OGH 3Ob145/16v

OGH3Ob145/16v22.9.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** GmbH, *****, vertreten durch Sluka Hammerer Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei E*****, vertreten durch Dr. Gerhard Lebitsch, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 126.213,26 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 1. Juni 2016, GZ 2 R 59/16h‑30, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0030OB00145.16V.0922.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1.

Vom Berufungsgericht verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz können nach ständiger Rechtsprechung nicht nach § 503 Z 2 ZPO geltend gemacht werden, es sei denn, das Berufungsgericht hätte sich – was die Klägerin gar nicht behauptet – mit der Mängelrüge überhaupt nicht befasst oder diese mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen (RIS-Justiz RS0042963 [T9, T12, T28, T52]). Im Übrigen stellt die in der Berufung gerügte Nichtbehandlung einer von mehreren Anspruchsgrundlagen durch das Erstgericht entgegen der Ansicht der Klägerin (und des Berufungsgerichts) ohnehin keine Nichterledigung eines Sachantrags iSd § 496 Abs 1 Z 1 ZPO (§ 404 Abs 1 ZPO) dar, bildet also keinen Verfahrensmangel, sondern ist inhaltlich der Rechtsrüge zuzuordnen. Sachanträge sind nämlich nur jene Anträge, die Gegenstand der urteilsmäßigen Erledigung sein können ( Pimmer in Fasching/Konecny 2 § 496 ZPO Rz 12 mwN). Der Sachantrag (Entscheidungsantrag) entspricht also nicht dem Streitgegenstand, sondern bestimmt diesen erst gemeinsam mit den zu seiner Begründung vorgebrachten Tatsachen (RIS‑Justiz

RS0039255 [T1]).

2. Die behauptete Aktenwidrigkeit wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

3. Richtig ist, dass die von der Beklagten eingebrachte Berufung gegen den Baubewilligungsbescheid nach den Feststellungen – mangels Nachweises der Beklagten, dass

sie wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig von der an ihrem Nebenwohnsitz erfolgten Zustellung Kenntnis erlangen konnte und auch nicht innerhalb der Abholfrist an die Abgabestelle zurückkehrte, was die Unwirksamkeit der Zustellung nach § 17 Abs 3 ZuStG zur Folge gehabt hätte – objektiv verspätet war. Das Berufungsgericht verneinte einen auf der verspäteten Einbringung der Berufung basierenden Schadenersatzanspruch der Klägerin (nach § 1295 Abs 1 ABGB) mangels Verschuldens der Beklagten, weil diese auf folgende Auskunft ihres bautechnischen Beraters vertraut habe (und vertrauen habe dürfen): Die Zustellung an ihrem Nebenwohnsitz sei nicht ordnungsgemäß erfolgt und die Behörde werde ihr das Poststück – wie es dann auch tatsächlich geschah – nach dem Rücklangen als nicht behoben neuerlich an ihrem Hauptwohnsitz zustellen, zumal die Behörde in der Folge zwar mitgeteilt habe, dass der Bescheid ihres Erachtens infolge Wirksamkeit der Zustellung am Zweitwohnsitz bereits in Rechtskraft erwachsen sei, jedoch gleichzeitig den Bescheid von Amts wegen nochmals (mit Zustellnachweis) zugestellt habe. Dies stellt keine im Einzelfall vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.

4. Für eine Schadenersatzpflicht wegen schlichter Sittenwidrigkeit (§ 1295 Abs 2 Fall 1 ABGB) ist zwar keine Schädigungsabsicht erforderlich, sondern es genügt, dass der Schaden vom bedingten Vorsatz umfasst ist (RIS-Justiz RS0026603). Allerdings ist Voraussetzung für die Annahme einer sittenwidrigen deliktischen Schädigung nicht nur eine (bedingt) vorsätzliche Schädigung, sondern auch der Nachweis aller für eine Sittenwidrigkeit sprechenden Umstände (3 Ob 556/92), die also ebenfalls vom (bedingten) Vorsatz des Schädigers umfasst sein müssen.

Ob eine sittenwidrige Schädigung iSd § 1295 Abs 2 ABGB vorliegt, ist – ebenso wie die Frage des Rechtsmissbrauchs (vgl RIS-Justiz RS0110900) – eine nach den Umständen des Einzelfalls zu klärende Rechtsfrage. Dass die Vorinstanzen die Erhebung der – aus Sicht der Beklagten nicht aussichtslosen und von einem sachlichen Motiv getragenen (vgl RIS‑Justiz RS0022804 [T3]) – Berufung als nicht sittenwidrig beurteilten, ist nicht zu beanstanden. Auf die objektiven Erfolgsaussichten der Berufung kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.

Auch gegen die Rechtsansicht der Vorinstanzen, wonach die Beklagte ungeachtet des zwischen den Rechtsvorgängern der Streitteile vereinbarten Rechts des Heranbauens eines Gebäudes „entsprechend den baubehördlichen Genehmigungen“ bis an die gemeinsame Grundstücksgrenze berechtigt war, die in erster Instanz erteilte Baubewilligung mit Berufung zu bekämpfen, bestehen keine Bedenken. Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin kann keine Rede davon sein, dass die Beklagte nach dem klaren Wortlaut dieser Vereinbarung zwar das Recht gehabt habe, im Bauverfahren erster Instanz Einwendungen gegen das Bauvorhaben zu erheben, es ihr jedoch verwehrt gewesen sei, eine Berufung gegen den erstinstanzlichen Bewilligungsbescheid einzubringen.

Stichworte