Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahingehend abgeändert, dass sie einschließlich der rechtskräftig gewordenen Teile insgesamt folgendermaßen lautet:
„I. 1. Das Klagebegehren, die Zweitbeklagte sei mit dem Erstbeklagten und der Drittbeklagten zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger 11.223,20 EUR samt 4 % Zinsen seit 15. Oktober 2012 zu bezahlen, wird abgewiesen.
2. Das Klagebegehren, es werde festgestellt, dass die Zweitbeklagte gemeinsam mit dem Erstbeklagten und der Drittbeklagten zur ungeteilten Hand dem Kläger gegenüber für jeden zukünftigen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 5. September 2012 in 4600 Wels auf der Kreuzung R*****gasse – F*****straße hafte, wird abgewiesen.
3. Der Kläger ist schuldig, der Zweitbeklagten binnen 14 Tagen die mit 8.968,23 EUR (darin enthalten 857,67 EUR Barauslagen und 1.351,76 EUR USt) bestimmten Prozesskosten zu ersetzen.
II. 1. Der Erstbeklagte und die Drittbeklagte sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger 4 % Zinsen aus 3.514,90 EUR vom 15. 10. 2012 bis 6. 5. 2014 zu bezahlen.
2. Das Klagebegehren, der Erstbeklagte und die Drittbeklagte seien zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger 11.223,20 EUR samt 4 % Zinsen aus 7.708,30 EUR vom 15. 10. 2012 bis 6. 5. 2014 und aus 11.223,20 EUR seit 7. 5. 2014 zu bezahlen, wird abgewiesen.
3. Es wird festgestellt, dass der Erstbeklagte und die Drittbeklagte zur ungeteilten Hand dem Kläger gegenüber für jeden zukünftigen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 5. 9. 2012 in 4600 Wels auf der Kreuzung R*****gasse – F*****straße mit einem Viertel haften, wobei die Haftung der Drittbeklagten mit der Deckungssumme des Haftpflichtversicherungsvertrages für das Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen ***** begrenzt ist.
4. Das Mehrbegehren, es werde festgestellt, dass der Erstbeklagte und die Drittbeklagte zur ungeteilten Hand der klagenden Partei gegenüber für jeden zukünftigen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 5. 9. 2012 in 4600 Wels auf der Kreuzung R*****gasse – F*****straße zu weiteren drei Vierteln hafteten, wobei die Haftung der drittbeklagten Partei mit der Deckungssumme des Haftpflichtversicherungsvertrages für das Kfz ***** begrenzt sei, wird abgewiesen.“
Der Kläger ist schuldig, dem Erstbeklagten und der Drittbeklagten die mit 2.137,39 EUR (darin enthalten 146,48 EUR USt und 1.258,49 EUR anteilige Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.
III. Die Kostenaussprüche der Vorinstanzen werden aufgehoben, soweit sie nicht die Kostenzusprüche an die Zweitbeklagte betreffen.
Dem Berufungsgericht wird insoweit die Fällung einer neuen Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz aufgetragen.
Entscheidungsgründe:
Am 5. 9. 2012 ereignete sich gegen 10:00 Uhr in Wels an der Kreuzung der R*****gasse mit der F*****straße ein Verkehrsunfall. An diesem Unfall waren der Kläger als Lenker eines Herrenfahrrads und der Erstbeklagte als Lenker eines bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten PKW beteiligt.
Die R*****gasse ist als zweispurige Einbahn Richtung Norden ausgeführt, die Fahrstreifen selbst sind etwa 3 m breit. Es sind beiderseits der Fahrbahn 2 m breite Gehsteige vorhanden, wobei der in Fahrtrichtung der Einbahn rechtsseitige Gehsteig als Geh‑ und Radweg ausgeführt ist und der Radweg (auch) in südlicher Richtung befahren werden darf. Dieser Teil ist 2 m breit und weist in der Eckzone zur F*****straße eine Haltelinie zum Ende des Radwegs auf; diese liegt genau 2 m von der Ecke zur F*****straße entfernt. In Fahrtrichtung des Klägers (nach Süden) ist unmittelbar vor dieser Haltelinie das Verkehrszeichen „Ende eines Geh‑ und Radwegs“ (§ 52 Z 17a lit a iVm Z 22a StVO) angebracht. Im Anschluss an den Geh‑ und Radweg (also zwischen der erwähnten Haltelinie und der Ecke zur F*****straße) folgt eine viertelkreisförmige Verkehrsfläche, die – in Fahrtrichtung des Klägers betrachtet – links durch eine Mauer und rechts (fahrbahnseitig) durch eine doppelte Reihe von Pflastersteinen begrenzt wird.
Die F*****straße mündet von Osten in die R*****gasse. Für den Verkehr aus der F*****straße ist eine Ordnungslinie 1,5 m vom Straßenrand der R*****gasse entfernt angebracht. Im Eckbereich ist eine Sperrfläche markiert; sie reicht gegenüber der rechten Begrenzung der F*****straße 1,1 m in die Fahrbahn herein, sie reicht auch in die R*****gasse bis zum westlichen Ende der Haltelinie am Ende des Geh‑ und Radwegs hinein. 5 m vor der Ecke ist in der F*****straße das Verkehrszeichen „Vorrang geben“ angebracht. Durch die im Eckbereich vorhandene 3,5 m hohe Mauer ist eine klare Sichtbehinderung des Verkehrs aufeinander vorhanden. Es ist kein Verkehrsspiegel in diesem Bereich angebracht.
Der Kläger lenkte sein Herrenfahrrad auf dem am östlichen Fahrbahnrand der R*****gasse gelegenen Geh- und Radweg in südlicher Richtung. Er wollte die Kreuzung der R*****gasse mit der F*****straße in gerader Richtung überqueren. Der Kläger fuhr mit seinem Fahrrad über das Ende des Geh‑ und Radwegs hinaus in die Kreuzung ein. Der Erstbeklagte lenkte den PKW auf der F*****straße in westlicher Richtung und wollte an der Kreuzung der F*****straße mit der R*****gasse nach rechts in die R*****gasse einbiegen. Dabei kam es zum Zusammenstoß des Fahrrads mit dem PKW, wodurch der Kläger stürzte und sich verletzte.
Beim Fahrrad ist zum Unfallzeitpunkt von einer sehr geringen Geschwindigkeit, wenn nicht gar von einem Stillstand auszugehen. Der vom Erstbeklagten gelenkte PKW überfuhr die Sperrfläche mit mehr als einem dreiviertel Meter. Der Unfall ereignete sich nach dem Ende des Radwegs, also nach der dortigen Haltelinie, auf der schraffierten Sperrfläche. Beide Fahrzeuge befuhren die Sperrfläche. Der Unfall wäre für den Erstbeklagten vermeidbar gewesen, wenn er die Sperrfläche nicht befahren hätte. Dann wäre der Kläger noch zum Stillstand gekommen. Hätte der Erstbeklagte nach rechts geblickt, wäre es sich auch zeitlich ausgegangen, den Radfahrer zu bemerken und es wäre sich ausgegangen, folgenvermeidend anzuhalten. Der Kläger wiederum hätte den Unfall vermeiden können, wenn er nicht über die das Ende des Geh‑ und Radwegs anzeigende Haltelinie in die Sperrfläche eingefahren wäre.
Der Kläger begehrte zuletzt unter Berücksichtigung einer vor Klagseinbringung geleisteten Akontozahlung von 7.000 EUR die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 11.223,20 EUR sA zur ungeteilten Hand sowie der Feststellung der Haftung der Beklagten für alle zukünftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall. Er brachte vor, der Erstbeklagte sei an der Kreuzung aufgrund des Verkehrszeichens „Vorrang geben“ gemäß § 19 Abs 4 StVO wartepflichtig gewesen. Trotzdem sei der Erstbeklagte unter Missachtung des Vorrangs des Klägers in die R*****gasse eingebogen und mit dem Kläger kollidiert. Der den auf der R*****gasse befindlichen Fahrzeugen eingeräumte Vorrang beziehe sich auf die gesamte Fahrbahnbreite. Der Kläger habe vor der Haltelinie des Radwegs seine Fahrgeschwindigkeit auf 10 km/h reduziert und nach Überfahren dieser Haltelinie auf 3 km/h bzw auf Null im Zeitpunkt der Kollision abgebremst. Der Erstbeklagte habe beim Rechtseinbiegevorgang rechtswidrig eine Fahrlinie gewählt, indem er die im Kreuzungsbereich rechts gelegene Sperrfläche mit einem Abstand von ca einem Dreiviertel- oder einem Meter überfahren habe. Das Alleinverschulden an der Kollision treffe daher den Erstbeklagten.
Die Beklagten wendeten das Alleinverschulden des Klägers ein. Da der ursprünglich vom Kläger befahrene Geh- und Radweg am östlichen Fahrbahnrand der R*****gasse ende, sei der Kläger, ohne auf den sich annähernden Erstbeklagten zu achten, vorrangverletzend in die Kreuzung eingefahren. Der Erstbeklagte habe nicht damit rechnen müssen, dass sich der Kläger entgegen der vorgesehenen Fahrtrichtung annähere. Gemäß § 19 Abs 6a StVO hätten Radfahrer, die eine Radfahranlage verlassen, anderen Fahrzeugen im fließenden Verkehr den Vorrang zu geben. Der Vorrang beziehe sich auf die gesamte Fahrbahn, somit auch auf die schraffierte Fläche im Bereich der Kreuzung.
Gegen die Zweitbeklagte wurde das Klagebegehren rechtskräftig abgewiesen. Im Revisionsverfahren ist nur mehr das beiderseitige Verschulden am Unfall strittig.
Das Erstgericht gab betreffend den Erstbeklagten und die Drittbeklagte dem zuletzt auf 11.223,20 EUR sA eingeschränkten Zahlungsbegehren mit 7.059,60 EUR sA statt, wies das Zahlungsmehrbegehren ab, gab dem Feststellungsbegehren zur Hälfte statt und wies es zur Hälfte ab. Es führte rechtlich aus, dem Erstbeklagten sei das Befahren der Sperrfläche und das Unterlassen eines Nach-rechts-Blickens anzulasten. Dem Kläger sei ebenfalls das Befahren der Sperrfläche sowie das Überfahren der das Ende des Rad‑ und Gehwegs markierenden Haltelinie vorzuwerfen. Die Abwägung des Verschuldens des Klägers und des Erstbeklagten ergebe ein gleichteiliges Verschulden. Trotzdem unterließ es das Erstgericht, den zugesprochenen Geldbetrag aus der berechtigten Forderung von 14.059,60 EUR abzüglich der Akontozahlung von 7.000 EUR um das halbe Mitverschulden des Klägers zu kürzen.
Dasvom Kläger sowie der erst‑ und der drittbeklagten Partei angerufene Berufungsgericht gab betreffend den Erstbeklagten und die Drittbeklagte dem Zahlungsbegehren (unter Abzug einer Gegenforderung von 1.669,91 EUR) mit 5.389,69 EUR sA statt, wies das Zahlungsmehrbegehren ab und gab dem Feststellungsbegehren zur Gänze statt, hinsichtlich der Drittbeklagten begrenzt mit der Deckungssumme des Haftpflichtversicherungsvertrags für das Unfallfahrzeug. Das Berufungsgericht führte rechtlich zusammengefasst aus, es stelle sich die Frage des Verhältnisses zwischen § 19 Abs 4 und § 19 Abs 6a StVO. In der Entscheidung 2 Ob 135/11h habe der Oberste Gerichtshof in einer vergleichbaren Kreuzungssituation bestätigt, dass im Hinblick auf die notwendige Schnelligkeit, mit der Verkehrsteilnehmer die Vorrangsituation beurteilen können müssten, und im Sinne einer möglichst einfachen Handhabbarkeit die eindeutigere Vorrangregel des § 19 Abs 4 StVO vorzugehen habe (RIS‑Justiz RS0127628). In seiner jüngsten Entscheidung 2 Ob 135/15i habe der Oberste Gerichtshof bei einer ebenfalls vergleichbaren Situation dagegen ausgesprochen, dass es bei der Regel des § 19 Abs 6a StVO zu verbleiben habe, wonach Radfahrer, die die Radfahranlage verlassen, anderen Fahrzeugen im Fließverkehr den Vorrang zu geben hätten. Von der zuvor ergangenen Entscheidung 2 Ob 135/11h habe sich der Oberste Gerichtshof zwar abgegrenzt, nach Ansicht des Berufungsgerichts stehe aber die Entscheidung 2 Ob 135/15i in Widerspruch zur bisherigen Judikatur, nach der die eindeutigere Vorrangregel des § 19 Abs 4 StVO den komplexeren Vorrangregeln des § 19 Abs 6 und 6a StVO vorgehe. Ein in diesem Zusammenhang entscheidender Unterschied zwischen den Vorrangregeln des § 19 Abs 6 und Abs 6a StVO könne nicht erkannt werden. Den Erstbeklagten treffe daher eine Vorrangverletzung nach § 19 Abs 4 StVO, während dem Kläger eine solche nach § 19 Abs 6a StVO nicht angelastet werden könne, weshalb von der alleinigen Haftung des Erst- und der Drittbeklagten auszugehen sei. Ein allfälliges Mitverschulden des Klägers sei so geringfügig, dass es gegenüber der Vorrangverletzung des Erstbeklagten, der im Übrigen auch die Sperrfläche mit mehr als einem dreiviertel Meter überfahren habe, vernachlässigt werden könne.
Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil die Judikatur des Obersten Gerichtshofs zum Verhältnis der Vorrangregeln des § 19 Abs 4 und Abs 6a StVO nicht einheitlich sei (vgl 2 Ob 135/11h und 2 Ob 135/15i). Es liege keine oberstgerichtliche Entscheidung vor, wie sich eine im Kreuzungsbereich befindliche Sperrfläche in diesem Zusammenhang auf die Vorrangsituation auswirke.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der erst- und drittbeklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf gänzliche Abweisung des Klagebegehrens; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht einschlägige Rechtsprechung nicht berücksichtigt hat; sie ist teilweise berechtigt.
Die Revisionswerber argumentieren im Wesentlichen, die Entscheidung 2 Ob 135/11h sei durch die jüngere Entscheidung 2 Ob 135/15i überholt; nach dieser Entscheidung treffe den Kläger die Vorrangverletzung und somit das Alleinverschulden.
Der Oberste Gerichtshof hat hierzu Folgendes erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass das Erstgericht über die Gestaltung der an den Geh‑ und Radweg unmittelbar anschließenden viertelkreisförmigen Verkehrsfläche keine Feststellungen getroffen hat. Sie ergibt sich jedoch eindeutig aus den aktenkundigen Lichtbildern im Strafakt, auf dessen Inhalt sich die Streitteile zum Beweis ihrer jeweiligen Unfallsdarstellung beriefen (vgl AS 20, AS 46), und ist zwischen den Parteien als unstrittig anzusehen. Es konnte daher die Beschreibung der Unfallsörtlichkeit noch durch das Revisionsgericht entsprechend ergänzt werden (vgl RIS‑Justiz RS0121557 [T2, T5]).
Bei der erwähnten Verkehrsfläche handelt es sich in rechtlicher Hinsicht nicht um einen Gehweg (§ 2 Abs 1 Z 11 StVO) und auch nicht um einen Geh‑ und Radweg (§ 2 Abs 1 Z 11a StVO), weil vor dieser Fläche das Verkehrszeichen „Ende eines Geh‑ und Radwegs“ angebracht ist. Sie erfüllt vielmehr alle Voraussetzungen eines Gehsteigs, den § 2 Abs 1 Z 10 StVO als einen für den Fußgängerverkehr bestimmten, von der Fahrbahn durch Randsteine, Bodenmarkierungen oder dgl abgegrenzten Teil der Straße definiert. Im vorliegenden Fall erfolgte die Abgrenzung durch eine doppelte Reihe von Pflastersteinen (vgl Pürstl , StVO 14 [2015] § 2 E 57 und 61).
Der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, dass sich der Vorrang auf die ganze Fahrbahn der bevorrangten Straße bezieht und auch dann nicht verlorengeht, wenn sich der im Vorrang befindliche Verkehrsteilnehmer verkehrswidrig verhält, hat seine Richtigkeit in dem Fall, dass der bevorrangte Verkehr vom wartepflichtigen Verkehrsteilnehmer wahrgenommen oder schuldhaft nicht wahrgenommen wird sowie dass mit einem Verkehr auf der bevorrangten Straße gerechnet werden muss. Er verliert jedoch dann seine Wirkung, wenn der auf der bevorrangten Straße fahrende Verkehrsteilnehmer vom Wartepflichtigen nicht oder nicht aus dieser Annäherungsrichtung erwartet werden kann, also mit einer derartigen Fahrweise nicht gerechnet werden konnte und musste (RIS‑Justiz RS0073421). Ein Verkehrsteilnehmer, der eine Verkehrsfläche benützt, die überhaupt nicht befahren werden darf, kann sich nicht auf die Vorrangregel berufen (RIS‑Justiz RS0073375). Das gilt auch für solche Verkehrsteilnehmer, die eine Einbahnstraße gegen die zulässige Richtung befahren (RIS‑Justiz RS0073375 [T1]), oder für einen Radfahrer, der entgegen § 68 Abs 1 StVO einen Gehsteig oder Gehweg in Längsrichtung befährt (vgl 2 Ob 192/01a; 2 Ob 165/06p; 2 Ob 38/06m; 2 Ob 94/09a; 2 Ob 100/14s).
Im vorliegenden Fall musste der Kläger, um als Radfahrer in den Kreuzungsbereich gelangen zu können, zunächst die als Gehsteig zu qualifizierende Verkehrsfläche in Längsrichtung befahren, und seine Fahrt sodann über die daran anschließende Sperrfläche hinweg gegen die durch die Einbahnregelung vorgeschriebene Fahrtrichtung fortsetzen. Aus dieser Annäherungsrichtung musste der Erstbeklagte jedoch – wie die beklagten Parteien in erster Instanz auch ausdrücklich vorbrachten – keinen Radfahrer erwarten, zumal ihm durch die zu seiner Rechten befindlichen Mauer die Sicht auf die als Geh‑ und Radweg ausgestaltete Verkehrsfläche, die 2 m vor der Mauerecke endet, völlig verdeckt gewesen ist.
In der vorliegenden Konstellation hätte sich der Kläger keineswegs – wie er in der Revisionsbeantwortung vorbringt – nach dem Ende des Geh‑ und Radwegs „in Luft auflösen“ müssen. Allerdings hätte er bei verkehrsgerechtem Verhalten die Kreuzung nur als Fußgänger, das Fahrrad schiebend, überqueren und dabei die Fahrbahn nicht überraschend betreten dürfen (§ 76 Abs 1 Satz 1 zweiter Halbsatz StVO).
Unter den gegebenen Umständen kann sich der Kläger daher nicht auf einen ihm zukommenden Vorrang berufen. Umgekehrt ist dem Erstbeklagten keine Vorrangverletzung vorwerfbar. Auf das nach Meinung des Berufungsgerichts in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs uneinheitlich beurteilte Verhältnis der Vorrangregeln des § 19 Abs 4 und Abs 6a StVO kommt es daher nicht an.
Dem Verschulden des Klägers steht aber das rechtswidrige Befahren der Sperrfläche durch den Erstbeklagten gegenüber, wodurch dieser gegen die Schutznorm des § 9 Abs 1 StVO verstieß. Mit dem Anbringen der Sperrfläche sollten Fahrzeuglenker, die sich wie der Erstbeklagte auf der F*****straße der Kreuzung mit der R*****gasse annähern, offenkundig zur Einhaltung eines gewissen Seitenabstands zur erwähnten Mauer gebracht werden, wie dies aus den Lichtbildern näher ersichtlich ist. Der einzige erschließbare Sinn und Zweck dieser Maßnahme liegt in der Verbesserung der Sicht- und Reaktionsmöglichkeiten auf vom Geh‑ und Radweg bzw dem daran anschließenden Gehsteig der R*****gasse kommende Verkehrsteilnehmer, auch (und gerade) wenn diese sich verkehrswidrig verhalten sollten. Der Kläger war in der Unfallsituation daher vom Schutzzweck der zitierten Bestimmung erfasst. Das Befahren der Sperrfläche durch den Erstbeklagten war nach den Feststellungen auch unfallskausal.
Wägt man nun die beiderseitigen Verstöße gegeneinander ab, so ist eine Verschuldensteilung von 1 : 3 zu Lasten des Klägers angemessen (§ 1304 ABGB).
Ausgehend von dem vom Erstgericht als Schaden des Klägers bezifferten Betrag von 14.059,60 EUR sA steht dem Kläger ein Viertel davon, somit 3.514,90 EUR sA, zu. Dieser Betrag ist aber durch die vor Klagseinbringung geleistete Akontozahlung von 7.000 EUR bereits getilgt, weshalb das Zahlungsbegehren (abgesehen vom zugesprochenen Zinsenbegehren) abzuweisen war. Der geringfügige Zuspruch im Zinsenbegehren gründet sich darauf, dass betreffend den dem Kläger zustehenden Schadenersatz (3.514,90 EUR) der Zinsenlauf laut dem unstrittigen Anspruchschreiben vom 5. 10. 2012 jedenfalls mit dem in den Klagebegehren zugrundegelegten Datum 15. 10. 2012 begonnen hat. Es wäre dann am Erst- und an der Drittbeklagten gelegen, den Zeitpunkt der Akontozahlung von 7.000 EUR als für die Zinsen anspruchsvernichtende Tatsache zu behaupten und zu beweisen. Dies haben Erst‑ und Drittbeklagte nicht getan, weshalb – die Zahlung vor Klagseinbringung am 6. 5. 2014 steht fest – der Zinsenlauf erst mit Klagseinbringung endet. Die Entscheidung über das Feststellungsbegehren gründet sich auf die Verschuldensteilung.
Die Kostenentscheidung für das Revisionsverfahren gründet auf den § 43 Abs 1 und 2, § 50 ZPO. Die Revision war (abgesehen vom geringfügigen zugesprochenen Zinsenbegehren zum ganzen Zahlungszuspruch des Berufungsgerichts und drei Vierteln des Feststellungsbegehrens), somit mit rund 84 % erfolgreich; der Erstbeklagte und die Drittbeklagte haben daher Anspruch auf 68 % ihrer Kosten und 84 % der Pauschalgebühr.
Der Auftrag an das Berufungsgericht, die Kosten beider Vorinstanzen zu berechnen (ausgenommen die rechtskräftigen Kostenzusprüche an die Zweitbeklagte), gründet sich auf die sinngemäße Anwendung des § 510 Abs 1 letzter Satz ZPO (RIS‑Justiz RS0124588; hier insgesamt fünf Verfahrensabschnitte mit jeweils unterschiedlichem Obsiegen, Bestreitung etlicher Positionen als nicht zweckentsprechend usw).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)