OGH 23Os2/16s

OGH23Os2/16s7.12.2016

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 7. Dezember 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Konzett und Mag. Brunar sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Sailer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Rathgeb als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die „Beschwerde“ des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Vorarlberg vom 12. April 2016, AZ D 21/13, Dv 3/14, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, des Kammeranwalts Dr. Mandl, des Beschuldigten und seines Verteidigers Mag. Harg zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0230OS00002.16S.1207.000

 

Spruch:

Teils in Stattgebung der Berufung, teils aus deren Anlass wird das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt:

Der Beschuldigte wird von dem wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe

a) die mehrfach ausgesprochene Vollmachtskündigung seiner Mandantschaft H***** spätestens ab dem 17. Mai 2013 ignoriert und trotz Mandatskündigung weitere Leistungen erbracht und abgerechnet sowie

b) das strittige Honorar aus den Honorarnoten Nr 103/2013 und 104/2013, jeweils vom 11. Juni 2013, in der Höhe von zusammen 17.964,64 Euro nicht gerichtlich hinterlegt, freigesprochen.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde ***** wegen des im Spruch wiedergegebenen Verhaltens der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes schuldig erkannt und über ihn eine Geldbuße in der Höhe von 1.000 Euro verhängt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich (keine Nichtigkeitsgründe bezeichnende, wegen „unrichtiger Feststellungen, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Grundrechtsverletzungen“ erhobene) als Beschwerde bezeichnete Berufung (vgl hiezu RIS‑Justiz RS0128656 [T1]).

Mit Recht wird (der Sache nach aus § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) die fehlende Tatbestandsmäßigkeit des zu b) vorgeworfenen Verhaltens geltend gemacht.

§ 19 Abs 1, Abs 3 RAO verpflichtet den Rechtsanwalt nämlich nur, Gelder, die für seine Partei bei ihm eingegangen sind, im Fall der Bestreitung seiner Honorarforderung gerichtlich zu hinterlegen oder zurückzuzahlen. Auf Geld, das dem Rechtsanwalt (von der Partei) als Vorschuss für sein Honorar übergeben wurde, bezieht sich diese Bestimmung jedoch nach ihrem eindeutigen Wortlaut nicht. Auch aus den §§ 9 und 11 RAO lässt sich eine im Fall der Bestreitung der Honorarabrechnung durch den Mandanten bestehende Verpflichtung des Rechtsanwalts zur Rückzahlung oder gerichtlichen Hinterlegung eines für sein Honorar geleisteten Vorschusses nicht ableiten (vgl 20 Os 25/15z, 27 Os 3/14i).

Gleiches gilt auf die § 19 Abs 3 RAO Bezug nehmende, gegenüber § 17 RL‑BA 1977 gänzlich unveränderte Vorschrift des § 14 RL‑BA 2015.

Aus Anlass der Berufung überzeugte sich der Oberste Gerichtshof davon, dass – ausgehend von den Feststellungen des Disziplinarrats – hinsichtlich des Schuldspruchs a) sämtliche Voraussetzungen mangelnder Strafwürdigkeit der Tat nach § 3 DSt vorliegen.

Demgemäß hatte der Beschuldigte F***** H***** bereits 2011 in einem von den USA angestrebten Auslieferungsverfahren vertreten und dessen Einstellung sowie die Enthaftung seines Klienten erreicht. In der Folge brachte der Beschuldigte für H***** eine Verfassungsgerichtshofbeschwerde gegen den Auslieferungshaftbefehl der USA ein und verfasste danach eine betreffende Eingabe an den EGMR.

Als H***** am 27. April 2013 aufgrund des aufrechten Haftbefehls der USA in Kroatien erneut inhaftiert wurde, wurde der Beschuldigte von dessen Gattin kontaktiert, um einen Rechtsanwalt in Kroatien zu vermitteln. Nach einigen Unstimmigkeiten über den Ablauf der Vertretungstätigkeit kündigte die Gattin des Mandanten dem Beschuldigten telefonisch die Vollmacht und erklärte in einer E‑Mail vom 17. 5. 2013: „Wie ich Ihnen gestern schon telefonisch mitgeteilt habe, hat sich mein Mann entschieden, Ihnen keine Vollmacht für seine Vertretung in Kroatien zu erteilen, sondern die Verantwortung bei den kroatischen Verteidigern zu belassen ...“.

Der Beschuldigte nahm die Vollmachtskündigungen zunächst dennoch nicht zur Kenntnis und erbrachte für seinen Klienten weitere Leistungen (Besprechung mit einem Rechtsanwalt, vier E‑Mails, ein Telefonat), für welche er ca 1.100 Euro in Rechnung stellte (Honorarnote Nr 104/2013; „integrierender Bestandteil des Erkenntnisses).

Ausgehend von diesen Konstatierungen wäre das Verschulden des Beschuldigten im Hinblick auf den über Jahre getätigten Einsatz für den Mandanten und die bestehenden Unklarheiten hinsichtlich des (aufrechten) Vollmachtsverhältnisses des Mandanten zum Rechtsanwalt in Kroatien geringfügig. Dies gilt umso mehr, als auch in der Korrespondenz mit der Ehefrau des Mandanten, die in ihren E‑Mails vom 17. Mai 2013 und 19. Mai 2013 selbst bemüht war, zwischen der Tätigkeit des Beschuldigten und jener des in Kroatien beauftragten Anwalts zu unterscheiden, betont wird, das jedes weitere Vorgehen in Kroatien mit dem dort tätigen Rechtsanwalt abgesprochen werden muss. Die Leistungen des Beschuldigten betreffen dementsprechend auch nicht Eingaben an das zuständige kroatische Gericht, sondern Leistungen über die weitere Informationsaufnahme im Zusammenhang mit der Suche nach einer allfälligen (alternativen) Vertretung in Kroatien, zu der die Ehefrau des Mandanten auch noch am 19. Mai 2013 mitteilte, dass sie über jede hilfreiche Information froh sei. Darüber hinaus hatte der kroatische Verteidiger gegenüber der Ehegattin des Inhaftierten erklärt, dass er die Vollmacht kündige und nur die notwendigen anwaltlichen Handlungen, zu denen er verpflichtet sei, unternehme, bis ein neuer Rechtsanwalt beauftragt werde. Der Beschuldigte durfte also zu diesem Zeitpunkt vertretbar davon ausgehen, dass nicht abschließend geklärt sei, ob ein aufrechtes Vollmachtsverhältnis zum Anwalt in Kroatien bestehe.

Mit Blick auf das durch neuerliche Inhaftierung den Mandanten massiv belastende Übel wäre selbst eine ungerechtfertigte Forderung eines Honorars von knapp über 1.000 Euro bloß als unbedeutende Folge zu qualifizieren.

Damit war insgesamt mit Freispruch nach § 38 Abs 1 erster Fall DSt vorzugehen und erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Berufungsvorbringen.

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