OGH 9ObA136/16i

OGH9ObA136/16i19.12.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner und ADir. Angelika Neuhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei T***** N*****, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Gernot Götz, Rechtsanwalt in Spittal an der Drau, gegen die beklagte Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch Stock Rafaseder Gruszkiewicz Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 23.124,30 EUR brutto sA, über die außerordentlichen Revisionen der klagenden Partei und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. September 2016, GZ 7 Ra 27/16s‑21, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00136.16I.1219.000

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionen der klagenden Partei und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Der Europäische Gerichtshof und der Oberste Gerichtshof hatten sich bereits in mehreren Entscheidungen mit Fällen eines Auftragnehmerwechsels in Verbindung mit der Frage eines allfälligen Betriebsübergangs („Funktionsnachfolge“) zu befassen. Folgende Kriterien wurden dabei herausgearbeitet:

1.  Das Fehlen einer vertraglichen Beziehung zwischen zwei Unternehmen, denen – wie im vorliegenden Fall zunächst der Nebenintervenientin und anschließend der Beklagten – nacheinander ein Dienstleistungsauftrag erteilt worden ist, kann zwar ein Indiz darstellen, dass kein Übergang iSd § 3 Abs 1 AVRAG bzw der Richtlinie 2001/23/EG erfolgt ist; ihm kommt in diesem Zusammenhang aber keine ausschlaggebende Bedeutung zu (EuGH 11. 3. 1997, C‑13/95 Süzen Rn 11; EuGH 25. 1. 2001, C‑172/99 Oy Liikenne Ab Rn 28 ua).

2. Der Anwendungsbereich der Betriebsübergangsrichtlinie wird dann eröffnet, wenn eine auf Dauer angelegte „wirtschaftliche Einheit“ übergegangen ist, deren Tätigkeit nicht auf die Ausführung eines bestimmten Vorhabens beschränkt ist, also ein Betriebsteil betroffen ist. Dabei muss es sich um eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung handeln (8 ObA 113/03f; 8 ObA 122/03d je mwN; RIS‑Justiz RS0082749 [T3]).

3.  Die Beurteilung der Frage, ob diese wirtschaftliche Einheit auf den neuen Betreiber übergegangen ist, ist aufgrund der den betreffenden Vorgang kennzeichnenden tatsächlichen Umstände vorzunehmen, wie etwa der Übernahme der materiellen und immateriellen Aktiva und des Großteils der Belegschaft, des Übergangs der Kundschaft, des Grades der Ähnlichkeit zwischen der vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeit und der Dauer einer eventuellen Einstellung dieser Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Übergang (RIS‑Justiz RS0082749). In der zu erfolgenden Gesamtbewertung dieser Umstände hat das nationale Gericht insbesondere auch die Art des betroffenen Unternehmens oder Betriebs zu berücksichtigen (EuGH 25. 1. 2001, C‑172/99 Oy Liikenne Ab Rn 33 ff; EuGH 15. 12. 2005, C‑232/04, C‑233/04 Nurten Güney-Görres und Gul Demir Rn 34 f).

4.  Allein der Umstand, dass die von dem alten und dem neuen Auftragnehmer erbrachten Dienstleistungen ähnlich sind, erlaubt noch nicht den Schluss, dass der Übergang einer wirtschaftlichen Einheit vorliegt. Der bloße Verlust eines Auftrags an einen Mitbewerber stellt daher für sich genommen keinen Übergang im Sinne der Richtlinie dar (EuGH 11. 4. 1997, C‑13/95 Süzen Rn 15 f; EuGH 25. 1. 2001, C‑172/99 Oy Liikenne Ab Rn 34). Ein Betriebs‑(teil‑)übergang liegt in diesen Fällen dann vor, wenn entweder der neue Auftragnehmer einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Belegschaftsteil übernommen hat (EuGH 11. 4. 1997, C‑13/95 Süzen; EuGH 15. 12. 2005, C‑232/04, C‑233/04 Nurten Güney-Görres und Gul Demir ) oder in Branchen, in denen es nicht wesentlich auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, weil die Tätigkeit in erheblichem Umfang Material und Einrichtungen erfordert, der zweite Unternehmer die zuvor vom ersten Unternehmer benutzten und beiden nacheinander vom Auftraggeber zur Verfügung gestellten wesentlichen materiellen und für die betreffende Tätigkeit unverzichtbaren Betriebsmittel benutzt (EuGH 20. 11. 2003, C‑340/01 Abler , Rn 36; EuGH 25. 1. 2001, C‑172/99 Oy Liikenne Ab Rn 39; 8 ObA 122/03d; 9 ObA 119/14m).

5.  Ob letztlich ein Betriebsübergang iSd § 3 Abs 1 AVRAG vorliegt, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab (8 ObA 2/06m mwN; RIS‑Justiz RS0124074). Das Berufungsgericht hat die einschlägige Rechtsprechung ausführlich dargestellt. Ihre Anwendung auf den konkreten Einzelfall begründet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0124074).

Die Auftraggeberin ist Eigentümerin eines aus fünf Untergeschoßen und 18 Obergeschoßen bestehenden Gebäudes. Bis Ende Oktober 2014 war die Nebenintervenientin auf Klagsseite mit dem technischen Gebäudemanagement, also der technischen Verwaltung und Bewirtschaftung des Gebäudes, betraut. Nach einer Ausschreibung der Auftraggeberin erhielt die Beklagte den Zuschlag für diesen Auftrag. Dieser umfasst im Wesentlichen die regelmäßige Inspektion, Wartung und Instandhaltung sämtlicher technischer Anlagen. Die Beklagte übernahm weder den Kläger noch die anderen sechs von der Nebenintervenientin für diese Arbeiten eingesetzten Arbeitnehmer, sondern beschäftigt dafür eigene Mitarbeiter.

Das Berufungsgericht wies zutreffend darauf hin, dass vom Auftraggeber sowohl dem zunächst beauftragten Vorgänger als auch dem danach beauftragen Nachfolger zur Verfügung gestellte Betriebsmittel (Software, Videoanlage, Funkgeräte etc) nicht mit den beim Auftraggeber vorhandenen betrieblichen Einrichtungen (Gebäude, Infrastruktur etc) vermengt werden dürfen, an denen die beauftragten Leistungen zu erbringen sind. Wenn es daher in Abwägung der konkreten Umstände des Einzelfalls letztlich zur rechtlichen Beurteilung gelangte, dass im vorliegenden Fall noch nicht jener Grad und jene Intensität an gemeinsam (nacheinander) genutzten wesentlichen Betriebsmitteln erreicht wird, wie er etwa dem vom EuGH zu C‑340/01, Abler , entschiedenen Fall zugrunde lag, sodass von keiner zum Betriebsübergang führenden Funktionsnachfolge auszugehen ist, so ist dies nicht als unvertretbar zu beanstanden.

Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO sind die außerordentlichen Revisionen des Klägers und der Nebenintervenientin zurückzuweisen.

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