OGH 17Os22/16p

OGH17Os22/16p3.10.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Oktober 2016 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oberressl in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Krenn, LL.M. (WU), als Schriftführerin in der Strafsache gegen Alexander B***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 15. April 2016, GZ 24 Hv 114/15a‑25, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0170OS00022.16P.1003.000

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Punkten I und II des Schuldspruchs, demgemäß auch im Strafausspruch, aufgehoben, in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf die Aufhebung des Strafausspruchs verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Alexander B***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB (zu I und II) und des Vergehens der falschen Beweisaussage nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 288 Abs 1 StGB (zu III) schuldig erkannt.

Danach hat er in Innsbruck von 28. November 2011 bis 17. Juni 2014 als Polizeibeamter mit dem Vorsatz, dadurch folgende Personen an deren Grundrecht auf Datenschutz zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er ohne dienstliche Veranlassung,

(I) personenbezogene, im angefochtenen Urteil einzeln angeführte Abfragen im PAD (Protokollier-, Anzeigen- und Datensystem) tätigte, und zwar

A) Namensabfragen

a) hinsichtlich Tamara P***** in 28 Fällen;

b) hinsichtlich Simone Pö***** in 12 Fällen;

c) hinsichtlich Emanuel A***** in 16 Fällen;

d) hinsichtlich Marina Be***** in einem Fall;

e) hinsichtlich Danilo O***** in einem Fall;

B) mehr als 50, im angefochtenen Urteil einzeln angeführte Einsichtnahmen in die im PAD gespeicherten Aktenvorgänge hinsichtlich der zu Punkt A genannten Personen;

II) „Lichtbilder“ aus den PAD-Abfragen an Tamara P***** übermittelte, und zwar

1) am 4. November 2012 vier „Lichtbilder“ betreffend Marina Be***** und Danilo O*****;

2) zwischen 20. Juli 2013 und 25. Juli 2013 zwei „Lichtbilder“ betreffend Emanuel A*****;

(III) im November 2014 in T***** den Emanuel A***** zu bestimmen versucht, in der Hauptverhandlung im gegenständlichen Verfahren vor dem Landesgericht Innsbruck als Zeuge bei dessen förmlicher Vernehmung zur Sache falsch auszusagen, indem er zu ihm sagte, es wäre schon gut, wenn dieser vor Gericht aussagen würde, dass alle – Emanuel A***** betreffenden – Abfragen über dessen Ersuchen erfolgt seien, dieser also dazu die Einwilligung gegeben habe.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 5 und 9 (lit) a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde ist teilweise berechtigt.

Zutreffend zeigt die Mängelrüge zum Schuldspruch wegen § 302 Abs 1 StGB undeutliche Begründung (Z 5 erster Fall) der zur Wissentlichkeit des Befugnismissbrauchs getroffenen Feststellung (US 13) auf:

Das Erstgericht erachtete die insoweit leugnende Verantwortung des Beschwerdeführers, er habe von der Datensicherheitsvorschrift des Bundesministeriums für Inneres keine Kenntnis erlangt, keine „Schulung zum PAD“ erhalten und überdies stets einen dienstlichen Grund für die inkriminierten Abfragen gehabt, für nicht glaubwürdig (US 16 ff). Aus welchen Gründen die Tatrichter zu dieser Überzeugung gelangten, haben sie indes nicht für sämtliche unter dem Gesichtspunkt der Nichtigkeitsgründe relevanten Urteilsadressaten unzweifelhaft erkennbar dargelegt (vgl RIS‑Justiz RS0117995; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 419). Neben bloßer Wiederholung der Feststellung verweisen sie begründend bloß auf die Teilnahme des Beschwerdeführers an einer „Schulung zum Thema Systemabfragen und Amtsmissbrauch“, welche am 3. Dezember 2013, also nach dem Großteil der hier inkriminierten Handlungen, stattgefunden habe (US 18). Zur Annahme, der Beschwerdeführer habe schon davor über entsprechenden Kenntnisstand verfügt, obwohl die Frage, ob er bereits 2005 eine Schulung zum Gebrauch des PAD erhalten habe, ausdrücklich offen gelassen wurde (US 10), beschränken sich die Tatrichter auf die Vermutung, dafür brauche „kein erwachsener Mensch eine Schulung oder eine Vorschrift“, wobei sie in dem Zusammenhang – ohne diesem Umstand erkennbar besonderen Begründungswert beizumessen – beiläufig die Stellung des Beschwerdeführers als Polizeibeamter seit 1993 erwähnen (US 26). Demgegenüber halten die Entscheidungsgründe mehrfach fest, „dass der Angeklagte über keinerlei (Unrechts‑)Bewusstsein dahingehend verfügt, was eine Namensabfrage im PAD bedeutet und was sie zu Tage fördert“ (US 18 und 22).

Der aufgezeigte Begründungsmangel erforderte die Aufhebung des Schuldspruchs wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt, demgemäß auch des Strafausspruchs, schon bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO). Es erübrigt sich daher, auf das weitere Beschwerdevorbringen, soweit es sich auf diesen Schuldspruch bezieht, einzugehen.

Mit ihren Berufungen waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf die Aufhebung des Strafausspruchs zu verweisen.

Der zum Schuldspruch wegen falscher Beweisaussage (Punkt III) erhobene Einwand (Z 9 lit a), die konstatierte Äußerung des Beschwerdeführers bringe nicht mit Bestimmtheit eine Aufforderung, der Zeuge solle tatsachenwidrig vor Gericht aussagen, zum Ausdruck, verfehlt hingegen die Bezugnahme auf die Gesamtheit des Urteilssachverhalts (RIS‑Justiz RS0099810). Denn die Tatrichter konstatierten weiters, dem Beschwerdeführer sei es gerade darauf angekommen, auf diese Weise bei Emanuel A***** „den Tatentschluss für diese falsche Beweisaussage vor Gericht“ zu wecken (US 16), womit das angefochtene Urteil eine ausreichende Sachverhaltsbasis für den (wegen bloß versuchter Tatausführung ergangenen) Schuldspruch enthält.

In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde zurückzuweisen.

Im weiteren Verfahren wird zu beachten sein:

1/ Hinsichtlich der im (korrigierten [zu den hier nicht beachteten Formerfordernissen vgl Danek , WK‑StPO § 271 Rz 52 und 54]) Protokoll über die Hauptverhandlung angeführten Teile (der Punkte I/A und B) der Anklage (vgl ON 24 S 68 f) hat das Erstgericht zwar nicht förmlich (§ 259 StPO) einen Freispruch gefällt, einen solchen aber in den Entscheidungsgründen (US 13 f, 30 und 34) zum Ausdruck gebracht (RIS‑Justiz RS0116266 [T9]). Die solcherart (rechtskräftig) erledigten Anklagepunkte bilden keinen Gegenstand des weiteren Verfahrens.

2/ Die rechtliche Annahme eines Vorsatzes auf Schädigung der von den Abfragen betroffenen Personen an deren Recht auf Datenschutz setzt klare Feststellungen dahingehend voraus, welche davon erfassten Informationen der Angeklagte bei den inkriminierten Abfragen gewinnen wollte. Die Information etwa, dass gegen eine bestimmte Person ein Verfahren wegen gerichtlich strafbarer Handlungen oder Verwaltungsübertretungen geführt wird, ist in diesem Sinn geschützt (vgl zum [weiten] Datenbegriff des DSG 17 Os 40/14g [17 Os 41/14d], EvBl 2015/56, 372).

3/ Hinsichtlich des Vorwurfs, „Lichtbilder aus den PAD-Abfragen“ weitergegeben zu haben (Punkt II), wird zu klären sein, ob die bezughabenden (vorweg unter Fehlgebrauch der Befugnis durchgeführten) Datenabfragen von Punkt I/A erfasst sind und auf einheitlicher Motivationslage beruhten, in welchem Fall – bei Erfüllung der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen – Missbrauch der Amtsgewalt durch jeweils eine Tat (vgl RIS‑Justiz RS0122006; Ratz in WK 2 Vor §§ 28–31 Rz 89) verwirklicht wurde. Ohne (derartigen) Befugnisfehlgebrauch wäre hingegen Strafbarkeit der Weitergabe amtsgeheimer Informationen nach § 310 Abs 1 StGB zu prüfen (vgl 17 Os 20/12p, EvBl 2013/42, 274; 17 Os 43/14y, EvBl 2015/78, 521; 14 Os 138/11t, EvBl 2012/84, 566).

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