European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0130OS00028.17T.0405.000
Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion der Tat auch nach § 87 Abs 2 erster Fall StGB, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie der Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.
Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Thomas G***** des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und 2 erster Fall StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 11. Juni 2016 in W***** Martins A***** dadurch, dass er ihm ein Klappmesser in den Bauch stieß, eine an sich schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine 4 cm messende, die Bauchdecke im Bereich des linken Unterbauchs eröffnende Stichverletzung mit Darmvorfall sowie damit verbundener Perforation des Dünndarms, verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung absichtlich zugefügt, wobei die Tat eine auffallende Verunstaltung (§ 85 Abs 1 Z 2 StGB), nämlich eine Narbenbildung in Form einer 20 cm oberhalb des Nabels beginnenden, den Nabel und die Unterbauchregion bis zur Schambeinregion umfassenden Narbe, sohin schwere Dauerfolgen nach sich gezogen hat.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die aus Z 4, 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Sie ist teilweise im Recht.
Vorauszuschicken ist, dass die Annahme der Erfolgsqualifikation des § 87 Abs 2 erster Fall StGB iVm § 85 Abs 1 Z 2 StGB voraussetzt, dass die Tat für „immer“ oder „für lange Zeit“ eine erhebliche Verstümmelung oder eine auffallende Verunstaltung (vgl dazu Burgstaller/Fabrizy in WK² StGB § 85 Rz 12) zur Folge hat. „Für immer“ bedeutet auf Lebenszeit des Verletzten. Die von § 85 StGB alternativ geforderte „lange Zeit“ kann durch einen Zeitraum als erfüllt angesehen werden, der von der durchschnittlich zu erwartenden weiteren Lebensdauer des Opfers einen wesentlichen Teil einnimmt (Burgstaller/Fabrizy in WK² StGB § 85 Rz 18 mwN; RIS-Justiz RS0092616). Die dabei anzustellende Prognose, dass die auffällige Verunstaltung– wenn auch nicht mit an Sicherheit grenzender, so doch – mit großer Wahrscheinlichkeit lange Zeit andauern wird, hat auf Basis des neuesten Standes der Medizin zum Zeitpunkt des Urteils der letzten Tatsacheninstanz zu erfolgen (vgl Kienapfel/Schroll StudB BT I4 § 85 Rz 5 sowie Burgstaller/Fabrizy in WK² StGB § 85 Rz 19 mwN; 14 Os 73/16s).
Die Subsumtionsrüge (Z 10) zeigt diesbezüglich – ebenso wie die Generalprokuratur – zutreffend auf, dass die tatrichterlichen Feststellungen die rechtliche Annahme der Erfolgsqualifikation in objektiver Hinsicht nicht tragen. Zur mit großer Wahrscheinlichkeit zu befürchtenden Dauer der auffallenden Verunstaltung des am 3. März 1997 geborenen Opfers (ON 31 S 8) wurde in den Urteilsgründen keine Aussage getroffen.
Aufgrund des dargelegten Rechtsfehlers war die angefochtene Entscheidung in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde in der rechtlichen Annahme der Qualifikation nach § 87 Abs 2 erster Fall StGB schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort aufzuheben (§ 285e StPO). Ein Eingehen auf das weitere, die Dauerfolge betreffende Vorbringen (Z 5 zweiter Fall) erübrigt sich damit.
Im Übrigen verfehlt die Nichtigkeitsbeschwerde aber ihr Ziel:
Die beantragte Vernehmung des Zeugen F***** zum Beweis dafür, dass der Angeklagte unmittelbar nach der Tat einen Ausruf des Erschreckens von sich gab (ON 37 S 2), konnte schon deshalb ohne Verletzung von Verteidigungsrechten unterbleiben, weil das Erstgericht das Beweisthema als erwiesen ansah (§ 55 Abs 2 Z 3 StPO; US 7).
Mit der Bezugnahme auf isoliert dargestellte Aussagedetails und Spekulationen, wonach die medikamentöse Beeinträchtigung des Angeklagten zur Wahrnehmung einer Bedrohung geführt haben könnte, wird kein Nichtigkeitsgrund deutlich und bestimmt bezeichnet.
Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit b) Feststellungen zum Vorliegen einer Putativnotwehrsituation vermisst, dabei aber die Konstatierung übergeht, dass Verärgerung über das aufdringliche Verhalten des Martins A***** zur Tathandlung führte (US 5), verfehlt sie die prozessordnungskonforme Darstellung des materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes (RIS-Justiz RS0099810).
In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.
Die
teilweise Aufhebung des Schuldspruchs hatte die Kassation des Strafausspruchs und des Beschlusses auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht zur Folge, worauf der Angeklagte mit seiner Berufung und seiner Beschwerde zu verweisen war.
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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