OGH 2Ob62/17g

OGH2Ob62/17g27.4.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach G***** H*****, verstorben am *****, zuletzt *****, aufgrund des Revisionsrekurses der G***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Georg Lehner, Rechtsanwalt in Wels, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 18. Oktober 2016, GZ 43 R 524/16a‑36, womit infolge Rekurses der Rechtsmittelwerberin der Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom 27. Juni 2016, GZ 7 A 121/11b‑26, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00062.17G.0427.000

 

Spruch:

Soweit sich der Revisionsrekurs gegen die Bestätigung der Bestimmung der Gebühren der Gerichtskommissäre richtet, wird er zurückgewiesen.

Im Übrigen werden die Beschlüsse der Vorinstanzen aus Anlass des Revisionsrekurses ersatzlos behoben. Die Revisionsrekurswerberin wird mit ihrem Rechtsmittel auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Begründung:

Der Erblasser ist am ***** gestorben. Nach Durchführung der Todesfallaufnahme ordnete das Erstgericht auf Antrag des Gerichtskommissärs (Dr. T*****) mit Beschluss vom 20. Juli 2011, ON 12, Folgendes an:

- Es stellte fest, dass die Verlassenschaft bei Aktiva von 4.054,03 EUR und Passiva von 31.521,72 EUR mit 27.467,69 EUR überschuldet sei (Punkt I);

- überließ die Aktiva, darunter ein Guthaben von 3.484,98 EUR bei einer rumänischen Bank, einem Bestattungsunternehmen gegen vollständige Bezahlung der Gebühr des Gerichtskommissärs und der Begräbniskosten (darunter des Entgelts dieses Unternehmens) und gegen anteilige Bezahlung (im Ausmaß von 3,748 %) von im Einzelnen genannten „nicht bevorrechteten Forderungen“, darunter jener der nunmehrigen Rechtsmittelwerberin (Punkt II);

- bestimmte die Gebühren des Gerichtskommissärs in der schon in Punkt II genannten Höhe (Punkt III);

- ermächtigte den Gerichtskommissär, über sämtliche Guthaben zu verfügen, diese zu realisieren „und nach Abzug der Gerichtskommissionsgebühr die quotenmäßige Verteilung“ vorzunehmen (Punkt IV), und

- verständigte zwei weitere Gläubiger, dass ihre Forderungen im Nachlass keine Deckung fänden (Punkt V).

Zur Begründung verwies das Erstgericht auf die §§ 154 f AußStrG, die den Beteiligten eingeräumte Äußerungsmöglichkeit und den Umstand, dass die Forderungen „hinreichend bescheinigt und anerkannt“ seien. Weitere Erwägungen enthielt die Begründung nicht. Der Beschluss wurde allen Beteiligten zugestellt und blieb unbekämpft.

Im Oktober 2012 teilte der Amtsnachfolger des in den Ruhestand getretenen Gerichtskommissärs (Dr. B*****) mit, dass er zwar nun „zuständig“ sei, zur Vermeidung zusätzlicher Gebühren „für die Realisierung und Verteilung“ aber ein anderer Notar bestellt werden möge, und zwar jener, der zwischenzeitig Substitut des ursprünglichen Gerichtskommissärs gewesen sei (Dr. K*****). Mit Beschluss vom 10. Dezember 2012, ON 18, folgte das Erstgericht diesem Antrag. Es bestellte den letztgenannten Notar „in analoger Anwendung des § 31 JN“ zum Gerichtskommissär und sprach aus, dass die dem ursprünglichen Gerichtskommissär erteilten „Ermächtigungen und Befugnisse“ auf diesen übergingen. Weiters „wies“ es die rumänische Bank „an“, das Guthaben an den neuen Gerichtskommissär zu überweisen.

Trotz dieses Beschlusses gelang es dem Gerichtskommissär nicht, die rumänische Bank zur Auszahlung zu bewegen. Daraufhin traf das Erstgericht auf seinen Antrag mit Beschluss vom 27. Juni 2016, ON 26, folgende Verfügungen:

- Es nahm „zur Kenntnis“, dass das Guthaben nicht realisiert werden könne und daher als „uneinbringlich“ zu qualifizieren sei (Punkt I);

- „änderte“ den Beschluss ON 12 dahin ab, dass es die Aktiva der Verlassenschaft nun dem neuen Gerichtskommissär gegen Bezahlung der Gebühr des ursprünglichen Gerichtskommissärs, die es von 446,64 EUR auf 120 EUR verminderte, sowie von „Barauslagen“ (einschließlich Übersetzungskosten) des neuen Gerichtskommissärs überließ (Punkt II);

- bestimmte die Barauslagen des neuen Gerichtskommissärs mit 342,25 EUR (ebenfalls als Punkt II bezeichnet);

- ermächtigte den neuen Gerichtskommissär, den in seiner Verwahrung befindlichen Nachlass gemäß Punkt II zu verteilen (Punkt III), und

- verständigte die weiteren Gläubiger, dass ihre Forderungen im Nachlass keine Deckung fänden (Punkt IV).

Wegen des „Ausfalls“ des Guthabens bei der rumänischen Bank seien die vorstehenden „Berichtigungen“ vorzunehmen gewesen. Aufgrund des gesunkenen „Aktivnachlasses“ sei auch die Gebühr des ursprünglichen Gerichtskommissärs zu kürzen gewesen.

Dagegen richtete sich ein Rekurs der Revisionsrekurswerberin. Sie beantragte die Aufhebung des gesamten Beschlusses und brachte vor, dass eine Realisierung des rumänischen Guthabens möglich sei. Die beteiligten Notare hätten sich nicht ausreichend um diese Realisierung bemüht. Daher sei die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs nicht Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zunächst nicht zu.

Forderungen an Dritte könnten nur dann an Zahlungs statt überlassen werden, wenn der Schuldner leistungsbereit sei. Eine gesetzliche Grundlage, dem Schuldner im Verlassverfahren die Zahlung aufzutragen, gebe es nicht. Die Rechtsmittelwerberin könne ihre Forderung gegen den ruhenden Nachlass geltend machen, der in diesem Fall von einem Kurator zu vertreten wäre. Sie sei daher durch die Entscheidung nicht beschwert.

Mit ihrem „außerordentlichen“ Revisionsrekurs strebt die Rechtsmittelwerberin die Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen und die Zurückverweisung an das Erstgericht an.

Der Gerichtskommissär sei verpflichtet gewesen, den „ordentlichen Rechtsweg“ gegen die rumänische Bank zu beschreiten. Er hätte einen rumänischen Anwalt beauftragen oder „Schritte“ gegen die österreichische Muttergesellschaft der rumänischen Bank setzen müssen.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs nachträglich zu, weil die Frage der Durchsetzung von Ansprüchen der Verlassenschaft im Verfahren nach den §§ 154 f AußStrG über den Einzelfall hinaus Bedeutung habe.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlass des Revisionsrekurses ist aufzugreifen, dass den Beschlüssen der Vorinstanzen die Rechtskraft des Beschlusses ON 12 entgegensteht (§ 66 Abs 1 Z 1 iVm § 56 AußStrG).

1. Gelangt das Rechtsmittelgericht aus Anlass eines zulässigen Rechtsmittels zur Überzeugung, dass der angefochtene Beschluss oder das Verfahren an einem bisher unbeachtet gebliebenen Mangel ua nach § 56 Abs 1 AußStrG leidet, so ist dieser wahrzunehmen, auch wenn er von keiner der Parteien geltend gemacht wurde und er die Richtigkeit der Entscheidung nicht berührt (10 Ob 32/12x [Rechtskraft]; 10 Ob 68/14v [Fehlen der internationalen Zuständigkeit]; vgl RIS-Justiz RS0042973 zum entsprechenden Problem im Zivilprozess).

2. Die Beschlüsse der Vorinstanzen greifen in die Rechtskraft des Beschlusses ON 12 ein:

2.1. Das Verfahrenshindernis der materiellen Rechtskraft im Sinn des Wiederholungsverbots („ne bis in idem“) ist auch im Verfahren außer Streitsachen in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen (RIS‑Justiz RS0007477; Deixler‑Hübner in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 43 Rz 16). Es ist im vorliegenden Fall verwirklicht: Das Erstgericht hatte mit dem Beschluss ON 12 über die Überlassung des Nachlasses an Zahlungs statt entschieden und damit zusammenhängende Anordnungen getroffen. Dieser Beschluss wurde allen Beteiligten zugestellt, blieb unbekämpft und wurde damit (auch) materiell rechtskräftig. Eine dieser Bindung entgegenstehende Änderung des rechtserzeugenden Sachverhalts (16 Ok 7/16i mwN) liegt nicht vor. Denn selbst wenn es für den Überlassungsbeschluss auf die Zahlungsbereitschaft eines Schuldners der Verlassenschaft – hier der rumänischen Bank – ankommen sollte, ist nicht erkennbar, dass sich diese Zahlungsbereitschaft im konkreten Fall nach dem Zeitpunkt des Beschlusses ON 12 geändert hätte.

2.2. Die Rechtskraft dieses Beschlusses steht daher dem Beschluss ON 26, mit dem ebenfalls – aber in ganz anderer Weise – über die Überlassung an Zahlungs statt entschieden wurde, entgegen. Ob der Beschluss ON 12 inhaltlich richtig war, ist wegen dessen Rechtskraft nicht zu prüfen. Für die (offenkundige) Annahme der Vorinstanzen, dass rechtlich oder tatsächlich falsche Entscheidungen ungeachtet der eingetretenen Rechtskraft auch bei unveränderter Sachlage abgeändert werden könnten, gibt es keine Grundlage.

3. Das amtswegige Wahrnehmen des Verstoßes gegen die Rechtskraft setzt allerdings ein zulässiges Rechtsmittel voraus (10 Ob 32/12x).

3.1. Unter Zulässigkeit ist – wie im Zivilprozess ( Zechner in Fasching/Konecny 2 § 503 Rz 63 mwN) – die verfahrensrechtliche Statthaftigkeit zu verstehen; das Rechtsmittel darf daher nicht jedenfalls unzulässig sein, auf das Geltendmachen einer erheblichen Rechtsfrage kommt es nicht an. Diese Ansicht lag auch den Entscheidungen 10 Ob 32/12x (Rechtskraft) und 10 Ob 68/14v (internationale Zuständigkeit) zugrunde: Auch dort nahm der Oberste Gerichtshof aus Anlass des Revisionsrekurses den jeweiligen Mangel wahr, ohne dass es darauf angekommen wäre, dass der Rechtsmittelwerber im Revisionsrekurs diese oder eine andere erhebliche Rechtsfrage geltend gemacht hätte.

3.2. Im konkreten Fall ist der Revisionsrekurs der Rechtsmittelwerberin nach § 62 Abs 2 AußStrG jedenfalls unzulässig, soweit er die Gebühren der Gerichtskommissäre betrifft (7 Ob 163/11p). Insofern ist er zurückzuweisen, sodass die Beschlüsse der Vorinstanzen in diesen Punkten aufrecht bleiben. Im Übrigen sind diese Beschlüsse aus Anlass des wegen nachträglicher Zulassung (§ 63 AußStrG) nicht jedenfalls unzulässigen Revisionsrekurses ersatzlos zu beheben. Die Revisionsrekurswerberin ist insofern auf diese Entscheidung zu verweisen.

4. Zur Klarstellung ist festzuhalten, dass der Beschluss ON 12 im konkreten Fall dahin verstanden werden muss, dass das Bestattungsunternehmen nur insofern zur (anteiligen) Bezahlung von Schulden verpflichtet ist, als es tatsächlich Aktiva der Verlassenschaft erhalten hat. Sonst ist es nur zur (anteiligen) Abtretung der ihm überlassenen Forderung verpflichtet.

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