European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0020OB00187.16P.1219.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 1.465,55 EUR (darin enthalten 244,26 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin stieg am 4. 2. 2011 gegen 7:30 Uhr bei der Autobusstation der Linie 32A, J*****dorf, der beklagten Parteien aus. Diese Station befindet sich in der B*****gasse, einer parallel zur B*****straße verlaufenden Straße, die im Unfallbereich mit der B*****straße durch die zu beiden Straßen quer verlaufende F*****gasse verbunden ist. Die Klägerin ging von der Autobushaltestelle in der B*****gasse bis zur Kreuzung mit der F*****gasse und bog dort nach links in die F*****gasse in Richtung B*****straße ein, weil sie zur Haltestelle der Straßenbahnlinien 30 und 31 in der B*****straße gehen wollte.
In der F*****gasse selbst befindet sich ebenfalls eine Autobushaltestelle der beklagten Parteien für die Linen 30A, 31A, 32A (in die Gegenrichtung) und 36A. Im Bereich dieser Haltestelle kam die Klägerin auf eine Eisplatte zu Sturz und zog sich einen Bruch des linken Sprunggelenks zu. Im Zeitpunkt des Unfalls verfügte sie über eine gültige Jahreskarte der beklagten Parteien.
Nicht festgestellt werden konnte, wer Eigentümer jener Liegenschaft ist, die an den Gehsteig bei der Haltestelle F*****gasse angrenzt. Mit der Winterbetreuung des Haltestellenbereichs in der F*****gasse haben die beklagten Parteien die Nebenintervenientin beauftragt.
Die Klägerin begehrt Schmerzengeld sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche künftigen unfallkausalen Ansprüche. Die Beklagten seien für die Schneeräumung des Gehsteigs verantwortlich gewesen.
Die Beklagten bestritten und brachten ihrerseits vor, die Nebenintervenientin mit dem Winterdienst beauftragt zu haben. Allfällige vertragliche Verpflichtungen des Beförderungsunternehmens gegenüber der Klägerin würden sich auf den Haltestellenbereich beschränken, in dem sie ein‑ oder ausgestiegen sei, nicht aber für alle Haltestellen gelten, die sich zufällig auf ihrer Wegstrecke befunden hätten.
Die Nebenintervenientin brachte vor, der Haltestellenbereich sei kontrolliert und gestreut gewesen. Im Übrigen habe die Klägerin ihn nicht zum Ein‑ oder Aussteigen, sondern als Gehsteig im Sinne des § 93 StVO genutzt, sodass eine vertragliche Haftung nicht in Betracht komme.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Selbst wenn die Beklagten Eigentümer der an den Haltestellenbereich angrenzenden Liegenschaft sein sollten, hätten sie ihre Verpflichtung nach § 93 Abs 5 StVO auf die Nebenintervenientin übertragen. Eine gesetzliche Verpflichtung des Betreibers eines Massenverkehrsmittels, den Haltestellenbereich von Schnee und Eis zu säubern, bestehe nicht; ein vertraglicher Anspruch ebensowenig, weil die Klägerin an der Haltestelle F*****gasse keine Beförderungsleistungen in Anspruch genommen, sondern diese nur überquert habe.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Das Beförderungsunternehmen treffe aus einem Beförderungsvertrag zwar die Nebenverpflichtung, das körperliche Wohlbefinden des beförderten Fahrgastes nicht zu verletzen, wozu auch die gefahrlose Inanspruchnahme der Zu- bzw Abgänge der Verkehrsmittel gehöre und woraus bei Auftreten von Glatteis die Verpflichtung zur Beseitigung der Gefahren resultiere. Auch sei davon auszugehen, dass beim Erwerb eines Fahrscheins im Vorverkauf, insbesondere einer Zeitkarte (Monatskarte, Jahreskarte), bereits mit dem Erwerb des Fahrausweises der Beförderungsvertrag zustande komme und das Einsteigen bereits im Erfüllungsstadium liege. Der Fahrgast nehme mit dem Einsteigen bloß sein aus dem zuvor geschlossenen Vertrag erfließendes Recht auf Beförderung in Anspruch und setze einen Akt der Konkretisierung des Schuldverhältnisses im Sinne des § 906 ABGB.
Hier habe die Klägerin zwar eine Jahreskarte besessen, sodass von einem aufrechten Beförderungsvertrag zwischen ihr und der Erstbeklagten auszugehen sei. Allerdings habe sie an der Bushaltestelle F*****gasse keine Beförderungsleistungen in Anspruch genommen. Während das Einsteigen in das Verkehrsmittel und das Aussteigen aus diesem jeweils dem Erfüllungsstadium des Beförderungsvertrags zuzurechnen seien, weil beides ein wesentliches Element der Personenbeförderung darstelle, gelte dies nicht für das bloße Überqueren des Haltestellenbereichs.
Weder das Aussteigen in einem anderen Haltestellenbereich noch die Tatsache, dass die Klägerin auf dem Weg zu einer Einstiegsstelle gewesen sei, ändere etwas daran, dass sie bei der Haltestelle F*****gasse keine vertragliche Hauptleistung in Anspruch genommen habe bzw in Anspruch habe nehmen wollen. Das Überqueren der Bushaltestelle F*****gasse sei auch keine zwangsläufige Voraussetzung für das Erreichen der Straßenbahn in der B*****straße im Sinne der Entscheidung 2 Ob 35/97d. Eine vertragliche Haftung bestehe daher nicht. Die Beklagten hätten auch keine allgemeine, vom Vertragsverhältnis unabhängige Verkehrssicherungspflicht verletzt, weil es sich beim Unfallbereich nicht um eine Fläche gehandelt habe, die erst durch die Einrichtung der Haltestelle zugänglich gemacht geworden sei, sondern um einen Gehsteig, der dem allgemeinen Fußgängerverkehr diene.
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision erst nachträglich zu. Der Klägerin sei zuzugestehen, dass keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage vorliege, ob die vertragliche Verkehrssicherungspflicht des Betreibers eines Massenbeförderungsmittels auch die Verpflichtung umfasse, für die gefahrlose Gestaltung von Ein‑ und Ausstiegsstellen zu sorgen, die ein Vertragspartner im Zuge eines Umsteigevorgangs lediglich überquere.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Abänderungsantrag, dem Klagebegehren stattzugeben; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagten Parteien beantragen, die Revision zurückzuweisen; in eventu, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig , sie ist aber nicht berechtigt :
1. Zur Haftung nach § 93 StVO:
Soweit die Revisionswerberin meint, dass es dahingestellt bleiben könne, wer Eigentümer der an die Unfallstelle angrenzenden Liegenschaft sei, weil dann, wenn „dort“ ein Gebäude der Beklagten „im Bereich des Gehsteigs“ stehe, auch diese neben einem allfälligen Eigentümer die Schneeräumungspflicht nach § 93 Abs 1 StVO treffe, ist sie auf den Gesetzestext der genannten Bestimmung zu verweisen, der diese Pflicht ausdrücklich dem Eigentümer der angrenzenden Liegenschaft zuweist (RIS‑Justiz RS0075596; 2 Ob 17/90 ZVR 1991/48).
Selbst wenn man aber von einer solchen Verpflichtung (zufolge „Anrainer“‑Eigenschaft) ausginge, haben bereits die Vorinstanzen zutreffend darauf verwiesen, dass diese dann gemäß § 93 Abs 5 StVO auf die mit dem Winterdienst beauftragte Nebenintervenientin übergegangen wäre.
2. Zur vertraglichen Haftung der beklagten Parteien:
2.1. In diesem Zusammenhang meint die Klägerin, sie habe im Bereich der F*****gasse nicht eine beliebige Wegstrecke zurücklegen, sondern die konkrete deswegen passieren wollen, um eine Beförderungsleistung der Erstbeklagten in Anspruch zu nehmen. Dadurch sei die Leistung aus dem Beförderungsvertrag abgerufen und konkretisiert worden. Es sei rechtlich nicht relevant, ob die Klägerin gerade dasjenige Verkehrsmittel der beklagten Partei benützen habe wollen, in dessen Haltestellenbereich sie zu Sturz gekommen sei, sondern lediglich, dass sie ein Verkehrsmittel der beklagten Partei benutzt habe und zu dieser in einem Vertragsverhältnis gestanden sei. Die Klägerin habe aufgrund ihres Vertragsverhältnisses zu den beklagten Parteien ein Recht auf Erfüllung der Verkehrssicherungspflichten auf sämtlichen Wegen, die sie benützen habe können, um zu Fuß zur Haltestelle der Straßenbahnlinien 30 und 31 zu gehen. Dies sei keine Überspannung der Verkehrssicherungspflicht, weil die beklagten Parteien wie jedermann für Verkehrssicherheit zu sorgen hätten, wenn sie einen in ihrer Verfügung stehenden Grund und Boden für den Verkehr von Menschen eröffneten.
2.2. Wie bereits das Berufungsgericht aufzeigte, hat der erkennende Senat in 2 Ob 206/11z (ZVR 2013/203) in Anschluss an die Argumente Stefulas , Zivilrechtliche Fragen des Schwarzfahrens, ÖJZ 2002/14, 826 ff, ausgesprochen, dass ein Fahrgast, der seinen Fahrausweis im Vorverkauf erwirbt, bereits damit den Beförderungsvertrag perfektioniert. In diesem Fall gäben die Fahrgäste mit dem Einsteigen in das Verkehrsmittel keine auf den Abschluss des Beförderungsvertrags gerichtete Willenserklärung ab, sondern erfolge das Einsteigen im Rahmen des Erfüllungsstadiums eines bereits zuvor geschlossenen Vertrags. Die Fahrgäste nähmen dadurch das aus dem zuvor geschlossenen Vertrag erfließende Recht auf Beförderung tatsächlich in Anspruch, sie riefen ihren Anspruch quasi ab. Laute die bereits vor Fahrtantritt gelöste Fahrkarte nicht auf eine bestimmte Strecke oder Zeit, stelle das Einsteigen zusätzlich einen besonderen Akt der Konkretisierung des Schuldverhältnisses im Sinne eines Gläubigerwahlrechts nach § 906 ABGB dar (so auch Rummel in Rummel/Lukas ABGB 4 § 861 Rz 19 sowie Reischauer in Rummel/Lukas ABGB 4 § 906 Rz 3).
2.3. Auch entspricht es der ständigen Judikatur, dass aus der ein Verkehrsunternehmen treffenden Verkehrssicherungspflicht die Aufgabe resultiert, bei Auftreten von Glatteis im Bereich von Haltestellen entsprechende Maßnahmen zur Beseitigung der daraus für die Fahrgäste erwachsenden Gefahren zu treffen, wobei diese Verpflichtung neben jene des Anliegers tritt (RIS‑Justiz RS0023578). Davon sind zum Beispiel auch Eisengitter im Bereich des Ausgangs einer Station umfasst, die die beförderten Personen zwangsläufig beim Betreten oder Verlassen des Stationsbereichs überschreiten müssen (5 Ob 145/07w), und zwar unabhängig von den Eigentumsverhältnissen oder der Haltereigenschaft für den Weg (2 Ob 139/08t).
2.4. Geben Fahrkarten das Recht, die Beförderung innerhalb bestimmter Strecken eines Verkehrsunternehmens oder Verkehrsverbundes zu wählen, hat der Gläubiger auch ein Wahlrecht bezüglich der zu leistenden Sache. Das Wahlrecht ist dann insbesondere bezüglich etwaiger Haftungen der Verkehrsunternehmer aus dem Beförderungsvertrag von Bedeutung ( Reischauer aaO).
Auch der Inhaber einer Jahreskarte eines Beförderungsunternehmens ist nämlich nur dann als von seinem Wahlrecht Gebrauch machender Fahrgast dieses Unternehmens anzusehen, wenn er konkret Erfüllungshandlungen aus dem Vertrag abruft. Nur dann wird er aus dem Kreis der allgemein zB aufgrund Gemeingebrauchs den Gehsteig im Bereich einer Haltestelle benutzenden Fußgänger herausgehoben und bestehen ihm gegenüber die dargelegten Verkehrssicherungspflichten.
2.5. Hier war die Klägerin aus einem Transportmittel der beklagten Parteien ausgestiegen und hatte damit einen Vorgang des Leistungsabrufs aus dem Beförderungsvertrag beendet und befand sich auf dem Weg zu einer anderen Einstiegsstelle, um dort wiederum einen Leistungsabruf aus ihrem Beförderungsvertrag zu beginnen. Dabei kam sie im Bereich einer Haltestelle zu Sturz, an der sie keine Beförderungsleistung abzurufen beabsichtigte, also keinen Akt der Konkretisierung des Schuldverhältnisses einleitete, und daher „einfache“ Fußgängerin blieb. Dort bestanden ihr gegenüber daher keine besonderen vertraglichen Verkehrssicherungspflichten.
3. Zu den allgemeinen Verkehrssicherungs‑ pflichten:
Die Revisionswerberin meint, dass die beklagten Parteien ihre Verkehrssicherungspflicht auch insoweit verletzt hätten, als sie nach der allgemeinen Regel hafteten, wonach jeder, der auf einem ihm gehörigen oder seiner Verfügung unterstehenden Grund und Boden einen Verkehr für Menschen eröffne, dafür einzustehen habe.
Dafür dass die beklagten Parteien aber im Bereich der Haltestelle F*****gasse einen über die Erfüllung von Vertragsverhältnissen gegenüber dort aus‑ oder einsteigenden Fahrgästen hinausgehenden allgemeinen Verkehr für Menschen eröffnet hätten, geben die Feststellungen keinerlei Anhaltspunkt. Dafür sprechende Umstände werden auch in der Revision nicht angeführt, sodass eine Haftung aus allgemeinen Verkehrssicherungspflichten ebenfalls nicht anzunehmen ist.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.
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