European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0280OS00009.15F.0922.000
Spruch:
Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten wird teilweise Folge gegeben und der Strafausspruch dahin abgeändert, dass über den Disziplinarbeschuldigten gemäß § 31 StGB iVm § 16 Abs 5 DSt unter Bedachtnahme auf das Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 28. April 2016, AZ 28 Os 8/15h, eine Zusatzgeldbuße von 500 Euro verhängt wird.
Im Übrigen wird der Berufung keine Folge gegeben.
Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 9. März 2015, AZ D 25/11, wurde *****, des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung schuldig erkannt, weil er im Verfahren AZ ***** des Handelsgerichts Wien als Beklagtenvertreter den Klagevertreter umgangen hat, weil er am 30. Dezember 2010 für die ***** einen Brief direkt an die Klägerin richtete, in welchem er die Erwartung einer direkten Rückäußerung der Klägerin zum Ausdruck brachte.
Der Beschuldigte wurde hiefür nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt zur Disziplinarstrafe einer Geldbuße von 1.500 Euro sowie zum Kostenersatz verurteilt.
Der Disziplinarbeschuldigte bekämpft dieses Erkenntnis mit einer Berufung wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 3, Z 4, Z 5, Z 5a und Z 9 lit b StPO) sowie mit einer Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe.
Entgegen dem Einwand einer mangels Hinweises, welche Berufspflicht verletzt worden sei, undeutlichen Fassung des Spruches des Erkenntnisses (der Sache nach Z 3 mit Beziehung auf § 260 Abs 1 Z 1 StPO) wurde mit der Textpassage, wonach der Disziplinarbeschuldigte in einer näher bezeichneten beim Handelsgericht Wien anhängigen Rechtssache als Vertreter der beklagten Partei durch unmittelbare briefliche Kontaktaufnahme mit der klagenden Partei den Klagevertreter umging (§ 18 RL‑BA 1977), dem Erfordernis der Tatindividualisierung jedenfalls entsprochen.
Gerade dieser konkrete Tatvorwurf war Gegenstand des Einleitungsbeschlusses des Disziplinarrats vom 12. Dezember 2011 (ON 15), sodass ungeachtet der vom Einleitungsbeschluss abweichenden (bloßen) rechtlichen Einordnung des angelasteten Disziplinarvergehens als Berufspflichtenverletzung entgegen der Rüge Verteidigungsrechte (auch nach Art 6 Abs 3 lit a EMRK) punkto Einräumung einer hinreichenden Vorbereitung nicht beeinträchtigt wurden.
Der (weiteren) Verfahrensrüge zur unterbliebenen Vernehmung des Zeugen Dr. Otto M***** (Z 4) mangelt es schon an der formellen Voraussetzung einer – durch Antragstellung in einem Schriftsatz (fallbezogen mit jenem vom 5. März 2015) nicht ersetzbaren – mündlichen Antragstellung in der Disziplinarverhandlung (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 310 f mwN). Insoweit konnte auf die in der Berufungsverhandlung vorgelegte eidesstättige Erklärung des Dr. Otto M***** schon mit Blick auf § 49 DSt keine Rücksicht genommen werden. Im Übrigen enthält die Erklärung keine Bezugspunkte zum inkriminierten Verhalten.
Dem dazu erstatteten Berufungsvorbringen ist der Vollständigkeit halber zu erwidern, dass nach den Feststellungen des Disziplinarrats (ES 2) die inkriminierte Kontaktaufnahme mit der Gegenpartei nicht „lediglich den Vorschlag einer Besprechung“ zwecks Erörterung der Bereinigung des Rechtsstreits, sondern vielmehr die Einwirkung zur Annahme eines konkreten Vergleichsanbots zum Gegenstand hatte und der – auch nach den übrigen Sachverhaltsannahmen des Disziplinarrats auch sonst eine direkte Kontaktaufnahme keineswegs billigende – Rechtsanwalt der Gegenpartei das inkriminierte Schreiben des Disziplinarbeschuldigten vom 30. Dezember 2010 nicht erhielt.
Eine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) wird mit der nicht näher substantiierten Mängelrüge entgegen § 285a Z 2 StPO nicht deutlich und bestimmt bezeichnet.
Die Tatsachenrüge (Z 5a) macht mit dem Einwand eines Verstoßes gegen die Pflicht zu amtswegiger Wahrheitsforschung nicht deutlich, wodurch der Berufungswerber gehindert war, eine vermisste Konfrontation des Zeugen Dr. Peter A***** mit Ausführungen des Zeugen Dr. Otto M***** in dessen Schreiben vom 15. März 2011 sachgerecht zu beantragen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480 mwN).
Mit der Rechtsrüge (Z 9 lit b) reklamiert die Berufung die Anwendung des § 3 DSt. Insoweit verfehlt allerdings der Berufungswerber die gebotene Orientierung am im Erkenntnis festgestellten Sachverhalt. Denn nach den Konstatierungen (ES 2) war – anders als in jenem der im Rechtsmittel genannten Entscheidung der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission vom 23. April 2001, 9 Bkd 4/00 (AnwBl 2001, 416), zu Grunde gelegenen Sachverhalt – Gegenstand der Kontaktaufnahme unter Umgehung des Gegenanwalts nicht bloß der Vorschlag einer Besprechung zwecks Erörterung der Bereinigung einer Streitsache, sondern – wie bereits erwähnt – vielmehr die Einwirkung zu einem konkreten – die Gegenpartei mit Blick auf das nachmalige Ergebnis des zivilgerichtlichen Verfahrens gröblich benachteiligenden – Vergleichsabschluss. Solcherart kann vorliegend von einem bloß geringfügigen Verschulden keine Rede sein.
Die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld stellt keine Feststellungen des Erkenntnisses in Frage und orientiert sich damit nicht an den entsprechenden gesetzlichen Anfechtungskriterien (vgl Ratz, WK‑StPO § 464 Rz 8).
Der Berufung wegen Nichtigkeit und wegen des Ausspruchs über die Schuld war daher keine Folge zu geben.
Der Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe kommt hingegen teilweise Berechtigung zu.
Der Disziplinarrat ging bei der Bemessung der Strafe davon aus, dass ein schweres Verschulden und die Vorstrafen als erschwerend zu werten sind. Milderungsgründe wurden nicht angenommen.
Die Berufung macht zu Recht geltend, dass die Vorstrafen getilgt sind, zumal die mit der letzten disziplinarrechtlichen Verurteilung vom 31. Jänner 2003, AZ D 143/97, D 247/97, vom Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien verhängte Geldbuße am 22. Juli 2004 bezahlt wurde, sodass die Frist des § 74 Z 2 DSt verstrichen ist. Die davor liegenden weiteren zwei Schuldsprüche zu AZ D 118/94 und D 226/93 können insoweit keine relevante Verlängerung iSd § 75 DSt mehr bewirken.
Auch der weitere Einwand einer überlangen Verfahrensdauer ist berechtigt:
Tatsächlich wurde der Einleitungsbeschluss schon am 12. Dezember 2011 gefasst. Die mündliche Verhandlung wurde indes erst am 18. Februar 2015 für den 9. März 2015 anberaumt, ohne dass für diesen faktischen Stillstand des Verfahrens in der Dauer von mehr als 38 Monaten ein sachlicher Grund erkennbar ist. Dieser als Verletzung des auch im Disziplinarverfahren geltenden Beschleunigungsgebots zu wertenden Säumnis ist dadurch Rechnung zu tragen, dass die an sich tat‑ und schuldangemessene Geldbuße verringert wird.
Dazu kommt aber, obgleich vom Disziplinarbeschuldigten in der Berufung nicht geltend gemacht, dass ***** mit Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 28. April 2016, AZ 28 Os 8/15h, in Stattgebung der Berufung des Kammeranwalts gegen das freisprechende Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 9. März 2015, AZ D 27/13, wegen des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt schuldig erkannt und zu einer Geldbuße von 2.000 Euro verurteilt wurde.
Diesem Schuldspruch lag zugrunde, dass der Disziplinarbeschuldigte im Honorarprozess der ***** Rechtsanwalts GmbH gegen mehrere Beklagte zu AZ ***** des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien nach Schluss der Verhandlung am 10. Juli 2012 der Verhandlungsrichterin ***** in deren Dienstzimmer einen fertig ausformulierten Urteilsentwurf beinhaltend ein völliges Obsiegen seiner Mandantin übergeben hatte.
Erwächst ein Vorerkenntnis (in welchem über das nunmehr abgeurteilte Disziplinarvergehen hätte mitentschieden werden können) noch vor einer Strafneubemessung oder Erledigung einer gegen den Strafausspruch gerichteten Berufung im Rechtsmittelverfahren in Rechtskraft, so ist §
31 StGB iVm §
16 Abs 5 DSt durch das Rechtsmittelgericht anzuwenden (vgl Ratz in WK2 §
31 Rz 3; RIS-Justiz RS0090964).
Damit fällt zunächst der vom Disziplinarrat im angefochtenen Erkenntnis angenommene Erschwerungsgrund eines getrübten Vorlebens weg. Daher ist nunmehr mildernd die Unbescholtenheit in Rechnung zu stellen. Dem steht wiederum mit Blick auf die Bedachtnahmeverurteilung eine als erschwerend zu wertende Tatmehrheit gegenüber. Dazu ist die erhebliche Schuld des Disziplinarbeschuldigten in Bezug auf das nunmehr inkriminierte Verhalten zu berücksichtigen.
Gemäß § 31 StGB iVm § 16 Abs 5 DSt wäre daher unter Bedachtnahme auf das Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 28. April 2016, AZ 28 Os 8/15h, eine tat- und schuldangemessene Zusatzgeldbuße von 1.000 Euro zu verhängen gewesen.
Wegen der dargestellten überlangen Verfahrensdauer ergibt sich darüber hinaus die Notwendigkeit einer Reduktion dieser an sich auszumessenden Zusatzgeldbuße von 1.000 Euro um weitere 500 Euro.
In teilweiser Stattgebung der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe war daher eine Zusatzgeldbuße von 500 Euro zu verhängen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt iVm § 36 Abs 2 DSt.
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