OGH 24Os3/16w

OGH24Os3/16w11.10.2016

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 11. Oktober 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Sturm‑Wedenig und Dr. Fetz sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Beran als Schriftführer in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwältin in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung der Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 12. Oktober 2015, AZ D 34/14, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, des Kammeranwalts Dr. Lindner, der Beschuldigten und ihres Verteidigers Mag. Pichler zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0240OS00003.16W.1011.000

 

Spruch:

Der Berufung wegen Schuld wird hinsichtlich der Schuldsprüche zu 1./ und 2./ nicht Folge gegeben.

Aus Anlass der Berufung wird das angefochtene Erkenntnis im Schuldspruch zu 3./ sowie demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer verwiesen.

Mit ihrer gegen den Schuldspruch zu 3./ gerichteten Berufung wegen Schuld und ihrer Berufung wegen Strafe wird die Beschuldigte auf diese Entscheidung verwiesen.

Ihr fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last, soweit sie nicht den kassatorischen Teil der Entscheidung betreffen.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwältin ***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung sowie der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt.

Danach hat sie in Graz

1./ ihrem Klienten Robert P***** mit Schreiben vom 11. September 2012 mitgeteilt, dass sie beabsichtige, die Honorarnote 40/2012 vom 29. August 2012 über 4.200 Euro dem Finanzamt Graz‑Stadt abzutreten bzw zu zedieren, sofern er nicht binnen 14 Tagen hiezu seine Zustimmung verweigere, sodass sie – bei ungenütztem Verstreichen dieser Frist – von einer Zustimmung zur Vorgangsweise ausgehe, sowie in weiterer Folge – unter Verstoß gegen ihre anwaltliche Verschwiegenheit, Sorgfalts- und Treuepflicht (§ 9 Abs 1 und 2 RAO) – ohne Zustimmung des Klienten dem genannten Finanzamt dessen persönliche Daten bekannt gegeben und die genannte Honorarnote übermittelt;

2./ entgegen ihrer Verpflichtung zur ordnungsgemäßen und richtigen Rechnungslegung (§ 9 Abs 1 RAO) ihrem Klienten Robert P***** für anwaltliche Tätigkeiten im geplanten Sanierungsverfahren beim Bezirksgericht Graz‑Ost mit Honorarnote vom 23. April 2012 über 6.531,99 Euro aufgrund der Annahme einer unrichtigen Bemessungsgrundlage (nämlich von 58.223,19 Euro anstatt richtig 12.000 Euro) eine Rechnung mit überhöhter Honorarforderung gelegt und die nachträglich geschlossene Honorarvereinbarung (nämlich über ein Pauschale von restlichen 2.000 Euro) nicht zugehalten und Klage geführt;

3./ entgegen ihrer Verpflichtung nach § 9 Abs 1 RAO und § 10 Abs 2 RAO trotz Kenntnis der tatsächlichen Vermögenssituation ihres Klienten Robert P***** unter Vorlage unvollständiger Unterlagen und wissentlich falscher Behauptungen am 20. Oktober 2011 beim Bezirksgericht Graz‑Ost einen Schuldenregulierungsantrag eingebracht, um ihrem Klienten hiedurch Vorteile zu verschaffen.

Die Beschuldigte wurde hiefür gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße von 2.500 Euro verurteilt.

Sie bekämpft dieses Erkenntnis mit Berufung wegen Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in diesem Rahmen s RIS‑Justiz RS0128656) und Strafe.

Die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) vermisst zu 1./ eine Erörterung des Umstands, dass es sich um die Abtretung einer Honorarforderung gehandelt habe, die nur die Mindesterfordernisse des § 11 Abs 1 Z 3 UStG 1994 aufwies, wobei das Finanzamt Graz-Stadt einen Pfändungsbescheid als Hoheitsakt erlassen und der Mandant die Möglichkeit eines Rechtsmittels gegen diesen Bescheid ungenutzt verstreichen lassen habe.

Rechtliche Beurteilung

Abgesehen davon, dass die Beschwerde keine für dieses Vorbringen sprechenden, in der Verhandlung vorgekommenen Verfahrensergebnisse nennt (vgl RIS-Justiz RS0118316 [T4]), betrifft der Einwand auch keine für die Beurteilung entscheidender Tatsachen erheblichen Umstände. Denn ein Rechtsanwalt ist nach § 9 Abs 2 RAO zur Verschwiegenheit über die ihm anvertrauten Angelegenheiten und die ihm sonst in seiner beruflichen Eigenschaft bekannt gewordenen Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse seiner Partei gelegen ist, verpflichtet. Daraus resultiert ein allgemeines Zessionsverbot anwaltlicher Honorarforderungen ohne ausdrückliche Zustimmung des Mandanten (E. Gruber, Abtretbarkeit der Honorarforderung eines Rechtsanwalts, RdW 1994, 38; Feil/Wennig AnwR8 § 9 RAO Rz 25; RIS‑Justiz RS0114272, RS0055060 [T2]). Diese Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts gilt auch gegenüber den Abgabenbehörden, sodass finanzielle Interessen des Staates hinter das Geheimhaltungsinteresse des Mandanten zurücktreten (vgl JBl 1973, 365 ff; E. Gruber aaO; RIS‑Justiz RS0055060 [T2]). Es widerspricht daher bereits der in § 9 Abs 2 RAO normierten anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht, dem Finanzamt Namen und Anschrift von Mandanten sowie diese betreffende Zahlungsflüsse bekannt zu geben. Daran kann auch die von der Beschwerde reklamierte Auskunftspflicht gegenüber Abgabenbehörden (§ 143 BAO) nichts ändern.

Es besteht kein Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zwischen der Feststellung, wonach „nicht geklärt werden konnte, ob das Schreiben der Beschuldigten vom 11. September 2012 des Inhalts, dass sie die Abtretung ihrer Honorarforderung an das Finanzamt Graz-Stadt beabsichtige, Herrn P***** überhaupt zugekommen ist“ (ES 4) und der Annahme, dass die Beschuldigte in weiterer Folge „ohne Zustimmung des Genannten dessen persönliche Daten und die Honorarnote 40/2012 bekanntgab und übermittelte“ (ES 4), wurde doch der Nichtreaktion des Mandanten vom Disziplinarrat kein Erklärungswert beigemessen (ES 7; siehe dazu: RIS‑Justiz RS0014124).

Der unter dem Aspekt einer „aktenwidrigen und unzureichenden Begründung“ erhobene Einwand (Z 5 dritter und vierter Fall), es läge eine konkludente Zustimmung des Mandanten zur Bekanntgabe seiner Daten vor, bestreitet die gegenteiligen Feststellungen (ES 4 und 7; RIS‑Justiz RS0099810), ohne insofern ein Begründungsdefizit aufzuzeigen.

Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu 1./ eben diese Feststellungen vermisst, vernachlässigt sie die bezeichneten Urteilskonstatierungen in gleicher Weise.

Soweit sie zu 2./ Feststellungsmängel zu einer Rechtsfrage und zu behaupteten Widersprüchen eines Zeugen reklamiert, verkennt sie das Wesen der geltend gemachten materiell‑rechtlichen Nichtigkeit grundlegend (s dazu RIS‑Justiz RS0118580, RS0130194, RS0100877).

Das zu 3./ angesprochene Motiv für die Erstattung eines (bewusst) tatsachenwidrigen Vorbringens berührt weder die Schuld‑ noch die Subsumtionsfrage des als disziplinär beurteilten Verhaltens der Beschuldigten (RIS‑Justiz RS0088761). Aus welchen Erwägungen sie den Antrag ihres Mandanten zurückzog, ist ebenfalls nicht entscheidungsrelevant.

Die Schuldberufung vermag zu 1./ und 2./ keine Bedenken gegen die Konstatierungen des Disziplinarrats zu wecken. Dieser hat sich mit den Verfahrensergebnissen– insbesondere auch mit der Verantwortung derBeschuldigten – hinreichend auseinandergesetzt und ist schließlich mit Blick auf den Inhalt von Schriftsätzen und die Ergebnisse der Zivilverfahren den Aussagen der Zeugen Robert und Peter P***** gefolgt. Mit der Darstellung des Prozessstandpunkts der Beschuldigten zu 2./, sie habe für ihren Honoraranspruch keine überhöhte Bemessungsgrundlage herangezogen (vgl aber § 5 Z 16 AHK idF 2012), und mit dem Hinweis auf ein „auffälliges Aussageverhalten der Familie P*****“ vermag die Berufung die Beweiswürdigung des Disziplinarrats nicht zu erschüttern.

Aus Anlass der Berufung überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO [§ 77 Abs 3 DSt]), dass der Schuldspruch 3./ mit einer – von der Beschuldigten nicht geltend gemachten – materiellen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) behaftet ist:

Nach den insofern maßgeblichen Feststellungen hat die Beschuldigte trotz Kenntnis der ein Schuldenregulierungsverfahren nicht rechtfertigenden Vermögenssituation ihres Mandanten „unter Vorlage unvollständiger Unterlagen und Aufstellung falscher Behauptungen hinsichtlich der Vermögenssituation ihres Klienten“ einen Schuldenregulierungsantrag, der eine Quote von 20 % vorsah, beim Bezirksgericht eingebracht, um so eine Entschuldung ihres Mandanten, insbesondere von bestehenden Bankverbindlichkeiten, zu bewirken (ES 5).

Welche konkreten „Unvollständigkeiten“ der Antrag auf Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens aufwies und welche Behauptungen zur Vermögenssituation des Mandanten (wissentlich) „falsch“ getätigt wurden, lässt sich der Entscheidung aber nicht entnehmen, sodass diese damit den – unter dem Aspekt rechtsrichtiger Subsumtion – unerlässlichen Sachverhaltsbezug nicht herstellt (RIS‑Justiz RS0119090).

Daran vermag auch die beweiswürdigende Erwägung nichts zu ändern, wonach die Beschuldigte zugestand, im Rahmen einer Besprechung festgestellt zu haben, dass ihr Mandant „zusätzlich über Vermögenswerte, Bausparverträge und ein hohes Einkommen verfüge, weshalb das Sanierungsverfahren nicht zweckdienlich erscheint“ (ES 6); lässt sich doch daraus nicht ableiten, inwieweit der seitens der Beschuldigten verfasste Antrag (objektiv und subjektiv) von den tatsächlichen Gegebenheiten abwich.

Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen macht eine Kassation des Schuldspruchs 3./ und demzufolge auch des Strafausspruchs sowie eine neue Verhandlung unvermeidlich (§ 285e StPO).

Mit ihrer zu 3./ ausgeführten Berufung wegen Schuld sowie mit jener wegen Strafe wird die Beschuldigte auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Die Kostenentscheidung, die nicht die amtswegige Maßnahme umfasst (vgl RIS‑Justiz RS0101558), gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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