OGH 9Ob89/16b

OGH9Ob89/16b26.1.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr in der Rechtssache der klagenden Partei T***** S*****, vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei H*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Paul Vavrovsky, Mag. Christian Schrott, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 9.407 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 2.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 14. September 2016, GZ 22 R 181/16w‑41, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Hallein vom 27. April 2016, GZ 2 C 1253/14d‑36, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0090OB00089.16B.0126.000

 

Spruch:

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 860,58 EUR (darin 143,43 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Begründung:

1. Die im Operationszeitpunkt 16‑jährige Klägerin wurde im Krankenhaus der Beklagten wegen einer akuten, dringlich zu operierenden Appendizitis operiert. Die Akutindikation zur Operation wurde zeitnah nach Diagnosesicherung gestellt. Die Behandlung und die postoperative Betreuung erfolgten lege artis. Die Antibiotikaprophylaxe war ausreichend. Die Klägerin war im Aufklärungsgespräch informiert worden, dass der Eingriff laparoskopisch, und wenn dies nicht möglich sei, mit einem größeren Schnitt durchgeführt werde. Darüber wurde auch ihre Mutter informiert, die in der Folge den Aufklärungsbogen unterschrieb. Eine Aufklärung über mögliche Nebenwirkungen erfolgte nicht, insbesondere auch nicht über einen möglichen späteren Schlingenabszess, der nach der Entlassung der Klägerin auftrat und in einem anderen Krankenhaus behandelt wurde. Wäre die Klägerin vollständig aufgeklärt worden, hätte sie sich mit ihrer Mutter besprochen. Wäre die Mutter darüber aufgeklärt worden, dass sich ein Schlingenabszess bilden kann, hätte sie dennoch in die Operation eingewilligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Vorinstanzen wiesen das Begehren der Klägerin auf Zahlung von 9.407 EUR sA und die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle zukünftigen Schäden aus der unzureichenden Aufklärung ab. Die dagegen erhobene, nachträglich zugelassene Revision der Klägerin ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Zulassungsausspruch nicht zulässig. Die Zurückweisung kann sich auf die Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

2. Der vorgebrachte Verfahrensmangel wurde geprüft, liegt jedoch nicht vor. Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist schon dann mängelfrei, wenn es dazu nachvollziehbare Überlegungen anstellt und in seinem Urteil festhält (RIS‑Justiz RS0043162 [T4]). Das war hier bezüglich der von der Klägerin vermissten Einholung eines Obergutachtens der Fall. Im Übrigen ist die Frage, ob weitere Sachverständigengutachten einzuholen sind, eine solche der nicht revisiblen Beweiswürdigung (RIS‑Justiz RS0043320; RS0043414).

3. Inhaltlich bringt die Klägerin vor, nach § 173 ABGB könne das einsichts- und urteilsfähige Kind nur selbst eine Einwilligung in medizinische Behandlungen erteilen. Sie sei nicht ausreichend über allfällige Nebenwirkungen aufgeklärt worden. Wäre mehr Zeit zwischen der Aufklärung und der Operation gewesen, hätte sie sich mit ihrer Mutter entsprechend beraten und wäre dann, wenn es sich ausgegangen wäre, in das andere Krankenhaus gefahren. Es sei ihr Selbstbestimmungsrecht untergraben worden.

Richtig ist, dass im Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht den Arzt bzw den für sein Verhalten haftenden Krankenanstaltenträger die Beweislast dafür trifft, ob der Patient, die Eltern einer mj Patientin oder das Pflegschaftsgericht auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zur Operation erteilt hätten (RIS-Justiz RS0038485). Das Maß der ausreichenden Aufklärung bestimmt sich aber auch nach der Dringlichkeit der Operation. Die Pflicht des Arztes zur Aufklärung ist umso umfassender, je weniger der Eingriff dringlich erscheint (RIS‑Justiz RS0026772; RS0026313). Umgekehrt braucht die Aufklärung umso weniger umfassend zu sein, je notwendiger der Eingriff für die Gesundheit der Patienten ist (RIS‑Justiz RS0026772 [T10]). Bei einer dringenden Operation, die für den Patienten vitale Bedeutung hat, ist die Aufklärungspflicht des Arztes nicht zu überspannen. Letztlich ist der konkrete Umfang der Aufklärungspflicht aber stets eine Frage des Einzelfalls und begründet daher idR keine erhebliche Rechtsfrage (RIS‑Justiz RS0026529).

Hier steht als hypothetische Reaktion der Klägerin fest, dass sie sich bei vollständiger Aufklärung mit ihrer Mutter besprochen hätte, die nach den Feststellungen in die Operation eingewilligt hätte. Daraus ist zwar noch nicht auf das Einverständnis der Klägerin selbst zu schließen. Dies schadet aber nicht, weil die Vorinstanzen vom Vorliegen eines Notfalls ausgegangen sind und eine umfangreiche Aufklärung über einen möglichen Schlingenabszess für entbehrlich erachteten. Das ist im vorliegenden Fall vertretbar und nicht weiter korrekturbedürftig, zumal die Klägerin auch in der Revision nicht behauptet, dass der Eingriff nicht dringend gewesen wäre. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin noch bezüglich der Narkose aufgeklärt werden konnte, weil bei Dringlichkeit die gegebenenfalls zu reduzierenden Aufklärungspflichten zu gewichten sind.

4.  Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision der Klägerin daher zurückzuweisen.

Stichworte