European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0010OB00237.16H.0210.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung
Nachdem beim – stets in Österreich wohnhaften – Kläger bei einer Verkehrskontrolle ein Blutalkoholgehalt von 1,68 Promille festgestellt worden war, wurde ihm mit Bescheid der zuständigen Bezirkshauptmannschaft vom 7. 3. 2008 die Lenkberechtigung für die Dauer von mindestens 15 Monaten entzogen und angeordnet, dass er vor Ablauf des Entziehungszeitraums ein amtsärztliches Gutachten über die gesundheitliche Eignung sowie eine verkehrspsychologische Stellungnahme beizubringen und eine Nachschulung für alkoholauffällige Lenker zu absolvieren habe. Weiters sprach die Behörde aus, dass die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der bescheidmäßigen Anordnungen endet. Der Kläger befolgte diese Anordnungen jedoch nicht, sondern erlangte mit Hilfe einer deutschen Fahrschule bzw Vermittlungsagentur am 13. 7. 2009 einen Führerschein der Republik Tschechien, obwohl er dort nie seinen Wohnsitz begründet, sondern lediglich – über die deutsche Fahrschule/Vermittlungsagentur – einen Wohnsitz angemeldet hatte.
Nachdem der Kläger im Rahmen einer Verkehrskontrolle in Österreich den tschechischen Führerschein vorgewiesen hatte, entzog ihm dieselbe Behörde mit Bescheid vom 18. 11. 2011 die tschechische Lenkberechtigung bis zur Wiedererlangung der Verkehrszuverlässigkeit. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Lenkberechtigung vom Kläger zu einem Zeitpunkt erlangt worden ist, zu dem ihm die in Österreich erteilte Lenkberechtigung (wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit) entzogen war. Der dagegen erhobenen Berufung gab der zuständige Unabhängige Verwaltungssenat nicht Folge. Auch er vertrat im Rahmen einer ausführlichen Begründung, die auch auf die einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts Bezug nahm, die Auffassung, Österreich habe von der in Art 11 Abs 4 zweiter Satz der „FS‑Richtlinie“ enthaltenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Gültigkeit der während der Dauer des Entzugs der inländischen Lenkberechtigung neu erteilten (ausländischen) Lenkberechtigung nicht anzuerkennen. Nach § 30 Abs 3 zweiter Satz FSG habe die Behörde (auch) die Entziehung der Lenkberechtigung eines anderen EWR‑Staats anzuordnen, wenn eine Person mit Wohnsitz in Österreich eine solche Lenkberechtigung zu einem Zeitpunkt erlangt hat, in dem in Österreich bereits die Lenkberechtigung entzogen war. Der Kläger erhob zwar gegen die Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenats Beschwerde an den VwGH, die er allerdings unter Missachtung eines Verbesserungsauftrags nicht weiter verfolgte, weil seinen Anträgen auf Zuerkennung aufschiebender Wirkung nicht entsprochen worden war. Er befolgte vielmehr im August und September 2012 die seinerzeitigen Auflagen der Bezirksverwaltungsbehörde, worauf ihm am 5. 11. 2012 wieder ein österreichischer Führerschein ausgestellt wurde. Mit Beschluss vom 22. 1. 2013 erklärte der VwGH die zur Verbesserung zurückgestellte Beschwerde als gegenstandslos und stellte das Verfahren ein.
Der Kläger begehrt nun – im Revisionsverfahren nur noch unter dem Titel der unionsrechtlichen Staatshaftung (vgl dazu nur RIS‑Justiz RS0113922; EuGH C‑224/01, Köbler ) – Schadenersatz für die Kosten einer in seinem Betrieb eingestellten Ersatzfahrerin, die Kosten für den neuerlichen Erwerb der österreichischen Lenkberechtigung sowie anwaltliche Vertretungskosten für die Bekämpfung des Bescheids vom 18. 11. 2011.
Das Begehren blieb in beiden Instanzen erfolglos. Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil mehrere gleichartige Amtshaftungsverfahren bei österreichischen Gerichten anhängig seien, weshalb der Entscheidung über den Einzelfall hinaus Bedeutung zukomme. In der Sache vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, auch unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH hätten die österreichischen Behörden die Anerkennung des Führerscheins verweigern dürfen, weil dessen Ausstellung innerhalb der innerstaatlichen „Sperrfrist“ erfolgt sei. Selbst wenn diese rechtliche Schlussfolgerung allenfalls unzutreffend sein sollte, wäre sie jedenfalls vertretbar, sodass es weder der Befassung des VwGH noch der vom Kläger angeregten Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH bedurft habe, weil dies an der Beurteilung der Vertretbarkeit durch das Amtshaftungsgericht nichts zu ändern vermöge.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch nicht zulässig, weil darin keine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage erörtert wird; dass vor österreichischen Gerichten allenfalls mehrere „gleichartige“ Amtshaftungsverfahren anhängig sind, reicht für die Annahme einer erheblichen Rechtsfrage nicht hin (RIS‑Justiz RS0042816), zumal der Oberste Gerichtshof zur Klärung diffiziler Auslegungsfragen verwaltungsrechtlicher Materien nicht berufen ist und ihm insoweit keine Leitfunktion zukommt (RIS‑Justiz RS0116438; vgl auch RS0123321), sondern die Zivilgerichte im Amtshaftungsverfahren primär die Vertretbarkeit der (möglicherweise unrichtigen) Rechtsansicht der Behördenorgane im Anlassverfahren bzw bei Staatshaftungsansprüchen zu prüfen haben, ob ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht (s dazu nur RIS‑Justiz RS0113922; RS0114183 [T3], zuletzt 1 Ob 190/15w; EuGH C‑429/09, Fuß , Rn 47 mwN) vorliegt. Letzteres hat das Berufungsgericht für den konkreten Einzelfall (vgl dazu RIS‑Justiz RS0110837) verneint, ohne dass der Revisionswerber in diesem Zusammenhang eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung aufzeigen könnte.
Sowohl die frühere (Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein) als auch die aktuelle – hier anzuwendende – Führerschein‑Richtlinie (Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein) enthalten – im hier interessierenden Zusammenhang – eine ganz wesentliche Ausnahme vom Grundsatz der wechselseitigen Anerkennung von in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheinen. Nach Art 8 Abs 4 der alten Richtlinie kann es ein Mitgliedstaat ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Abs 2 genannten Maßnahmen (Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis) angewendet wurde. Art 11 Abs 4 Unterabs 2 der neuen Richtlinie sieht vor, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ablehnt, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist. Das österreichische Führerscheingesetz (FSG) legte in seiner zum Zeitpunkt der Erlassung des inkriminierten Bescheids der Verwaltungsbehörde geltenden Fassung (BGBl I 2008/31) Folgendes fest (§ 30 Abs 3 Satz 2 und 3): „Die Behörde hat auch die Entziehung der Lenkberechtigung eines anderen EWR‑Staates anzuordnen, wenn eine Person mit Wohnsitz in Österreich eine solche Lenkberechtigung zu einem Zeitpunkt erlangt hat, in dem in Österreich bereits die Lenkberechtigung wegen mangelnder Verkehrszulässigkeit entzogen war. In diesem Fall ist die Lenkberechtigung bis zu jenem Zeitpunkt zu entziehen, zu dem die bereits angeordnete Entziehungsdauer endet.“ § 27 Abs 1 FSG sieht in Z 1 (unverändert) als einen der Fälle des Erlöschens einer erteilten Lenkberechtigung den Ablauf einer Entziehungsdauer von mehr als 18 Monaten vor.
Nach der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH ist es einem Mitgliedstaat aufgrund der Richtlinie nicht verwehrt, einer Person, auf die in seinem Hoheitsgebiet ein Führerscheinentzug in Verbindung mit einer Sperrfrist für die Neuerteilung angewandt worden ist, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat während dieser Sperrfrist ausgestellten Führerscheins zu versagen (C‑329/06, C‑343/06, Wiedemann und Funk , Rn 65; C‑334–336/06, Zerche , ua Rn 62; C‑225/07, Möginger , Rn 38), sofern es dadurch nicht zu einer Nichtanerkennung auf unbestimmte Zeit kommt. Wird der betreffenden Person allerdings in einem anderen Mitgliedstaat nach Ablauf der Sperrfrist ein Führerschein ausgestellt, ist es dem Mitgliedstaat, in dem der Führerschein seinerzeit entzogen worden ist, verwehrt, die Anerkennung der Gültigkeit des im Ausland ausgestellten Führerscheins abzulehnen (C‑476/01, Kapper , Rn 76; Rs Wiedemann und Funk Rn 63 f; Rs Zerche ua Rn 60, ua).
Auch wenn den einschlägigen Richtlinien der vom EuGH verwendete Begriff der „Sperrfrist“ unbekannt ist, ist damit ersichtlich eine von einem Mitgliedstaat angeordnete Frist gemeint, innerhalb der keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf (vgl nur EuGH C‑476/01, Kapper , Rn 76) bzw von der bestehenden Lenkberechtigung (bzw vom Führerschein) kein Gebrauch gemacht werden darf, was die alte Richtlinie als „Aussetzung der Fahrerlaubnis“, die neue Richtlinie als „Aussetzung des Führerscheins“ bezeichnet. Im österreichischen FSG wird dafür der Terminus „Entziehung“ der Lenkberechtigung (§ 24 Abs 1 Z 1 FSG) verwendet, was gleichermaßen auf ein zeitweiliges (§ 25 Abs 1 Z 1 FSG) Verbot hinausläuft, von dieser Berechtigung Gebrauch zu machen und ein Fahrzeug zu lenken; nach Ablauf der Entziehungsdauer ist der Führerschein grundsätzlich wieder auszufolgen (§ 28 FSG).
Im vorliegenden Fall war die Entziehungsdauer durch den rechtskräftigen Bescheid der Behörde aus dem Jahr 2008 in zweifacher Hinsicht determiniert. Einerseits war ein Entzug der Lenkberechtigung für die Dauer von „mindestens 15 Monaten“ angeordnet, andererseits aber auch ausgesprochen worden, dass die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der bescheidmäßigen Anordnungen endet. Unter Berücksichtigung der Regelung in § 27 Abs 1 Z 1 FSG betrug die Entziehungsdauer – in Fällen wie dem vorliegenden, in dem der Lenker die Anordnungen für die Beendigung des Entzugs nicht (zeitgerecht) befolgt – 18 Monate, weil es nach deren Ablauf nach § 27 Abs 1 Z 1 FSG zum gänzlichen Erlöschen der Lenkberechtigung kommt.
Hat das Berufungsgericht nun die Auffassung vertreten, unter diesen Voraussetzungen sei es gut vertretbar, eine „Sperrfrist“ von 18 Monaten anzunehmen, vor deren Ablauf der ausländische Führerschein ausgestellt worden ist, dessen Anerkennung die österreichischen Behörden nach der Rechtsprechung des EuGH ablehnen könnten, ist darin keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung zu erkennen. Erkennbar sollte mit der vom Berufungsgericht verwendeten Formulierung auch zum Ausdruck gebracht werden, dass eine zur Begründung eines Staatshaftungsanspruchs erforderliche hinreichend qualifizierte unionsrechtswidrige Rechtsanwendung nicht vorliege.
Wenn der Revisionswerber in diesem Zusammenhang etwa ausführt, der VwGH habe in einer Entscheidung aus dem Jahr 2014 die Auffassung vertreten, nach dem Verstreichen von 18 Monaten könne sich die Führerscheinbehörde nicht mehr darauf berufen, dass der ausländische Führerschein während der Sperrfrist ausgestellt wurde, vermag er damit eine Unionsrechtswidrigkeit schon deshalb nicht aufzuzeigen, weil der Europäische Gerichtshof – wie bereits dargestellt – eine solche Einschränkung nicht judiziert. Darüber hinaus hätten die Behörden im Anlassverfahren auf diese erst später ergangene Entscheidung schon aus zeitlichen Gründen noch gar nicht Bedacht nehmen können.
Auch mit seinem letzten Argument zeigt der Revisionswerber eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht nicht auf. Er meint, es liege eine im Unionsrecht „indiskutable Diskriminierung“ vor und würde auf die Beschränkung der Freizügigkeit gemäß Art 21 AEUV hinauslaufen, wenn in einem Fall wie dem vorliegenden der Führerscheinbesitzer bei Beibehaltung des Wohnsitzes in Österreich bereits ab dem ersten Tag nach Ablauf der „Mindestsperrfrist“ einen Führerschein erwerben könne, wogegen er bei einer Wohnsitzverlegung in einen anderen EU‑Staat während eines Zeitraums von insgesamt 18 Monaten ab Beginn der österreichischen Entziehungszeit entweder gar keinen oder nur einen in Österreich nicht anzuerkennenden Führerschein erlangen könnte. Dem ist entgegenzuhalten, dass der EuGH lediglich von einer „im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats angewendeten“ Maßnahme spricht (Rs Kapper Rn 76) und es damit den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, in welcher Form diese die konkrete Festlegung der Dauer– regelmäßig unter Bedachtnahme auf den Entziehungsgrund und dessen Bedeutung für die Sicherheit des Straßenverkehrs – regeln wollen. Es erscheint keineswegs fragwürdig, die entsprechenden unionsrechtlichen Vorschriften so zu verstehen, dass im Ergebnis eine gesetzlich festgelegte „Sperrfrist“ nicht grundsätzlich anders zu behandeln ist als eine bescheidmäßig angeordnete und dass die innerstaatlichen Bestimmungen nicht durch die Erlangung eines Führerscheins im Ausland konterkariert werden sollen, was insbesondere in jenen Fällen gilt, in denen sich der Lenker weiterhin ganz überwiegend am inländischen Straßenverkehr beteiligen will. Dieser Gedanke kann insbesondere Art 11 Z 4 Abs 1 der neuen Richtlinie entnommen werden, nach dem es ein Mitgliedstaat abzulehnen hat, einem Bewerber, dessen Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen wurde, einen Führerschein auszustellen. Welche Rechtsansicht letztlich bei richtlinienkonformer Auslegung der Bestimmungen des FSG richtig ist, muss nicht abschließend geprüft werden. Der Revisionswerber zeigt jedenfalls nicht auf, dass dem Berufungsgericht bei der Beurteilung, in der Annahme, der innerhalb der 18‑monatigen Frist ausgestellte tschechische Führerschein habe in Österreich nicht anerkannt werden müssen, liege kein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht, eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen wäre.
Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO). Es ist daher auch nicht zu prüfen, inwieweit es für den erhobenen Schadenersatzanspruch von Bedeutung sein könnte, dass der Kläger zur Erlangung eines Führerscheins die tschechische Führerscheinbehörde über seinen wahren Wohnsitz getäuscht hat und ohne dieses Verhalten die mit dem Fehlen einer Lenkerberechtigung verbundenen Nachteile ebenso erlitten hätte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 40 Abs 1 und § 41 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung nicht auf die mangelnde Zulässigkeit der Revision hingewiesen, sodass ihr Schriftsatz nicht als zweckentsprechende Rechtsverteidigungsmaßnahme angesehen werden kann.
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