European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0010OB00174.16V.0210.000
Spruch:
Der außerordentlichen Revision wird teilweise Folge gegeben.
Das Urteil des Erstgerichts wird als Teil‑ und Zwischenurteil mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass es lautet:
„1. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 16.506 EUR samt Zinsen zu zahlen, besteht dem Grunde nach zu Recht.
Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für sämtliche künftige Verletzungsfolgen und Schäden aus dem Unfall vom 4. 10. 2011 in S*****, im Ausmaß von 50 % haftet.
2. Das auf die Zahlung von weiteren 16.506 EUR samt Zinsen und die Feststellung der Haftung für weitere 50 % der künftigen Verletzungsfolgen und Schäden gerichtete Mehrbegehren wird abgewiesen.
Die Entscheidung über die Kosten aller drei Instanzen wird dem Endurteil vorbehalten.“
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte errichtete als Bauherr im unmittelbaren Nahbereich seines Gasthauses ein „Almdorf“ sowie Personalwohnungen auf einer Gesamtfläche von ca 2.000 m². Der dem Prozess auf seiner Seite beigetretene Nebenintervenient, ein Baumeister, übernahm die Funktion des Baustellenkoordinators, wobei ein schriftlicher Vertrag darüber nicht geschlossen wurde. Der Kläger ist alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH. Diese war von dem vom Beklagten mit der Planung, Bauleitung, Bauaufsicht und Statik beauftragten (weiteren) Baumeister mit der Durchführung von Bohrungen beauftragt worden. Als der Kläger zur Arbeit erschien, wurde ihm von diesem Baumeister jene Stelle gezeigt, wo er Bohrungen vorzunehmen hätte. Bei seiner Frage nach einem Stromanschluss erhielt der Kläger von einem Arbeiter die Auskunft, er müsse zu Haus Nr 1 gehen, wo eine betonierte Stiege zum Eingangsbereich führte. Auf dem dortigen Podest befand sich ein provisorischer Arbeitstisch, der den Zugang behinderte, aber nicht unmöglich machte. Unmittelbar links von der betonierten Stiege befand sich ein Schacht zum Kellergeschoss. Der Nebenintervenient hatte bereits fast zwei Monate vorher die Anweisung erteilt, diesen Lichtschacht absturzsicher abzudecken. Er hatte dabei darauf hingewiesen, dass die Abdeckung so fest anzubringen sei, dass sie nicht verschoben werden kann. Nachdem später eine Deckenschalung entfernt worden war, befand sich unterhalb der Abdeckung ein freier Luftraum von ca 4 m bis zum Boden des Kellergeschosses. Die Abdeckung wurde in der Form vorgenommen, dass (drei) Schalbretter aufgelegt wurden, auf deren Oberseite ein mit Dübeln verschraubtes Kantholz befestigt wurde. Der abgedeckte Bereich hatte eine Dimension von ca 160 x 120 cm und ein erhebliches Gefälle. Die Schalbretter mit einer Länge von jeweils 2 m wurden aus Stabilitätsgründen mit Querleisten fixiert, sodass sie miteinander verbunden waren. Obwohl es eine ausdrückliche Anweisung, diese Abdeckung nicht zu betreten, nicht gab, ging der Nebenintervenient davon aus, dass dieser Bereich nicht zum Begehen vorgesehen ist. Zumindest ein (als Installateur auf der Baustelle tätiger) Professionist betrat die Schaltafelabdeckung für eine „schräge Abkürzung“ zum Hauseingang im rechten oberen Bereich. Ob andere Arbeiter die Abdeckung betraten, konnte nicht festgestellt werden. Nachdem der Kläger auf der Suche nach einem Stromanschluss den Weg zum Eingang des Hauses Nr 1 über die Betonstiege genommen und nach dem Anschluss der Kabel diese aus einer Fensteröffnung hinausgeworfen hatte, verließ er den Innenbereich des Hauses. Dabei setzte er in der Absicht, die Schaltafelabdeckung über dem Lichtschacht als schnelleren Weg zu nehmen, einen Fuß darauf, wobei die Schaltafeln verrutschten und der Kläger durch den Schacht ins Kellergeschoss stürzte und sich schwer verletzte. Die Stiege und das Podest im unmittelbaren Anschluss an den Schacht wiesen weder an der Außenseite noch an der dem Schacht zugewandten Seite einen Handlauf und auch keine Absturzsicherung auf. Schalungsplatten dürfen nach den Herstellerangaben nicht zum Abdecken von Durchbrüchen verwendet werden. Sie waren im vorliegenden Fall auch nicht gegen Verrutschen gesichert. Gemäß einer einschlägigen ÖNORM müssen Gerüstbelagsteile so verlegt sein, dass sie nicht herabfallen, kippen, sich verschieben oder zu stark durchbiegen können. Nach den einschlägigen Richtlinien hätte die Stelle um den Lichtschacht zur Kanalisierung des Verkehrswegs an der oberen Stelle des Schachtes mittels Wehren gesichert werden müssen, um das Benutzen als „Laufbrücke“ zu verhindern. Weiters wäre beiderseitig der Stiege ein provisorischer Handlauf anzubringen und auch das Podest an der freien Seite abzusichern gewesen.
Der Kläger begehrte nun ein (Teil‑)Schmerzengeld von 30.000 EUR, den Ersatz von 3.012 EUR für weitere Schäden sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für sämtliche „Verletzungsfolgen und Schadenersatzansprüche“ aus dem Unfall. Da der Stiegenabgang verstellt gewesen sei, habe er – wie schon einige Male vorher – wieder die Schachtabdeckung begehen wollen, die jedoch für ihn vollkommen unvorhersehbar nachgegeben habe. Das Alleinverschulden am Unfall treffe den Beklagten, der nicht für eine ausreichende Absicherung gesorgt habe. Ihm selbst könne kein Mitverschulden am Unfall angelastet werden, sei doch die gesamte Baustelle für alle dort Tätigen zugänglich gewesen. Da mit Dauerfolgen und Spätfolgen zu rechnen sei, begehre er auch die Feststellung der Haftung für künftige Schäden aus dem Schadensereignis.
Der Beklagte wandte im Wesentlichen ein, er habe einen Baustellenkoordinator bestellt und nach den einschlägigen Vorschriften für allfällige Versäumnisse dieser Person nicht einzustehen. Darüber hinaus treffe den Kläger das Alleinverschulden, sei doch für jedermann erkennbar gewesen, dass die Schaltafeln – auch aufgrund ihrer starken Neigung – nicht zum Begehen geeignet gewesen seien. Er hätte ohne weiteres die betonierte Treppe verwenden und allenfalls vorhandene Hindernisse beiseite räumen können. Es würde eine Überspannung der Verkehrssicherungspflichten auf einer Baustelle bedeuten, müsste für alle nur erdenklichen leichtsinnigen Aktionen vorgesorgt werden. Der Kläger sei als selbständiger Unternehmer seit vielen Jahren auf diversen Baustellen tätig; ihm sei bewusst gewesen, dass die Schaltafeln unter keinen Umständen zum Betreten geeignet seien und dass darunter ein 4 m tiefer Schacht liege.
Das Erstgericht sprach mit einer als Zwischenurteil bezeichneten Entscheidung aus, dass sowohl das Zahlungs‑ als auch das Feststellungsbegehren dem Grunde nach im Ausmaß von 50 % zu Recht bestünden. Der Kläger falle als selbständiger Unternehmer weder in den Geltungsbereich des Arbeitnehmerschutzgesetzes noch in jenes der Bauarbeiterschutzverordnung, weshalb die allgemeinen Regeln der sogenannten Verkehrssicherungspflichten anzuwenden seien. Auch der Kläger als beauftragter „Einzelunternehmer“ dürfe damit rechnen, dass auf der Baustelle einschlägige Schutzvorschriften eingehalten werden. Auch wenn der Beklagte einen Baustellenkoordinator bestellt habe, liege die Verantwortung für die nicht fachgerechte Abdeckung des Kellerschachtes bei ihm, wäre es doch in seiner Macht gestanden, einen Professionisten mit der Einhaltung sämtlicher Schutzvorschriften für Baustellen wirksam zu beauftragen. Unter Einhaltung der einschlägigen Schutzvorschriften hätte die Stelle um den Lichtschacht zur Leitung des Verkehrswegs an der oberen Stelle des Schachtes mittels Wehren gesichert werden müssen. Nur dadurch hätte das Benutzen der unzureichenden Laufbrücke verhindert werden können. Weiters wäre beidseitig der Stiege ein provisorischer Handlauf anzubringen und auch das Podest an der freien Seite abzusichern gewesen. Hier hätten weder der Beklagte noch der bestellte Baustellenkoordinator für die notwendigen Maßnahmen gesorgt. Da allerdings auch vom Kläger zu verlangen gewesen wäre, mögliche Gefahren zu erkennen und den mit Schaltafeln abgedeckten Bereich, der auch ein erhebliches Gefälle aufwies, nicht als Verkehrsweg zu benützen, sei ihm ein Mitverschulden von 50 % anzurechnen.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne einer vollständigen Klageabweisung ab und erklärte die Revision für nicht zulässig. Ziel des in Umsetzung einer europäischen Richtlinie erlassenen Bauarbeitenkoordinations-gesetzes (BauKG) seien die Sicherheit und der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer auf Baustellen. Den zu bestellenden Baustellenkoordinator träfen im Interesse des Arbeitnehmerschutzes umfangreiche Koordinations‑, Organisations‑, Überwachungs‑ und Informationspflichten. Bestelle der Bauherr einen Baustellenkoordinator, so treffe ihn selbst keine Haftung – auch keine Gehilfenhaftung –, weil der Koordinator nach zulässiger Übertragung der schutzgesetzlichen Pflichten eigenverantwortlich eigene gesetzliche Pflichten erfülle und für den Bauherrn lediglich eine Haftung für allfälliges Auswahlverschulden verbleibe. Ob im vorliegenden Fall (mangels Schriftlichkeit) überhaupt wirksam ein Baustellenkoordinator bestellt und somit der Beklagte als Bauherr von seinen Verpflichtungen nach dem BauKG enthoben wurde, könne dahingestellt bleiben, weil sich der Schutzzweck des BauKG auf den Schutz von Leben und Gesundheit von Arbeitnehmern beschränke, worunter der Kläger als selbständiger Gewerbetreibender nicht falle. Den Besteller eines Werks treffe aber eine ähnliche Fürsorgepflicht wie den Dienstgeber (§ 1157 iVm § 1169 ABGB), die primär den Schutz des Lebens und der Gesundheit des Unternehmers und seiner Leute bezwecke. Diese Fürsorgepflicht beziehe sich insbesondere auf die Sicherheit der Arbeitsstätte, die auch eine Baustelle sein könne. Dem Werkbesteller obliege es, dafür Sorge zu tragen, dass der Unternehmer und seine Leute bei der Ausführung des Werks nicht zu Schaden kommen, soweit sich diese in Räumen (auf der Baustelle) aufhalten, die im Zusammenhang mit ihren zu erbringenden Leistungen stehen. Die Reichweite dieser Fürsorgepflicht bestimme sich danach, wie weit sich der Unternehmer in einen der Sphäre des Bestellers zuzuordnenden Bereich zu begeben hat, in dem er gefährdet ist. Sie ende dort, wo der Unternehmer die mit der Werkerstellung unmittelbar verbundenen Gefahren aufgrund seiner Fachkenntnis erkennen kann. Für den Unternehmer unschwer erkennbare Gefahren bildeten die Grenze der Fürsorgepflicht des Bestellers. Sie erstrecke sich nicht auf Situationen, in denen sich der fachkundige Unternehmer in eine offensichtliche Gefahr begibt, anstatt dieselbe zu beheben oder ihre Beseitigung zu veranlassen. Der Kläger sei mit Arbeiten im Bereich zweier Häuser beauftragt worden. Der Beklagte habe im Rahmen seiner Fürsorgepflicht noch in Erwägung ziehen müssen, dass sich der Kläger im Zusammenhang mit der Suche nach einer Stromquelle in ein 15 bis 20 m entferntes anderes Haus begeben würde. Der Beklagte habe allerdings nicht damit rechnen müssen, dass der Kläger als selbständiger Unternehmer, dessen Wissen von den einschlägigen Sicherheitsvorschriften auf Baustellen vorausgesetzt habe werden können, die steile Abdeckung des Lichtschachts mit glatten Schalbrettern als Verkehrsweg benützt bzw betritt, zumal trotz des auf dem Stiegenpodest befindlichen Arbeitstisches ein Passieren auch auf dem Rückweg unter Benutzung der unmittelbar daneben befindlichen Betontreppe ohne weiteres möglich gewesen wäre. Der Kläger habe sohin unbedacht die „Abkürzung“ über die Schachtabdeckung genommen, obwohl diese nach dem äußeren Erscheinungsbild nicht als Verkehrsweg gewidmet gewesen sei, woran auch einzelne daran angebrachte Querleisten nichts ändern könnten. Die offensichtliche Gefährlichkeit dieses Unterfangens habe dem Kläger bewusst sein müssen, weshalb eine Verletzung von Fürsorgepflichten durch den Beklagten ausscheide. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil sich das Berufungsgericht an der angeführten herrschenden Rechtsprechung des Höchstgerichts orientieren habe können.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist zulässig, weil das Berufungsgericht zu Unrecht ein „Alleinverschulden“ des Klägers angenommen hat, und teilweise auch berechtigt.
Wesentliche Bedeutung kommt im vorliegenden Fall – wie bereits die Vorinstanzen dargelegt haben – zuerst der Frage zu, ob das Bauarbeitenkoordinationsgesetz (BauKG) Anwendung findet. Der Kläger vertritt den Standpunkt, auch er als Selbständiger sei vom Schutzzweck dieses Gesetzes erfasst; der Beklagte hafte, weil er einen Koordinator nicht wirksam bestellt habe. Der Beklagte vermeint hingegen, Selbständige fielen nicht in den Schutzbereich des BauKG; zudem sei er von seiner Verantwortung schon deshalb befreit, weil er den Nebenintervenienten wirksam zum Baukoordinator bestellt habe.
Nach der Rechtsprechung wird die früher auf die Fürsorgepflicht des Werkbestellers gemäß § 1169 ABGB gestützte Koordinationspflicht des Bauherrn nunmehr im Regelungsbereich des BauKG durch dieses als Schutzgesetz konkretisiert; das BauKG als lex specialis verdrängt insoweit den bisherigen Ansatz bei § 1169 ABGB (RIS‑Justiz RS0123294). Hat der Bauherr einen Baustellenkoordinator bestellt, so trifft ihn keine Gehilfenhaftung und der Bauherr haftet dann nur für Auswahlverschulden; die Haftung gegenüber den auf der Baustelle eingesetzten Arbeitnehmern trifft dann unmittelbar den Baustellenkoordinator (RIS‑Justiz RS0015253). Mit der Frage, ob die Bestimmungen des BauKG und die daran anknüpfenden Rechtsfolgen auch dann (sinngemäß) anzuwenden sind, wenn ein auf der Baustelle tätiger Selbständiger aufgrund unzureichender Sicherungsmaßnahmen zu Schaden kommt, hat sich der Oberste Gerichtshof bisher noch nicht explizit beschäftigt.
Wie schon das Berufungsgericht zutreffend aufgezeigt hat, ist das in § 1 Abs 1 BauKG ausdrücklich normierte Ziel die Sicherheit und der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer auf Baustellen. Das BauKG gilt für alle Baustellen, auf denen Arbeitnehmer beschäftigt werden (§ 1 Abs 2). Das benannte Schutzgut (Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer) wird auch in anderen Normen des BauKG wiederholt (§ 7 [mehrfach], § 8 Abs 2). Dass auf Baustellen nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Selbständige tätig sind, hat der Gesetzgeber keineswegs übersehen. Vielmehr definiert er nicht nur den Selbständigen in § 2 Abs 8 BauKG als eine Person, die nicht Arbeitgeber oder Arbeitnehmer ist und die ihre berufliche Tätigkeit zur Ausführung des Bauwerks ausübt, sondern erwähnt auch den Selbständigen in verschiedenen Zusammenhängen. Dies geschieht vor allem in Bestimmungen, in denen – mit der Zielrichtung des Arbeitnehmerschutzes – zugleich Arbeitgeber von auf der Baustelle tätigen Arbeitnehmern genannt werden (§ 5 Abs 2 Z 3, Abs 3 Z 1 und 2, Abs 4). Nur im Zusammenhang mit dem Zugang zum Sicherheits‑ und Gesundheitsschutzplan werden in § 7 Abs 7 BauKG die betroffenen Arbeitgeber, deren Präventivfachkräfte und Arbeitnehmer sowie die auf der Baustelle tätigen Selbständigen gleich behandelt. Anhaltspunkte dafür, dass nach den Vorstellungen des Gesetzgebers auch Selbständige unter den besonderen Schutz des BauKG als lex specialis fallen sollen, enthält das Gesetz nicht.
Auch eine richtlinienkonforme Auslegung führt zu keinem anderen Ergebnis, wird doch auch in den Erwägungsgründen zur einschlägigen Richtlinie 92/57/EWG des Rates vom 24. Juni 1992 über die auf zeitlich begrenzte oder ortsveränderliche Baustellen anzuwendenden Mindestvorschriften für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz (im Folgenden nur RL) ausschließlich von der Gewährleistung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer gesprochen sowie darauf hingewiesen, dass in Art 118a (nunmehr Art 138) EGV vorgesehen ist, dass durch Richtlinien Mindestvorschriften festzulegen sind, die die Verbesserung insbesondere der Arbeitsumwelt fördern, um die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer verstärkt zu schützen, und dass in einer Mitteilung der Kommission über ihr Arbeitsprogramm der Erlass einer Richtlinie vorgesehen ist, die die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer auf zeitlich begrenzten oder ortsveränderlichen Baustellen gewährleisten soll. Selbständige werden zwar in Art 2 lit d der RL im Rahmen der Begriffsbestimmungen erwähnt, aber schon in den Erwägungsgründen nur im Zusammenhang damit angesprochen, dass auch sie die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer durch ihre Tätigkeit auf der Baustelle gefährden können und es daher erforderlich ist, bestimmte einschlägige Schutzvorschriften für Arbeitnehmer auf Selbständige und auf Arbeitgeber, die selbst eine berufliche Tätigkeit auf einer Baustelle ausüben, auszudehnen (vgl auch Art 6 lit b und Art 10 Abs 1 RL).
Aus den genannten Regelungskomplexen wurde etwa auch in der Literatur gefolgert, dass die auf der Baustelle tätigen Selbständigen durch das BauKG nicht geschützt werden sollen, was sich nicht nur aus der fehlenden Erwähnung beim Schutzzweck, sondern auch aus § 5 Abs 2 Z 3 BauKG ergebe, wonach die allgemeinen Grundsätze der Gefahrenverhütung anzuwenden sind, wenn dies zum Schutz der Arbeitnehmer erforderlich ist ( Steinmaurer/Wenusch , Bauarbeitenkoordinationsgesetz 21 f). In der Rechtsprechung wird etwa formuliert, das BauKG enthalte (über die allgemeinen Verkehrssicherungspflichten hinausgehende) Sondervorschriften zur Vermeidung der Gefährdung von Arbeitnehmern (9 Ob 35/15k; vgl auch RIS‑Justiz RS0124219).
Dass es sich beim Kläger um keinen Arbeitnehmer im Sinne des BauKG, sondern vielmehr um einen Selbständigen gemäß § 2 Abs 8 BauKG handelt, wurde (zutreffenderweise) im Verfahren nie bezweifelt, ist er doch Alleingesellschafter und Geschäftsführer der vom beklagten Bauherrn mit bestimmten Bauleistungen beauftragten GmbH. Damit ist er vom unmittelbaren Anwendungsbereich des BauKG nicht erfasst. Eine Gesetzeslücke, die gegebenenfalls durch analoge Anwendung dieses Gesetzes geschlossen werden müsste, läge nur dann vor, wenn ein unsachliches und damit planwidriges Schutzdefizit zu Gunsten solcher auf der Baustelle tätigen Personen bestünde, die nicht als Arbeitnehmer zu qualifizieren sind. Dass ein solches Defizit nicht besteht, wird im Folgenden näher dargelegt werden. Eine zur Vermeidung sachwidriger Ergebnisse zu schließende Gesetzeslücke liegt nicht vor.
Da sich der Schutz des BauKG nicht auf den Kläger als selbständigen Unternehmer erstreckt, kann sich der beklagte Bauherr auch nicht darauf berufen, er habe den Nebenintervenienten wirksam zum Baukoordinator bestellt und für dessen unzureichende Sicherheitsmaßnahmen nicht einzustehen. Vielmehr ist für die Haftung des Werkbestellers gegenüber dem Werkunternehmer § 1169 ABGB einschlägig, der die sinngemäße Anwendung des § 1157 ABGB auf den Werkvertrag anordnet. Diese Fürsorgepflicht des Bestellers besteht gegenüber dem Unternehmer selbst und auch zu Gunsten aller anderen Personen, welche die Arbeit ausführen (RIS‑Justiz RS0021827). (Auch) Der Werkunternehmer hat also im Sinne des § 1157 ABGB „bezüglich der von ihm beizustellenden oder beigestellten Räume und Gerätschaften … dafür zu sorgen, dass Leben und Gesundheit …, soweit es nach der Natur der Dienstleistung möglich ist, geschützt werden“. Den Besteller eines Werks trifft somit eine unabdingbare und der des Dienstgebers ähnliche Fürsorgepflicht (RIS‑Justiz RS0021602). Unter „Räumen“ im Sinne des § 1157 Abs 1 ABGB sind alle Bereiche zu verstehen, in denen sich der Unternehmer im Zusammenhang mit seiner Arbeitsleistung aufhält (RIS‑Justiz RS0021480 [T4]; vgl RS0021602 [T11]; RS0021827 [T11]; RS0021674). Dass auch den Beklagten als Bauherrn und Vertragspartner der Gesellschaft des Klägers die werkvertragliche Fürsorgepflicht nach § 1169 ABGB getroffen hat, hat bereits das Berufungsgericht grundsätzlich zutreffend angenommen. Soweit er die Durchführung der aus dieser Fürsorgepflicht resultierenden Maßnahmen dem Nebenintervenienten übertragen haben sollte, hätte er für dessen Fehlverhalten nach § 1313a ABGB einzustehen.
Zu Unrecht hat sich das Berufungsgericht jedoch auf jene Rechtsprechung berufen, nach der sich die Fürsorgepflicht des Werkbestellers und seiner Erfüllungsgehilfen nicht auf Fälle erstreckt, in denen sich der fachkundige Unternehmer in eine offensichtliche Gefahr begibt, anstatt dieselbe zu beheben oder ihre Beseitigung zu veranlassen (RIS‑Justiz RS0021808). Von einer derart offensichtlichen Gefahr kann in der vorliegenden Konstellation keine Rede sein, bestehen doch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger klar sein musste, die von ihm als „Laufbrücke“ benützten Schalungsbretter könnten verrutschen und zum Absturz führen. Damit hat ersichtlich auch der Nebenintervenient nicht gerechnet, der ja die Anweisung gegeben hatte, die Abdeckung so fest anzubringen, dass sie – auch bei einem Sturz – nicht verschoben werden kann. Das Berufungsgericht wies im Übrigen darauf hin, dass vom Kläger als selbständigem Unternehmer – zu ergänzen: in gewissem Rahmen – das Wissen um die einschlägigen Sicherheitsvorschriften auf Baustellen vorausgesetzt werden könne. Gerade wenn man davon ausgeht, hätte er auch annehmen können, dass die Gefahr eines zum Absturz führenden Verrutschens nicht zu befürchten sei, wären doch andernfalls im unmittelbaren Anschluss an diese Abdeckung die bautechnisch geforderten Wehren bzw Geländer angebracht gewesen. Der Hinweis des Berufungsgerichts auf die besonders steile Ausführung der Abdeckung mag zwar die Gefahr erfassen, darauf wenig Halt zu finden, nicht aber das Risiko eines Wegrutschens der Schalbretter selbst, zumal diese mit Querleisten miteinander befestigt und offenbar auch am oberen Rand fest mit einem stärkeren Kantholz verbunden waren. Die vom Berufungsgericht zitierte Rechtsprechung zielt nun aber nicht auf Situationen ab, in denen eine zwar gegebene, aber keineswegs für einen Unternehmer offenkundige, Gefahr bestand, der von Seiten des Bauherrn durch konkrete Absicherungsmaßnahmen zu begegnen gewesen wäre.
Bezogen auf den vorliegenden Fall ist dem Beklagten – bzw dessen Erfüllungsgehilfen – insbesondere vorzuwerfen, die gebotene Absicherung durch eine Absturzsicherung (Wehr) am Podest und ein Geländer bzw einen Handlauf an der betonierten Stiege unterlassen zu haben, obwohl die Schalungsplatten nicht ausreichend gegen ein Abrutschen nach unten gesichert waren und durch die Querleisten zudem der Eindruck vermittelt wurde, man könnte diese Abdeckung als „Laufbrücke“ verwenden. Damit musste insbesondere zum Unfallzeitpunkt gerechnet werden, war doch der Zu‑ bzw Abgang über die betonierte Stiege aufgrund des dort aufgestellten Arbeitstisches nur erschwert möglich. Wäre eine Absicherung in der gebotenen Form vorhanden gewesen, hätte der Kläger gar keine vernünftige Möglichkeit gehabt, die Abdeckung zu betreten bzw wäre er in ausreichender Weise darauf hingewiesen worden, dass die Abdeckung keinesfalls betreten werden soll.
Dem Kläger ist hingegen als Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten im Sinne des § 1304 ABGB anzulasten, den nicht von vornherein als ungefährlich zu betrachtenden Weg über die vermeintliche „Laufbrücke“ genommen zu haben, anstatt – wie beim Aufstieg – über die Betonstiege zu gehen, auch wenn dort der abgestellte Arbeitstisch den Durchgang erschwert hat.
Eine Gewichtung der beiderseitigen Vorwerfbarkeit des unfallkausalen Verhaltens führt zu der– bereits vom Erstgericht angenommenen – Schadensteilung im Verhältnis 1:1. Damit ist das Ersturteil grundsätzlich wieder herzustellen, wobei jedoch der erkennbare Entscheidungswille durch Umformulierung des Urteilsspruchs zu verdeutlichen ist. Steht fest, dass das Leistungsbegehren dem Grunde nach nur mit 50 % zu Recht besteht, ist der darüber hinausgehende Teil konsequenterweise zugleich abzuweisen. Ähnliches gilt für das Feststellungsbegehren, das sich nur zu 50 % als berechtigt, im Übrigen aber als unberechtigt erwiesen hat. Hier ist darüber hinaus im Sinne der Prozessbehauptungen des Klägers, der sich auf zukünftig drohende weitere Nachteile berufen hat, klar zum Ausdruck zu bringen, dass die (anteilige) Haftung (nur) für künftige Schäden festgestellt wird.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 393 Abs 4 iVm § 52 Abs 2 ZPO.
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