OGH 20Os15/16f

OGH20Os15/16f14.2.2017

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 14. Februar 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Haslinger und Dr. Rothner als Anwaltsrichter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Oeljeschläger als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung über die Berufung des Kammeranwalts gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 25. April 2016, AZ D 48/15 (DV 9/16), TZ 21, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, des Kammeranwalts der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer Mag. Kammler und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0200OS00015.16F.0214.000

 

Spruch:

In Stattgebung der Berufung wird das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

***** ist schuldig, er hat gegen den Rechtsanwalt *****, am 18. Mai 2015 Klage beim Bezirksgericht Wels eingebracht, ohne zuvor gemäß § 20 RL‑BA 1977 den Ausschuss der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer um Vermittlung anzurufen, und dadurch das Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt begangen.

Über ihn wird hiefür die Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises verhängt.

Der Beschuldigte hat die Kosten des Disziplinarverfahrens zu ersetzen.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Disziplinarbeschuldigte wegen des aus dem Spruch ersichtlichen Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung unter Anwendung des § 3 DSt freigesprochen.

Der Disziplinarrat erachtete den Tatbestand des (aufgrund des vor dem 31. Dezember 2015 gelegenen Sachverhalts gemäß § 59 Abs 3 RL‑BA 2015 anzuwendenden) § 20 RL‑BA 1977 sowohl in objektiver als auch subjektiver Hinsicht als erfüllt (ES 5), hielt jedoch § 3 DSt für anwendbar, weil der Disziplinarbeschuldigte auf eine – wenn auch rechtlich verfehlte – Auskunft eines (namentlich nicht bekannten) Mitglieds des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vertraute, wonach es sich bei der Einschaltung der Rechtsanwaltskammer gemäß § 20 RL‑BA 1977 um eine freiwillige Maßnahme handle (ES 3, 5, 6). Der Disziplinarrat bewertete das Verschulden des Disziplinarbeschuldigten deshalb als bloß geringfügig (ES 6) und sah mit der Begründung einer zwischenzeitlich bereits erfolgten Erledigung des Verfahrens über die vom Disziplinarbeschuldigten bei Gericht eingebrachte Klage durch eingetretenes Ruhen sowie einer bloß auf Gerichtspersonen eingeschränkten Publizität der Auseinandersetzung auch die weitere Voraussetzung bloß unbedeutender Folgen aus dem Verstoß für eine Anwendung von § 3 DSt als gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Berufung des Kammeranwalts wegen Nichtigkeit (der Sache nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) mit dem Antrag der Verhängung einer schuld‑ und tatangemessenen Strafe.

Die Verpflichtung zur Anrufung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer um Vermittlung nach § 20 RL‑BA 1977 begründet eine Berufspflicht, deren Verletzung daher tatbestandsmäßig nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt ist (vgl 25 Os 7/15i = AnwBl 2017/8474, 44; 29 Os 1/14k). Die damit normierte Standespflicht, in Streitfällen mit Berufskollegen auf diese Weise zunächst vor Einleitung gerichtlicher Schritte eine kammerinterne Schlichtung zu versuchen, dient der Vermeidung der an die Öffentlichkeit dringenden Kenntnis von Streitigkeiten zwischen Kammermitgliedern und Offenlegung von der Verschwiegenheit unterliegenden Sachverhalten zum Nachteil von Klienten aus Anlass einer solchen öffentlichen Austragung vor Gericht (Engelhart et al RAO9 2015 § 20 RL‑BA 1977 Rz 1).

Zutreffend weist die Berufung darauf hin, dass nicht grundsätzlich von einem geringfügigen Verschulden ausgegangen werden kann, wenn sich ein Rechtsanwalt – wie hier – auf einen Rechtsirrtum beruft (RIS‑Justiz RS0123018 [insbes T2]; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 343 DSt 885); vielmehr ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob das Verschulden des – gegen das in Rede stehende Verbot des § 20 RL‑BA 1977 verstoßenden – Rechtsanwalts im Vergleich zu den Durchschnittsfällen solcher Verstöße deutlich reduziert ist (RIS‑Justiz RS0089974).

Aufgrund der Annahmen des Disziplinarrats (ES 3 ff), wonach „dem Disziplinarbeschuldigten die Problematik von gerichtlichen Auseinandersetzungen sehr wohl bekannt und ihm klar gewesen ist, dass allenfalls die Rechtsanwaltskammer einzuschalten ist“ (ES 6), ihm insofern auch eine Nachschau in einer kommentierten Ausgabe der RL‑BA 1977 „ohne Zweifel möglich gewesen wäre“ (ES 5), er sich vorliegend aber mit einer mündlichen Erkundigung begnügte, welche eine falsche Auskunft ergab, kann die trotz des klaren Telos des § 20 RL‑BA 1977 unterbliebene Anrufung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer vor Klageerhebung keineswegs als ein so geringes Verschulden angesehen werden kann, dass die Anwendung des § 3 DSt möglich wäre.

Einer Erörterung des Umfangs der Folgen des Fehlverhaltens ist somit entbehrlich (Lehner in Engelhart et al, RAO9, § 3 DSt Rz 2).

Das angefochtene Erkenntnis war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur aufzuheben und der Disziplinarbeschuldigte wegen der ihm zur Last gelegten Tat des Disziplinarvergehens nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt schuldig zu erkennen.

Bei der Strafbemessung war erschwerend kein Umstand, mildernd das Geständnis und die bisherige disziplinäre Unbescholtenheit.

Nach Lage des Falls entspricht der schriftliche Verweis (§ 16 Abs 1 Z 1 DSt) dem Schuldgehalt der Tat und genügt präventiven Straferfordernissen.

Die Kostenentscheidung gründet auf § 54 Abs 5 DSt.

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