vertragliche Ansprüche, andererseits insbesondere auf Prospekthaftung. Zu letzterem Anspruchsgrund bringen sie im Einzelnen vor, dass die Prospektangaben irreführend und unvollständig seien. Zur internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts stützen sich die Kläger hinsichtlich des Prospekthaftungsanspruchs auf Art 5 Nr 3 der Verordnung (EG) Nr 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen (im Folgenden: EuGVVO 2000).
Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens und bestreitet die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts insbesondere auch nach Art 5 Nr 3 EuGVVO 2000.
Das Erstgericht erklärte sich für international unzuständig und wies die Klage zurück. Die Kläger könnten die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts hinsichtlich der vertraglichen Ansprüche weder auf Art 15 Abs 1 noch auf Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO 2000 stützen. Die von den Klägern darüber hinaus geltend gemachten deliktischen Ansprüche, zu denen insbesondere auch Prospekthaftungsansprüche zählten, erfüllten zwar den Tatbestand des Art 5 Nr 3 EuGVVO 2000. Die Kläger hätten allerdings nicht vorgebracht, dass sich der Schaden unmittelbar auf einem ihnen zuzuordnenden Bankkonto bei einer Bank in W***** verwirklicht hätte. Im Gegenteil ergebe sich aus ihrem Vorbringen und den von ihnen vorgelegten Urkunden, dass sie ihre Zertifikate über ein in G***** geführtes Depot erworben hätten. Der Schaden sei somit in G***** – und damit außerhalb des Sprengels des Erstgerichts – eingetreten.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Erfüllungsort iSd Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO 2000 liege in Deutschland, sodass die österreichischen Gerichte für die vertraglichen Ansprüche der Kläger international nicht zuständig seien. Da den Klägern der Gerichtsstand des Erfüllungsorts zur Verfügung stehe, könnten sie sich bezüglich ihres Prospekthaftungsanspruchs nicht auf Art 5 Nr 3 EuGVVO 2000 stützen, weil das der Beklagten vorgeworfene Verhalten hier als Verstoß gegen vertragliche Verpflichtungen anzusehen sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der von der Beklagten beantwortete Revisionsrekurs der Kläger.
Rechtliche Beurteilung
Im vergleichbaren Fall 3 Ob 28/17i legte der Oberste Gerichtshof in einem Vorabentscheidungsersuchen vom 10. 5. 2017 dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Beantwortung vor:
„ 1. Ist nach Art 5 Nr 3 der [EuGVVO 2000] für außervertragliche Ansprüche wegen Prospekthaftung dann, wenn
- der Anleger seine durch den mangelhaften Prospekt verursachte Anlageentscheidung an seinem Wohnsitz getroffen hat
- und er aufgrund dieser Entscheidung den Kaufpreis für das am Sekundärmarkt erworbene Wertpapier von seinem Konto bei einer österreichischen Bank auf ein Verrechnungskonto bei einer anderen österreichischen Bank überwiesen hat, von wo der Kaufpreis in der Folge im Auftrag des Klägers an den Verkäufer überwiesen wurde,
(a) jenes Gericht zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich der Anleger seinen Wohnsitz hat,
(b) jenes Gericht zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich der Sitz/die kontoführende Filiale jener Bank liegt, bei der der Kläger sein Bankkonto hat, von dem er den investierten Betrag auf das Verrechnungskonto überwiesen hat,
(c) jenes Gericht zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich der Sitz/die kontoführende Filiale der Bank liegt, bei der sich das Verrechnungskonto befindet,
(d) nach Wahl des Klägers eines dieser Gerichte zuständig,
(e) keines dieser Gerichte zuständig? “
Die Beantwortung dieser Fragen ist auch im vorliegenden Verfahren maßgeblich. Da der Oberste Gerichtshof auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassfallgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen und diese auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle anzuwenden hat, ist das vorliegende Verfahren aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (RIS‑Justiz RS0110583 mwH).
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