OGH 11Os121/16b

OGH11Os121/16b15.11.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. November 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Rathgeb als Schriftführerin in der Rechtshilfesache betreffend Alexander M***** und andere wegen Rechtshilfe für die Republik Belarus, AZ 311 HSt 103/16v der Staatsanwaltschaft Wien (vormals AZ 4 HSt 2/16z der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt), über die von der Generalprokuratur gegen die Beschlüsse des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 10. März 2016, AZ 31 HR 31/16z (ON 5 der HSt‑Akten), und des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 2. Juni 2016, AZ 331 HR 121/16y (ON 10 der HSt‑Akten), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, sowie des Vertreters der Beteiligten M*****, RAA Blesky, LL.M., LL.B., BSc, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00121.16B.1115.000

 

Spruch:

Im Verfahren AZ 311 HSt 103/16v der Staatsanwaltschaft Wien (vormals AZ 4 HSt 2/16z der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt) verletzen die Beschlüsse

1./ des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 10. März 2016, AZ 31 HR 31/16z, mit welchem Punkt I./ der Anordnung der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt vom 9. März 2016, AZ 4 HSt 2/16z, bewilligt wurde (ON 5), § 56 Abs 2 ARHG und

2./ des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 2. Juni 2016, AZ 331 HR 121/16y, mit welchem die Anordnung der Staatsanwaltschaft Wien vom 1. Juni 2016, bewilligt wurde (ON 10), § 56 Abs 2 ARHG.

Der zuletzt genannte Beschluss vom 2. Juni 2016 wird aufgehoben und die genannte Anordnung nicht bewilligt.

Gründe:

Bei der Staatsanwaltschaft Wien ist zu AZ 311 HSt 103/16v (vormals AZ 4 HSt 2/16z der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt) ein Rechtshilfeverfahren anhängig.

Diesem liegt ein Rechtshilfeersuchen der Generalstaatsanwaltschaft der Republik Belarus vom 30. November 2015 in einer konkret bezeichneten Strafsache gegen den belarussischen Staatsangehörigen Kazimir Ma***** und weitere Beschuldigte zu Grunde, dem eine Verordnung zur Durchsuchung eines Wohnorts (ON 2 S 111) und Verordnungen zur Beschlagnahme verfahrensrelevanter Dokumente (ON 2 S 113 ff), jeweils vom 30. September 2015, sowie eine Verordnung zur Beschlagnahme von Bankunterlagen vom 2. Oktober 2015 (ON 2 S 125 ff) angeschlossen sind. Erlassen wurden diese Verordnungen vom „Oberuntersuchungsführer‑Kriminalist der Ermittlungs-abteilung der Verwaltung des Komitees der Staatssicherheit der Republik Belarus in Minsk und Minsk Gebiet, Justizkapitän“. Am 5. Oktober 2015 genehmigte der „Staatsanwalt der Stadt Minsk, Staatsrat der dritten Klasse“ die Verordnung zur Durchsuchung vom 30. September 2015 (ON 2 S 111) und die Verordnung zur Beschlagnahme von Bankunterlagen vom 2. Oktober 2015 (ON 2 S 125).

In dem unter Berufung auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption vom 31. Oktober 2003 (BGBl III 2006/47) übermittelten Ersuchen sichert die Generalstaatsanwaltschaft der Republik Belarus zu, dass auch sie einem gleichartigen österreichischen Rechtshilfeersuchen entsprechen würde (ON 2 S 5). Dem Schreiben weiters angeschlossen ist ein Auszug aus der Strafprozessordnung der Republik Belarus, wonach gemäß deren mit „Beweiserhebung“ titulierten Artikel 103 „die zuständige Behörde sowie die Gerichtsbehörde“ auf Antrag oder von Amts wegen berechtigt ist, Erhebungen durchzuführen, Augenscheine, Durchsuchungen und weitere Prozesshandlungen vorzunehmen und Gegenstände sowie Dokumente und weitere Verfahrensergebnisse anzufordern (ON 2 S 133).

Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt erließ in Entsprechung des Rechtshilfeersuchens am 9. März 2016 zu AZ 4 HSt 2/16z hinsichtlich der in ihrem Sprengel durchzuführenden Rechtshilfehandlungen eine mit Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 10. März 2016, AZ 31 HR 31/16z, bewilligte Anordnung der Durchsuchung gemäß §§ 117 Z 2, 119 Abs 1, 120 Abs 1 erster Satz StPO (I./) und eine Anordnung der Sicherstellung gemäß § 110 Abs 1 Z 1 und Abs 2 iVm § 109 Z 1 lit a StPO (II./; ON 5), wobei angesichts des im Rechtshilfeersuchen geschilderten Sachverhalts nach österreichischer Rechtslage von einer Verdachtslage in Richtung § 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB ausgegangen wurde. Bei der am 9. Mai 2016 erfolgten Hausdurchsuchung konnten keine für den Sachverhalt relevanten Unterlagen vorgefunden und sichergestellt werden (ON 8 S 1).

Nach Durchführung der im Sprengel der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt vorzunehmenden Rechtshilfehandlungen wurde die Rechtshilfesache der Staatsanwaltschaft Wien zu AZ 311 HSt 103/16v weitergeleitet (ON 1 S 6).

Die Staatsanwaltschaft Wien ordnete am 1. Juni 2016 die Auskunftserteilung über Bankkonten und Bankgeschäfte gemäß §§ 109 Z 3 lit a, lit b, 116 Abs 1, Abs 2 Z 1, Z 2 StPO (jeweils idF vor BGBl I 2016/26) bei vierzehn konkret angeführten, in Wien ansässigen Banken an, die vom Landesgericht für Strafsachen Wien mit Beschluss vom 2. Juni 2016, AZ 331 HR 121/16y, bewilligt wurde (ON 10).

Eine dieser Banken erhob dagegen eine Beschwerde (ON 22), über die noch nicht entschieden wurde.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, stehen die genannten Beschlüsse mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Zwischen Österreich und der Republik Belarus besteht kein bilaterales oder multilaterales Rechtshilfeübereinkommen. Es finden daher die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 4. Dezember 1979 über die Auslieferung und die Rechtshilfe in Strafsachen (Auslieferungs‑ und Rechtshilfegesetz [ARHG]) Anwendung (vgl §§ 1 und 3 ARHG; Martetschläger in WK2 ARHG § 1 Rz 4, 8), zumal auch Art 46 Abs 7, Abs 15 und Abs 21 lit a, lit d des im Ersuchen erwähnten Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Korruption (BGBl III 2006/47), das im Übrigen aufgrund des Beschlusses des Nationalrats anlässlich dessen Genehmigung im Sinn des Art 50 Abs 2 (Z 4) B‑VG innerstaatlich durch die Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist, dem nicht entgegenstehen.

Gemäß § 56 Abs 2 ARHG (in der seit 1. Jänner 2008 geltenden Fassung BGBl I 2007/112) muss einem Ersuchen um Anordnung und Durchführung einer im ersten bis achten Abschnitt des 8. Hauptstücks der StPO geregelten Ermittlungsmaßnahme die Ausfertigung, beglaubigte Abschrift oder Ablichtung der Anordnung der zuständigen Behörde beigefügt sein. Handelt es sich nicht um die Anordnung eines Gerichts, so muss eine Erklärung der um die Rechtshilfe ersuchenden Behörde vorliegen, dass die für diese Maßnahme erforderlichen – materiellen und formellen (vgl EBRV 299 BlgNR XXIII. GP iVm EBRV 33 BlgNR XX. GP 71; Martetschläger in WK2 ARHG § 56 Rz 3) – Voraussetzungen nach dem im ersuchenden Staat geltenden Recht erfüllt sind.

Die Sicherstellung und Beschlagnahme von Gegenständen und die Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte sowie die Durchsuchung von Orten sind im ersten und zweiten Abschnitt des 8. Hauptstücks der StPO geregelt; für die Durchführung und Bewilligung dieser Ermittlungsmaßnahmen im Rechtshilfeweg ist daher das Vorliegen der in § 56 Abs 2 ARHG genannten Voraussetzungen erforderlich.

Die dem Rechtshilfeersuchen der Republik Belarus angeschlossenen Verordnungen wurden nicht von einem Gericht erlassen oder genehmigt. Den Akten ist trotzdem keine Erklärung der ersuchenden Generalanwaltschaft zu entnehmen, dass sämtliche für diese Maßnahmen nach dem im ersuchenden Staat geltenden Recht bestehenden Kriterien (vor allem auch der Behördenzuständigkeit) erfüllt sind, weshalb die gesetzlichen Voraussetzungen zur Bewilligung der Anordnungen zur Durchführung des Rechtshilfeersuchens nicht gegeben waren.

Eine konkrete Maßnahme hinsichtlich der vom Landesgericht Wiener Neustadt am 10. März 2016, AZ 31 HR 31/16z, erfolgten gerichtlichen Bewilligung der Anordnung der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt zur Durchsuchung von Orten vom 9. März 2016, AZ 4 HSt 2/16z (ON 5), ist nicht erforderlich, weil die angeordnete Hausdurchsuchung bereits durchgeführt wurde und (ohnedies) keine Unterlagen sichergestellt wurden.

Hingegen kann ein Nachteil für die Beschuldigten durch den am 2. Juni 2016 zu AZ 331 HR 121/16y gefassten Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien, mit dem die Anordnung der Staatsanwaltschaft Wien der Erteilung von Auskünften über Bankkonten und Bankgeschäfte vom 1. Juni 2016 bewilligt wurde (ON 10), nicht ausgeschlossen werden (§ 292 letzter Satz StPO).

Stichworte