OGH 28Os8/15h

OGH28Os8/15h28.4.2016

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 28. April 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Wippel und Dr. Strauss als Anwaltsrichter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Margreiter, LL.B., als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Kammeranwalts gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 9. März 2015, AZ D 27/13, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, und des Verteidigers Prof. Dr. Wennig zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 9. März 2015, AZ D 27/13, aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt:

***** ist schuldig, er hat im Honorarprozess der ***** GmbH gegen mehrere Beklagte zu AZ ***** des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien nach Schluss der Verhandlung am 10. Juli 2012 der Verhandlungsrichterin ***** in deren Dienstzimmer einen fertig ausformulierten Urteilsentwurf beinhaltend ein völliges Obsiegen seiner Mandantin übergeben und dadurch das Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt begangen.

Über ihn wird eine Geldbuße von 2.000 Euro verhängt.

Der Disziplinarbeschuldigte hat auch die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz zu tragen.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 9. März 2015, AZ D 27/13, wurde der Disziplinarbeschuldigte ***** vom wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe in einem Honorarprozess der ***** GmbH gegen mehrere beklagte Parteien zu AZ ***** des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien nach Schluss der Verhandlung am 10. Juli 2012 der Verhandlungsrichterin ***** in deren Dienstzimmer einen fertig ausformulierten Urteilsentwurf beinhaltend ein völliges Obsiegen seiner Mandantin übergeben und er habe dadurch das Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt gemäß § 3 DSt freigesprochen.

Der Disziplinarrat beurteilte zwar das im Spruch wiedergegebene Verhalten des Disziplinarbeschuldigten als Verstoß gegen Ehre und Ansehen des Standes, beurteilte aber das darin gelegene Verschulden von ***** als geringfügig und kam zum Schluss, dass dieses Verhalten keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen habe.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen gerichteten auf § 281 Abs 1 Z 9 lit b (inhaltlich Z 9 lit a) StPO gestützten Berufung des Kammeranwalts kommt Berechtigung zu.

Gemäß § 9 Abs 1 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen. Dies gilt auch, wenn der Rechtsanwalt in eigener Sache (hier für die eigene Kanzlei in einem Honorarprozess) einschreitet, weil er gemäß § 2 zweiter Satz RL‑BA 1977 nur solche Mittel anwenden darf, die mit Gesetz, Anstand und Sitte zu vereinbaren sind. Ein dem widersprechendes Verhalten verstößt gegen die in § 10 Abs 2 RAO normierte Pflicht, durch Redlichkeit und Ehrenhaftigkeit im Benehmen des Anwalts die Ehre und Würde des Standes zu wahren.

Dem Disziplinarbeschuldigten ist zwar beizupflichten, dass die Zivilprozessordnung ausdrücklich nur eine Übernahme von nicht verlesenen Protokollsentwürfen nach § 210 Abs 2 ZPO verbietet, womit in der Regel eine Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 8 ZPO einhergeht. Hintergrund ist dabei die solcherart bewirkte Verletzung des Mündlichkeits‑ und Unmittelbarkeitsgrundsatzes (vgl Kodek in Rechberger ZPO 4 § 477 ZPO Rz 11 mN). Ein Umkehrschluss dergestalt, dass demzufolge die Überreichung von Urteilsentwürfen zulässig wäre, kann daraus aber nicht gezogen werden. Vielmehr verstößt die Übergabe eines Urteilsentwurfs zu Gunsten einer Partei in gleicher Weise gegen das Prinzip der Mündlichkeit und des beiderseitigen Parteiengehörs. Die Verhandlungsrichterin hätte sich überdies bei der Verwendung eines solchen Entwurfs dem berechtigten Vorwurf der Befangenheit nach § 19 Z 1 JN ausgesetzt. Dies musste dem Disziplinarbeschuldigten bei seiner Intervention auch bewusst gewesen sein.

Soweit der Disziplinarbeschuldigte ins Treffen führt, dass es bloß bei einem nach dem Disziplinarrecht nicht strafbaren Versuch der unzulässigen Beeinflussung der Richterin geblieben sei, ist ihm entgegenzuhalten, dass schon die Vorlage des Urteilsentwurfs außerhalb der Verhandlung und ohne Einbindung der gegnerischen Partei eine vollendete Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes bewirkt, unabhängig davon, ob die damit versuchte Beeinflussung erfolgreich bleibt.

Zutreffend weist die Berufung darauf hin, dass der vom Disziplinarbeschuldigten mit nicht unerheblichen Arbeitsaufwand erstellte zehnseitige Urteilsentwurf nicht nur das Parteienvorbringen wiedergibt, sondern eine ausschließlich zu Gunsten des eigenen Prozessstandpunkts getroffene Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung enthält. Damit wurde in einer die zivilprozessualen Grundsätze der Mündlichkeit des Verfahrens und des beiderseitigen rechtlichen Gehörs verletzenden Weise versucht, in die freie Beweiswürdigung durch das Gericht einzugreifen. Ein derartiges Vorgehen begründet kein geringes Verschulden, sodass die Anwendung des § 3 DSt ausscheidet.

Das freisprechende Erkenntnis war daher aufzuheben und in der Sache selbst mit Schuldspruch wegen Verstoßes gegen Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt vorzugehen.

Bei der Strafbemessung war als mildernd die bisherige Unbescholtenheit zu werten. Dem stehen keine Erschwerungsgründe entgegen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände wäre an sich eine Geldbuße von 3.000 EUR als tat- und schuldangemessene Sanktion zu verhängen.

Im Hinblick darauf, dass das Disziplinarverfahren von Dezember 2013 bis April 2016 dauerte, ohne dass dies dem Disziplinarbeschuldigten oder seinem Verteidiger anzulasten gewesen wäre, ist iSd § 34 Abs 2 StGB von einer unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer auszugehen. Die damit bewirkte Konventionsverletzung (Art 6 Abs 1 EMRK) war durch eine Reduktion der Geldbuße um 1.000 EUR auszugleichen und die Geldbuße daher mit 2.000 EUR festzusetzen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt iVm § 36 Abs 2 DSt.

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