OGH 11Os30/17x

OGH11Os30/17x25.4.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. April 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel, Dr. Michel-Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Adamowitsch als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ivo T***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 28. September 2016, GZ 9 Hv 16/16y‑54, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0110OS00030.17X.0425.000

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Unterstellung der vom Schuldspruch zu II./ umfassten Taten (auch) unter § 148 zweiter Fall StGB sowie demzufolge im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Mit seiner Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe wird der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Über seine Berufung gegen den Ausspruch über privatrechtliche Ansprüche wird das Oberlandesgericht Graz zu entscheiden haben.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch Zusprüche an Privatbeteiligte enthält, wurde Ivo T***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall StGB (II./), des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1, Abs 4 StGB (I./1./) und des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB (I./2./) schuldig erkannt.

Danach hat er in G*****

I./ am 3. März 2015

1./ als Zeuge bei seiner förmlichen Vernehmung zur Sache in einem Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung vor dem Stadtpolizeikommando G***** falsch ausgesagt, indem er wahrheitswidrig behauptete, Pero S***** würde seit Februar 2015 seine Tochter Zorka S*****, geborene T*****, in Kroatien widerrechtlich bei sich gefangen halten und an der Rückreise nach Österreich hindern;

2./ Pero S***** durch die zu 1./ angeführten falschen Aussagen der Gefahr einer behördlichen Verfolgung einer von Amts wegen zu verfolgenden, mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung, nämlich des Verbrechens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB ausgesetzt, obwohl er wusste (§ 5 Abs 3 StGB), dass diese Verdächtigung falsch ist;

II./ zu nachgenannten Zeiten die nachgenannten Berechtigten mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von schweren Betrugshandlungen (§ 147 Abs 2 StGB) längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, durch Täuschung über Tatsachen, indem er wahrheitswidrig vorgab, seine tatsächlich zumindest seit 1996 durchgehend in Kroatien aufhältige, dort seit 7. September 1996 auch verheiratete Tochter Zorka S*****, geborene T*****, habe ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich, sei ledig und würde zu seinem Haushalt gehören, wobei er durch die Taten einen Schaden von insgesamt 103.689,64 Euro herbeiführte, und zwar

1./ Berechtigte des Finanzamts G*****, indem er bei Stellung der Anträge auf Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 10 Abs 1 FLAG am 26. August 1996 und am 13. Februar 1997 die eingangs angeführten falschen Angaben machte, zur Auszahlung der Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag für das Kind Zorka S*****, geborene T*****, gemäß § 2 Abs 1 lit c, Abs 2 FLAG in der Zeit von 1. Jänner 1996 bis 30. November 2015 von insgesamt 64.552,20 Euro an ihn;

2./ Berechtigte der Pensionsversicherungsanstalt, indem er bei der Stellung des Pensionsantrags am 19. Februar 2002 sowie anlässlich der in den Folgejahren gemäß § 298 Abs 2 ASVG durchgeführten Überprüfungen seitens der Pensionsversicherungsanstalt die eingangs angeführten falschen Angaben machte,

a./ zur Auszahlung einer monatlichen Ausgleichszulage gemäß § 292 ASVG unter Zugrundelegung des nach § 293 ASVG für das Kind Zorka S*****, geborene T*****, erhöhten Richtsatzes in der Zeit von 1. Juli 2002 bis 31. März 2015 von insgesamt 13.866,24 Euro an ihn;

b./ zur Auszahlung des Kinderzuschusses gemäß § 262 ASVG für das Kind Zorka S*****, geborene T*****, in der Zeit von 1. März 2002 bis 31. Jänner 2016 von insgesamt 5.353,72 Euro an ihn;

3./ durch Stellung eines Antrags auf Pflegegeldleistungen unter Zugrundelegung der eingangs angeführten falschen Angaben am 31. August 2009, wobei er diese Tat in der Absicht beging, sich durch die wiederkehrende Begehung von schweren Betrugshandlungen (§ 147 Abs 2 StGB) unrechtmäßig zu bereichern,

a./ Berechtigte des Landes Steiermark zu monatlichen Pflegegeldleistungen in der Zeit von 1. September 2009 bis 31. Dezember 2011 von insgesamt 10.721,20 Euro für das Kind Zorka S*****, geborene T*****, an ihn, sowie

b./ infolge gesetzlichem Anspruchsübergang auf die Pensionsversicherungsanstalt Berechtigte der Pensionsversicherungsanstalt zu monatlichen Pflegegeldleistungen in der Zeit von 1. Jänner 2012 bis 31. März 2015 von insgesamt 14.550 Euro für das Kind Zorka S*****, geborene T*****, an ihn.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Mit der Behauptung, die Feststellungen des Erstgerichts zum gewöhnlichen Aufenthalt der Zorka S***** würden „in erheblichem Widerspruch“ zu den Aussagen ihres Ehemanns und „sonstigen Beweisergebnissen“ (im Rechtsmittel an anderer Stelle konkret genannt: Angaben der Zeugin Angelika M*****) stehen, spricht die Beschwerde kein unter dem Aspekt eines Begründungsmangels relevantes Kriterium an (vgl RIS-Justiz RS0099602, RS0099524, RS0099431).

Indem sie den – diese Aussagen berücksichtigenden (US 10 f) – erstgerichtlichen Schlussfolgerungen bloß eigene Beweiswerterwägungen entgegenstellt, bekämpft sie vielmehr die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Aus ihrem Anlass war jedoch hinsichtlich der rechtlichen Unterstellung der dem Angeklagten zu II./ angelasteten Taten (auch) unter § 148 zweiter Fall StGB von Amts wegen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) die dem Angeklagten zum Nachteil gereichende Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 10 StPO wahrzunehmen:

Für die Annahme eines Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall StGB (US 3) bedarf es nämlich nach dem klaren Wortlaut des § 70 Abs 1 StGB idgF mehrerer Voraussetzungen. Einerseits muss bereits bei der Tatausführung die Absicht vorliegen, sich durch die wiederkehrende Begehung (im Kontext des § 148 zweiter Fall StGB: von schweren Betrügereien iSd § 147 [Abs 1 bis 2] StGB; vgl Schwaighofer , JSt 2016/4, 323 ff [329]) längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, das nach einer jährlichen Durchschnittsbetrachtung monatlich den Betrag von 400 Euro übersteigt (Abs 2). Darüber hinaus muss der Täter bei der Tatbegehung auch entweder unter dem Einsatz besonderer Fähigkeiten oder Mittel handeln, die eine wiederkehrende Begehung nahelegen (Z 1), oder zwei weitere „solche Taten“ (im Kontext des § 148 zweiter Fall StGB: schwere Betrügereien iSd § 147 [Abs 1 bis 2] StGB) schon im Einzelnen geplant haben (Z 2) oder bereits (nämlich innerhalb der in § 70 Abs 3 StGB genannten Zeitspanne; vgl 14 Os 51/16f; 11 Os 65/16t, 11 Os 154/16f) zwei „solche Taten“ begangen haben oder einmal wegen einer solchen Tat verurteilt worden sein (Z 3).

Feststellungen dazu, ob der Angeklagte schwere Betrugshandlungen (§ 147 StGB) in der Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) begangen hatte, sich durch die wiederkehrende Begehung gerade solcher Taten (also schwerer Betrugshandlungen iSd § 147 StGB) durch längere Zeit hindurch ein den Kriterien des § 70 Abs 2 StGB entsprechendes Einkommen zu verschaffen, enthält das Urteil nicht (US 4, 13). Ebensowenig geht daraus hervor, ob (zumindest) hinsichtlich einer (qualifizierten) Tat die in § 70 Abs 3 StGB normierte Zeitspanne in Bezug auf die Begehung (zumindest zwei) weiterer (qualifizierter) Taten erfüllt ist oder ob die Begehung von (zumindest) zwei weiteren solchen Taten schon im Einzelnen geplant war. Inwiefern der Angeklagte bei der Tatbegehung etwa besondere Fähigkeiten oder Mittel eingesetzt haben soll, die eine wiederkehrende Begehung nahelegen, lässt die Entscheidung gleichfalls offen.

Das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, war daher im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang aufzuheben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen (§ 285e StPO).

Mit seiner Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Über seine (als „Beschwerde“ bezeichnete) Berufung gegen Zusprüche an zwei Privatbeteiligte wird hingegen das Oberlandesgericht zu entscheiden haben (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung, die die amtswegige Maßnahme nicht umfasst ( Lendl , WK‑StPO § 390a Rz 12), gründet sich auf § 390a StPO.

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