European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:008OBA00010.16B.1125.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, dem Nebenintervenienten die mit 1.017,90 EUR (darin enthalten 169,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung kann sich auf die Anführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):
1. Voranzustellen ist, dass nach § 483 Abs 4 ZPO eine Änderung der dem angefochtenen Urteil zugrundeliegenden Klage selbst mit Einwilligung des Gegners im Berufungsverfahrens nicht zulässig ist. Entgegen dieser Bestimmung hat das Berufungsgericht implizit die Klagsänderung bewilligt, indem es von dem im Berufungsverfahren geänderten Klagebegehren ausgegangen ist. Da es sich dabei um keine Nichtigkeit, sondern um einen – hier ungerügt gebliebenen – Verfahrensmangel handelt, kann dieser vom Obersten Gerichtshof nicht aufgegriffen werden. Das geänderte Klagebegehren ist daher auch der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zugrunde zu legen (3 Ob 195/07h; RIS‑Justiz RS0039377).
2. § 3 Abs 1 AVRAG bestimmt für den Fall, dass ein Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil auf einen neuen Inhaber übergeht, dass dieser als Arbeitgeber mit allen Rechten und Pflichten in die im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse eintritt. Diese Rechtsfolge tritt grundsätzlich unabhängig vom Willen der betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ein. Es kommt dabei zu keiner Beendigung des Arbeitsverhältnisses, weshalb auch keine Beendigungsansprüche gebühren. Beim bisherigen Arbeitgeber zurückgelegte Dienstzeiten sind beim neuen Arbeitgeber anzurechnen (RIS‑Justiz RS0121661).
3. Allerdings steht einem Arbeitnehmer, der entgegen dem aus § 3 AVRAG hervorgehenden Kündigungsverbot im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang gekündigt wurde, ein Wahlrecht dahin zu, dass er, statt auf der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Übernehmer des Betriebs zu bestehen, die Beendigung akzeptiert und im Falle der frist‑ oder terminwidrigen Kündigung die Kündigungsentschädigung begehrt (RIS‑Justiz RS0122357). Dem Arbeitnehmer steht frei, auf den durch die Eintrittsautomatik bzw das Verbot einer nicht richtlinienkonformen Kündigung gewährleisteten Schutz zu verzichten und anstelle der Rechtsunwirksamkeit der Kündigung Ansprüche aus der ungerechtfertigten Auflösung des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen (RIS‑Justiz RS0111017).
Dass der Arbeitnehmer tatsächlich beim Erwerber weiter arbeitete, hindert die Geltendmachung der aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Veräußerer abgeleiteten Ansprüche nicht, wenn ihm die Kündigung samt Eingehen eines neuen Arbeitsverhältnisses beim Erwerber günstiger erschien als eine gesetzliche Arbeitsvertragsübernahme (9 ObA 240/98d vgl auch 9 ObA 1/10b).
4. Ob ein bestimmtes Verhalten oder eine bestimmte Erklärung als Ausübung des Wahlrechts anzusehen ist, ist nur nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und stellt daher im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage dar. Dies trifft auch auf die Frage zu, ob im Einzelfall eine Erklärungsabsicht vorliegt (RIS‑Justiz RS0044298).
Im vorliegenden Fall wurde die Klägerin (wie in der Revision nicht bestritten wird) von einer der Vorpächterinnen, bei der sie beschäftigt war, der L*****, im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang auf die Nachpächterin gekündigt. Im nachfolgenden Konkurs der L***** hat sie neben Abfertigungsansprüchen auch eine Kündigungsentschädigung samt darauf entfallenden Sonderzahlungen (anwaltlich vertreten) geltend gemacht und auf diese Forderungen auch die Auszahlung einer entsprechenden Konkursquote erhalten.
Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass die Klägerin damit zum Ausdruck brachte, die ansonsten unwirksame Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen sich gelten zu lassen, ist, auch wenn sie in weiterer Folge bei der Nachtpächterin weiter arbeitete – vor dem Hintergrund der zitierten Judikatur nicht korrekurbedürftig.
5. Soweit die Klägerin sich in der Revision darauf beruft, dass für Arbeitnehmer im Allgemeinen schwer sei, festzustellen, ob und wann ein Betriebsübergang stattgefunden hat und ob dies vor dem Konkurs des Vorbetreibers war, ist darauf zu verweisen, dass in erster Instanz kein Vorbringen dazu erstattet wurde, aus welchen Gründen für die Klägerin im konkreten Fall eine derartige Unklarheit bestanden haben sollte. Dass es im Einzelfall vorweg nicht leicht zu beurteilen ist, welche von mehreren Varianten für einen betroffenen Arbeitnehmer günstiger ist, führt nicht dazu, dass, wenn er eine entsprechende Entscheidung getroffen hat, diese keine rechtliche Wirkung entfaltet.
6. Nach ständiger Judikatur besteht, wenn ein Arbeitsverhältnis gemäß § 3 Abs 1 AVRAG auf den Übernehmer des Unternehmens übergeht und dieser gemäß § 6 Abs 1 AVRAG mit dem Übergeber solidarisch für den rückständigen Lohn haftet, kein Anspruch auf Insolvenz‑Ausfallgeld aus einer Insolvenz des Übergebers des Unternehmens (RIS‑Justiz RS0108284). Wenn der Arbeitnehmer im Rahmen eines Betriebsübergangs sein – zuvor dargestelltes – Wahlrecht ausübt und eine ungerechtfertigte Auflösung des Arbeitsverhältnisses akzeptiert, trägt er das Risiko der Insolvenz des Übergebers und stehen ihm Ansprüche nach dem IESG nicht zu (vgl 8 ObS 126/00p). Einer weiteren Klarstellung dazu bedarf es nicht.
7. Soweit die Klägerin in der Revision darauf verweist, dass, selbst wenn sie Abfertigungsansprüche nur gegen die L***** habe, aufgrund des zweimaligen Betriebsübergangs eine Haftung der Beklagten für die nicht im Insolvenzverfahren abgedeckte Forderung besteht, so hat sie sich in erster Instanz weder auf derartige Abfertigungsansprüche gegen die L***** noch auf eine solidarische Haftung der Beklagten mit dieser gestützt. Die entsprechenden Ausführungen in der Revision stellen daher eine unzulässige Neuerung dar.
8. Die Revision ist daher mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Der Nebenintervenient hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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