OGH 10ObS163/16t

OGH10ObS163/16t24.1.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Dr. Schramm als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Cadilek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Univ.‑Prof. Dr. U*****, vertreten durch Prutsch & Partner Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Josefstädter Straße 80, 1081 Wien, wegen Leistungen aus der Unfallversicherung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 11. November 2016, GZ 6 Rs 56/16a‑10, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00163.16T.0124.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der am 10. September 1957 geborene Kläger erlitt im Rahmen einer Dienstreise zu einem Kongress nach München nach der Begrüßungsveranstaltung, die am Abend des 23. Juli 2015 in einem Biergarten stattfand, einen Unfall: Er und eine Mitarbeiterin der von ihm präsidierten medizinischen Gesellschaft besprachen den folgenden Kongresstag, an dem der Kläger einen Vortrag halten sollte, und bemerkten – bereits nach Mitternacht – als letzte Gäste, dass der Biergarten in der Zwischenzeit versperrt worden war. Sie kletterten im Dunkeln auf die 1,80 m hohe Begrenzungsmauer des Biergartens und sprangen auf der anderen Seite hinunter. Dabei zog sich der Kläger am linken Fuß eine Fersenbeintrümmerfraktur, eine Fraktur der großen Zehe sowie Prellungen zu.

Die beklagte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter qualifizierte den Unfall nicht als Dienstunfall und lehnte die Gewährung von Leistungen ab.

Die Vorinstanzen wiesen die auf Gewährung von Leistungen aus der Unfallversicherung gerichtete Klage ab. Das Verhalten des Klägers sei in der gegebenen Situation völlig unvernünftig und unsinnig gewesen. Anstatt mit dem mitgeführten Mobiltelefon Kontakt mit dem Hotel, der Polizei oder der Feuerwehr aufzunehmen, um Hilfestellung zu erhalten, habe er sich einer für jedermann leicht erkennbaren Gefahr ausgesetzt, von der er ereilt wurde. Dadurch sei der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gelöst worden.

In seiner außerordentlichen Revision gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt der Kläger in den Vordergrund, dass ihm – ex ante betrachtet – gerade kein unvernünftiges und unsinniges Verhalten angelastet werden könne. Ein durchschnittlich verständiger Mensch würde vor Absetzen eines Notrufs genau die von ihm gewählte Variante präferieren; in diesem Sinn sei sein Verhalten objektiv durchaus nachvollziehbar. Mit seiner Rechtsansicht entferne sich das Berufungsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu vergleichbaren Fällen.

Rechtliche Beurteilung

Damit wird keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt.

Die höchstgerichtliche Rechtsprechung verneint einen Kausalzusammenhang zur versicherten Tätigkeit, wenn der Unfall auf einem völlig unvernünftigen und unsinnigen Verhalten des Versicherten beruht, das eine besondere Gefährdung auslöst, weshalb die versicherte Tätigkeit nicht mehr als wesentliche Bedingung für den Unfall anzusehen ist (RIS-Justiz RS0084133). Ähnlich wird judiziert, dass sich der Versicherte ohne jeden inneren Zusammenhang mit seiner geschützten Tätigkeit einer leicht erkennbaren Gefahr aussetzt und von dieser Gefahr ereilt wird (RIS-Justiz RS0103154; zur Differenzierung Fellinger, Der Begriff der selbst geschaffenen Gefahr im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung, in FS Bauer/Mair/Petrag [2004] 355 ff).

Die Beurteilung, ob im konkreten Fall ein Verhalten in so hohem Maß vernunftwidrig war und zu einer solchen besonderen Gefährdung geführt hat, dass die versicherte Tätigkeit nicht mehr als wesentliche Bedingung für den Unfall anzusehen ist, hat stets nach den Umständen des Einzelfalls zu erfolgen (RIS-Justiz RS0084133 [T14]). Auch wenn die Frage, ob die versicherte Tätigkeit noch als wesentliche Bedingung für den Unfall zu qualifizieren ist, in nicht unähnlichen Sachverhalten – einzelfallbezogen aus einer ex ante-Sicht – bejaht wurde, hält sich das von den Vorinstanzen erzielte Ergebnis im Rahmen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung. Zuletzt hat etwa der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 86/15t den Unfallversicherungsschutz bei dem Versuch, ein Haus über ein Fenster im ersten Stock mittels einer provisorisch angelegten Leiter zu betreten, verneint, weil sich der Versicherte ohne jeden inneren Zusammenhang mit seiner geschützten Tätigkeit einer leicht erkennbaren Gefahr ausgesetzt hat und von dieser Gefahr ereilt wurde. In der der genannten Entscheidung zugrunde liegenden Situation war die vom Kläger in seiner außerordentlichen Revision als wesentlich erachtete Motivation, keine fremde Hilfe herbeizuholen, tendenziell sogar größer als in seinem eigenen, hier zu entscheidenden Fall.

Da die einzelfallorientierte Entscheidung des Berufungsgerichts in dem von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung vorgegebenen Rahmen liegt, ist die außerordentliche Revision des Klägers mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen.

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