European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0140OS00087.16Z.1020.000
Spruch:
1/ In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Punkten A/II sowie B/II und III des Schuldspruchs, demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und im Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche aufgehoben.
2/ Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
3/ Im Umfang der Aufhebung der Punkte B/II und III des Schuldspruchs wird in der Sache selbst erkannt:
Amir A***** wird gemäß § 259 Z 3 StPO vom Vorwurf freigesprochen, er habe Farzant Al***** dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, dass er am 5. Dezember 2015 (B/II) und am 18. Jänner 2016 (B/III), jeweils vor dem Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien (§ 31 Abs 1 Z 2 StPO), behauptet habe, Farzant Al***** habe ihn zu dem – vom unten wiedergegebenen Punkt A/I des Schuldspruchs erfassten – Verbrechen ermuntert, indem er auf entsprechende Fragen des Amir A***** sinngemäß zu diesem gesagt habe, dass Damir R***** Serbe sei, die meisten Serben homosexuell seien, und Amir A***** „ihn einfach nehmen“ solle, wenn er sich mit ihm „amüsieren“, das heißt „ihn anal ficken“ wolle, und darüber hinaus auch ausgesagt habe, Farzant Al***** habe ihm den unmündigen Damir R***** zum Zweck der Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung zugeführt, indem er ihn mit Damir R***** bekannt gemacht und gesagt habe, dieser „wolle geschlechtlichen Verkehr“ haben, Farzant Al***** somit einer von Amts wegen zu verfolgenden, mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohten Handlung, nämlich des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 12 dritter Fall, 206 Abs 1 StGB, falsch verdächtigt habe, wobei er gewusst habe, dass die Verdächtigung falsch war.
4/ Im weiteren Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
5/ Die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte werden mit ihren Berufungen auf diese Entscheidung verwiesen.
6/ Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Amir A***** jeweils eines Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und 3 erster Fall StGB (A/I) und der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 erster Fall StGB (A/II) sowie mehrerer Verbrechen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB (B/I bis III) schuldig erkannt.
Danach hat er in Wien
A/ am 2. Dezember 2015
I/ mit dem am 10. April 2005 geborenen, mithin unmündigen Damir R***** eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung vorgenommen, indem er diesen mit seinem erigierten Penis anal penetrierte, ihn dann umdrehte, auf den Bauch des Opfers ejakulierte und mit seinem Penis das Ejakulat auf dessen Bauch verteilte, wobei die Tat eine an sich schwere Körperverletzung mit einer länger als 24 Tage andauernden Gesundheitsschädigung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung des Opfers, zur Folge hatte;
II/ Damir R***** mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit zur Duldung der zu Punkt I beschriebenen, dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung genötigt, indem er ihn am Handgelenk ergriff, in eine WC‑Kabine zog, diese versperrte, dem Opfer die Badehose hinunterzog, es umdrehte, an den Hüften festhielt und fixierte, wodurch es Hämatome erlitt, obwohl Damir R***** deutlich zu verstehen gab, dass er dies nicht wolle und es ihm weh tue, indem er um Hilfe schrie, weinte und auch erfolglos versuchte, Amir A***** wegzustoßen und die Tür zu öffnen, um zu entkommen, dieser aber die Hand des Opfers von der Tür wegzog und dieses festhielt, wobei die Tat die zu Punkt I bezeichnete schwere Körperverletzung des Opfers zur Folge hatte;
B/ am 3. Dezember 2015 Farzant Al***** vor Beamten des Landeskriminalamts Wien (I) sowie am 5. Dezember 2015 (II) und am 18. Jänner 2016 (III) jeweils vor dem Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien durch die oben im Freispruch genannten Anschuldigungen einer von Amts wegen zu verfolgenden, mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohten Handlung, nämlich des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 12 dritter Fall, 206 Abs 1 StGB, falsch verdächtigt, wobei er wusste, dass die Verdächtigung falsch war.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a, 10 und 11 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt teilweise Berechtigung zu.
Das Erstgericht hat sämtliche Feststellungen (demnach auch jene zur subjektiven Tatseite) unter anderem „auf das umfassende Geständnis des Angeklagten in der Hauptverhandlung“ gestützt (US 8 iVm ON 56 S 7 ff). Der Einwand insoweit offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) geht daher ins Leere.
Zutreffend zeigt der Beschwerdeführer jedoch auf (nominell Z 9 lit a, der Sache nach [wegen des in Idealkonkurrenz verwirklichten Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen] Z 10), dass das Urteil zum Schuldspruch A/II keine Feststellungen zu einem auf fehlendes Einverständnis des Opfers (bei dem es sich um ein implizites Tatbestandsmerkmal handelt) gerichteten Vorsatz des Täters enthält ( Philipp in WK 2 StGB § 201 Rz 35 f; Hinterhofer , SbgK § 201 Rz 54; Kienapfel/Schmoller BT III 2 §§ 201–202 Rz 34; vgl 13 Os 43/14v; 15 Os 62/11y; 13 Os 77/06g). Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen zwingt zur Aufhebung des davon betroffenen Schuldspruchs, demgemäß auch des Strafausspruchs samt Rückverweisung der Sache in diesem Umfang an das Erstgericht.
Das weitere zu diesem Schuldspruch erstattete Vorbringen und die Sanktionsrüge bedürfen demnach keiner Erörterung.
Die Aufhebung des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche (einschließlich der Verweisung auf den Zivilrechtsweg) war Folge der Beseitigung des Schuldspruchs A/II. Da der Zuspruch undifferenziert auf mehrere Schuldspruchsachverhalte gründet, kann nicht beurteilt werden, ob er im rechtskräftigen Schuldspruch A/I Deckung findet (14 Os 49/15k; 14 Os 22/15i; 13 Os 62/14p; Ratz , WK‑StPO § 289 Rz 7).
Im weiteren Verfahren wird das Erstgericht für den Fall eines neuerlichen Schuldspruchs wegen Vergewaltigung zu beachten haben, dass – worauf die Subsumtionsrüge richtig hinweist – die Tatfolge der schweren Körperverletzung in Form posttraumatischer Belastungsstörung nicht doppelt angelastet werden darf (RIS‑Justiz RS0115550, RS0128224), weshalb im Hinblick auf den rechtskräftigen Schuldspruch A/I Subsumtion auch nach § 201 Abs 2 erster Fall StGB nicht mehr in Betracht kommt.
Im Recht ist auch der gegen die Punkte B/II und III vorgetragene Einwand (Z 9 lit a). Nach dem Urteilssachverhalt habe der Beschwerdeführer die ursprünglich am 3. Dezember 2015 bei seiner Vernehmung durch die Kriminalpolizei gegen Farzant Al***** bereits in vollem Umfang erhobenen (im Spruch ersichtlichen) Anschuldigungen bei den weiteren Vernehmungen durch den Einzelrichter im Ermittlungsverfahren lediglich „aufrecht“ gehalten, also wiederholt (US 8). Derartige Wiederholungen stellen jedoch keine neuerlichen Verleumdungen dar, sondern können allenfalls – hier jedoch nicht in Betracht kommend – nach §§ 288, 289 StGB strafbar sein (RIS‑Justiz RS0096496; Pilnacek/Świderski in WK 2 StGB § 297 Rz 31; Tipold , SbgK § 297 Rz 71). Verdächtigen bedeutet nämlich, durch Tatsachenmitteilungen einen nicht bestehenden Verdacht zu wecken oder einen schon vorhandenen Verdacht (signifikant) zu verstärken ( Tipold , SbgK § 297 Rz 28; vgl auch RIS‑Justiz RS0096535). Bestätigt jemand bloß seine früheren (sei es auch vor anderen Strafverfolgungsorganen geäußerten) Anschuldigungen, ohne weitere Verdachtsmomente hinzuzufügen, setzt er damit also keine tatbildliche Handlung.
Der aufgezeigte Rechtsfehler erfordert die Aufhebung der Punkte B/II und III des Schuldspruchs. Da nach der Aktenlage keinesfalls zu erwarten ist, dass in einem weiteren Rechtsgang die für einen Schuldspruch notwendigen Feststellungen (mängelfrei begründet) getroffen werden könnten, war in diesem Umfang in der Sache selbst auf Freispruch zu erkennen (RIS‑Justiz RS0100239; Ratz WK‑StPO § 288 Rz 24).
Die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte waren mit ihren Berufungen auf diese Entscheidung zu verweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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