OGH 9ObA146/16k

OGH9ObA146/16k29.11.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Dr. Gerda Höhrhan‑Weiguni in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei D***** R*****, vertreten durch Mahringer Steinwender Bestebner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei N***** GmbH, *****, vertreten durch Pallauf Meissnitzer Staindl & Partner, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 153,32 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 6. September 2016, GZ 11 Ra 59/16z‑13, mit der der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 1. Juni 2016, GZ 11 Cga 34/16k‑9, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00146.16K.1129.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts zu lauten hat:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 153,32 EUR samt 9,08 % Zinsen seit 16. 11. 2016 zu zahlen und der Kammer für Arbeiter und Angestellte Salzburg 755 EUR an Aufwandersatz zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist weiter schuldig, der Kammer für Arbeiter und Angestellte Salzburg binnen 14 Tagen 475 EUR an Aufwandersatz für die Kosten des Berufungsverfahrens und der klagenden Partei die mit 186,46 EUR (darin 31,08 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war von 29. 11. 2011 bis 16. 11. 2015 bei der Beklagten als Reinigungskraft beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis war der Kollektivvertrag für Denkmal‑, Fassaden‑ und Gebäudereiniger anzuwenden. Das Arbeitsverhältnis endete durch Dienstgeberkündigung. Mit der Lohnabrechnung für Oktober 2015 zahlte die Beklagte der Klägerin 1.070,20 EUR brutto an (aliquoter) Weihnachtsremuneration unter Rückverrechnung des für den Zeitraum 17. 11. bis 31. 12. 2015 bereits ausbezahlten aliquoten Teils des Urlaubszuschusses aus.

Die Klägerin begehrte die Zahlung von 153,32 EUR brutto an restlicher Weihnachtsremuneration, die der Höhe nach unstrittig ist.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, nach dem Kollektivvertrag gebühre Arbeitnehmern bei unterjähriger Beschäftigung jeweils nur der der Dauer der Beschäftigung entsprechende aliquote Teil an Sonderzahlungen. § 13 Abs 6 des Kollektivvertrags sehe ein Rückzahlungsgebot vor, enthalte jedoch kein Rückverrechnungsverbot. Nach der Rechtsprechung könne daher ein anteiliger Überbezug von Sonderzahlungen rückverrechnet werden. Auch bestehe nach § 13 Abs 8 des Kollektivvertrags für entgeltfreie Zeiten kein Anspruch auf Sonderzahlungen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Klägerin sei nicht als schutzwürdig anzusehen, wenn die im Voraus bezahlte Sonderzahlung bei der Endabrechnung aliquot saldiert werde. Diese Vorgangsweise werde auch dann als zulässig anzusehen sein, wenn im Kollektivvertrag nur bei ArbeitnehmerInnenkündigungen eine aliquote Rückzahlung ausdrücklich angeführt werde. Für einen endgültigen Anspruchserwerb der Sonderzahlung durch den/die ArbeitnehmerIn bei Auszahlung müsste im Kollektivvertrag normiert sein, dass in jedem oder zumindest im vorliegenden Beendigungsfall eine Rückverrechnung ausgeschlossen sei.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge. § 13 Abs 6 zweiter Satz des Kollektivvertrags enthalte eine Klarstellung dahin, dass bei einer Arbeitnehmerkündigung der bereits erhaltene Urlaubszuschuss vom Arbeitnehmer nur im aliquoten Anteil zurückzuzahlen sei. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Arbeitgeberkündigung, unberechtigter Entlassung oder berechtigtem vorzeitigen Austritt habe der Arbeitnehmer den aliquoten, verhältnismäßig zu viel bezahlten Anteil des Urlaubszuschusses nicht zurückzuzahlen. Daraus lasse sich aber denknotwendig ein Aufrechnungsverbot nicht ableiten. Nach dem Wortlaut der Bestimmung sei nur der Fall der Rückzahlungsverpflichtung des Arbeitnehmers geregelt, aber nicht eine Rückverrechnung im Sinn einer Aufrechnung bzw eines Einbehalts des Überbezugs im Abzugsweg. Mangels einer solchen Regelung könne der anteilige Überbezug im Sinn einer Aufrechnung im Abzugsweg rückverrechnet werden. Zweck der Regelung sei offenbar, zwar eine Aufrechnung zuzulassen, was auch zum gänzlichen Verlust der Endabrechnungsansprüche führen könne, den Arbeitnehmer darüber hinaus jedoch nicht zur Aufwendung ihm bereits zugeflossener Mittel zu verpflichten. Sonst wären auch jene Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis erst nach Auszahlung der Jahresremuneration etwa durch Arbeitgeberkündigung geendet habe, gegenüber jenen Arbeitnehmern unsachlich bevorzugt, deren Arbeitsverhältnis vor Auszahlung der Jahresremuneration auf diese Weise beendet würde. Die Revision sei zur Auslegung der Bestimmung zulässig.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Klägerin die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsstattgebung; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

1.  § 13 des Kollektivvertrags für Denkmal‑, Fassaden‑ und Gebäudereiniger lautet:

„§ 13 Urlaubszuschuss/Weihnachtsremuneration

(1) Alle Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer haben einmal in jedem Kalenderjahr einen Anspruch auf einen Urlaubszuschuss sowie eine Weihnachtsremuneration.

(2) …

(3) Der Urlaubszuschuss ist mit der Mailohnauszahlung (spätestens 15. Juni) auszuzahlen, die Weihnachtsremuneration mit der Oktoberlohnauszahlung (spätestens 15. November) auszubezahlen.

(4) …

(5) Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer, die während des Kalenderjahres ausscheiden, erhalten den aliquoten Teil des Urlaubszuschusses und der Weihnachtsremuneration entsprechend der im Kalenderjahr zurückgelegten Beschäftigung.

Dieser Anspruch entfällt jedoch, wenn die/der Arbeitnehmerin/Arbeitnehmer gemäß § 82 GewO 1859 (§ 15 BAG) berechtigt entlassen wird oder wenn sie bzw. er ohne wichtigen Grund gemäß § 82a GewO 1859 (§ 15 BAG) vorzeitig austritt.

(6) Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer, die den Urlaubszuschuss für das laufende Kalenderjahr bereits erhalten haben, aber noch vor Ablauf des Kalenderjahres ausscheiden, haben den erhaltenen Urlaubszuschuss nur dann zurückzuzahlen, wenn sie nach § 82 GewO 1859 (§ 15 BAG) berechtigt entlassen werden oder ohne wichtigen Grund gem. § 82a GewO 1859 (§ 15 BAG) vorzeitig austreten. Bei Kündigung durch die/den Arbeitnehmerin/Arbeitnehmer ist nur der auf den Rest des Kalenderjahres entfallende und verhältnismäßig zu viel bezahlte Anteil zurückzubezahlen.

(7) …

(8) Für entgeltfreie Zeiten gebühren kein Urlaubszuschuss und keine Weihnachtsremuneration.“

2. Der normative Teil eines Kollektivvertrags ist gemäß den §§ 6 und 7 ABGB nach seinem objektiven Inhalt auszulegen; maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RIS‑Justiz RS0010088). In erster Linie ist dabei der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0010089). Da den Kollektivvertragsparteien grundsätzlich unterstellt werden darf, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten, ist bei mehreren an sich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten, wenn alle anderen Auslegungsgrundsätze versagen, jener der Vorzug zu geben, die diesen Anforderungen am meisten entspricht (RIS‑Justiz RS0008828).

3. Den Kollektivvertragsparteien ist es unbenommen, das Entstehen des Anspruchs auf Sonderzahlungen, auf die kein gesetzlicher Anspruch besteht, an bestimmte Bedingungen zu knüpfen (RIS‑Justiz RS0048332). Entfällt nach den Bestimmungen eines Kollektivvertrags der Anspruch auf eine aliquote Sonderzahlung, wenn das Dienstverhältnis seitens des Dienstnehmers durch vorzeitigen Austritt ohne wichtigen Grund gelöst wird oder wenn er entlassen wird, bedeutet dies, dass dieser Anspruch bei einer gerechtfertigten Entlassung des Arbeitnehmers gar nicht erworben wird und ein bereits erhaltender Urlaubszuschuss auch ohne ausdrückliche Rückzahlungsverpflichtung zurückzuzahlen ist (9 ObA 97/08t, 8 ObS 2/04s, jeweils mwN). Regelt hingegen der Kollektivvertrag die Frage der anteilsmäßigen Rückverrechnung ausdrücklich, kommt eine Rückverrechnung nur in den im Kollektivvertrag vorgesehenen Fällen in Betracht (8 ObS 2/04s mwN).

4. Im vorliegenden Fall haben die Kollektivvertragsparteien nicht nur geregelt, dass der Anspruch auf den (aliquoten) Teil des Urlaubszuschusses bei berechtigter Entlassung oder unberechtigtem vorzeitigem Austritt entfällt (Abs 5), sondern mit Abs 6 ausdrücklich auch eine Regelung über die Rückzahlung eines bereits erhaltenen, insofern aber noch nicht „verdienten“ Urlaubszuschusses getroffen. Nach dieser Bestimmung ist der Urlaubszuschuss dann, wenn der/die Arbeitnehmer/in berechtigt entlassen wird oder unberechtigt vorzeitig austritt, zur Gänze und dann, wenn das Dienstverhältnis durch Arbeitnehmerkündigung endet, anteilsmäßig, dh im Verhältnis des zu viel bezahlten Anteils zurückzuzahlen. Wird eine gänzliche oder anteilige Rückzahlungspflicht aber nur bei bestimmten Beendigungsarten angeordnet, ergibt sich daraus die Absicht der Kollektivvertragsparteien, im Falle einer anderen Beendigungsart – wie hier einer Arbeitgeberkündigung – dem Arbeitnehmer die volle Sonderzahlung zu belassen (vgl 8 ObA 221/99d). In einem solchen Fall ist der ausbezahlte Urlaubszuschuss vom Arbeitnehmer daher gerade nicht zurückzuzahlen; dies weder zur Gänze noch anteilig. Dieses Verständnis wird nicht nur vom Wortlaut (“nur dann zurückzuzahlen ...“), sondern auch vom Sinn der Bestimmung nahegelegt, nach dem die vom Arbeitgeber bevorschusste, vom Arbeitnehmer jedoch noch nicht „verdiente“ Leistung dann nicht dauerhaft dem Arbeitnehmer verbleiben soll, wenn das Dienstverhältnis in einer aus der Sicht des Arbeitgebers „unerwünschten“ Weise (berechtigte Entlassung, unberechtigter vorzeitiger Austritt, Selbstkündigung des Arbeitnehmers) geendet hat. Im Fall der Arbeitgeberkündigung besteht hier aber eindeutig keine Rückzahlungspflicht.

5. Das Berufungsgericht war der Ansicht, dass damit noch keine Aussage über die Möglichkeit einer Rückverrechnung durch den Arbeitgeber getroffen werde. Der erkennende Senat teilt diese Skepsis nicht:

Besteht ein Anspruch des Arbeitgebers auf Rückzahlung, so kann es keinen Unterschied machen, ob der Rückzahlungsanspruch als (Klags‑)Forderung oder einredeweise als Gegenforderung geltend gemacht und der Forderung des Arbeitnehmers aufrechnungshalber entgegengehalten wird (Aufrechnungsverbote sind weder verfahrensgegenständlich noch ersichtlich). Besteht dagegen kein Anspruch des Arbeitgebers auf Rückzahlung, gibt es auch keine Gegenforderung, die einem Anspruch des Arbeitnehmers im Wege der „Rückverrechnung“ entgegengesetzt oder zum Gegenstand eines Abzugs gemacht werden könnte. Anhaltspunkte dafür, dass die Kollektivvertragsparteien zwischen dem tatsächlichen Zurückzahlen und einem „Rückverrechnen“ oder „Anrechnen“ hätten differenzieren wollen, bestehen nicht.

6. Aus der zu 9 ObA 104/02p ergangenen Anmerkung von Spitzl, DRdA 2004, 50, 52, ergibt sich nichts Gegenteiliges. Der Entscheidung lag ein Kollektivvertrag zugrunde, nach dem der zu viel bezahlte Anteil unabhängig von der Art der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei der Endabrechnung in Abzug gebracht werden konnte. Der Autor erwägt, dass es aus sozialpolitischen Gründen auch sachgerecht erscheinen könnte, die Aufrechnung des Überbezugs mit offenen Endabrechnungsansprüchen zuzulassen, den Arbeitnehmer jedoch nicht darüber hinaus zur Aufwendung ihm bereits zugeflossener Mittel, die typischerweise zur Sicherung des Lebensunterhalts dienen und hierfür auch verbraucht werden, zu verpflichten (s auch die Rechtsprechung, dass der Einwand des gutgläubigen Verbrauchs jedenfalls dann nicht zum Tragen kommt, wenn der Arbeitgeber seinen auf § 1435 ABGB gegründeten Rückerstattungsanspruch nicht klageweise, sondern nur im Wege der Rückverrechnung durch Aufrechnung unter den Voraussetzungen des § 1438 ABGB geltend macht, 9 ObA 97/08t). Eine derartige Konstellation liegt hier jedoch nicht vor, weil im Fall der Arbeitgeberkündigung nach dem Gesagten schon von vornherein kein Rückerstattungsanspruch besteht.

7. Entgegen der Ansicht der Beklagten handelt es sich beim Zeitraum vom 16. 11. bis 31. 12. 2015 auch nicht um eine entgeltfreie Zeit im Sinn des § 13 Abs 8 des Kollektivvertrags. Eine solche setzt notwendig ein aufrechtes Dienstverhältnis voraus, das hier jedoch bereits beendet war.

8. Zusammenfassend ist der Klägerin daher zuzustimmen, dass die Kollektivvertragsparteien das Schicksal eines anteilig überbezahlten Urlaubszuschusses bei bestimmten Beendigungsarten abschließend geregelt haben und die von § 13 Abs 6 des Kollektivvertrags erfassten Fälle, in denen ein Arbeitnehmer zur vollständigen oder anteiligen Rückzahlung des erhaltenen Urlaubszuschusses verpflichtet ist, keinen Raum für ein Verständnis dahin lassen, dass im Fall der Arbeitgeberkündigung eine Rückerstattung der Überzahlung durch Anrechnung auf die Endabrechnungsansprüche eines Arbeitnehmers in Frage käme.

9. Der Revision war daher Folge zu geben. Die Urteile der Vorinstanzen waren im Sinn einer Stattgebung der Klage abzuändern. Der Zinsenzuspruch beruht auf § 49a Satz 1 ASGG.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO und § 58a ASGG (pauschalierter Aufwandersatz von gesetzlichen Interessenvertretungen).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte