European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00026.17I.0420.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Der bei der Beklagten angestellte Kläger wurde mit Schreiben vom 10. 8. 2011 wegen Vertrauensunwürdigkeit entlassen. Seine auf Zahlung beendigungsabhängiger Ansprüche (Kündigungsentschädigung, Abfertigung, sonstiger Schadenersatz) und Feststellung der Haftung für künftige Schäden (Gehaltsdifferenzen) gerichtete Klage wurde von den Vorinstanzen abgewiesen. Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, die allerdings keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt. Die Zurückweisung einer außerordentlichen Revision durch den Obersten Gerichtshof bedarf gemäß § 510 Abs 3 Satz 3 ZPO keiner Begründung. Dennoch sei auf einige Überlegungen hingewiesen:
1. Der Kläger bestreitet nicht, dass die im Entlassungszeitpunkt geltende Fassung des auf das Dienstverhältnis anwendbaren Kollektivvertrags (Dienstordnung B für die Ärzte bei den Sozialversicherungsträgern Österreich – DO.B) die Entlassung des Dienstnehmers nicht vom Vorliegen eines Disziplinarerkenntnisses abhängig macht. Der Kläger legt jedoch seinen Dienstzettel dahin aus, dass zwischen den Parteien eine frühere Fassung der DO.B einzelvertraglich vereinbart worden sei, nach der eine Entlassung nur aufgrund eines auf Entlassung lautenden Disziplinarerkenntnisses ausgesprochen werden dürfe. Dieser Auslegung schlossen sich die Vorinstanzen allerdings nicht an. Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RIS‑Justiz RS0042936 ua). Dies ist hier nicht der Fall. Die in der Revision als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO bezeichnete Rechtsfrage, ob ein späterer Kollektivvertrag einzelvertraglich vereinbarte Rechte des Dienstnehmers verschlechtern kann, stellt sich daher nicht.
2. Ebenso stelltsich die in der Revision aufgeworfene Frage im Zusammenhang mit der Verständigungspflicht des Betriebsrats nach § 106 Abs 1 ArbVG nicht, weil der Kläger mit seiner Klage nicht die Entlassung anficht, sondern diese gegen sich gelten lässt, die Abfertigung begehrt und verschiedene Schadenersatzansprüche geltend macht.
3. Gemäß § 31 Abs 1 DO.B kann ein Arzt, für den ein erhöhter Kündigungsschutz besteht, ua dann entlassen werden, wenn er sich einer besonders schweren Pflichtverletzung oder Handlung oder Unterlassung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Versicherungsträgers unwürdig erscheinen lässt (Z 2).
Die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Entlassungsgrund verwirklicht wurde, stellt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar, es sei denn, dem Berufungsgericht wäre bei seiner Entscheidung eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen (RIS‑Justiz RS0106298 [T18]). Das ist hier aufgrund der bindenden Feststellungen des Erstgerichts nicht der Fall.
Der Kläger hatte als diensthabender Arzt in der Nacht vom 5. auf den 6. 8. 2011 eine persönliche klinische Untersuchung einer stationär aufgenommenen Patientin unterlassen, obwohl ihn die diensthabende Diplomkrankenschwester aufgrund der im Gesundheitszustand der Patientin eingetretenen Verschlechterung ausdrücklich darum ersucht hatte. Die geschilderten Symptome machten aus medizinischer Sicht eine persönliche klinische Untersuchung der Patientin durch den Kläger zwingend erforderlich. Diese wäre auch binnen weniger Minuten möglich gewesen. Die Unterlassung bedeutete eine potenzielle schwere Gefährdung der Gesundheit der Patientin. Ein lege artis handelnder Arzt hätte im gegebenen Fall die Patientin untersucht. Durch diese Unterlassung sei das Vertrauen der Beklagten als Dienstgeberin in den Kläger nachhaltig erschüttert worden und ihr eine weitere Beschäftigung nicht mehr zumutbar gewesen. Diese Beurteilung des Berufungsgerichts ist nach Lage des Falls vertretbar.
4. Es ist ständige Rechtsprechung, dass die Gründe für die vorzeitige Lösung eines Dienstverhältnisses bei sonstiger Verwirkung des Entlassungsrechts unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern, geltend zu machen sind. Der Dienstgeber darf mit der Ausübung seines Entlassungsrechts nicht wider Treu und Glauben so lange warten, dass der Angestellte aus diesem Zögern auf einen Verzicht des Dienstgebers auf die Geltendmachung der Entlassungsgründe schließen muss; der Dienstnehmer, dem ein pflichtwidriges Verhalten vorgeworfen wird, soll darüber hinaus nicht ungebührlich lange über sein weiteres dienstrechtliches Schicksal im Unklaren gelassen werden (RIS‑Justiz RS0031799). Bei Beurteilung der Rechtzeitigkeit einer Entlassung ist bei juristischen Personen darauf Bedacht zu nehmen, dass die Willensbildung umständlicher ist als bei physischen Personen; es müssen solche Verzögerungen anerkannt werden, die in der Natur des Dienstverhältnisses oder sonst in den besonderen Umständen des Falls sachlich begründet sind (RIS‑Justiz RS0029328). Auch dafür sind die Umstände des Einzelfalls maßgeblich (RIS‑Justiz RS0031799 [T28]).
Das Berufungsgericht hat die Rechtzeitigkeit der Entlassung in Anwendung der Grundsätze der ständigen Rechtsprechung bejaht. Seine Beurteilung ist vertretbar und bedarf keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof.
5. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens hat der Oberste Gerichtshof geprüft. Sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)