OGH 11Os16/17p

OGH11Os16/17p21.3.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. März 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Melounek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Peter S***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1, Abs 4 erster Fall StGB idF vor BGBl I 2015/112 über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens AZ 6 U 243/15t des Bezirksgerichts Bregenz, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0110OS00016.17P.0321.000

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

Mit Urteil des Bezirksgerichts Bregenz vom 21. Oktober 2015, GZ 6 U 243/15t‑20, wurde Peter S***** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1, Abs 4 erster Fall StGB (idF vor BGBl I 2015/112) schuldig erkannt.

Danach hat er am 16. März 2015 in H***** Songül A***** dadurch fahrlässig schwer am Körper verletzt, dass er als Lenker eines PKWs in eine bevorrangte Straße einfuhr, wodurch ein bevorrangter Omnibusfahrer, um eine Kollision zu verhindern, stark bremsen musste, wobei die Genannte als Fahrgast zu Boden geschleudert wurde und sich dabei eine Gehirnerschütterung, eine Schädelkalottenfraktur ohne Dislozierung, eine Rissquetschwunde am Ohr sowie diverse Prellungen zuzog.

Mit Urteil vom 27. Juli 2016, AZ 25 Bl 21/16a (ON 31 der U‑Akten) gab das Landesgericht Feldkirch als Rechtsmittelgericht der dagegen erhobenen Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit sowie wegen des Ausspruchs über die Schuld, die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche nicht Folge, wobei es unter anderem hervorhob, dass der tatbildliche Sorgfaltsverstoß mit der Beschreibung der Vorrangverletzung vom Ersturteil hinreichend zum Ausdruck gebracht wurde.

Rechtliche Beurteilung

Gegen beide Entscheidungen richtet sich der Antrag auf Verfahrenserneuerung, mit dem der Verurteilte Peter S***** Verstöße gegen Art 6 und Art 7 MRK geltend macht.

Für einen – wie hier – nicht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten Erneuerungsantrag, bei dem es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf handelt, gelten alle gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß. Dem Erfordernis der Ausschöpfung des Rechtswegs wird entsprochen, wenn von allen effektiven Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht wurde (vertikale Erschöpfung) und die geltend gemachte Konventions-verletzung zumindest der Sache nach in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften im Instanzenzug vorgebracht wurde (horizontale Erschöpfung; RIS‑Justiz RS0122737 [T2, T13]).

Da somit Erneuerungsanträge gegen Entscheidungen, die der Erneuerungswerber im Instanzenzug anfechten kann, unzulässig sind, war der gegen das Urteil des Bezirksgerichts Bregenz vom 21. Oktober 2015, GZ 6 U 243/15t‑20, gerichtete Antrag schon deshalb zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0122737 [T40, T41], RS0124739 [T2]).

Zum Vorbringen in Ansehung des Urteils des Rechtsmittelgerichts:

Da die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein (Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 13 Rz 16), hat auch ein Erneuerungsantrag nach § 363a StPO deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine (vom Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende) Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei (RIS‑Justiz RS0122737 [T17]). Dabei hat sich der Erneuerungswerber mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen und – soweit er (auf Grundlage der Gesamtheit der Entscheidungsgründe) nicht Begründungsmängel aufzuzeigen oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen zu wecken vermag – seine Argumentation auf Basis der Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung zu entwickeln (RIS‑Justiz RS0124359, RS0125393 [T1]).

Mit der Behauptung fehlender Konkretisierung der Norm der Straßenverkehrsordnung, gegen die er verstoßen habe, macht der Antragsteller eine Verletzung des Gesetzlichkeitsprinzips des Art 7 MRK geltend.

Unter dem vom Antragsteller angesprochenen Aspekt des Art 7 Abs 1 MRK prüft der Oberste Gerichtshof– soweit hier von Interesse – eine Verurteilung dahin, ob hiefür im Tatzeitpunkt eine ausreichend klare (materielle – vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 24 Rz 150) Rechtsgrundlage bestand und diese ausreichend vorhersehbar und zugänglich war (vgl RIS‑Justiz RS0126841; 17 Os 13/14m mwN). Überdies darf das jeweilige Strafgesetz nicht unvertretbar oder willkürlich angewendet worden sein (vgl Thienel in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art 7 EMRK Rz 22; Renzikowski in Pabel/Schmahl IntKommEMRK Art 7 Rz 60 jeweils mwN; 17 Os 13/14m). Bei der Willkürkontrolle ist darauf abzustellen, ob die Bestrafung vernünftigerweise vorhersehbar war (Thienel aaO mwN) und die Auslegung des Rechts nachvollziehbar ist (Renzikowski aaO mwN).

Weshalb der Antragsteller, der nach dem Urteilssachverhalt im Zuge eines Abbiegevorgangs, ungeachtet der Befähigung, sich der gebotenen Sorgfalt entsprechend zu verhalten, als Fahrzeuglenker den Vorrang (§ 19 Abs 3, Abs 7 StVO) eines Omnibuslenkers missachtet hatte, wodurch dieser eine Vollbremsung einleiten musste, sodass ein Fahrgast zu Sturz kam und sich dabei schwer verletzte, nicht den zum Tatzeitpunkt in Kraft stehenden Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1, Abs 4 StGB erfüllen sollte, erklärt der Antrag nicht. Damit verabsäumt es der Antragsteller, seine Argumentation auf Basis der Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung zu entwickeln und legt seine Opfereigenschaft (Art 34 MRK) nicht deutlich und bestimmt dar.

Gleiches gilt, soweit er eine das Annähern an „eine Gefahrenstelle“ betreffende Passage des Berufungsurteils kritisiert, wonach die Argumentation der Verteidigung „schlechthin unverständlich“ gewesen sei, und eine „Verletzung der Erörterungspflicht“ behauptet. Weshalb gegenüber dem in der öffentlichen Berufungsverhandlung eingeschrittenen Wahlverteidiger (ON 30 der U‑Akten) eine Anleitungspflicht des Gerichts bestanden haben sollte, bleibt offen. Hinzugefügt sei, dass Pflichtverletzungen eines Verteidigers die Haftung des Staats grundsätzlich nicht begründen

( Meyer‑Ladewig, EMRK4 Art 6 Rz 46 mwN). Lediglich im – hier nicht aktuellen – Fall des offenkundigen Versagens eines vom Gericht beigegebenen Verteidigers kann (ausnahmsweise) eine Pflicht des Gerichts zur Anleitung bestehen (RIS‑Justiz RS0096569; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 315; Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 24 Rz 128 mwN).

Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war daher gemäß § 363b Abs 1 und 2 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung als unzulässig zurückzuweisen.

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